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3. Migräne Prophylaxe
*** Evers S, Rahmann A, Vollmer-Haase J, Husstedt I-W. Treatment
of headache with botulinum toxin A – a review according to
evidence-based medicine criteria. Cephalalgia 2002;22:699-710
Zusammenfassung:
Bei der Behandlung der fokalen
Dystonien, der generalisierten
Dystonien und der Spastik ist
die lokale Injektion von Botulinumtoxin
in der Zwischenzeit
die am meisten verwendete und
nebenwirkungsärmste Form der
Behandlung. Seit einiger Zeit
wird, auch in Deutschland, die
Anwendung von Botulinumtoxin
zur Prophylaxe von Migräne
und Spannungskopfschmerzen
propagiert, obwohl es dafür
bisher noch keine ausreichende
Evidenz gibt. Die Autoren aus
Münster haben sich der Mühe
unterzogen, die bisher publizierten
Studien zum Einsatz von
Botulinumtoxin beim Spannungskopfschmerz,
bei der
Migräne, beim cervikogenem
Kopfschmerz und beim Clusterkopfschmerz
zusammen zu
suchen und die Studien nach
den Kriterien der evidenzbasierten
Medizin auszuwerten. Zur
Indikation Spannungskopfschmerz
gibt es 13 Studien, von
den nur zwei die Kriterien eines
guten Studiendesigns erfüllen
und die beide negativ waren.
Für die Indikation Migräne gibt
es vier Studien, von denen zwei
methodisch sauber durchgeführt
sind und widersprüchliche
Ergebnisse erbracht haben. Für
Clusterkopfschmerz gibt es nur
Fallbeschreibungen ebenso für
den cervikogenen Kopfschmerz.
Zusammengefaßt kommen die
Autoren zu der Schlußfolgerung,
daß im Moment keine
ausreichende wissenschaftliche
Evidenz gibt, um idiopathische
oder cervikogene Kopfschmerzen
mit lokalen Injektionen von
Botulinumtoxin A zu behandeln.
Kommentar:
Es ist sehr verdienstvoll, daß die
Münsteraner Autoren die im
Moment überschwengliche
Begeisterung für den Einsatz
von Botulinumtoxin bei der
Behandlung von Kopfschmerzen
gedämpft haben. Die sorgfältige
Auswertung der bisher
durchgeführten Studien zeigt,
daß die meisten dieser Studien
nicht die qualitativen Kriterien
erfüllen, die für moderne Studien
gefordert werden. Dies
erklärt auch die Beobachtung,
die im übrigen immer wieder im
Bereich der Schmerztherapie
gemacht werden kann, daß ein
schlechtes Studiendesign –
insbesondere offene Studien-
mit hohen Erfolgsquoten einhergehen,
während methodisch
saubere Studien mit Plazebokontrolle
häufiger negative
Ergebnisse erbringen. Die
Empfehlung kann daher im
Moment nur lauten, Patienten
nur im Rahmen der derzeit
laufenden großen, randomisierten,
plazebo-kontrollierten
Studien mit Botulinumtoxin A zu behandeln. (HCD)
* Snow V, Weiss K, Wal EM, Mottur-Pilson C for the American
Academy of Family Physicians and the American College of Physicians
– American Society of Internal Medicine. Pharmacologic
management of acute attacks of migraine and prevention of migraine
headache. Ann Intern Med 2002;137:840-849
Zusammenfassung:
Bei der vorliegenden Empfehlung
handelt es sich um Therapieleitlinien
der Amerikanischen
Gesellschaft für Allgemeinmedizin
und der Amerikanischen
Gesellschaft für Innere
Medizin. Die Autoren sind
Experten für evidenzbasierte
Medizin, haben aber keinerlei
Erfahrung in der Behandlung
von Patienten mit Kopfschmerzen.
Dies erklärt auch, warum
die Autoren als Behandlung der
ersten Wahl bei der Migräne
nichtsteroidale Antirheumatika
empfehlen und bei Patienten,
die auf nichtsteroidale Antirheumatika
nicht ansprechen,
den Einsatz von Dihydroergotamin
und Triptanen nahelegen.
Neben diesen Substanzen werden
auch orale Kombinationen
von Opioiden und die nasale
Applikation von Butorphanol,
einem Opioid empfohlen. Als
Prophylaktika der ersten Wahl
werden empfohlen Propranolol,
Timolol, Amitriptylin und
Valproinsäure.
Kommentar:
Die Leitlinien, die hier publiziert
wurden, sind ein typisches
Beispiel dafür, wie evidenzbasierte
Medizin nicht betrieben
werden sollte. Die Autoren, die
alle keine Ahnung von der
Behandlung von Migräne haben,
haben sich strikt an die Literatur
gehalten und bei vielen Publikationen
offenbar nicht realisiert,
daß die referierten Studien zum
Teil massive methodische
Mängel aufweisen. In Deutschland
käme kein Kopfschmerzspezialist
auf die Idee, Opioide
zur Behandlung akuter Migräneattacken
zu empfehlen. Die
vorliegende Studienlage ist
nicht nur schlecht, sondern es
gibt eindeutig Belege dafür, daß
die Substanzen ein hohes
Suchtpotential haben. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist
die Tatsache, daß Timolol
empfohlen wird, während
Metoprolol nicht erwähnt wird.
Es gibt sehr viel mehr gute
kontrollierte Studien zu Metoprolol
als zu Timolol. Flunarizin
wird nicht empfohlen mit
der Begründung, daß es zu
dieser Substanz zu wenig Publikationen
gebe bzw. zu gefährliche
Nebenwirkungen. Die
Durchsicht der Literatur zeigt
allerdings, daß es eindeutig sehr
viel mehr Studien zu Flunarizin
gibt als zu dem in den Leitlinien
empfohlenen Amitriptylin, zu
dem es nur eine wirklich gute
plazebo-kontrollierte Studie
gibt. Die Durchsicht der Leitlinien
läßt den beruhigenden
Schluß zu, daß Ärzte, die in
Deutschland Migränepatienten
behandeln, mit den Therapieempfehlungen
der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie, der
Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
und der
Arzneimittelkommission der
Deutschen Ärzteschaft sehr viel
besser fahren als unsere amerikanischen
Kollegen. (HCD)
*Trinka E, Unterrainer J, Luthringhausen G, Iglseder B, Ladurner
G, Loew Th, Trzopek HG. An auditory electrophysiological intervention
in migraine: a randomized placebo controlled add on trial.
Journal of Neurotherapy 2002; 6:21-31
Zusammenfassung:
Die Arbeit untersuchte die
sogenannte „Psychofonie®“ in
der Behandlung von Migränekopfschmerzen.
Hierbei werden
die Spektren des individuellen
EEG’s mittels einer selbstentwickelten
Software und eines
Synthesizers in Töne umgewandelt,
welche über einen Walkman
angehört werden. In diesem
Falle hatten sich 32 Patienten 12
Wochen lang 3 mal täglich für
10 Minuten dieser Massnahme
unterzogen, wobei 13 Patienten
„Placebogeräuschen“ lauschten.
Die getestete Hauptvariabel war
eine Änderung der Scores im
„Giessener Beschwerdebogen“.
Die Autoren fanden in einzelnen
Items dieses Tests Unterschiede
zwischen den Gruppen, so zum
Beispiel für das Item „Kopfschmerz“,
„Bauchbeschwerden“
und „generelle körperliche
Beschwerden“. Sie schließen
daraus, dass die Psychophonie
effektiv in der Migränebehandlung
sei.
Kommentar:
Die Idee, seinem eigenen Gehirn
zuzuhören macht sprachlos.
Unabhängig davon wird aus der
Veröffentlichung mit doch
überschaubarer Fallzahl nicht
klar, was die Autoren eigentlich
gemacht haben. Die üblichen
Kriterien zur Beurteilung eines
möglichen prophylaktischen
Effektes auf die Migräne werden
nicht getestet. Allerdings
wurden auch nur Patienten
eingeschlossen, die mindestens
5 (0,4 Attacken pro Monat) und
maximal 20 Migräneattacken
(1,6 Attacke pro Monat) pro
Jahr haben. Eine Normalverteilung
der Daten vorausgesetzt,
ergäbe dies eine insgesamt sehr
niedrige Attackenfrequenz der
untersuchten Population. Wenn
alle eingeschlossenen Patienten
ohne Ausnahme 20 Attacken
pro Jahr hätten, wäre das trotzdem
nach IHS und DMKG
Kriterien keine Indikation für
eine präventive Massnahme.
Trotzdem werden nicht die
eigentliche Migräneattacke,
sondern nur 2 Eckpunkte (Beginn
der Studie vs. Ende der
Studie) untersucht. Es wird
nicht erläutert, ob das „Placebo“
sich anders anhört als das „Verum“.
Wenn sich beide völlig
identisch (melodiös) anhören, so
sind mögliche statistische
Änderungen über die Zeit bei
mehreren ausgewerteten Fragebogenarten
nur mittels Korrektur
für multiple Vergleiche
verwertbar. Die Autoren gehen
nicht darauf ein, ob dies durchgeführt
wurde. Die Autoren
bemühen in Ihrer Diskussion der
Befunde ausführlich den Hirnstamm
und das serotonerge
System. Wirklich ärgerlich wird
die Tatsache, dass gut gemachte
Arbeiten namhafter Autoren
zum Teil falsch und vor allem
verfälschend eingesetzt werden.
Bezüglich der Ausschlusskriterien
ist schleierhaft, warum als
einziges Ausschlusskriterium
(neben progressiven neurologischen
oder psychiatrischen
Erkrankungen und der Einnahme
einer prophylaktischen
Medikation in den 3 Monaten
vor Einschluß in die Studie)
formuliert wird, dass Patientinnen,
die eine orale Antikonzeption
nehmen, an der Studie nicht
teilnehmen können. Es bleibt
nur der Schluss, dass entweder
die Psychofonie® die hormonelle
Kontrazeption beeinflußt oder
vice versa. Wahrscheinlicher
aber ist, dass die auditive Variante
eines EEG’s die hormonelle
Kontrazeption genausowenig
beeinflußt wie die Migräne.
(MAY)
** Silberstein SD, Peres FP, Hopkins MM, Aaron L, Shechter AL,
Young WB, Rozen TD. Olanzapine in the treatment of refractory
migraine and chronic daily headache. Headache 2002; 42:515-518
Zusammenfassung:
Olanzapin ist ein neueres atypisches
Neuroleptikum. Aufgrund
nicht nur seiner Dopamin-
sondern auch selektiven 5HT2-
blockierenden Eigenschaften
schlossen die Autoren auf eine
mögliche kopfschmerzprophylaktische
Wirkung. Es
handelt sich um eine retrospektive
Aktenstudie an 50 Patienten,
die wegen ihres Kopfschmerzes
mit Olanzapin in
einer Dosis von 2,5 bis 35 mg
täglich über mindestens 3 Monate
behandelt wurden. Alle
Patienten waren vorher refraktär
auf zumindest 4 Prophylaxemedikationen
gewesen. Ein Teil
der Patienten wurde mittels
eines Telefoninterviews nachuntersucht.
Outcome-Parameter
waren ein Patientenzufriedenheitsfragebogen,
Kopfschmerztagebuch
und die Anzahl der
Patienten, die von einem Dauer-
zu einem episodischen Kopfschmerz
konvertierten. Es
handelte sich um 40 weibliche
und 10 männliche Patienten, mit
einer durchschnittlichen Kopfschmerzvorgeschichte
von 2 bis
53 Jahren. Alle diese Patienten
hatten einen „chronic daily
headache“. 30 Patienten (60%)
hatten eine chronische (transformierte)
Migräne, 12 (24%)
einen chronisch posttraumatischen
Kopfschmerz, 4 (8%)
einen „new daily persistent
headache“ und 4 (8%) einen
chronischen Spannungskopfschmerz.
49 Patienten (98%)
hatten ein Abusus von Akutmedikation.
12 (24%) waren schon
wegen einer psychiatrischen
Erkrankung stationär behandelt
worden. Der Score auf dem
Beckschen Depressionsinventar
rangierte zwischen 1 und 38. Es
zeigte sich in der Behandlungszeit
eine statistisch signifikante
Abnahme der Kopfschmerztage
(27,5 +- 24,9 auf 21,1 +- 10,7)
und der Kopfschmerzintensität
auf der VAS (8,7 +- 1,6 auf 2,2
+- 2,1). 36% (18 der Patienten)
konvertierten von einem Dauerkopfschmerz
zu einem episodischen
Kopfschmerz. Insgesamt
beurteilten 5 von den 50 Patienten
37 (74%) den Kopfschmerz
als gebessert, 12 (24%) unverändert
und 1 Patient berichtete
über eine Verschlechterung. 18
Patienten (36%) waren mit der
Behandlung als gut bis exzellent
sehr zufrieden, 12 (24%) fanden
sie mäßig und 8 Patienten (16%)
schlecht. Nebenwirkungen, die
als sehr störend empfunden
wurden, erlitten 12 Patienten
(24%), insbesondere waren
Gewichtszunahme und Somnolenz
problematisch.
Kommentar:
Diese retrospektive Studie zur
Anwendung von Olanzapin in
der Behandlung der refraktären
Migräne und des chronischen
daily headache zeigt gravierende
methodische Mängel. Ausgehend
von der Hypothese der
serotonergen Dysfunktion und
einer Überfunktion im dopaminergen
System scheint es hypothetisch
nachvollziehbar, dass
ein 5HT2- und Dopaminblocker
wie Olanzapin migräneprophylaktische
Wirkungen haben
könnte. Gerade aus diesen
Gründen allerdings wäre eine
sauber definierte Patientenpopulation
für eine solche Studie
wünschenswert. Unter den 50
Patienten waren allerdings nur
30, die eine als chronische
Migräne titulierte Kopfschmerzform
hatten, bei den 20 anderen
Patienten, immerhin einem
Drittel der Population, waren es
zum Großteil posttraumatische
Kopfschmerzen, chronische
Spannungskopfschmerzen und
das Syndrom des new daily
persistent headache. Die vorgenannten
pathophysiologischen
Erwägungen können auf diese
Kopfschmerzformen nur
schwerlich angewandt werden.
Weiter eingeschränkt werden
die Ergebnisse der Studie durch
die Tatsache, dass fast alle
Patienten noch einen Medikamentenabusus
aufwiesen, etwa
1/3 der Patienten schwer psychiatrisch
auffällig waren mit
einer Vorgeschichte von Suizidalität
und psychiatrisch stationären
Aufenthalten sowie zum
Teil deutlicher Depressivität.
Das Ergebnis, dass es zu einer
Abnahme der Kopfschmerztage
und Kopfschmerzintensität im
Durchschnitt bei allen Patienten
kam, lässt somit schwerlich den
Schluss zu, dass Olanzapin eine
spezifische kopfschmerzdämpfende
oder prophylaktische
Wirksamkeit hat. Insbesondere
unter Berücksichtigung der
psychiatrischen Komorbidität
und der bekannten Tatsache,
dass Neuroleptika eine unspezifisch
schmerzdämpfende Wirkung
haben, was in der
Schmerztherapie lange bekannt
ist, überrascht dieses Ergebnis
grundsätzlich nicht. Obwohl die
Autoren in ihrer Zusammenfassung
schildern, dass Olanzapin
nach ihrer Meinung effektiv für
die Kopfschmerzprophylaxe ist,
gehen sie in ihrer Diskussion
nicht auf die klinisch wichtige
Tatsache ein, dass nur 36% der
Patienten überhaupt mit der
Behandlung zufrieden waren
und 40% der Patienten, also der
größere Anteil, die Behandlung
als mäßig bis schlecht empfanden.
Der Schluss der Autoren,
dass Olanzapin insbesondere bei
Kopfschmerz-Patienten mit der
Komorbidität einer Manie, einer
bipolaren Störung, psychotischen
Depressionen, also eines
Tourette-Syndroms geeignet sei,
ergibt sich evidenterweise aus
den psychiatrischen Grunderkrankungen
dieser Patienten.
Insgesamt ist insbesondere
aufgrund der schweren Nebenwirkungen
(Gewichtszunahme
in 40% der Patienten, Müdigkeit
in 20%) eine Anwendung von
Olanzapin bei Kopfschmerz-
Patienten in der Regel noch
nicht zu empfehlen. Der Wert
dieser retrospektiven und unverblindeten
Studie liegt darin,
klarzumachen, dass eine doppelblinde
placebokontrollierte
Studie zur Anwendung von
Olanzapin bei einer klar beschriebenen
Kopfschmerz-
Patienten-Population dringlich
erforderlich ist. (OK)