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Kopfschmerz-News

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09. Cluster-Kopfschmerz

* Blau JN, Engel HO (1999) A new cluster headache precipitant: increased body heat. Lancet 354: 1001-1002.

In diesem research letter berichten die englischen Kollegen der “City of London Migraine Clinic”, daß in einer Umfrage von 200 Patienten, die an Cluster Kopfschmerzen leiden, 75 Patienten (37.5%) äußerliche Hitzeanwendung (genannt: ein heißes Bad, zentrale Heizung, körperliche Anstrengung) als möglichen Auslöser berichteten. Eine weitere Aussage als diese eigentlich bekannte Tatsache gibt es in dieser Veröffentlichung nicht. Auch wird nicht berichtet wieviele Attacken die einzelnen Patienten erleben und ob sich die beschriebenen 75 Patienten eventuell durch eine besonders hohe Kopfschmerz-Frequenz von den anderen 125 Patienten abheben.

Es ist sehr schwer zu differenzieren was ein echter Auslöser ist (bekannt und häufig beschrieben: Alkohol, Nitroglycerin, Histamin lösen eine Attacke nach etwa 20-30 Minuten aus) und was eine zufällige zeitliche Koinzidenz darstellt, wenn die Attacken extrem häufig sind. Ein Beispiel: bei angenommenen 10 Attacken pro Tag erlebt der Patient im Durchschnitt alle 2.4 Stunden eine Attacke. Wenn als Auslöser ein Faktor gilt, der innerhalb einer Stunde zuverlässig eine Attacke auslösen soll, ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein vom Kopfschmerz unabhängiger und beliebiger Faktor X eine Stunde vor einer Attacke auftritt, extrem hoch. Unabhängig von diesem methodischen Aspekt ist es richtig, daß manche Patienten berichten, daß Wärme Clusterkopfschmerzen begünstigen kann. Dieser bekannte Faktor ist jetzt auch im Lancet nachzulesen. (MAY)

**** May A, Ashburner J, Buchel C, McGonigle DJ, Friston KJ, Frackowiak RS, Goadsby PJ (1999) Correlation between structural and functional changes in brain in an idiopathic headache syndrome. Nature Medicine 5: 836-838.

In der täglichen medizinischen Praxis wird die Bildgebung des Kopfes zu diagnostischen Zwecken eingesetzt. Die Ergebnisse können sehr eindeutig sein, wie das beim Hirntumor oder beim Schlaganfall der Fall ist. Bei anderen Krankheiten finden sich auch bei hochauflösenden Untersuchungen keinerlei Abnormalitäten. Ein Paradebeispiel dafür sind die sogenannten primären Kopfschmerzformen, vor allem die Migräne und der Clusterkopfschmerz.

Diese Krankheiten werden allein aufgrund des klinischen Befundes und eventuell aufgrund des Ansprechens auf eine bestimmte Therapie diagnostiziert. Sie sind geradezu dadurch definiert, daß man bei der Bildgebung keine ursächliche Pathologie findet, da man sie sonst als symptomatische Formen klassifizieren würde. Dr. A. May und Kollegen aus London benutzten in der vorliegenden Arbeit eine neue, seit etwa zwei Jahren bestehende Methode, in der man die anatomischen hochauflösenden MR-Bilder von Personengruppen vergleichen kann. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Voxel-basierte Morphometrie, die neben der Deformationsfeld-basierten Morphometrie derzeit angewandt wird. Damit können z.B. Gruppen von Normalpersonen, die sich in einer bestimmten Eigenschaft unterscheiden, morphologisch verglichen werden (z.B. Linkshänder versus Rechtshänder oder Frauen versus Männer usw.), oder es können Patienten mit einer Krankheitsentität mit einer Gruppe von Normalpersonen verglichen werden. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit zum ersten Mal gemacht, und zwar von Patienten, die an einem Clusterkopfschmerz leiden. May et al. fanden mit dieser neuen Methode eine relative Vermehrung der grauen Substanz im Hypothalamus bei den Clusterkopfschmerz-Patienten auf der Seite, auf der der Kopfschmerz auftritt. Da der Hypothalamus als ein Zentrum für die Kontrolle autonomer Funktionen, wie eben auch die zirkadianen Rhythmen, Körpertemperatur und Appetit angesehen wird und wahrscheinlich auch bei vielen Aspekten des emotionalen Verhaltens eine Rolle spielt, wird dieses Hirnareal angeschuldigt, bei den periodischen Eigenschaften, den neuroendokrinen Veränderungen und den autonomen Symptomen der Clusterkopfschmerz-Patienten eine Rolle zu spielen.

Das Interessante ist, daß eine Positronen-Emissions-Tomographie-Studie der gleichen Arbeitsgruppe in der Clusterattacke eine Aktivierung bei Clusterkopfschmerz-Patienten in genau demselben Gebiet fand, wie die Gruppe das jetzt bei der anatomischen Analyse aufdeckte. Diese Verbindung einer funktionellen Abnormalität während des pathophysiologischen Zustandes und der anatomischen Abnormalität im Querschnitt ist bisher einzigartig. Es ist jetzt zu erwarten, daß eine ganze Reihe von sogenannten “idiopathischen” Krankheiten auf ähnliche Weise untersucht werden. Es ist jedoch zu beachten, daß immer nur Aussagen über eine Gruppe von Patienten gemacht werden können. Die große individuelle Variation der normalen Anatomie wird es nicht erlauben, Rückschlüsse im einzelnen individuellen Gehirn zu ziehen. Die interessante Frage der genauen Beziehung zwischen Struktur und Funktion bleibt jedoch bestehen. Die Tatsache, daß eine bestimmte Hirnregion sich strukturell von der von Normalpersonen unterscheidet, bedeutet noch nicht, daß dieser anatomische Unterschied die Ursache des Clusterkopfschmerzes ist. Genauso gut könnte man sich vorstellen, daß diese Zunahme an Masse grauer Substanz eine sekundäre Folge ist der repetitiven Stimulation durch die Vielzahl der Attacken über die Jahre bei diesen Patienten. Wie sich gezeigt hat, ist es nicht nur so, daß die Struktur die Funktion bestimmt, wie z.B. das Planum temporale, das bei Patienten mit absolutem Gehör größer ist; sondern auch umgekehrt kann die Funktion auch postnatal noch die Struktur beeinflussen.

So fand sich bei einer Gruppe von Patienten, die sich im jugendlichen Alter einer Amputation unterziehen mußten, eine strukturelle Abnormalität des motorischen Kortex im Erwachsenenalter. Natürlich hilft uns diese Studie nicht zu verstehen, warum es zum Clusterkopfschmerz kommt, aber sie lehrt uns, wo genau Grundlagenwissenschaftler weiter suchen sollten. Und hier sind der Ansatz und die Verbindung für weitere pathophysiologische und pharmakologische Studien zu finden. (CW)

****Evers S, Bauer B, Suhr B, Voss H, Frese A, Husstedt I-W (1999) Cognitive processing is involved in cluster headache but not in chronic paroxysmal hemicrania. Neurology 53:357-363.

Veränderungen in der kognitiven Reizverarbeitung gelten als charakteristische Zeichen bei chronischen Schmerzerkrankungen. Insbesondere bei Migränepatienten lassen sich diese nachweisen. Sie werden bei der Messung ereigniskorrelierter Potentiale in Form verlängerter Latenzen und einer gestörten Habituationsfunktion der endogenen, späten Komponenten beobachtet. Bemerkenswert ist dabei, daß die kognitive Störung zwischen zwei Anfällen einen dynamischen Verlauf mit einer Zunahme unmittelbar vor dem nächsten Anfall aufweist. Mit der Messung ereigniskorrelierter Potentiale läßt sich somit der Einfluß der zentralen Schmerzweiterleitung von der eigentlichen kognitiven Verarbeitung trennen.

Während diese veränderte kognitive Verarbeitung bei der Migräneerkrankung gut dokumentiert ist und auf eine zentrale Komponente bei dieser Pathophysiologie schließen läßt, stehen solche Befunde bei anderen Kopfschmerzerkrankungen weitgehend aus. So blieb bislang offen, inwieweit der Cluster-Kopfschmerz eine ähnliche zentrale kognitive Komponente, wie bei der Migräne beobachtbar, aufweist. Die Autoren haben deswegen die kognitive Reizverarbeitung bei 50 Patienten mit episodischem und 11 mit chronischem Cluster-Kopfschmerz sowie bei 12 Patienten mit chronischem paroxysmalem Kopfschmerz (CPK) gemessen. Die kognitive Verarbeitung wurde über visuell evozierte Potentiale (VEP) mit dem sogenannten “Oddball-Paradigma” ermittelt, bei dem von den Teilnehmern eine motorische Reaktion gefordert wird, wenn ein sehr selten auftretendes rotes Licht aufleuchtet. Als endogene Komponenten wurden die Latenzen von P2, N2 und P3 sowie die Amplituden von P3 bestimmt. Die kognitive Habituation wurde durch Vergleich der beiden Meßhälften bestimmt. Die Latenzen der endogenen Komponenten waren sowohl beim episodischen Cluster-Kopfschmerz in der Clusterphase als auch beim chronischen Cluster-Kopfschmerz im Vergleich zu Gesunden verlängert. Eine medikamentöse Prophylaxe normalisierte die auffälligen Latenzen. Bei der CPH gab es keinerlei Auffälligkeiten im VEP. Die Habituationsfähigkeit, das entscheidende Merkmal bei der Migräne, war in keiner klinischen Gruppe verändert. Dieser Normalbefund in der Habituation sollte zeigen, daß sich die untersuchten Kopfschmerzgruppen von Migränepatienten unterscheiden und ein der Migräne zugrundeliegender pathophysiologischer Mechanismus nicht mit dem der Cluster- oder der Hemikraniegruppe vergleichbar ist. Die längeren Latenzen beim Clusterkopfschmerz weisen nach Ansicht der Autoren jedoch auch auf eine beeinträchtigte kognitive Reizverarbeitung hin, die möglicherweise durch emotionale oder affektive Einflüsse moduliert wird. Dagegen finden sich aber keine Hinweise auf eine zentrale Verursachung bei der CPH, so daß die Autoren annehmen, daß dieser und dem Clusterkopfschmerz ebenfalls ein unterschiedlicher Pathomechanismus zugrundeliegt.

Dieses Ergebnis ist wichtig und für die Schmerzforschung relevant, jedoch stößt die der Migräneforschung entlehnte Methodik zur Messung kognitiver Parameter in den hier untersuchten Schmerzgruppen schnell an ihre Grenzen. So lassen sich Einflüsse prophylaktischer oder akuter Medikation nur schwer kontrollieren und Paarvergleiche innerhalb der Gruppen sind nicht möglich. Diese Schwierigkeiten haben die Autoren deswegen sehr breit diskutiert, was eine Stärke dieser Arbeit ist. Den Autoren ist mit dieser Studie der Nachweis gelungen, daß beim Cluster-Kopfschmerz in der Clusterphase eine veränderte kognitive Verarbeitung vorliegt (PK).


DMKG