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Kopfschmerz-News


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8. Andere Kopfschmerzen

*** Nederhand MJ, Hermens HJ, IJzerman MJ, Turk DC, Zilvold G. Chronic neck pain disability due to an acute whiplash. Pain 2003;102:63-71.

Zusammenfassung: In dieser prospektiven Längsschnittstudie der Arbeitsgruppe Nederhand wird bei Halswirbelsäulen- Beschleunigungs- Verletzung (HWS-BV)- Patienten mit Nacken- und Kopfschmerzen die neuromuskuläre Aktivität des M. trapezius mittels Oberflächen- EMG im Akutzustand sowie 4, 8, 12 und 24 Wochen nach einem Autounfall untersucht. Der Schwerpunkt liegt dabei im Vergleich von Patienten mit Rückbildung der anfänglichen Symptomatik mit solchen, bei denen die Beschwerden chronifizieren. Der Untersuchung liegt die Idee zugrunde, dass Schmerz und Muskelaktivität interagieren und zur Chronifizierung von Nacken- bzw. Kopfschmerzen nach HWS-BV beitragen. Die Autoren finden zu keinem Messzeitpunkt Unterschiede zwischen Patienten mit unterschiedlichem funktionellem Outcome in der Fertigkeit, den M. trapezius nach physikalischer Anstrengung wieder zu entspannen. Hingegen zeigen sich signifikante Unterschiede der Muskelaktivität im EMG sowohl bei einer isometrischen als auch bei einer dynamischen Aufgabe zwischen Patientensubgruppen verschieden starker Beeinträchtigung durch Nackenschmerzen, die auch im Verlauf bestehen bleiben. Hierbei zeigten Patie nten mit der höchsten Schmerzbeeinträchtigung zum 24 Wochen follow-up die geringste Trapeziusrekrutierung.

Kommentar: Die hier vorgestellte Arbeit von Nederhand et al. stellt eine Anschlussarbeit an vorausla ufende Studien derselben Arbeitsgruppe dar (Nederhand et al. 2000, 2002), die erhöhte Muskelaktivität nach einer physischen Anstrengung (Muskelhyperreaktivität) bei Patienten mit chronischen Nackenschmerzen fanden. Aus diesen Vorarbeiten werden die Hypothesen schlüssig abgeleitet und das Studiendesign wird klar und ausführlich dargestellt. Entgegen ihrer Hypothese finden die Autoren jedoch keine Hinweise auf eine muskuläre Hyperreaktivität bei HWS-BV, sondern vielmehr eine verminderte Muskelaktivität. Sie demonstrieren damit ein weiteres Mal, dass anhaltende Nackenschmerzen nicht zwingend mit erhöhter Muskelaktivität einhergehen. Der angenommene Teufelkreislauf aus Schmerz und erhöhter Muskelaktivität wird konsequenterweise verworfen und die Ergebnisse werden im Rahmen des Schmerz-Adaptions-Modells von Lund et al. (1991) diskutiert. Einen Erklärungsansatz für Prozesse des Übergangs von akutem in chronischen Schmerz kann die Studie entgegen der ursprünglichen Intention nicht liefern. Ein Ergebnis, das die Autoren nicht diskutieren, ist die Unveränderlichkeit des EMGs über die Zeit in den nach ihrem Outcome differenzierten Subgruppen. Sowohl bei HWS-BV mit guter auch mit schlechter funktioneller Erholung bleibt die Muskelaktivität bei isometrischer oder dynamischer Aktivität unverändert. Es stellt sich die Frage nach der Kopplung des EMGs an aktuelle Schmerzzustände und damit nach der Validität dieses Maßes. Leider erfolgt eine subjektive Beurteilung des Schmerzes durch die Patienten nur zu Kategorisierungszwecken zum letzten Untersuchungszeitpunkt. Zusammenfassend stellt die hier besprochene Studie von Nederhand et al. einen interessanten Beitrag zur Schmerz- Muskelspasmus-Debatte mit ehrlichen Antworten dar, die jedoch zur Klärung von Chronifizierungsprozessen von Schmerzen nur wenig beitragen kann. (PS)

**** Scholten-Peeters GGM, Verhagen AP, Bekkering GE, van der Windt DAWM, Barnsley L, Oostendorp RAB, Hendriks EJM. Prognostic factors of whiplash-associated disorders: a systematic review of prospective cohort studies. Pain 2003;104:303-322.

Zusammenfassung: Die Arbeitsgruppe um Frau Scholten-Peeters vermittelt eine aktuelle Übersicht über prospektiver Studien zur Erholung nach einer vor Halswirbelsäulen- Beschleunigungsverletzung (HWS-BV). Sie versteht sich als Anschlussarbeit an die Ergebnisse von Spitzer et al. (1995) und Côté et al. (2001). Ziel der Arbeit war die Extraktion relevanter prognostischer Faktoren der funktionellen Erholung nach HWS-BV. Betrachtet wurden soziodemographische, physische, psychosoziale, neuropsychologische, unfallbezogene, radiologische sowie Behandlung und Rechtsstreitigkeiten betreffende Faktoren, für die –sofern möglich- sogenannte „risk estimates“ berechnet wurden. Eine hohe initiale Schmerzintensität erwies sich als prognostischer Faktor hoher Evidenz. Hingegen ergab sich starke Hinweise, dass die oftmals als relevant betrachteten Faktoren (z.B. von Côté et al.) fortgeschrittenes Alter, weibliches Geschlecht, starke akute physiologische Reaktion, anguläre Deformierung des Nackens, Auffahrunfall und Schadensersatz keinen prognostischen Wert besitzen. Als von eingeschränktem prognostischem Wert erwiesen sich etliche physikalische, (neuro)psychologische, unfall- und behandlungsbezogene Faktoren.

Kommentar: Diese Übersichtsarbeit der Arbeitsgruppe um Scholten- Peeters versucht nicht nur, eine Zusammenstellung aller möglichen prognostischen Faktoren zu geben, sondern untersucht auch deren Evidenzlevel. In die Analyse eingeschlossene Studien müssen wohlüberlegte Einschlusskriterien erfüllen. Überhaupt ist diese Studie in ihrem gesamten Vorgehen von hoher methodischer Qualität und vermittelt Einsicht in die Schwierigkeiten der Evaluation klinischer Studien. Wer sich einen Überblick über diskutierte prognostische Faktoren verschaffen möchte, erhält durch diesen Artikel eine schnelle und gute Übersicht. Der mit dem Thema vertraute Leser wird durch diese Arbeit allerdings nur eingeschränkt Klärung erfahren. Denn wie jede Metastudie ist auch diese vor das Problem gestellt, dass zwischen den einzelnen Studien die ausgewählten Patientenstichproben z.T. schlecht miteinander vergleic hbar sind, dass unterschiedliche prognostischen Faktoren ausgewählt und Kriteriumsvariablen unterschiedlich definiert worden sind. Statistiken konnten aus diesem Grund nicht berechnet werden; die Analyse der Daten muss somit auf qualitativem Niveau verbleiben. Durch die gegebenen Einschränkungen der Datenanalyse bleibt die Frage, wie der prognostische Wert etlicher vieldiskutierter Faktoren einzuschätzen ist, weiterhin offen. Dies liegt unter anderem an der schlechten gegebenen Datenlage: z. B. kann ein möglicherweise wichtiger Faktor nur als begrenzt bewertet werden, wenn es nur eine Studie von ausreichender methodischer Qualität gibt, die diesen Faktor untersucht. Folgerichtig endet die Arbeit von Scholten-Peeters et al. mit der Empfehlungen zur Erhöhung der Qualität von Studien zur Eruierung prognostischer Faktoren. Die vielleicht wichtigsten sind, valide Outcome- Maße standardisiert zu erfassen und multivariate Statistiken zu berechnen.(PS)

*** Hoving JL, O’Leary EF, Niere KR, Green S, Buchbinder R. Validity of the neck disability index, Northwick Park neck pain questionnaire, and problem elicitation technique for measuring disability associated with whiplash-associated disorders. Pain 2003;102:273-81.

Zusammenfassung: In dieser Studie werden der Neck Disability Index (NDI) und das Northwick Park Pain Questionnaire (NPQ) mit der Problem Elicitation Technique (PET) -die PET ist ein Interview zum spontanen Ermitteln von Problemen des Patienten; Ausprägung und Wichtigkeit dieser Probleme wird im Verlauf quantifiziert- sowie einem hausinternen Fragebogen zur Erfassung demographischer, klinischer und subjektiver Daten (Schmerzintensität, Schweregrad der Symptome) verglichen, um die Inhalts- und Konstruktvalidität der zur Untersuchung der Beeinträchtigung durch Nackenschmerzen etablierten Verfahren NDI und NPQ zu untersuchen. 71 Halswirbelsäulen- Beschleunigungsverletzung (HWS-BV) Patienten unterschiedlichen Grades (1-3) und Dauer seit dem auslösenden Ereignis wurden untersucht. Die Korrelation zwischen NDI und PET (r=0.57**) und NPQ und PET (r=0.56**) war vergleic hbar. Noch stärker war der Zusammenhang zwischen den Fragebogen NDI und NPQ untereinander (r=0.88**). Mit der Schmerzintensität und dem Schweregrad der Symptome korrelierten sämtliche Verfahren zwischen 0.50 und 0.71. NDI und NPQ enthalten etliche Items, die vielfach als Probleme auch im PET berichtet wurden. Im PET wurden häufig emotionale Probleme genannt. Der Aspekt emotionaler Beeinträchtigungen wird durch die beiden Fragebogen hingegen nicht abgedeckt.

Kommentar: Die hier besprochene Untersuchung der Arbeitsgruppe um Hoving ist eine der wenigen Arbeiten, die sich mit den Auswirkungen einer HWS-BV auf Alltagsleistungen und psychosoziale Faktoren befasst. Die Untersuchung stellt heraus, das die PET eine gute Möglic hkeit darstellt, das Outcome von HWS-BV Patienten auf diesen bislang vernachlässigten Ebenen individuell zu ermitteln und zu quantifizieren. Eine eindeutige Beantwortung nach der Frage der Validität der übrigen Verfahren bleibt dem Leser nach Lektüre der Ergebnisse selbst überlassen. Dass das Spektrum der Beeinträchtigungen durch die PET als halbstrukturiertes Interview besser erfasst wird als durch Fragebogen mit vorgegebenen Items bzw. Problemfeldern, ist wenig überraschend. Der Wert der Arbeit liegt darin, dass verdeutlicht wird, wie gerade im Bereich der Auswirkungen auf Alltag und psychosoziale Faktoren vom einzelnen Patienten ausgegangen werden muss und dass die bislang mit am häufigsten eingesetzten Fragebogen wichtige Aspekte, vor allem im emotionalen Bereich, noch auslassen. Da der Einsatz der PET eines eigens geschulten Untersuchers bedarf, ist mit einer raschen Verbreitung der Anwendung dieses Verfahrens nicht zu rechnen. Folgeric htig verstehen auch die Autoren ihre Arbeit als einen Beitrag, den Itempool zukünftiger, verbesserter Fragebogenverfahren zu bereichern. Die Verallgemeinbarkeit ihrer Ergebnisse leidet allerdings darunter, dass die von ihnen untersuchte Stichprobe zu über 80% demselben Geschlecht zugeordnet werden kann, zumal gerade im Themenbereich Schmerz Geschlechterunterschiede diskutiert werden. Der interessierte Kliniker kann sich in dieser Studie Anregungen für eine umfassendere und angemessenere Befragung von Patienten beschaffen. (PS)

*** Van Zundert J, Brabant S, Van de Kelft E, Vercruyssen A, Van Buyten JP. Pulsed radiofrequency treatment of the Gasserian ganglion in patients with idiopathic trigeminal neuralgia. Pain 2003;104:449-452.

Zusammenfassung: In dieser kleinen Fallserie berichten die belgischen Autoren von 5 Patienten, die bei idiopathischer Trigeminusneuralgie statt mit der konventionellen Radiofrequenz- Thermokoagulation mit einer gepulsten Thermokoagulation im Ganglion Gasseri behandelt wurden. Zwei Patienten waren nach einer Behandlung komplett schmerzfrei. Ein Patient war nach zwei Behandlungen komplett schmerzfrei. Ein Patient berichtete eine weitgehende Reduktion nach einer Behandlung, die eine weitere Pharmakotherapie überflüssig machte. Ein Patient wurde schließlich wegen Erfolglosigkeit einer Janetta-Operation zugeführt. Bei keinem der Patienten traten im Beobachtungszeitraum von 10- 26 Monaten nennenswerte Nebenwirkungen auf.

Kommentar: Innovativ an dieser kleinen Fallserie ist das Ziel, durch die gepulste, hochenergetische Radiofrequenz-Behandlung ein besseres Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkung zu erzielen und insbesondere die Anaesthesia dolorosa zu vermeiden. Im Sinne des „proof of concept“ ist dieses Ziel auch erreicht worden. Der wissenschaftliche Stellenwert ist damit jedoch noch nicht allzu hoch anzusetzen. Da es sich nicht um ein prospektives randomisiertes Verfahren handelt, ist eine Gleichwertigkeit oder gar Überlegenheit gegenüber der herkömmlichen Radiofrequenz- Thermokoagulation nicht gezeigt. Dieses wäre jedoch im nächsten Schritt zu fordern. Eine Effektivität ist im Augenblick bei 4 von 5 Patienten gegeben, damit liegt das Verfahren bei sehr grober Schätzung in der Größenordnung der herkömmlichen Radiofrequenz- Therapie und der Janetta- Operation. Ein weiterer Kritikpunkt ist darin zu sehen, dass die Pharmakotherapie vor dem operativen Eingriff nicht beric htet wird. Angesichts der wichtigen Beobachtung, dass nach einer adäquaten Beobachtungszeit keine unerwünschten Wirkungen beschrieben sind, erfordert eine weitergehende Analyse der Technik ein prospektives kontrolliertes Vorgehen mit definierten Ein- und Ausschlusskriterien und sorgfältiger Untersuchung auf anaesthesia dolorosa nach der Operation. (GA)


DMKG