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Migräne, Akuttherapie

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5. Migräne, Akuttherapie

*****Lipton RB, Stewart WF, Cady R, Hall C, O’Quinn S, Kuhn T, Gutterman D. Sumatriptan for the range of headaches in migraine sufferers: results of the spectrum study. Headache 2000;40:783-791

Zusammenfassung: Sumatriptan wurde als spezifisches Migränemittel vor 10 Jahren in die Behandlung akuter Migräneattacken eingeführt. In der Folgezeit stellte sich heraus, daß die Substanz bei Migräne sehr gut wirkt, aber bei Patienten mit reinem episodischen Spannungskopfschmerz entweder kaum oder gar nicht wirksam ist. Rein theoretisch könnte sich allerdings hinter der Phänomenologie des Spannungskopfschmerzes, d.h. dumpf-drückenden holokraniellen Kopfschmerzen mit nur geringen autonomen Begleiterscheinungen eine unterschiedliche Pathophysiologie verbergen, je nach dem, ob es sich um Spannungskopfschmerzen bei Migränepatienten oder um Spannungskopfschmerzen bei Patienten handelt, die nur unter Spannungskopfschmerzen leiden. Dies sollte in der hier vorliegenden von der Fa. GlaxoWellcome gesponserten amerikanischen Studie untersucht werden.

In die Studie wurden Migränepatientinnen und -patienten mit schweren Migräneattacken aufgenommen. Die Studie wurde randomisiert, doppelblind, plazebo-kontrolliert im Crossover Design geplant. Die Patienten konnten bis zu 10 Kopfschmerzattacken mit 50 mg Sumatriptan oder Plazebo behandelen. Das Randomisierungsverhältnis betrug 4:1. Für jede einzelne behandelte Kopfschmerzepisode wurden die klinischen Charakteristika benutzt, um die Kopfschmerzen in drei Kategorien einzuteilen: 1. typische Migräne nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft, 2. Kopfschmerzen mit migräneähnlichen Eigenschaften und 3. episodischer Spannungskopfschmerz. Endpunkte waren die Besserung der Kopfschmerzen von schwer oder mittelschwer auf leicht oder keine Kopfschmerzen nach 2 und 4 Stunden. Das Kriterium wurde nach 2 und 4 Stunden erhoben. Bei der statistischen Analyse wurde berücksichtigt, daß es bei denselben Patienten bei bis zu 10 konsekutiven Attacken zu einer Abhängigkeit der Wirksamkeit von den einzelnen Attacken kommen kann. Insgesamt 249 Migränepatientinnen und -patienten nahmen an der Studie teil. Sie behandelten insgesamt 1.576 Kopfschmerzereignisse, davon 1.239 mit 50 mg Sumatriptan und 337 mit Plazebo. Von den behandelten Kopfschmerzereignissen waren 1.110 Migräneattacken nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft, 103 Ereignisse Kopfschmerzen mit migräneähnlichen Symptomen und 363 Ereignisse klassifiziert als episodischer Spannungskopfschmerz.

Zwei Stunden nach der Einnahme von 50 mg Sumatriptan fand sich eine signifikante Besserung der Kopfschmerzen in der Gruppe der Patienten mit typischer Migräne. Bei atypischer Migräne und episodischem Spannungskopfschmerz fand sich Trend, der allerdings nicht signifikant war. Vier Stunden nach Einnahme war Sumatriptan in allen vier Behandlungsgruppen statistisch signifikant wirksam. Für den Parameter schmerzfrei nach zwei Stunden ergaben sich signifikante Vorteile von Sumatriptan für Migräneattacken und Kopfschmerzen vom episodischen Spannungstyp. Bei migräneähnlichen Kopfschmerzen ergab sich ein Trend, der allerdings wegen der geringen Anzahl der behandelten Attacken statistisch nicht signifikant war. In Zahlen ausgedrückt betrug die Wirksamkeit von Sumatriptan im Vergleich zu Plazebo bei typischer Migräne 47% versus 34%, bei migräneähnlichen Kopfschmerzen 53% versus 35% und bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp 63% versus 54%. Die entsprechenden Zahlen für Kopfschmerzfrei nach zwei Stunden betragen für Migräne 18% versus 7%, für migräneähnliche Kopfschmerzen 26% versus 7% und für Kopfschmerzen vom Spannungstyp 26% versus 14%. Wiederauftretenden Kopfschmerzen nach Einnahme von Sumatriptan wurden bei 9-13% der Patienten beobachtet. Nebenwirkungen traten bei 6% der Patienten in der Plazebogruppe auf und bei 7% in der Sumatriptangruppe.

Kommentar: Es war bisher heftig umstritten, ob sich hinter der Phänomenologie des episodischen Spannungskopfschmerzes ein oder zwei verschiedene Krankheitsbilder verbergen. Rein theoretisch war es immer denkbar, daß bei Patienten mit Migräne leichte Migräneattacken unter dem klinischen Bild eines Spannungskopfschmerzes ablaufen, da hier die hohe Schmerzintensität, die Halbseitigkeit der Kopfschmerzen und die ausgeprägten vegetativen Begleiterscheinungen fehlen können. Diese Annahme wird durch die hier vorgelegte methodisch sauber durchgeführte Studie bestätigt. Kopfschmerzen bei Migränepatienten, die phänomenologisch episodischen Spannungskopschmerzereignissen entsprechen, wurden mit 50 mg Sumatriptan im Vergleich zu Plazebo erfolgreich behandelt. Sumatriptan ist im Gegensatz dazu bei Patienten mit reinen Spannungskopfschmerzen nicht wirksam. Dasselbe gilt tendentiell für Kopfschmerzereignisse vom migräneähnlichen Charakter. Hier war allerdings die Zahl der behandelten Attacken zu gering, um in jedem Fall ein statistisch signifikanten Unterschied zwischen Verum und Plazebo zu erreichen. Die Tatsache, daß die Wiederauftretensrate von Kopfschmerzen und die Nebenwirkungen sehr gering sind, liegt daran, daß es sich um eine selektionierte Population von Patienten handelt, die bereits in aller Regel umfangreiche Erfahrungen mit der Einnahme oder Anwendung von Sumatriptan hatten. (HCD)

**** MaassenVanDenBrink A, van den Broek RWM, de Vries R, Bogers AJJC, Avezaat CJ, Saxena PR. Craniovasular selectivity of eletriptan and sumatriptan in human isolated blood vesels. Neurology 2000;55:1524-1530

Zusammenfassung: In der Zwischenzeit sind eine Vielzahl von 5-HT1B/1D-Rezeptor-antagonisten für die Behandlung akuter Migräneattacken verfügbar. Alle 5-HT1-Agonisten haben allerdings vasokonstriktive Eigenschaften. Diese sind zumindest in vivo aber auch in vitro an den Koronargefäßen deutlich geringer ausgeprägt als an den Dura- und Hirnarterien. Dies liegt daran, daß der Besatz an 5-HT1B-Rezeptoren, die die vasokonstriktiven Eigenschaften vermitteln, an den Meningealarterien deutlich höher ist als an den Koronararterien und daß die vasokonstriktive Wirkung von Serotonin an Koronargefäßen über 5-HT2A-Rezeptoren vermittelt wird. In der vorliegenden Studie sollte an isolierten menschlichen Gefäßen untersucht werden, ob der neue Serotoninagonist Eletriptan eine andere kraniovaskuläre Selektivität hat als das bereits seit langem eingeführte Sumatriptan. Die Arbeitsgruppe aus Rotterdam erhielt 9 Koronararterien von Organspendern und 11 Abschnitte aus der A. meningea media von Patienten, die sich einer neurochirurgischen Operation unterziehen mußten. 9 Venenabschnitte der Vena saphena wurden von Patienten gewonnen, die sich einer koronaren Bypass-Operation unterzogen. Die Gefäße wurden in kurze Abschnitte von 3-4 mm Länge präpariert und dann in einem Organbad aufgehängt. Dann wurden alle Gefäße zunächst mit Prostaglandin F maximal konstringiert. Anschließend wurden unterschiedliche Dosierungen von Sumatriptan und Eletriptan angewandt, wobei die dabei erzielte Gefäßverengung als Prozentsatz der maximalen möglichen Gefäßverengung berechnet wurde. Da die bei wirksamen Dosen nach oraler Einnahme erzielten Plasmakonzentrationen beim Menschen bekannt sind, wurden die hier erzielten Ergebnisse auf die Anwendung beim Menschen umgerechnet.

Sowohl Sumatriptan wie Eletriptan führten zu einer deutlich stärkeren Vasokonstriktion im Bereich der A. meningea media als an den Koronarien. Diese vasokonstriktive Effekt war 86fach höher für Eletriptan und 30fach höher für Sumatriptan. Dies galt auch für die Konstriktion im Bereich der Vena saphena. Rechnet man die erzielten Plasmaspiegel beim Menschen nach 40 und 80 mg oraler Einnahme von Eletriptan und 100 mg Sumatriptan um, ergibt sich, daß die vasokonstriktiven Eigenschaften der beiden Substanzen an den Meningealarterien identisch sind, währenddessen Sumatriptan an den Koronararterien minimal stärker vasokonstriktiv wirkt.

Kommentar: Nicht nur diese Studie sondern bereits vorausgehende Untersuchungen der gleichen Arbeitsgruppe zeigen, daß alle Triptane relativ selektiv Arterien der Dura konstringieren. Bei allen Triptanen sind diese vasokonstriktiven Eigenschaften an den menschlichen Koronararterien um mehrere Potenzen geringer. Daraus kann allerdings nicht der Schluß gezogen werden, daß Triptane mit einem großen Unterschied in der konstringierenden Wirkung zwischen Meningeal- und Koronararterien sicherer wären als Triptane mit geringerem Unterschied. Dies u.a. darin begründet, daß arteriosklerotisch veränderte Gefäße schon bei sehr viel geringeren Plasmaspiegeln freier Triptane massiv vasokonstriktiv reagieren können. Dies ist von besonderer Bedeutung, da in letzter Zeit von einigen der Firmen, die Triptane vertreiben, postuliert wurde, daß ihr Triptan bzgl. kardiovaskulärer Sicherheit besser verträglich sei als das Produkt der Konkurrenzfirma. Schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse nach der Einnahme von Sumatriptan treten beispielsweise nur in einer Häufigkeit von 1:1Million auf. Es müssen also mindestens 100 Mill. Migräneattacken behandelt und dokumentiert sein, bevor tatsächlich abgeschätzt werden kann, ob ein Triptan weniger kardiovaskuläre Nebenwirkungen hervorruft als ein anderes. Dessen ungeachtet bleiben alle Triptane beim Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung oder bei Patienten mit TIA, Schlaganfall oder multiplen vaskulären Risikofaktoren kontraindiziert. (HCD)

****Dahlöf CGH, Lipton RB, McCarroll KA, Kramer MS, Lines CR, Ferrari MD. Within-patient consistency of response of rizatriptan for treating migraine. Neurology 2000;55:1511-1516

Zusammenfassung: Die Einführung 5-HT1B von 1DAgonisten war ein Meilenstein für die Behandlung akuter Migräneattacken. Die meisten Studien werden in einem Design durchgeführt, in dem die Patienten eine einzelne Migräneattacke behandeln und die Wirksamkeit des entsprechenden Triptans im Vergleich zu Plazebo oder einem anderen Triptan untersucht wird. Dieses Studiendesign sagt zwar etwas über die Wirksamkeit eines Triptans aus, beantwortet aber nicht die von Patienten häufig gestellte Frage, wie gut die Konsistenz der Wirkung ist, d.h. wie häufig wirkt die entsprechende Substanz bei mindestens 2 von 3 oder bei 3 von 4 behandelten Migräneattacken. In die von der Firma MSD finanzierte Studie wurden 473 Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren aufgenommen. Es handelte sich um eine randomisierte, doppelblinde, plazebo-kontrollierte crossover Studie. Alle Patienten behandelten vier konsekutive Migräneattacken, wobei sie bei jeweils drei der Attacken Verum nämlich 10 mg Rizatriptan oral und bei jeweils einer Attacke Plazebo erhielten. Die Reihenfolge in der Verum und Plazebo appliziert wurden, war zufallsverteilt. Zur Analyse wurde die sog. patientenbezogene Konsistenz berechnet, d.h. es wurde festgestellt, wie häufig ein Patient bei 2 von 3, 3 von 3, 3von 4 oder 4 von 4 behandelten Migräneattacken eine Wirkung hatte. 473 Patienten wurden in die Studie aufgenommen. Von diesen behandelten dann letztendlich 339 mindestens drei Attacken und 316 mindestens vier Attacken.

Die Konsistenz der Wirkung auf die Kopfschmerzintensität, d.h. eine Reduktion der Kopfschmerzintensität von schwer oder mittelschwer auf leicht oder keine Kopfschmerzen betrug 86% für die Wirkung bei 2 von 3 Migräneattacken. Die Konsistenz bei 3 von 3 Attacken betrug 60%. Für den Parameter schmerzfrei nach zwei Stunden betrug die Konsistenz 48% bei 2 von 3 Attacken und 20% bei 3 von 3 Attacken. Bei den Patienten, die 4 von 4 Attacken behandelt hatten, betrug die Besserung der Kopfschmerzen 73% bei 3 von 4 Attacken und 37% bei 4 von 4 Attacken und Schmerzfreiheit nach zwei Stunden 27% bei 3 von 4 Attacken und 11% bei 4 von 4 Attacken. Es wurde auch das Wiederauftreten von Kopfschmerzen nach initial erfolgreicher Behandlung innerhalb von 24 Stunden ausgewertet. 25% der Patienten hatten bei keiner der vier Attacken wiederauftretende Kopfschmerzen, 20% hatten einmal wiederauftretenden Kopfschmerzen, 20% zwei, 24% drei wiederauftretende Kopfschmerzen. Bei 11% kam es immer zum Wiederauftreten der Kopfschmerzen.

Kommentar: In den letzten Jahren wurden zunehmend Studien zur Konsistenz der Wirkung einzelner Migränemittel durchgeführt. In aller Regel werden aber Gruppenergebnisse mitgeteilt, d.h. es wird über alle Patienten hinweg ausgewertet, wie viele der Patienten bei 2 von 3 oder 3 von 4 Migräneattacken ansprechen. Dies beantwortet natürlich nicht die vom Patienten gestellte Frage, wie die individuelle Reproduzierbarkeit der Wirkung ist. Diese für die Klinik wichtige Auswertung wurde hier vorgenommen. Das Ergebnis ist für das Gespräch mit dem Patienten sehr wichtig, da im klargemacht werden muß, daß auch ein gut wirksames Triptan nicht jede Migräneattacke erfolgreich behandelt. Wissenschaftlich von großem Interesse ist die Beobachtung, daß die Häufigkeit wiederauftretender Kopfschmerzen nach erfolgreicher Behandlung über die Attacken hinweg extrem variabel ist. (HCD)


DMKG