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10. Leitlinien zur Therapie der Migräne

Ziele

Ziel dieser Leitlinie ist eine Optimierung der Behandlung akuter Migräneattacken und der medikamentösen und nichtmedikamentösen Prophylaxe der Migräne. Die Leitlinie ist evidenzbasiert und eine Fortentwicklung der folgenden Leitlinien und Empfehlungen:

  1. Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (Diener et al., 2000)
  2. Empfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (3. Auflage 2001)
  3. Practice Parameters der American Academy of Neurology (Silberstein for the US Headache Consortium, 2000)

Die Literaturzitate können den oben genannten Übersichten und den folgenden Übersichtsarbeiten entnommen werden: (Diener, 2000; Diener und Limmroth, 2001; Ferrari et al., 2001; Goadsby et al., 2002). Die Symbole der wissenschaftlichen Evidenz richten sich nach denen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.

Epidemiologie

Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen. Etwa 6-8% aller Männer und 12-14% aller Frauen leiden unter einer Migräne. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei Frauen bei > 30. Vor der Pubertät beträgt die Häufigkeit der Migräne 4-5%. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen. Die höchste Inzidenz der Migräneattacken tritt zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf. In dieser Lebensphase sind Frauen dreimal häufiger betroffen als Männer.

Klinik

Bei der Migräne kommt es attackenweise zu heftigen, häufig einseitigen pulsierend-pochenden Kopfschmerzen, die bei körperlicher Betätigung an Intensität zunehmen. Bei einem Drittel der Patienten bestehen holokranielle Kopfschmerzen. Die einzelnen Attacken sind begleitet von Appetitlosigkeit (fast immer), Übelkeit (80%), Erbrechen (40-50%), Lichtscheu (60%) und Lärmempfindlichkeit (50%) und Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen (10%). Wenn die Kopfschmerzen einseitig sind, können sie innerhalb einer Attacke oder von Attacke zu Attacke die Seite wechseln. Die Dauer der Attacken beträgt nach der Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft zwischen 4 und 72 Stunden (Headache Classification Committee of the International Headache Society, 1988). Bei Kindern sind die Attacken kürzer und können auch ohne Kopfschmerzen nur mit heftiger Übelkeit, Erbrechen und Schwindel einhergehen.

Untersuchungen

Notwendig

Die Diagnose stützt sich auf die typische Anamnese und einen normalen neurologischen Untersuchungsbefund.

Im Einzelfall erforderlich

Zusatzdiagnostik und insbesondere eine Bildgebung sind nur notwendig bei Auftretenden stärksten Kopfschmerzen (Ausschluss Blutung, Subarachnoidalblutung) und bei Kopfschmerzen mit persistierenden neurologischen oder psychopathologischen Ausfällen.

Therapie der Migräneattacke

Erfolgskriterium für eine erfolgreiche Behandlung einer Migräneattacke ist Freiheit von Kopfschmerzen nach 2 Stunden, eine Besserung der Kopfschmerzen von schwer oder mittelschwer auf leicht oder Kopfschmerzfrei innerhalb zwei Stunden nach Applikation des entsprechenden Präparates und eine reproduzierbare Wirkung bei 2 von 3 Migräneattacken.

Empfehlung

  1. Die 5-HT1B/1D-agonisten (in alphabetischer Reihenfolge) Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Substanzen mit der besten Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken (Ferrari et al. , 2001) ().
  2. Mutterkornalkaloide sind bei Migräne wirksam. Allerdings ist die Wirksamkeit in prospektiven Studien schlecht belegt (Tfelt-Hansen et al., 2000) ().
  3. Analgetika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) sind bei der Behandlung der Migräne wirksam (Diener Limmroth, 2001) ().
  4. Die Wirksamkeit nichtmedikamentöser Verfahren wurde in kontrollierten Studien kaum untersucht ().

5-HT1B/1D-agonisten

Die Serotonin-5-HT1B/1D Rezeptoragonisten (Tabelle 1) Sumatriptan, Zolmitriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Almotriptan, Eletriptan und Frovatritpan sind spezifische Migränemittel, die beim Spannungskopfschmerz unwirksam sind. Alle Triptane haben ihre Wirkung in großen Placebo-kontrollierten Studien belegt. Für Sumatriptan und Zolmitriptan gibt es Vergleichsstudien zu oraler Acetylsalicyclsäure (ASS) in Kombination mit Metoclopramid. In diesen Vergleichsstudien waren die Triptane nicht oder nur gering besser wirksam als ASS. Sumatriptan 6 mg s.c. waren etwas besser wirksam als 1000 mg ASS i.v., hatten aber mehr Nebenwirkungen. Ergotamin war in Vergleichsstudien mit Sumatriptan und Eletriptan weniger wirksam. Triptane wirken im Gegensatz zu Ergotamintartrat zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Attacke, d.h. sie müssen nicht notwendigerweise unmittelbar zu Beginn der Attacke genommen werden. Sie wirken anders als Mutterkornalkaloide deutlich besser auf die typischen Begleiterscheinungen der Migräne nämlich Übelkeit und Erbrechen und reduzieren signifikant die Einnahme von Schmerzmitteln.

Bei lange dauernden Migräneattacken können gegen Ende der pharmakologischen Wirkung eines Migränemittels die Migränekopfschmerzen wieder auftreten können (sog. „headache recurrence”). Recurrence wird definiert als eine Verschlechterung der Kopfschmerzintensität von Kopfschmerzfreiheit oder leichter Kopfschmerz auf mittelschwere oder schwere Kopfschmerzen in einem Zeitraum von 2 bis 24 Stunden nach der ersten wirksamen Medikamenteneinnahme. Dieses Problem ist bei den Triptanen ausgeprägter als bei Ergotamintartrat oder bei Acetylsalicyclsäure. So kommt es bei 15-40% der Patienten nach oraler Gabe von Triptanen zu einem Wiederauftreten der Kopfschmerzen, wobei dann eine zweite Gabe der Substanz wieder wirksam ist. Ist die erste Gabe eines Triptans unwirksam, ist es sinnlos, in derselben Migräneattacke eine zweite Dosis zu applizieren. Alle Triptane können wie Ergotamin bei zu häufiger Einnahme zu einer Erhöhung der Attackenfrequenz und letztlich zu medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen führen. Triptane sollten daher an nicht mehr als 12 Tagen im Monat eingesetzt werden. Lebensbedrohliche Nebenwirkungen (Myokardinfarkt, schwere Herzrhythmusstörungen, Schlaganfall) wurden bei der Applikation von Sumatriptan in einer Häufigkeit von 1:1.000.000 beobachtet. Bei fast allen Patienten lagen entweder eindeutige Kontraindikationen vor (z.B. vorbestehende koronare Herzkrankheit) oder die Diagnose Migräne war falsch. Für die anderen Triptane gibt es noch keine publizierten Daten. Da der Wirkungsmechanismus der verschiedenen Triptane gleich ist, ist einer ähnlichen Inzidenz lebensbedrohlicher Nebenwirkungen zu rechnen (orale Applikationsformen haben aber ein geringeres Risiko als die subctuane Gabe). Aus Sicherheitsgründen sollten Patienten die unter einer Migräne mit Aura leiden, ein Triptan erst nach Abklingen der Aura und mit Einsetzen der Kopfschmerzen applizieren.

Therapie der akuten Migräneattacke mit 5-HT-agonisten: s. Tabelle 1

Nebenwirkungen der Triptane:

Engegefühl im Bereich der Brust und des Halses, Parästhesien der Extremitäten, Kältegefühl, Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit. Lokalreaktion an der Injektionsstelle bei Sumatritpan s.c.

Kontraindikationen:

Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Angina pectoris, Myokardinfarkt in der Vorgeschichte, M. Raynaud, arterielle Verschlusskrankheit der Beine, TIA oder Schlaganfall, Schwangerschaft, Stillzeit, Kinder, schwere Leber- oder Niereninsuffizienz, multiple vaskuläre Risikofaktoren

Vergleich der „Triptane“

Die kürzeste Zeit bis zum Wirkungseintritt besteht für die für die subkutane Gabe von Sumatriptan (10 Minuten). Orales Sumatriptan, Almotriptan und Zolmitriptan wirken nach 45 bis 60 Minuten. Rizatriptan und Eletriptan sind am raschesten wirksam (nach 30 Minuten). Naratriptan und Frovatritpan benötigen bis zu 4 Stunden bis zum Wirkungseintritt.

Die Besserung der Kopfschmerzen nach zwei Stunden, der wichtigste Parameter klinischer Studien für die Wirksamkeit von Migränemitteln ist am höchsten bei der subcutanen Applikation von Sumatriptan (70-80%). Der Sumatriptan-Nasenspray ist ebenso wirksam wie das Sumatriptan-Zäpfchen (ca 60%). 25 mg Sumatriptan oral sind weniger wirksam als 50 und 100 mg (ca 50-60%), weisen dafür aber auch weniger Nebenwirkungen auf. Naratriptan und Frovatriptan (je 2,5 mg) sind definitiv weniger wirksam als Sumatriptan, zeigen aber auch weniger Nebenwirkungen und eine etwas geringere Rate an wiederauftretenden Kopfschmerzen. Der Wirkungseintritt von Naratriptan und Frovatriptan ist im Vergleich zu den anderen Triptanen verzögert. Im mittleren Wirkungsbereich liegen Rizatriptan 5 mg, Zolmitriptan 2,5 mg und Almotriptan 12,5 mg. Rizatriptan 10 mg ist etwas wirksamer als 100 mg Sumatriptan. Eletriptan ist in einer Dosierungen von 2×40 mg das effektivste orale „Triptan“, hat aber auch die meisten Nebenwirkungen. Die Häufigkeit des Wiederauftretens der Kopfschmerzen liegt bei den verschiedenen Triptanen zwischen 15% und 40%. Es gibt Hinweise, dass durch eine initiale Kombination eines Triptans mit einem lang wirkenden nicht-steroidalen Antirheumatikums wie Naproxen oder COX2-Inhibitors wie Rofecoxib das Wiederauftreten der Migränesymptomatik zum Teil verhindert werden kann.

Mutterkornalkaloide

Es gibt nur sehr wenige prospektive Studien zum Einsatz der Mutterkornalkaloide bei der Migräne. In allen Studien, in denen Triptane mit Mutterkornalkaloiden verglichen wurden, waren erstere signifikant besser wirksam Die Behandlung mit Ergotamintartrat sollten sehr langen Migräneattacken oder solchen mit multiplen „recurrences“ vorbehalten bleiben. Patienten, die ihre Migräneattacken erfolgreich mit einem Mutterkornalkaloid behandeln können diese Akuttherapie beibehalten. Die gehäufte Einnahme von Ergotamin oder Dihydroergotamin kann zu Dauerkopfschmerzen führen, die in ihrer Charakteristik kaum von den Migränekopfschmerzen zu differenzieren sind. Daher muss die Einnahmefrequenz auf 10-12/Monat begrenzt werden. Da die orale Resorption von Ergotamin schlecht und variabel ist, sollte es als Zäpfchen in einer Dosis von 2 mg verordnet werden Tabelle 2. Dihydroergotamin (DHE) wird nach oraler Gabe noch schlechter resorbiert als Ergotamin und eignet sich daher am besten zur parenteralen Behandlung akuter Migräneattacken. Ergotamin und DHE sollten als Monosubstanzen und nicht wie in Deutschland noch üblich als Mischpräperate mit Koffein gegeben werden.

Mutterkornalkaloide für die Behandlung der akuten Migräneattacke: s. Tabelle 2

Antiemetika und Analgetika

Die meisten Patienten leiden während der Migräneattacke unter gastrointestinalen Symptomen. Die Gabe von Antiemetika wie Metoclopramid oder Domperidon Tabelle 3 bessert nicht nur die vegetativen Begleitsymptome, sondern führt über eine Wiederanregung der zu Beginn der Migräneattacke zum Erliegen gekommenen Magenperistaltik zu einer besseren Resorption und Wirkung von Analgetika. Metoclopramid hat auch eine geringe analgetische Wirkung bei Migräne.

Antiemetika in der Migränetherapie: Tabelle 3

Azetylsalizylsäure (ASS), Ibuprofen, Diclofenac-K und Paracetamol sind die Analgetika erster Wahl bei leichten und mittelgradigen Migränekopfschmerzen Tabelle 4. Die älteren Studien zu den Analgetika entsprechen meistens nicht den Anforderungen, die an moderne Studiendesigns gestellt werden. Die Kombination von ASS, Paracetamol und Coffein wurden in den USA untersucht und war wirksamer als Placebo. Die optimale Dosis beträgt bei alleiniger oraler Anwendung für ASS und Paracetamol mindestens 1000 mg, für Ibuprofen 400-600 mg und für Diclofenac-K 50 bis 100 mg. Metamizol ist wahrscheinlich ebenfalls wirksa,. Analgetika sollten bevorzugt nach der Gabe eines Antiemetikums in Form einer Brausetablette oder einer Kautablette eingenommen werden (schnellere Resorption). Lysinierte ASS in Kombination mit Metoclopramid ist fast genauso wirksam wie Sumatriptan. Paracetamol wird besser nach rektaler als nach oraler Gabe resorbiert (rektale Gabe bei initialer Übelkeit und Erbrechen). Nicht-steroidale Antirheumatika wie Naproxen, Diclofenac-Kalium und Tolfenaminsäure sind ebenfalls wirksam. Die modernen COX2 Inhibitoren werden derzeit in klinischen Studien untersucht.

Analgetika zur Behandlung der Migräneattacke: s. Tabelle 4

Migräneprophylaxe

Empfehlung

  1. Bei häufigen Migräneattacken sollte eine Migräneprophylaxe begonnen werden.
  2. Migräneprophylaktika der ersten Wahl sind die Betablocker () Metoprolol und Propranolol, der Calciumantagonist Flunarizin () und Valproinsäure ().
  3. Migräneprophylaktika der zweiten Wahl sind nichtsteroidale Antirheumatika (), Lisurid, Pizotifen, DHE, Acetylsalicyclsäure, Magnesium und Pestwurz ().
  4. Die medikamentöse Therapie sollte durch nicht-medikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie () und durch Ausdauersport () ergänzt werden.

Die Indikation zu einer medikamentösen Prophylaxe der Migräne ergibt sich:

  • bei drei und mehr Migräneattacken pro Monat, die auf eine Attackentherapie entsprechend den oben gegebenen Empfehlungen nicht ansprechen und/oder wenn Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht toleriert werden,
  • bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat
  • bei komplizierten Migräneattacken (manifeste neurologische Ausfälle, die länger als sieben Tage anhalten)

Sinn der medikamentösen Prophylaxe ist eine Reduzierung von Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneattacken und die Prophylaxe des Medikamenten-induzierten Dauerkopfschmerzes. Eine optimale Migräneprophylaxe erreicht eine Reduktion von Anfallshäufigkeit, -intensität und Dauer von mindestens 50%. Zunächst soll der Patient über vier Wochen einen Kopfschmerzkalender führen um die Anfallsfrequenz und den Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Attackenmedikation zu dokumentieren.

Substanzen zur Migräneprophylaxe

Sicher wirksam für die Prophylaxe der Migräne sind der nicht-selektive Beta-Blocker Propranolol und der Beta-1-selektive Beta-Blocker Metoprolol Tabelle 5. Bisoprolol ist wahrscheinlich ebenfalls wirksam, wurde aber nur in wenigen Studien untersucht Aus der Gruppe der “Kalzium-Antagonisten” ist soweit derzeit beurteilbar nur Flunarizin sicher wirksam. Die typischen Nebenwirkungen von Flunarizin sind Müdigkeit, Gewichtszunahme, Depression und Schwindel sowie in sehr seltenen Fällen bei älteren Menschen extrapyramidalmotorische Störungen mit Entwicklung eines Parkinsonoids oder Dyskinesien. Die Studienergebnisse zu Cyclandelat sind widersprüchlich.

In letzter Zeit hat sich das Antikonvulsivum Valproinsäure in der Migräneprophylaxe bewährt Tabelle 5. Die Tagesdosis beträgt 500 bis 600 mg. Gelegentlich sind höhere Dosierungen notwendig. Valproinsäure hat in Deutschland keine Zulassung für die Migräneprophylaxe. Gabapentin und Topiramat sind möglicherweise wirksa. Lamotriginn ist nicht wirksam. Acetylsalicylsäure in einer Dosis von 300 mg/Tag hat eine geringe migräneprophylaktische Wirkung Tabelle 6. Die Serotonin-Antagonisten Pizotifen und Methysergid sind ebenfalls prophylaktisch wirksam Tabelle 6. Pizotifen wird wegen der deutlich häufigeren Nebenwirkungen (Müdigkeit, Gewichtszunahme) aber weniger gut toleriert als Beta-Blocker und Flunarizin. Methysergid ist ein wirksames Migräneprophylaktikum. Es sollte aber wegen seiner Nebenwirkungen Spezialisten und der Behandlung des Cluster-Kopfschmerzes vorbehalten sein. Es darf wegen der Gefahr einer Retroperitonealfibrose oder von Lungenfibrosen nicht länger als drei bis fünf Monate gegeben werden. Lisurid, ein Dopamin-Agonist, ist möglicherweise ebenfalls prophylaktisch wirksam. Die Wirksamkeit von Magnesium ist umstritten. Wenn überhaupt wirksam, ist die Reduktion der Attackenfrequenz nicht sehr ausgeprägt.

Amitriptylin und Amitriptylinoxid sind trizyklische Antidepressiva. Allein gegeben sind sie in der Migräneprophylaxe wirksam, wegen der zahlreichen nNebenwirkungen aber häufig schlecht toleriert. Sie sollten zur Prophylaxe bevorzugt gegeben werden, wenn eine Kombination mit einem Spannungskopfschmerz vorliegt, oder wenn, wie häufig bei chronischen Schmerzen, eine zusätzliche Depression besteht. Dihydroergotamin ist zwar migräneprophylaktisch wirksam, kann aber nach längerer Einnahme zu einer Verschlechterung der Migräne und zur Induktion von Dauerkopfschmerzen führen. Nicht-steroidale Antirheumatika wie Naproxen sind ebenfalls prophylaktisch wirksam. Limitierend sind hier die Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, Tinnitus, Schwindel, Magen-Darmulcera und gastro-intestinale Blutungen. Von den Dopaminagonisten ist wahrscheinlich Alpha-dihydroergocryptin wirksam.

Bei der zyklusgebundenen Migräne kann eine Prophylaxe mit 2×500 mg Naproxen vier Tage vor bis drei Tage nach der Periode versucht werden. Als Alternative für die Kurzeitprophylaxe kommen Östrogenplaster (100 mg) in der Phase mit Hormonabfall zum Einsatz.

Während der Schwangerschaft sind nur Betablocker zur Prophylaxe zugelassen. Die anderen Migräneprophylaktika außer Magnesium sind kontraindiziert.

Nicht-medikamentöse Therapie

Verhaltenstherapie

Patienten mit einer hochfrequenten Migräne (drei und mehr Attacken/Monat) sollten komplementär einer psychologischen Mitbehandlung zugeführt werden. Die in der Migränetherapie angewandten psychologischen Verfahren entstammen überwiegend der Verhaltenstherapie (VT). Für diese Verfahren ist eine zur Beurteilung der Evidenz ausreichende Studienlage verfügbar. Andere Schulen bleiben die Evaluation ihrer Konzepte schuldig. Die wichtigsten unimodalen Verfahren sind das thermale und EMG-Biofeedback-Training und die Progressive Muskelrelaxation. Als multimodales Verfahren kommt das kognitiv-behaviorale Schmerzbewältigungstraining (Stressmanagement) zur Anwendung. Sowohl unimodale als auch multimodale Therapieverfahren werden in der Migränebehandlung nicht schmerzspezifisch angewandt, sondern zielen auf unspezifische Größen wie ‚Stärkung der Selbstkontrollkompetenz’ (unimodal) oder ‚Minimierung der Beeinträchtigung bzw. verbesserte Stressbewältigung’ (multimodal). Die Wirksamkeit (Index aus Intensität und Frequenz der Kopfschmerzen) der einzelnen Therapien und Therapiekombinationen ist Tabelle 7 zu entnehmen.

Alle VT-Verfahren sind besser wirksam als eine Placebo-Medikation und vergleichbar wirksam mit einer prophylaktischen Medikation. Additive Effekte sind nur bei der Kombination BFB plus PMR gegeben. Ca. 50% aller Migränepatienten profitieren von VT-Verfahren. PMR ist besonders geeignet für jüngere Patienten mit kürzerer Dauer der Erkrankung (gute Chancen bei weniger als 2 Jahren) und niedriger Beeinträchtigung sowie geringer Schmerz-Frequenz. Kognitiv-behaviorale Verfahren haben dann besonders großen Wert, wenn die Patienten hohen Alltagsbelastungen ausgesetzt sind, ausgeprägte depressive Symptome und ein maladaptatives Bewältigungsverhalten zeigen. Minimal-contact- (7-10 Sitzungen) und Standard-Behandlungen (12-16 Sitzungen) sowie Gruppen- und Einzeltherapien sind gleich wirksam. Patienten mit einer klinisch manifesten Angststörung oder Depression müssen vor der Schmerzbehandlung psychotherapeutisch oder medizinisch versorgt und Abusus-Patienten müssen entzogen werden.

Kindliche Migräne

Metaanalysen auf der Basis von Effektstärken, die Prä-Post-Veränderungen wiedergeben, zeigen die beste Wirksamkeit für tBFB- und tBFB/PMR-Verfahren. PMR als Einzelverfahren und KBT-Programme für Kinder sind im Prä-Post-Vergleich weniger wirksam, erreichen jedoch ähnliche Effekte wie prophylaktische Medikationen (serotonerge Präparate, Kalziumblocker, Betablocker). KBT-Programme haben die längste Wirkungsdauer (bis zu 10 Jahren; ein validiertes multimodales Programm, das kognitiv-behaviorale und Entspannungsbausteine integriert, ist deutschsprachig von Deneken und Kröner-Herwig vorgelegt worden). Alle anderen in der Behandlung der kindlichen Migräne eingesetzten Verfahren inklusive der in Deutschland verbreiteten Migräne-Diät (oligoantigene Ernährung) und der Homöopathie haben einen ungeklärten Stellenwert.

Alternative Therapien

Die alleinige Wirkung aerober Ausdauersportarten wie Schwimmen, Joggen, Fahrradfahren ist wissenschaftlich belegt. Physiotherapie alleine ist nicht wirksam, verbessert aber in Kombination die Rate der Betroffenen, die auf VT-Verfahren ansprechen. Für folgende Migränetherapien liegen zur Bestimmung der Evidenz zu wenige und methodisch unzureichende Studien vor, die zudem keine signifikanten Prä-Post-Erfolge oder Effekte unterhalb der medikamentösen Placebobehandlung aufweisen: Akupunktur, Homöopathie, Hypnose, TENS, cervikale Manipulation, hyperbare Sauerstofftherapie, Gebisskorrektur, Diäten.

Pflanzliche Wirkstoffe

Es gibt Hinweise, dass Tanacetum (feverview) möglicherweise wirksam ist. Dies wird derzeit in einer großen prospektiven Studie untersucht. Pestwurz ist nach einer kleinen und einer größeren Placebo-kontrollierten Studie in der Migräneprophylaxe wirksam.

Unwirksame Therapien

Unwirksam in der medikamentösen Therapie sind Bromocriptin, die Antiepileptika Carbamazepin, Diphenylhydantoin und Primidon, Diuretika, Clonidin, Östrogene und Gestagene, Lithium, Neuroleptika, Proxibarbal und die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Von den nicht-medikamentösen Verfahren sind ohne Wirkung oder ohne wissenschaftlichen Beleg das autogene Training, die chiropraktische Therapie, Manualtherapie, Zahnextraktion, Aufbißschienen, Frischzell-Therapie, lokale Injektionen in den Nacken oder die Kopfhaut, Neuraltherapie, Reizströme, Magnetströme, Psychophonie, Neuraltherapie, Ozontherapie, Tonsillektomie, Fußreflexmassage, Sanierung vermeindlicher Pilzinfektionen des Darmes, Entfernung von Amalgamfüllungen, Hysterektomie und die klassische Psychoanalyse.

Literatur

  1. Diener HC, editor. Drug treatment of migraine and other headaches. Basel: Karger; 2000.
  2. Diener HC, Brune K, Gerber WD, Pfaffenrath V, Straube A. Therapie der Migräneattacke und Migräneprophylaxe. Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG). Akt Neurologie. 2000;27:273-282.
  3. Diener HC, Limmroth V. Advances in pharmacological treatment of migraine. Expert Opin Invest Drugs 2001;10:1831-1845.
  4. Ferrari MD, Roon KI, Lipton RB, Goadsby PJ. Oral triptans (serotonin 5-HT1B/1D agonists) in acute migraine treatment: a meta-analysis of 53 trials. Lancet. 2001;358:1668-1675.
  5. Goadsby PB, Lipton RB, Ferrai MD. Migraine: current understanding and management. N Engl J Med. 2002;346:257-270.
  6. Headache Classification Committee of the International Headache Society. Classification and diagnostic criteria for headache disorders, cranial neuralgias and facial pain. Cephalalgia. 1988;8(Suppl.7):1-93.
  7. Silberstein SD, for the US Headache Consortium. Practice parameter: evidence-based guidelines for migraine headache (an evidence-based review). Report of the Quality Standards Subcommitee of the American Academy of Neurology. Neurology. 2000;55:754-763.
  8. Tfelt-Hansen P, Saxena PR, Dahlöf C, Pascual J, Lainez M, Henry P, Diener HC, Schoenen J, Ferrari MD, Goadsby PJ. Ergotamine in the acute treatment of migraine. A review and European consensus. Brain. 2000;123:9-18.

Verfahren zur Konsensbildung

Expertengruppe

Hans-Christoph Diener, Volker Limmroth, Dipl Psych G. Fritsche, Universitätsklinik für Neurologie Essen, Kay Brune, Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen, Volker Pfaffenrath, Neurologe, München

Federführend:

Prof. Dr Hans-Christoph Diener, Neurologische Universitätsklinik Essen, Hufelandstr. 55, 45147 Essen, email: [email protected]

Beratung in einer Delphikonferenz. Bearbeitet durch die Kommission Leitlinien der DGN: P. Berlit, Essen; H.C. Diener, Essen (Vorsitzender); W. Hacke, Heidelberg, A. Hufnagel, Essen; U. Meier, Grevenbroich; W.H. Oertel, Marburg; H. Prange, Göttingen; H. Reichmann, Dresden; P. Rieckmann, Würzburg; C-W. Wallesch, Magdeburg; M. Weller, Tübingen und den Vorstand der DGN.

Erstellungsdatum 11.05.2002

Legende

Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch mehrere adäquate, valide klinische Studien (z.B. randomisierte klinische Studien) bzw. durch eine oder mehrere valide Metaanalysen oder systematische Reviews. Positive Aussage gut belegt.

Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch zumindest eine adäquate, valide klinische Studie (z.B. randomisierte klinische Studie). Positive Aussage belegt.

Negative Aussage zur Wirksamkeit wird gestützt durch eine oder mehrere adäquate, valide klinische Studien (z.B. randomiserte klinische Studie), durch eine oder mehrere Metaanalysen bzw. systematische Reviews. Negative Aussage gut belegt.

Es liegen keine sicheren Studienergebnisse vor, die eine günstige oder ungünstige Wirkung belegen. Dies kann bedingt sein durch das Fehlen adäquater Studien, aber auch durch das Vorliegen mehrerer, aber widersprüchlicher Studienergebnisse.


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