Categories
Articles

Kopfschmerz-News

.

< – Inhaltsverzeichnis


11. Andere Kopfschmerzen

***** Fitzek S, Baumgärtner U, Fitzek C, Magerl W, Urban P, Thömke F, Marx J, Treede R-D, Stoeter P, Hopf HC. Mechanisms and predictors of chronic facial pain in lateral medullary infarction. Ann Neurol 2001;49:493-500

Zusammenfassung: Bei einer Reihe von Patienten kommt es nach einem Hirnstamminfarkt im Rahmen eines Wallenberg-Syndroms zu ipsilateralen Gesichtsschmerzen und kontralateralen Schmerzen im Bereich des Körpers. Bisher gibt es keine guten Untersuchungen zur exakten anatomischen Lokalisation der ischämischen Läsion in den Projektionsgebieten des Trigeminus im Hirnstamm, was zur Erklärung der Pathophysiologie chronischer Gesichtsschmerzen außerordentlich wichtig wäre. Die Autoren aus Mainz und Jena untersuchten prospektiv fünf und retrospektiv sieben weitere Patienten, bei denen ein Wallenberg-Syndrom vorlag. Acht der 12 Patienten entwickelten in einem Zeitraum von 12 Tagen bis 24 Monate nach dem Infarkt entweder ipsilaterale Schmerzen im Gesicht (6 Patienten) und/oder Schmerzen kontralateral im Bereich der Extremitäten und des Rumpfes (5 Patienten, 3 davon hatten auch Gesichtsschmerzen). Dünnschichtige kernspintomographische Untersuchungen zeigten, dass Patienten mit ipsilateralen Gesichtsschmerzen eine Läsion in der unteren Medulla hatten unter Einschluß des Tractus trigeminalis spinalis und des Kerngebietes. Bei allen Patienten mit Gesichtsschmerzen bestand eine Störung der Schmerz- und Temperaturempfindung sowie der Oberflächensensibilität im Gesicht. Dies war aber bei Patienten, die keine Schmerzen entwickelten, nicht der Fall. Interessant war die Beobachtung, dass es bei keinem der Patienten zu einer Schädigung des Subnucleus caudalis gekommen war, der die meisten nozizeptiven Neurone enthält.

Die hier vorgelegten Ergebnisse sprechen dafür, dass Gesichtsschmerzen nach einem Insult im Bereich der Medulla durch eine Läsion der primären afferenten Neurone bedingt sind. Der Gesichtschmerz nach einer entsprechenden ischämischen Läsion würde dann pathophysiologisch einem Deafferentierungsschmerz entsprechen, was auch gut zu den klinischen Charakteristika des Schmerzes mit brennenden Mißempfindungen passen würde.

Kommentar: Die hier vorliegende Studie ist aus zwei Gründen extrem wichtig.

1. Sie beschreibt zum ersten Mal anatomisch exakt, welche Läsionen im Kerngebiet des Trigeminus zu ipsilateralen Gesichtsschmerzen führen und

2. sie erlaubt in Zukunft solche Patienten zu identifizieren, bei denen ein hohes Risiko für die Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndromes nach Schlaganfall besteht, wo sie dann ggf. bereits prophylaktisch behandelt werden können, bevor sich der chronische Deafferentierungsschmerz vollständig entwickelt hat.

Am interessantesten ist die Beobachtung, dass chronische Gesichtsschmerzen nach Schlaganfall nicht primär durch eine Läsion des Nucleus caudalis entstehen, der die meisten nozizeptiven Neurone enthält, sondern durch eine rostral davon gelegene Läsion, die die primären sensiblen Afferenzen betrifft. Dies unterstützt die Hypothese der Autoren, dass es sich beim chronischen Gesichtsschmerz nach trigeminaler Läsion am ehesten um einen Deafferentierungsschmerz handelt. (HCD)

**** Hadjivassiliou M, Grünewald RA, Lawden M, Davies-Jones GAB, Powell TC, Smith CM. Headache and CNS white matter abnormalities associated with gluten sensitivity. Neurology 2001;56:385-388

Zusammenfassung: Die Autoren beschreiben eine Serie von 10 Patienten mit Gluten-Sensitivität und MRtomographisch sichtbaren Herden in der weißen Substanz. Die Diagnose basierte auf dem Nachweis von Antigliadin-Antikörpern sowie dem Nachweis von HLA DQ2 oder HLA DQ8. Klinisch zeichneten sich die Patienten, die aus einer Gesamtzahl von 105 Patienten mit GlutenSensitivität ausgewählt wurden, durch einen episodischen Kopfschmerz aus. Im weiteren litten sechs Patienten an einer sog. Gluten-Ataxie. Bei den sechs Frauen und vier Männern mit MR-Herden in der weißen Substanz war der episodische einseitige Kopfschmerz gehäuft assoziiert mit visuellen oder sensorischen Ausfallserscheinungen. Die Läsionen in der weißen Substanz waren sehr heterogen, sie rangierten von vereinzelten kleinfleckigen Signalanhebungen in beiden Großhirnhemisphären bis zu ausgedehnten konfluierenden Marklagerherden. Zum Teil zeigte sich ein Gadolinium-Enhancement. Andere Ursachen für die MR-Läsionen wurden nach der Anamnese, den labor-chemischen und Liquor-analytischen Untersuchungen ausgeschlossen. Die Patienten wurden nach der Diagnostik mit einer Glutenfreien Diät behandelt. Dieses führte bei sieben Patienten zu einem Verschwinden der Kopfschmerzen, bei zweien kam es zu einer Besserung der Kopfschmerzen. Angemerkt wird, dass einer der letzteren Patienten, ein 45-jähriger Mann, schon von seiner Kindheit an, an einer Migräne mit visueller Aura gelitten hatte, allerdings in der letzten Zeit eine Attackenverstärkung und Therapieresistenz erlitten hatte.

Kommentar: Gluten-Sensitivität kann sich neben der Gluten-sensitiven Enteropathie und der Dermatitis herpetiforme als neurologische Störung äußern, am häufigsten ist eine cerebelläre Ataxie und eine periphere Neuropathie. Einzelne Berichte über MR-Abnormalitäten in der weißen Substanz, die entzündliche Läsionen nahe legten, liegen vor. Der aktuelle Beitrag mit dem Nachweis von MR-Abnormalitäten bei Patienten mit Gluten-Sensitivität und unilateralen Kopfschmerzen mit neurologischen Ausfallssymptomen, die sich in der Mehrzahl der Fälle nach Glutenfreier Diät komplett zurückbildeten ist hoch interessant. Er legt einen Zusammenhang zwischen GlutenSensitivität und migräneartigen Kopfschmerzen nahe. Da es sich bei dem Schädigungsmechanismus der Gluten-Sensitivität um eine humorale und T-Zell-mediierte Entzündungsreaktion handelt, die nicht auf den Darm beschränkt ist, sind möglicherweise auch entzündliche Veränderungen der weißen Substanz recht gut erklärlich. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Migräne-Patienten gehäuft als unspezifisch eingeordnete MRT-Herde haben, sollte dieser Bericht Anlass geben bei allen Patienten mit episodischem Kopfschmerz und unerklärlichen Herden in der weißen Substanz Antigliadin-Antikörper zu bestimmen. Darüber hinaus sind größere Studien nötig, um den Zusammenhang zwischen Migräne und Gluten-Sensitivität zu klären, wie auch die Frage wie viele unerklärte MRT-Abnormalitäten in der weißen Substanz generell möglicherweise durch diese Erkrankung bedingt sind. (OK)

**Nagesh V, Welch M, Aurora S, Gelman N, Gopal S. Is there a brainstem generator of chronic daily headache? J Headache Pain 2000;2:267-271

Zusammenfassung: Die Autoren untersuchten 17 Patienten mit “chronic daily headache” mittels einer speziellen 3-Tesla MR-gestützten Untersuchungsmethode, die sensitiv für die paramagnetischen Eigenschaften von freiem Eisen in Blut und Hirngewebe ist. Verglichen wurden diese Daten mit 15 gesunden Kontrollen und 10 Patienten mit Migräne ohne Aura. Die Autoren beschreiben eine Reduktion des Deoxyhämoglobins in der Region des Nucleus ruber und der Substantia nigra ausschließlich bei Patienten mit täglichen Kopfschmerzen, nicht bei einer episodischen Migräne oder gesunden Probanden. Da die gewählte Sequenz freies Eisen darstellen soll, schlagen die Autoren vor, dass eine Reduktion der gemessenen Werte eine chronische Aktivierung dieser Strukturen bedeuten könnte. Die Autoren folgern weiter, dass eine (Dauer-) Aktivität in dieser Region eine Chronifizierung von Kopfschmerzen bedingen könnte und diese Region folglich der “Hirnstammgenerator” für chronische Kopfschmerzen seien könnte.

Kommentar: Die vorliegende Arbeit wurde mit dem “Enrico Greppi Award” ausgezeichnet und stellt die Fortsetzung der f-MRI Arbeiten derselben Gruppe dar. In den damaligen Veröffentlichungen wurden mittels f-MRI und BOLD neuronale Aktivierungen in der Region des Nucleus ruber während einer Migräneattacke dargestellt. Warum diese Region während (Kopf-)schmerzen aktiviert ist, ist unklar. Auch gab es bislang keine reproduzierbaren Hinweise, dass diese Hirnstammstrukturen in der Nozizeption eine signifikante Rolle spielen. Der Methodenteil des papers ist nicht ergiebig genug, um wirklich zu verstehen, wie die Daten erhoben wurden oder was sie bedeuten können. Insofern wäre es sicherlich wünschenswert, wenn es gelingt, diese Daten zu reproduzieren. Offensichtlich haben die Autoren allerdings eine “region of interest” Analyse durchgeführt, dass heißt, dass sie, basierend auf ihrer a-priori Hypothese, wiederum basierend auf ihren eigenen funktionellen Daten, ausschließlich die beschriebene Region des Hirnstammes untersucht haben. Je nach Schichtführung bedeutet dies, dass eventuell nur 2 Schichten je MR-Bild zur Verfügung standen, die Schichtdicke ist im paper nicht erwähnt. Eine (räumliche) Normalisierung der Daten fand nicht statt. Ein (unverblindeter) Untersucher identifizierte und zeichnete dann die zu untersuchende Region in die entsprechenden Bilder ein. Es sind folglich keine Aussagen über andere subkortikale oder kortikale Regionen möglich. Auch ist die Ätiologie der chronischen Kopfschmerzen nicht erwähnt, somit ist nicht klar, ob eventuell Patienten mit Medikamenten-induzierten Kopfschmerzen untersucht wurden. Alle Patienten mit chronischen Kopfschmerzen wurden in der Schmerzphase untersucht. Die Migränepatienten wiederum wurden in der kopfschmerzfreien Phase untersucht. Nicht erwähnt werden Untersuchungen zu möglichen motorischen Defiziten irgendeiner der Gruppen. Zusammenfassend ist u.a. aus den oben genannten Gründen eine Bewertung der Signifikanz der gefundenen Daten für die Pathophysiologie chronischer Schmerzen nicht möglich. (MAY)

***Fridriksson S, Hillman J, Landtblom AM, Boive J. Education of referring doctors about sudden onset headache in subarachnoid hemorrhage. A prospectiv studie. Acta Neurol Scand 2001: 103: 238-242

Zusammenfassung: Die Autoren haben in einer prospektiven Studie über einen Beobachtungszeitraum von 39 Monaten Patienten mit akuten Subarachnoidalblutungen (SAB) verfolgt. Ziel der Untersuchung war es, ein spezielles Fortbildungsprogramm für Ärzte und anderes medizinisches Personal in zuständigen Primärkrankenhäusern bzw. Hausärzten zum Thema akut einsetzender Kopfschmerz und SAB systematisch durchzuführen und den Einfluss dieser Maßnahme auf frühe, falsch gestellte Diagnosen zu untersuchen. Insgesamt wurde eine Population von 982.000 Einwohnern in Südschweden beobachtet. Für die Stadt Linköping (173.000 Einwohner) wurde das Fortbildungsprogramm durchgeführt, mit dem Ziel alle Patienten mit dem Verdacht auf SAB sofort in neurochirurgische Betreuung zu überweisen. Alle verdächtigen Fälle wurden mittels CCT und bei fehlendem Nachweis einer Blutung mittels LP weiter untersucht. Für die Ärzte des Umlandes (809.000 Einwohner) wurde keine spezielle Weiterbildung angeboten. Die Autoren konnten zeigen, dass in der Subpopulation, in der keine besonderen Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt wurden, in 12,2 % (n=18) der Fälle mit akut einsetzenden Kopfschmerzen die Diagnose einer SAB nicht bzw. falsch gestellt wurde. Betrachtet man nur die Fälle mit akut einsetzenden Kopfschmerzen als einziges Symptom einer SAB (n=52) erhöht sich die Rate der falschen Diagnosestellung auf 25,5%. Traten neben akuten Kopfschmerzen andere neurologische Defizite auf wurde nur in 2% der Fälle die SAB nicht erkannt. In der Stadt Linköping, deren Ärzte sich dem speziellen Aufklärungsprogramm unterzogen hatten, wurde nur in einem Fall (2,9%) die SAB als Ursache der akut einsetzenden Kopfschmerzen nicht erkannt.

Kommentar: Die vorliegende Arbeit zeigt eindrucksvoll, dass allein mit den Mitteln der Fort- und Weiterbildung die Gefahr einer falschen Diagnosestellung bei u. U. tödlich verlaufenden Erkrankungen wie der SAB deutlich verringert werden kann. Die Rate der Fehldiagnosen konnte bei dieser Untersuchung um 77% verringert werden. Den teilnehmenden Ärzte, bei denen es sich in aller Regel nicht um Neurologen und Neurochirurgen handelte, sondern um Hausärzte und Ärzte in Krankenhäusern der Primärversorgung, wurde vermittelt, dass akut einsetzende Kopfschmerzen auch ohne weitere neurologische Ausfallerscheinungen das erste Symptom einer Subarachnoidalblutung im Rahmen einer kleinen Aneurysmablutung sein können und diese mittels CCT und/oder LP ausgeschlossen werden muss. Patienten bei denen lediglich akute Kopfschmerzen im Rahmen einer zunächst kleine Aneurysmablutung einsetzen und die einer frühzeitigen Diagnostik und auch Therapie zugeführt werden, bevor es erneut zu einer großen, evtl. tödlich verlaufenden Blutung kommt, haben ein deutlich besseres Outcome. Diese Untersuchung sollte dazu führen, dass auch in Deutschland die Weiterbildung im Bereich Kopfschmerz weiter verbessert und ausgedehnt wird und Haus- und Krankenhausärzten vermittelt wird, dass es neben den bekannten und weitverbreiteten Kopfschmerzerkrankungen Migräne und Spannungskopfschmerz auch andere Formen von Kopfschmerzen gibt, die, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt werden, mit schwerwiegenden Folgen für den Patienten einhergehen können. (PAG)


DMKG