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Kopfschmerz-News

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01. Migräne, Epidemiologie

*Waldie KE. Childhood headache, stress in adolescence, and primary headache in young adulthood. Headache 2000; 41:1-10

Zusammenfassung: Ziel der Studie war einen Zusammenhang herzustellen zwischen Kopfschmerzanamnese in der Kindheit, Stress der Adoleszenze und Kopfschmerzsyndromen. Die Daten wurden der Dunedine Multidisciplinary Health and Development Study entnommen. Durchschnittlich waren die Patienten zum Befragungszeitpunkt 26 Jahre alt. Die Kopfschmerzanamnese umfasste zum Zeitpunkt des Kopfschmerzes 7, 9 und 11 Jahre und eine Befragung der Eltern. Es wurde erhoben, ob Kinder Kopfschmerzen geklagt hatten, die zumindest einmal pro Monat im vergangenen Jahr aufgetreten waren. Bei 34.5% der Population war dies der Fall. 65% berichteten keinerlei Kopfschmerzen. Zum Zeitpunkt 26 Jahre wurde dann wieder die Frage erhoben, ob in den letzten 12 Monaten an 10 oder mehr Tagen Kopfschmerzen aufgetreten sind, die länger als 30 Minuten, ab bis zu 7 Tagen angedauert hatten. Bei positiver Antwort erfolgte ein Fragebogen, der sich an der IHSKlassifikation orientierte. Zum Zeitpunkt 15. Lebensjahr wurde ein Stress Assessment durchgeführt und dies auf einer Fünf-Punkt-Skala von “niemals“ bis auf „jederzeit“ befragt. Die Fragen beinhalteten „schlechtes Gefühl, Ärger mit Lehrern oder Eltern“. Die Patienten wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Gruppe 1 (87.7%) wenig Stress, Gruppe 2 (71.9%) durchschnittlich viel Stress, Gruppe 3 (35.6%) viel Stress. Jugendliche, die in der Kindheit Kopfschmerzen berichtet hatten, hätten signifikant häufiger Stress in der Adoleszenz. In der zweiten Frage wurde erhoben, ob Stressfaktoren in der Pubertät einen Einfluss auf die Kopfschmerz-Diagnose im 26. Lebensjahr hatten. In der Studienpopulation fand sich eine Migräne-Prävalenz von 10.8%, für Spannungskopfschmerz 8.8% und Kombinationskopfschmerz 5.9%. Diese Daten liegen etwas niedriger als die in anderen epidemiologischen Studien.

Kommentar: Der Leser kann in dieser Studie nur mit Mühe relevante Aussagen erkennen. Die Autoren schlussfolgern aus dieser Studie, dass Kopfschmerzen in der Kindheit einen signifikanten Einfluss auf Adoleszenzkrisen haben. Angesichts der vagen anamnestischen Angabe eines Kopfschmerzes, zumindest einmal im Monat in der Kindheit, ist sicher dies eine Schlussfolgerung, die durch die vorliegende Studie nicht belegt wird. Die Schlussfolgerung, dass Kopfschmerzen in der Kindheit ein Risikofaktor für hohes Stresserleben in der Pubertät sein kann und unter Stress in der Pubertät (vorwiegend familiäre und schulbezogene Bedingungen) dazu führen, dass Kopfschmerzen im Erwachsenenalter auftreten, ist sicher höchst spekulativ, wie auch die Autoren in der Diskussion feststellen. In der vorliegenden Studie werden lediglich Korrelationen aufgezeigt, die keinerlei Aussage über eventuelle Kausalitäten beinhalten. (AE)

*** Mattsohn P, Svärdsudd K, Lundberg PO, Westerberg CE. The prevalence of migraine in women aged 40-74 years: a population-based study. Cephalalgia 2000;20:893-899

Zusammenfassung: Untersuchungen bezüglich der Häufigkeit von Migräne an Erwachsenen ergaben eine Prävalenz von 4-8% bei Männern und 11-25% bei Frauen. Die Inzidenz ist bei Kindern und Jugendlichen am größten. Die gleichen Studien zeigten auch, dass die Prävalenz von Migräne in der vierten Altersdekade einen Höhepunkt erreicht und im weiteren Verlauf abnimmt. Es gibt wenige epidemiologische Studien, die sich mit den klinischen Charakteristika der Migräne im Alter beschäftigen. Unklar ist, warum Menschen im mittleren und hohem Alter weniger an Migräne leiden als jüngere Menschen. Möglicherweise wird dies vom Medikamentenverhalten beeinflusst. Die im Alter häufig eingenommenen Medikamente wie b-Blocker, Acetylsalicylsäure, NSAR, aber auch Hormonpräparate könnten hierbei eine Rolle spielen. Die Schwedischen Kollegen untersuchten hierzu 728 Frauen im Alter von 40-74 Jahren, bei denen im Rahmen eines Screening-Programmes eine Mammographie durchgeführt wurde. Zu klären galt es, ob es bei Migräne-Kopfschmerzen eine Altersabhängigkeit in der Prävalenz und der klinischen Kriterien der Migräne gibt. Als Grundlage galten die Kriterien der IHS. Die Prävalenz bezogen auf die Lebenszeit betrug 31.5% und die 1-Jahres-Prävalenz 18.0%. Die Migräne wurde als aktiv bezeichnet, wenn im letzten Jahr ≥1 Attacke aufgetreten war. Die Abnahme der aktiven Migräne bezogen auf eine Lebensdekade betrug ca. 50%. Die Prävalenz der Migräne mit visueller Aura betrug 3.8%. Hierfür fand sich keine Altersabhängigkeit. Unter den klinischen Kriterien und Begleitsymptomen einer Migräne ließ sich eine Abhängigkeit vom Alter lediglich für die Schmerzintensität und für die Übelkeit finden. Im Alter von 60-74 Jahren war die Schmerzintensität und die Prävalenz am geringsten (Visuelle Analogskala von 1 bis 10 : 2 und Häufigkeit von 3.1%). Angenommen wird, dass die Abnahme der Migräne-Prävalenz im Alter mit der Reduktion der Schmerzintensität eng zusammenhängt.

Kommentar: Das Phänomen der Häufigkeitsreduktion der Migräne im Alter ist sicherlich ein interessantes Thema. Ein Haupteinfluss auf die Prävalenz haben bereits die Autoren selber diskutiert, und zwar die prophylaktische Wirkung von Medikamenten (b-Blocker, Ca-Antagonisten usw.). Am wahrscheinlichsten ist aber, dass die Migräne spontan ohne äußere Einflüsse an Intensität und Häufigkeit abnimmt. Ferner sind Begleiterkrankungen, die im Alter häufiger als sonst auftreten, nicht unerheblich, da diese das Schmerzverhalten ebenso beeinflussen können. Unklar bleibt weiterhin jedoch, ob auch hormonelle Faktoren, z. B. bei Frauen in der Menopause, in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. (IK)

***Prencipe M, Casini AR, Ferretti C, Santini M, Pezella F, Scaldaferri N, Culasso F. Prevalence of headache in an elderly population: attack frequency, disability, and use of medication. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2001;70:377-381

Zusammenfassung: Kopfschmerzen gehören auch im Alter zu den am häufigsten beklagten Beschwerden. Obwohl die Anzahl älterer Menschen in der Bevölkerung immer mehr zunimmt, gibt es wenige oder kaum epidemiologische Studien, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Dies liegt unter anderem daran, dass viele Studien Patienten › 65 Lebensjahr gar nicht eingeschlossen haben oder die Anzahl älterer Menschen in der betreffenden Studie zu gering war. Die im Zusammenhang epidemiologischer Kopfschmerzstudien am meisten zitierte Arbeit von Rasmussen et al. hat beispielsweise ältere Patienten gar nicht befragt. Einige Untersuchungen schlossen zwar ältere Patienten in die Studie ein, benutzten aber nicht die Kriterien der Internationale Kopfschmerzgesellschaft. Italienische Neurologen führten hierzu eine Studie durch, an der 1147 Einwohner (?65 Jahre) aus drei verschiedenen Dörfern teilnahmen. Die Untersuchung wurde im Rahmen einer größeren epidemiologischen Untersuchung durchgeführt, bei dem die Häufigkeit von neurologischen Erkrankungen (unter anderem Demenz, Schlaganfälle usw.) in der älteren Bevölkerung evaluiert wurden.

In der ersten Phase wurden die Teilnehmer an Ihrer Haustür befragt, ob sie im vergangenen Jahr Kopfschmerzen gehabt haben. Es folgte dann ein strukturiertes und standardisiertes Interview, nach IHS-Kriterien, inklusive Fragen über die Schmerzmitteleinnahme. Erhoben wurden Häufigkeiten zu Spannungskopfschmerzen, Migräne und chronischen Kopfschmerzen (chronic daily headache). Die zweite Phase beinhaltete eine klinisch-neurologische Untersuchung durch einen Neurologen. Patienten mit einer Demenz, Aphasie nach Schlaganfall oder schweren psychiatrischen Erkrankungen wurden ausgeschlossen, so dass 833 von 1147 Teilnehmern übrig blieben. Die Teilnehmer hatten ein Durchschnittsalter von 73.8 Jahren. 51% beklagten Kopfschmerzen im vergangenen Jahr. Frauen waren häufiger betroffen. Bezüglich der 1-Jahres Prävalenz handelte es sich in 44.5% um Spannungskopfschmerzen, in 11% um eine Migräne und in 4.4% um chronische Kopfschmerzen sowie in 2.9% um „andere Kopfschmerzen“. Hierunter fielen symptomatische Kopfschmerzen in 2.2% der Fälle (z.B. im Anschluss an einen Schlaganfall, nach Schädel-Hirn-Trauma, Nitrat-Einnahme bei Angina pectoris, bei Trigeminusneuralgie, Glaukom, Sinusitis, nach Dialysebehandlung, Meningeom, Meningitis), Misch-Kopfschmerzen (Spannungs- und Migräne-Kopfschmerzen) sowie neu aufgetretene und permanente Kopfschmerzen (new daily persistent headache). 12.2% der Kopfschmerzpatienten nahmen keine Schmerzmittel im letzten Jahr ein. 45.9% nahmen Schmerzmittel regelmäßig ein. Die übrigen 41.9% nahmen nur Schmerzmittel ein, wenn die Kopfschmerzen so schwer waren, dass sie deren Alltagsaktivitäten beeinträchtigen. Von den Patienten mit chronischen Kopfschmerzen betrieben 37.8% einen Schmerzmittelabusus. Hauptsächlich handelte es sich um Mischpräparate, die Ergotamine enthielten oder übliche Analgetika oder Barbiturate und Koffein enthaltende Medikamente. Die Häufigkeit von Kopfschmerzen nimmt mit zunehmendem Alter ab (65-74 J.: 56.7%, 75-84 J.: 45.2%, 85-96 J.: 26.1%).

Kommentar: Die Studie hat ein gutes „Design“ und ist an einer großen Patientenpopulation sauber durchgeführt worden. Interessant ist die Feststellung, dass es sich bei Kopfschmerzen im Alter nur in 2.2% der Fälle um symptomatische Fälle handelt, entgegen der bisher angenommenen klinischen Meinung. Kritisch anzumerken bleibt jedoch, dass die Autoren Kopfschmerzen im Rahmen einer hypertensiven Krise bezüglich symptomatischer Kopfschmerzen nicht miterhoben haben. Dies könnte die geringe Rate an symptomatischen Fällen erklären, da eine arteriell Hypertonie im Alter doch häufig vorkommt. Durch das Ausscheiden von Patienten mit Demenzen, Aphasien oder psychiatrischen Symptomen ist das Durchschnittsalter der Befragten auf 73.8 Jahre gesunken (Altersspanne: 6596). Daher kann die genaue Prävalenz von Kopfschmerzen im (noch) höheren Alter nicht exakt angegeben werden (IK).

***Ulrich V, Olesen J, Gervil M, Russell MB. Possible risk factors and precipitants for migraine with aura in discordant twinpairs: a population based study. Cephalalgia 2000;20:821-825

Zusammenfassung: Für die Migräne sind nach IHS-Kriterien neurologische Ausfälle bekannt und als Migräne mit Aura definiert. Die Frage, der die Autoren in dieser epidemiologischen Studie nachgehen ist, inwieweit genetische Faktoren das Risiko beeinflussen, an einer Migräne mit Aura zu leiden. In einer dänischen Kohortenstudie von 5360 Zwillingen wurden alle Zwillinge mit einer Kopfschmerz- oder Migräneanamnese einem persönlichen Interview unterzogen. Von den 169 diskordanten Zwillingen für das Merkmal Migräne mit Aura waren 51 monozygot und 118 Paare dizygot. Die möglichen Risikofaktoren Schulausbildung, Berufswahl und Ehe zeigten keine Assoziation mit der Ausprägung einer Aura. Das gleiche galt für Nikotin, während die Frage nach Alkoholkonsum offen blieb.

Kommentar: Letztlich ist die Frage, ob genetische Faktoren das Risiko an einer Migräne mit Aura zu leiden beeinflussen, die Frage, inwieweit die Migräne mit Aura eine eigene Entität ist, oder denselben Mechanismen zugrunde liegt wie eine Migräne ohne Aura. Dieselbe Gruppe hatte vor kurzem (ebenfalls an einer Zwillingsstudie) zeigen können, dass das Risiko für einen eineiigen Zwilling ebenfalls an einer Aura zu leiden, wenn der andere Zwilling eine Migräne mit Aura hat, bei 50% liegt. Was immerhin bedeutet, dass Umweltbedingungen eine sehr große Bedeutung in dem Entstehen einer Aura zukommt. Welche Umweltbedingungen dies aber sind, ist unklar (wie z.B. Lebensbedingungen, Risiko- und psychosoziale Faktoren) und sollte durch die hier vorliegende Studie an diskordanten Zwillingen untersucht werden. Zusammenfassend konnte diese Studie keine Risikofaktoren für eine Aura herausarbeiten. Natürlich konnte nur für die Risikofaktoren getestet werden, die vorher definiert wurden und unser Wissen über die Aura und mögliche Entstehungsmechanismen (ergo Risikofaktoren) sind noch sehr limitiert. Weiterhin sind alle untersuchten Zwillingspärchen gemeinsam aufgewachsen, während ja gerade die Frage nach Umweltbedingungen untersucht werden sollte. Hierzu müssten (am besten monozygote) Zwillinge untersucht werden, die in verschiedenen Familien aufgewachsen sind. Solche Zwillingspärchen allerdings sind sehr selten. (MAY)


DMKG