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Kopfschmerz-News

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01. Migräne, Epidemiologie

*** Lu SR, Fuh JL, Chen WT, Juang KD Wang SJ. Chronic daily headache in Taipei, Taiwan: prevalence, follow-up and outcome predictors. Cephalalgia 2001;21:980-986.

Zusammenfassung: Folgt man Bevölkerungs-basierten Daten, leiden ca. 4-5% der Bevölkerung an chronischen täglichen Kopfschmerzen (engl.: Chronic Daily Hedache=CDH). Diese wurden bisher mit einem chronischen Spannungskopfschmerz (cSK) gleichgesetzt. In der letzten Zeit haben jedoch neuere epidemiologische Untersuchungen diese Sicht relativiert und man geht derzeit davon aus, dass ca. 2-3% einen cSK haben, mit einem Überwiegen des weiblichen Geschlechtes (etwa 2:1 häufiger), ca. 2% haben eine chronische Migräne (engl.: Transformed Migraine = TM) und 0,2% einen sog. neu aufgetretenen, täglich persistierenden Kopfschmerz (engl.: new daily persistent headache) oder sehr selten eine Hemicrania continua. Die Arbeitsgruppe um Wang in Taiwan hat auf diesem Gebiet bereits Vorarbeiten nachzuweisen und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit chronischen Kopfschmerzen.

Die Kollegen führten in zwei Phasen eine bevölkerungs-basierte Studie durch. Personen (> 15 Jahre) wurden in Taipei über das Einwohnermelderegister zufällig auserwählt und per face-to-face Interview nach Kopfschmerzen in den letzten 12 Monaten befragt. CDH wurde definiert als Kopfschmerzen mit einer Häufigkeit >15 Tage/Monat und einer Dauer von >4 Stunden/Tag. Insgesamt konnten von den 4434 zufällig auserwählten 3377 Patienten (1804 Frauen, 1573 Männer) befragt werden, dies entspricht einer Responder-Rate von 76,2%. In der zweiten Phase wurden die Patienten mit Kopfschmerzen >3 Tage/Woche (233 Personen) durch einen Arzt telefonisch interviewt. Hiervon konnten nach o.g. Kriterien 108 Personen (3,2%; 78 Frauen und 30 Männer) mit CDH identifiziert werden. Zwei Jahre später wurde telefonisch ein follow-up durchgeführt. Die 1-Jahres-Prävalenz für CDH betrug bei Frauen 4,3% und bei Männern 1,9%. In der Subdifferenzierung handelte es sich in 55% der Fälle um eine TM und in 44% der Fälle um cSK. 34% der CDH-Patienten nahmen häufig oder täglich Schmerzmittel ein. Nach zwei Jahren hatten 35% Patienten immer noch ein CDH. Die Prädiktoren für ein Persistieren von CDH war zum einen das Alter (>40 Jahre), zum anderen das langjährige Bestehen von CDH (>6 Jahre), die regelmässige Medikamenteneinnahme und das tägliche Vorhandensein von Kopfschmerzen, d.h. 30 Tage/Monat sowie das Alter, an dem das CDH auftritt (>32 Jahre).

Kommentar: Dies ist eine methodisch gut durchgeführte Untersuchung an einem Thema, das in den letzten Jahren Kopfschmerzforscher mehr und mehr beschäftigt. Ein Teil der Patienten mit CDH betreibt einen Medikamentenfehlgebrauch, der zum Teil die (Mit-) Ursache der Chronifizierung der Kopfschmerzen ist. Bisher haben verschiedene Autoren (Castillo et al., Prencipe et al. usw.) postuliert, dass der überwiegende Teil der Patienten mit CDH ursprünglich an einem episodischen Spannungskopfschmerz leiden und diese dann in einen cSK bzw. CDH übergingen. In der vorliegenden Untersuchung wurde allerdings die TM am häufigsten in der Subdifferenzierung des CDH gefunden. Dies unterstreicht das Phänomen, dass das wesentliche Problem in der Therapie der täglichen Kopfschmerzen die richtige Einordnung der Kopfschmerzen darstellt. Möglicherweise lässt sich der cSK weiter in ätiologisch unterschiedliche Subtypen unterteilen. Dieser Punkt ist derzeit Thema wissenschaftlicher Diskussionen.

Einige experimentelle Ansätze geben Hinweise auf verschiedene zugrundeliegende Pathomechanismen (immunologisch-entzündliche Prozesse über Aktivierung von NO- (nitric oxide = Stickstoffmonoxid) abhängigen Mechanismen in der Schmerzwahrnehmung versus muskuläre Prozesse über Aktivierung intramuskulärer nozizeptiver Afferenzen mit Änderung der Schmerzschwellen). Anzunehmen ist, dass nach Aufklärung der Pathophysiologie die bisher relativ undifferenziert durchgeführte Therapie des cSK in naher Zukunft einer differenzierteren, auf den unterschiedlichen Pathomechanismen aufbauenden Therapie weichen wird. Dementsprechend könnte dann auch eine zuverlässigere Subdifferenzierung und Therapie des CDH vorgenommen werden. (IK)

* Fasmer OB. The prevalence of migraine in patients with bipolar and unipolar affective disorders. Cephalalgia 2001;21:894-899

Zusammenfassung: Es gibt eine eindeutige Beziehung zwischen Migräne und psychiatrischen Erkrankungen. Dies ist gesichert für Depressionen aber auch für Angsterkrankungen. Der norwegische Autor wollte untersuchen, ob es auch einen ähnlichen Zusammenhang mit unipolaren und bipolaren Erkrankungen gibt. Er befragte daher 62 konsekutive Patienten einer Psychiatrischen Klinik, bei denen die unten genannten Diagnosen bestanden, nach dem Vorhandensein einer Migräne nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft. 35 der Patienten hatten eine unipolare Depression und 27 eine bipolare Erkrankung. Die Patienten mit bipolarer Erkrankung wurden unterteilt in Patienten mit bipolarer Erkrankung I, einer typischen Zyklothymie und Patienten mit bipolarer Erkrankung II mit leichten hypomanischen Episoden oder zyklothymen Stimmungsschwankungen. 71% der Patienten waren Frauen. Die Prävalenz der Migräne betrug 46% bei den Patienten mit unipolarer Depression und 44% in der Gruppe mit bipolarer Erkrankung. Wurden diese Patienten nochmals unterteilt, hatten 77% der Patienten mit bipolarer Erkrankung II eine Migräne verglichen mit nur 14% in der Gruppe mit bipolarer Krankheit I. Der Autor schliesst aus seiner Untersuchung, dass Migräne bei Patienten mit unipolarer Depression und bipolarer Erkrankung II sehr häufig ist und das möglicherweise eine gemeinsame genetische Grundlage besteht.

Kommentar: Die hier vorgestellte Studie ist aus methodischen Gründen weitgehend unbrauchbar. Bei den Patienten handelt es sich um eine hochselektionierte Gruppe von Patienten, die auf einer geschlossenen Station einer akuten Psychiatrie aufgenommen wurden und daher mit Sicherheit nicht repräsentativ für alle Patienten mit unipolarer Depression oder bipolarer Erkrankung sind. Der Hauptmangel der Untersuchung ist allerdings, dass keine Kontrollgruppe gebildet wurde. Zugegebener Massen ist die Migränefrequenz bei den hier untersuchten Patientenpopulationen sehr hoch. Bei der kleinen Patientenzahl und fehlender Kontrollgruppe kann dies allerdings nicht als wissenschaftlicher Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen bipolarer Erkrankung und Migräne angesehen werden. (HCD)

*** Milhaud D, Bogousslavsky J, van Melle G, Liot P. Ischemic stroke and active migraine. Neurology 2001;57:1805-1811

Zusammenfassung: Seit langem ist ein Zusammenhang zwischen Migräne und Schlaganfall bekannt. Migräne ist bei jungen Leuten sehr häufig und Schlaganfälle sind in dieser Altersgruppe selten und genau umgekehrt nimmt die Schlaganfallhäufigkeit im höheren Lebensalter zu und die Migräne ab. Prinzipiell werden zwei Arten von Schlaganfällen bei Migränepatienten beschrieben. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Patienten, die ausserhalb einer Migräneattacke einen Schlaganfall erleiden und bei denen ganz überwiegend ein zufälliges Zusammentreffen der beiden Erkrankungen besteht. Unterschieden davon werden sog. migränöse Infarkte, bei denen es während der Aura einer Migräneattacke zu permanenten neurologischen Ausfällen kommt, wobei die neurologischen Defizite dann denen der erlittenen Migräneaura entsprechen.

Die Autoren der Schlaganfalldatenbank aus Lausanne haben alle Patienten untersucht, bei denen ein erster ischämischer Schlaganfall vorhanden war und bei denen die Diagnose einer Migräne nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft gestellt wurden. Die Datenbank umfasst 3.873 Patienten mit einem ersten Schlaganfall, von denen 3.502 einen ischämischen Insult erlitten hatten. 130 der Patienten, das entspricht 3,7%, litten unter einer Migräne und 14 wurde mit Migräneprophylaktika behandelt. 66 der Patienten in der Gruppe mit ischämischem Insult und Migräne waren jünger als 45 Jahre. Dies entspricht 16% aller Patienten mit einem Insult in dieser Altersgruppe. 64% der Patienten litten an einer Migräne ohne Aura und 36% an einer Migräne mit Aura. Bei den Schlaganfallpatienten unter 45 Jahren waren bei den Migränepatienten Frauen überrepräsentiert und es bestand signifikant seltener eine Hypertonie. Bei den Patienten über 45 Jahren waren ebenfalls Frauen überrepräsentiert und es bestand signifikant seltener eine Hypertonie, Rauchen oder eine koronare Herzerkrankung. Für einen weiteren Vergleich wurden die Migränepatienten mit Schlaganfall mit zwei Kontrollgruppen verglichen. Die eine Kontrollgruppe umfasste 353 Patienten mit Schlaganfall im Alter unter 45 Jahren und die zweite Kontrollgruppe 842 Patienten, die ihren Schlaganfall jenseits des 45. Lebensjahres erlitten hatten.

Bei den älteren Patienten unterschieden sich die Infarktlokalisationen zwischen Migränepatienten und Kontrollen nicht. Bei den jüngeren Patienten fanden sich bei den Migränepatienten signifikant häufiger Insulte im Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior und in der hinteren Schädelgrube. Auffällig war auch, dass bei der ätiologischen Unterteilung nach Ursache des Schlaganfalls 53% der jüngeren Patienten mit Migräne ohne eine diagnostische Zuordnung blieben.

Kommentar: Die Autoren kommen in ihrer Studie zu der nicht überraschenden Feststellung, dass Migräne bei jungen Patienten mit Schlaganfall häufig ist und bei älteren Patienten mit Schlaganfall selten. Die Untersuchung belegt weitgehend, was der Literatur bereits bekannt ist, nämlich dass Migränepatienten mit Schlaganfall ein anderes Risikofaktorenprofil und eine andere pathophysiologische Zuordnung von Insulten haben. Leider haben die Autoren nicht detailliert untersucht, in wieviel Prozent der Fälle es sich tatsächlich um migränöse Infarkte gehandelt hat. Bestätigt wurde, was ebenfalls in der Literatur bereits bekannt war, dass wenn Insulte im Rahmen von Migräneattacken auftreten, diese bevorzugt in der hinteren Zirkulation zu finden sind. (HCD)


DMKG