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Kopfschmerz-News

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07. Migräne, Prophylaxe

*** Silberstein S, Mathew N, Saper J, Jenkins S, for the Botox Migraine Clinical Research Group.

Botulinum toxin type A as a migraine preventive treatment. Headache 2000;40:445-450

Zusammenfassung:

Botulinumtoxin Typ A hat in der Zwischenzeit eine Vielzahl von Indikationen, wie fokale Dystonien, Spastik, Achalasie und den Spasmus des Sphinkter ani externus. Vor einiger Zeit war amerikanischen Schönheitschirurgen aufgefallen, daß es nach der Injektion kleiner Mengen Botulinumtoxin A zur Behandlung von Falten im Gesicht zu einer Besserung vorbestehender Kopfschmerzen und zwar sowohl von Spannungskopfschmerzen wie der Migräne gekommen war. Kleinere offene Studien hatten Hinweise darauf ergeben, daß Botulinumtoxin A in die perikranielle Muskulatur gespritzt bei Spannungskopfschmerzen prophylaktisch wirkt. Dieses Therapiekonzept sollte jetzt in einer randomisierten prospektiven plazebokontrollierten Studie an Migränepatienten untersucht werden. In die in den Vereinigten Staaten durchgeführte Studie wurden 123 Patienten mit Migräne eingeschlossen, die an zwischen zwei und acht mittelschweren bis schweren Attacken/Monat litten. Die Injektion mit Botulinumtoxin Typ A 25U oder 75U erfolgte einmalig in die perikranielle Muskulatur im Bereich der Stirn und der Temporalregion. Die Kontrollen erhielten eine Injektion des Lösungsmittels ohne Botulinumtoxin. Die Patienten erfaßten zunächst die Kopfschmerzhäufigkeit und Charakteristik über einen Monat und dann für weitere drei Monate nach der Injektion. In der Baseline betrug die mittlere Häufigkeit der Migräneattacken zwischen 4 und 4,8/Monat und die durchschnittliche Dauer zwischen 32 und 36 Std.

Unter Plazebo kam es zu einer durchschnittlichen Abnahme der Migränefrequenz um 0,8 Attacken/Monat. Dasselbe Ergebnis wurde mit der 75U Botulinumtoxin A erreicht. Unter 25U Einheiten Botulinumtoxin kam es nach einem Monat zu einer Abnahme von 1,2 Attacken, nach 2 Monaten um 1,6 Attacken und nach drei Monaten um 2 Attacken. Diese Unterschiede waren für den Monat 2 und 3 signifikant. Für die 25U-Dosis ergab sich auch eine Reduktion in der Intensität der Migräneattacken und die Tage, an denen Migränemittel eingenommen werden mußten. Bei der höheren Dosis kam es in sechs Fällen zu einer Ptosis und in zwei Fällen zu Doppelbildern.

Kommentar:

Obwohl die hier vorgelegte Studie ein positives Ergebnis erbrachte, gibt es viele ungeklärte Fragen. So ist völlig ungeklärt, warum eine niedrigere Dosis von Botulinumtoxin wirksam ist, während die höhere Dosis keine Wirkung hat. Pathophysiologisch ist auch bei der Migräne schwer zu verstehen, wie eine Schwächung der perikraniellen Muskulatur das Auslösen von Migräneattacken verhindern soll. Das Konzept ist in der Therapie des Spannungskopfschmerzes eher nachzuvollziehen. Die Autoren der vorliegenden Studie haben leider versäumt, ihre Patienten jenseits des 3. Behandlungsmonates weiter zu beobachten, um herauszufinden, wie lang der therapeutische Effekt anhält. Ein routinemäßiger Einsatz von Botulinumtoxin zur Migräneprophylaxe sollte allerdings nur dann erfolgen, wenn durch weitere, insbesondere Dosisfindungsstudien und Vergleichsstudien mit anderen Prophylaktika wie Betablockern oder Flunarizin, die hier gewonnenen Therapieresultate repliziert werden können (HCD).

* Grossmann M, Schmidrams H.

An extract of Petasites hybridus is effective in the prophylaxis of migraine. Int J Clinic Pharmacol Therap 2000; 38:430-435

In dieser randomisierten, parallelisierten Placebo-kontrollierten doppelblinden migräne-prophylaktischen Studie wurde ein C02-Extrakt der Pestwurz (Petasites hybridos) bei jeweils 30 Patienten untersucht, wobei die Studienmedikation nach einer Run-In-Phase von vier Wochen über drei Monate verabreicht wurde. Im Vergleich zur Baseline und gegen Placebo nahm die Frequenz der Migräneattacken im dritten Monat signifikant um 60% ab. Gleiches galt für die Zahl der Migränetage pro vier Wochen. Abgesehen davon, daß der Wirkungsmechanismus von Petadolex bei der Migräne weitgehend ungeklärt ist, zeigt diese Untersuchung exemplarisch methodische Fehler. Nach den IHS-Kriterien gilt zwar die Migräneattackenfrequenz als primäres Zielkriterium, allerdings geht man davon aus, daß die Zahl der Attacken üblicherweise im dritten Monat eine mindestens 50%ige Reduktion im Vergleich zur Baselinephase zeigen sollte. Unter diesen Bedingungen hätte die Zahl der Teilnahmepatienten in beiden Gruppen deutlich höher sein müssen. Würde für die Gesamtstudie eine Irrtumswahrscheinlichkeit (experiment-wise error) von 5% (alpha = 0.05) und eine Power von 80 (1-beta=0,8) zugrunde gelegt, müßten bei zwei Gruppen mindestens 2×52 Patienten untersucht werden, wenn man eine relative Verumüberlegenheit um mindestens 1,0 Attacken nachweisen möchte. Rechnet man eine drop-out-Rate von ca. 10-15% hinzu, kommt man pro Gruppe auf eine Fallzahl von 60 Patienten, entsprechend einer Gesamtfallzahl von 120 Patienten. Selbst die für eine Interims-Analyse benötigte Fallzahl läge noch über der in dieser Studie untersuchten Patientenzahl.

Petadolex wird in der Roten Liste als Spasmoanalgetikum bei Migräne, Rücken- und Nackenschmerzen aufgeführt sowie bei Asthma. Es ist anzunehmen, daß diese Studie wegen einer Nachzulassung der Indikation Migräne durchgeführt wurde. Dementsprechend wäre es angezeigt gewesen, eine Dosis-Findungsstudie durchzuführen, da nicht ersichtlich ist, warum die jetzige Dosierung mit 25mg Petadolex gewählt wurde. Darüber hinaus fehlen Angaben zur Attackenmedikation. Die Erfahrung lehrt, daß in einer Reihe von Studien in den letzten Jahren die Ergebnisse dadurch kontaminiert wurden, daß Triptane eingesetzt wurden. Darüber hinaus fehlen Angaben zur Definition zur Dauer der Migräneattacke (ist eine Unterbrechung des Migränekopfschmerzes von weniger als 24 Stunden noch dieselbe Migräne oder eine erneute Attacke). Dadurch wird natürlich die Zahl der Tage mit einer Migräne bzw. die Dauer der einzelnen Migräneattacke nicht präzise bestimmt.

Zusammenfassung:

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß allein die Abnahme der Migräneattackenfrequenz als Absolutwert nicht ausreicht, um eine Aussage über die Wirksamkeit einer Substanz zu machen. Dementsprechend muss die jetzige Studie als nicht ausreichend beweiskräftig für den Effekt von Petadolex in der Migräneprophylaxe angesehen werden. (VP)

** Luciani R, Carter D, Mannix L, Hemphill M, Diamond M, Cady R.

Prevention of migraine during prodrome with naratriptan. Cephalalgia 2000;20:122-126

Zusammenfassung:

Der Traum aller Migränetherapeuten wäre es, eine Migräneattacke schon zu verhindern, wenn der Patient Prodromalsymptome verspürt. Die Behandlung einer Migräneattacke mit einem Triptan, wenn die Aurasymptome vorhanden sind, ist nicht wirksam. Dies ist für alle Triptane belegt worden. Die amerikanischen Autoren untersuchten nun an Patienten mit eindeutig identifizierbaren Prodromalzeichen, ob eine frühzeitige Behandlung mit Naratriptan das Auftreten späterer Kopfschmerzen verhindern kann. Es handelte sich um eine offene Studie an Patienten, die 4-24 Std. vor Beginn der Kopfschmerzen eindeutige Prodromalsymptome hatten. Eingeschlossen wurden 33 solcher Patienten. 20 Patienten beendeten die Baseline- und die Behandlungsphase. In der Phase vor der Behandlung berichteten die 20 Patienten über 59 Prodromalphasen. Die häufigst berichteten Prodromalsymptome waren Leistungsminderung, Stimmungsschwankungen, vermehrte Reizbarkeit, Heißhunger auf Essen und Muskelschmerzen. Bei allen Patienten kam es nach der Prodromalphase zu Kopfschmerzen. Für die nächste Phase konnten die Patienten 2,5 mg Naratriptan einnehmen, wenn die Prodromalsymptome auftraten. In dieser Phase kam es 63mal zu Prodromalsymptomen. Bei 60% der Attacken traten keine Kopfschmerzen auf. Die Ergebnisse könnten nahelegen, daß eine Behandlung mit Naratriptan während der Prodromalphase das Auftreten von Kopfschmerzen verhindern kann.

Kommentar:

Wenn sich die Ergebnisse dieser Studie in einem doppelblinden Design bewähren würden, würden sie viele der pathophysiologischen Vorstellungen zur Entstehung der Migräne und zur Wirkung der Triptane über den Haufen werfen. Es muß allerdings kritisch angemerkt werden, daß es sich um eine offene Studie handelt und daß in diesen Fällen ein Plazeboeffekt von bis zu 60% nicht ungewöhnlich wäre. Es gibt daher also im Moment keinerlei Grund, Triptane bereits in der Prodromalphase einzusetzen. (HCD)

** Hershey AD, Powers SW, Bentti A-L, deGrauw TJ.

Effectiveness of amitriptyline in the prophylactic management of childhood headaches. Headache 2000;40:539-549

Zusammenfassung:

Leider treten Kopfschmerzen auch bereits häufig bei Kindern auf. Die Inzidenz der kindlichen Migräne wird mit 3-11% angegeben und die Häufigkeit chronischer Spannungskopfschmerzen unter dem 18. Lebensjahr mit 1-2%. Viele Therapieempfehlungen zur Behandlung kindlicher Kopfschmerzen führen u.a. trizyklische Antidepressiva auf, obwohl es dazu bei Kindern und Jugendlichen fast keine prospektiven Studien gibt. Die amerikanischen Autoren versuchten daher, in einer offenen Studie die Wirksamkeitn von Amitriptylin bei kindlichen Kopfschmerzen zu belegen. Für die Aufnahme in die Studie gab es keine Altersbegrenzung. In der Screeningphase wurden 279 Jungen und Mädchen mit mehr als drei Kopfschmerztagen im Monat gesehen. 192 wurden in die Studie aufgenommen. Dabei handelte es sich um 70 Jungen und 122 Mädchen. Das mittlere Alter bei Beginn der Kopfschmerzen lag bei 8,9 Jahren und das Alter bei Aufnahme in die Studie bei durchschnittlich 12 Jahren. Die mittlere Zahl der Kopfschmerztage betrug 17/Monat und die mittlere Schwere der Kopfschmerzen wurde auf einer verbalen Skala zwischen 0-10 mit 6,8 angegeben. Die durchschnittliche Dauer der Kopfschmerzen/Tag betrug 11,5 Std. Bei 60,6% der Kinder wurde eine Migräne, bei 7,9% eine Migräne mit Aura und bei 10,4% lag ein Spannungskopfschmerz vor. Bei den übrigen lagen Kombinationskopfschmerzen vor. Nachuntersuchungen fanden nach 67 Tagen bei 146 Kindern statt (76%), bei 52% nach 149 Tagen, bei 32% nach 213 Tagen und bei 21% nach 281 Tagen.

Die Behandlung selbst erfolgte mit 1 mg/kg Amitriptylin/Tag. 84,2% der Kinder berichteten über eine Besserung der Kopfschmerzen. Die Häufigkeit der Kopfschmerzen reduzierte sich auf 9,2 Tage/Monat. Die mittlere Intensität ging auf 5,1 zurück und die mittlere Dauer auf 6,3 Std. Wurden Kinder mit täglichen oder fast täglichen Kopfschmerzen ausgeschlossen, war die therapeutische Wirkung sogar ausgeprägter. Auch die Zahl der Tage, die in der Schule wegen Kopfschmerzen ausfielen, gingen zurück. Nebenwirkungen wurden leider nicht systematisch erfaßt. Der therapeutische Effekt hielt bis zu 415 Tage nach Beginn der Therapie an.

Kommentar:

Kindliche Kopfschmerzen werden leider sowohl in der klinischen Betreuung wie in der Wissenschaft mit wenig Aufmerksamkeit betrachtet. Es gibt leider sehr wenige randomisierte bzw. plazebokontrollierte Studien zur Prophylaxe von Kopfschmerzen bei Kindern. Auch die hier vorliegende Studie ist offen und nicht plazebokontrolliert. Die Autoren begründen dies damit, daß sie es für ethisch nicht vertretbar hielten, Kinder mit Schmerzen über längere Zeit mit Plazebo zu behandeln. Dies schmälert allerdings die Aussagekraft der hier vorliegenden Studie, da nicht genau geklärt werden kann, inwieweit der Behandlungserfolg tatsächlich auf Amitriptylin zurückgeht bzw. wie häufig der Effekt auf eine Plazebowirkung beruhte. Da die Studie nicht randomisiert war, ist auch nicht ersichtlich, warum Kinder die Behandlung abbrachen. Dies ist besonders bemerkenswert, da beispielsweise nicht erfaßt wurde, wie häufig dies aufgrund von Nebenwirkungen geschah. Zusammengefaßt wurde aber Amitriptylin offenbar erstaunlich gut vertragen und die prophylaktische Wirkung hielt über lange Zeit an. Praktikabel ist auch die hier verwendete Dosierung von 1 mg/kg Körpergewicht, die einmal täglich am Abend appliziert wird. Wünschenswert wäre allerdings neben einer plazebo-kontrollierten Studie auch eine Vergleichsstudie mit einem etablierten Migräneprophylaktikum wie einem Betablocker. (HCD)


DMKG