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Kopfschmerz-News

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06. Migräne, Akuttherapie

**** Bomhof M, Paz J, Legg N, Allen C, Vandormael K, Patel K and the Rizatriptan-Naratriptan Study Group. Comparison of rizatriptan 10 mg vs. naratriptan 2,5 mg in migraine. Eur Neurol 1999;42:173-179.

Es gibt in der Zwischenzeit eine ganze Reihe von spezifischen Serotoninagonisten zur Behandlung akuter Migräneattacken. Diese Substanzen unterscheiden sich pharmakologisch in ihrer Resorption, Pharmakokinetik und im Rezeptorbindungsverhalten. Ob diese pharmakologischen Eigenschaften Konsequenzen für die klinische Wirksamkeit haben, kann nur dann belegt werden, wenn es entsprechende direkte Vergleichsstudien gibt. Rizatriptan ist der letzte zugelassene Serotoninagonist während Naratriptan bereits seit langem für die Behandlung der Migräne eine Zulassung hat. In die Studie wurden insgesamt 618 Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren aufgenommen, die nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft unter einer Migräne litten. Die Studie wurde als randomisierte Placebo-kontrollierte doppelblinde Studie durchgeführt. Die Behandlung erfolgte entweder mit 2,5 mg Naratriptan, 10 mg Rizatriptan oder Placebo. Gemessen wurde die Intensität der Kopfschmerzen nach 30 Minuten, 1 Std, 1,5 Std., 2 Std., 3 Std., 4 Std., 12 Std. und 24 Std., die Zeit bis zu der der Kopfschmerz von schwer oder mittelschwer auf leicht oder keine Kopfschmerzen gebessert war und als primärer Endpunkt der Zeitraum innerhalb der ersten 2 Std. bis zur Besserung der Kopfschmerzen. Nur 522 der 618 randomisierten Patienten nahmen tatsächlich Studienmedikation ein. Es waren 107 in der Placebogruppe, 201 in der Rizatriptangruppe und 214 in der Naratriptangruppe. Für den primären Zielparameter, nämlich die Zeit bis zur Besserung der Kopfschmerzen innerhalb der ersten zwei Stunden ergab sich eine signifikante Überlegenheit von Rizatriptan gegenüber Naratriptan. Statistisch wird dies ausgedrückt als eine hazard ratio, die in diesem Fall 1,62 mit einem 95% Konstellenzintervall von 1,26 bis 2,09 betrug.

In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient innerhalb der ersten zwei Stunden eine Besserung der Kopfschmerzen erlebt mit Rizatriptan 62% höher ist als mit Naratriptan. In traditionellen Maßen ausgedrückt, war die Besserung der Kopfschmerzen nach zwei Stunden unter Placebo 22,4%, unter Rizatriptan 10 mg 68,7%, unter Naratriptan 2,5 mg 48,4%. Schmerzfrei nach zwei Stunden waren 8,4% in der Placebogruppe, 44,8% in der Rizatriptangruppe und 20,7% in der Naratriptangruppe. Auch in den übrigen Zielkriterien, nämlich den vegetativen Begleiterscheinungen und der funktionellen Behinderung war Rizatriptan überlegen. Wieder auftretende Kopfschmerzen innerhalb von 24 Std. wurde bei 33% der Patienten in der Rizatriptangruppe, 21% in der Naratriptangruppe und 25% in der Placebogruppe beobachtet. Nebenwirkungen, die auf die Studienmedikation bezogen wurde, traten in 13% in der Placebogruppe auf, in 27% in der Rizatriptangruppe und 19% in der Naratriptangruppe. Rizatriptan hatte etwas häufiger zentrale Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel und Benommenheit.

Kommentar: Auf lange Sicht wird für die Plazierung der einzelnen Triptane nur der direkte Vergleich der einzelnen Triptane tatsächlich eine Aussagekraft haben. Deswegen ist es besonders wertvoll, wenn wie in diesem Fall ein neues Migränemittel mit einem bereits längeren zugelassenen Migränemittel verglichen wird.

Die Studie bestätigt das, was man aus indirekten Vergleichen und der klinischen Erfahrung bereits vorhersagen konnte, nämlich das Rizatriptan 10 mg wirksamer ist als Naratriptan 2,5 mg. Ob es allerdings dazu eines neu erfaßten Parameters, nämlich der Zeit bis zum Wirkungseintritt bedurfte, darf man anzweifeln. Auch die traditionellen Maße, nämlich Besserung der Kopfschmerz innerhalb von zwei Studen waren für Rizatriptan signifikant. Naratriptan hat allerdings, wie aus früheren Studien bekannt, bei einer schlechteren Wirksamkeit aber auch geringere Nebenwirkungen und ein geringeres Wiederauftreten der Kopfschmerzen. Daher hat auch diese Substanz für eine kleine Patientenpopulation eine Daseinsberechtigung. (HCD)

**** Salonen R, Ashford EA, Gibbs M, Hassani H, and the Sumatriptan Tablets S2CM11 Study Group. Patient preference for oral sumatriptan 25 mg, 50 mg, or 100 mg in the acute treatment of migraine: a double-blind, randomized, crossover study, Int J Clin Pract. 1999; Suppl. 105:16-24.

Zusammenfassung: Sumatriptan ist in Deutschland als orale Applikation in einer Dosis von 50 und 100 mg zugelassen. In den Vereinigten Staaten beträgt die zugelassene Dosis 25 und 50 mg. Die hier durchgeführte Studie sollte untersuchen, ob es aus Sicht des Patienten eine bestimmte bevorzugte Dosis von Sumatriptan gibt, die das beste Verhältnis von Wirkung und Nebenwirkung aufweist. Die Studie wurde als doppel-blinde randomisierte cross-over-Studie durchgeführt, wobei die Patienten gebeten wurden, je drei Migräneattacken zu behandeln. Die Dosierungen von Sumatriptan waren entweder 25 mg, 50 mg oder 100 mg. In einem Tagebuch sollten die Patienten festhalten, wie sich die Kopfschmerzen und die Begleiterscheinungen besserten, ob sie wiederauftretende Kopfschmerzen erneut behandeln mußten und wie sie global Wirksamkeit und Nebenwirkung beurteilten. Insgesamt wurden 331 Patienten randomisiert. 299 behandelten mindestens eine Migräneattacke. 257 Patienten behandelten alle drei Attacken. 77% der Patienten hatten eine Migräne ohne Aura und 82% waren Frauen. Bezogen auf den primären Endpunkt zogen 34,6% (n=89) die 100 mg Dosis Sumatriptan, 30,4% (78) die 50 mg Dosis und 20,6% (53) die 25 mg Dosis vor. 13 Patienten hatten keine Präferenz. 15 Patienten wollten kein weiteres Sumatriptan mehr einnehmen und 5 Patienten füllten ihre Tagebücher nicht ausreichend aus. Gründe für die Präferenz waren gute Wirksamkeit für die 50 und 100 mg Dosis und rascher Wirkungseintritt. Die Verträglichkeit spielte dabei keine Rolle. Bezogen auf die Wirksamkeit waren nach zwei Stunden die 100 und 50 mg Dosis wirksamer als die 25 mg Dosis und nach vier Stunden war die 100 mg Dosis wirksamer als die 25 mg und 50 mg Dosis. Die Nebenwirkungen entsprachen denen, wie sie üblicherweise für Sumatriptan bekannt sind. Wiederauftretende Kopfschmerzen bei Patienten, bei denen es vier Stunden nach Einnahme zu einer signifikanten Besserung der Kopfschmerzen gekommen war, betrugen zwischen 38% und 33% für die 25 mg, 50 mg und 100 mg Dosis. Der Zeitraum bis zum Wiederauftreten der Kopfschmerzen betrug 8,5, 10,5 und 11,8 Std. für die drei unterschiedlichen Dosierungen. Patienten präferieren die 50 und 100 mg Dosis oralen Sumatriptans gegenüber der 25 mg Dosis. Die 25 und 50 mg Dosierung werden allerdings besser vertragen.

Kommentar: Die Daten dieser Studie sind komplementär zu einer offenen Studie von Paffenrath et al (Headache 1998;38:184-190), in der die Patienten ebenfalls die Wahl zwischen verschiedenen Dosierungen von Sumatriptan hatten ADDIN ENRfu (1). Der Vorteil der hier vorliegenden Studie ist allerdings, dass sie doppelblind durchgeführt wurde. Die Studie belegt, dass für die Besserung der Kopfschmerzen nach zwei Stunden zwischen 50 und 100 mg Sumatriptan kein großer Unterschied besteht. Nach vier Stunden sind allerdings 100 mg wirksamer. Dieser Unterschied drückt sich allerdings nicht in der Präferenz aus, die für 50 mg und 100 mg identisch ist. Dies könnte bedeuten, dass die Patienten tatsächlich eine sehr sorgfältige Abwägung zwischen Wirksamkeit und Nebenwirkungen machen. Insgesamt werden trotz der Nebenwirkungen höhere Dosierungen bevorzugen. Dies liegt daran, dass die höheren Dosierungen besser und schneller wirken. (HCD)

**** Dowson AJ, Ashford EA, Prendergast S, Hassani H, Robert GW, Flöter T, Szczudlik A. and the Sumatriptan Tablets S2CM10 Study Group. Patient-selected dosing in a six-month open-label study evaluating oral sumatriptan in the acute treatment of migraine. Int J Clin Pract. 1999; Suppl. 105:25-33

Zusammenfassung: Sumatriptan ist eines der neuen hochwirksamen Migränemittel, das in diesem Jahr sein 10jähriges Jubiläum feiert. Die Entwicklung zur Markteinführung verlief in Europa und den Vereinigten Staaten gegensätzlich. In Europa wurden zunächst hohe Dosierungen in klinischen Studien untersucht und deshalb als erste Dosis die 100 mg Dosis eingeführt. Die Zulassungsbehörde in den Vereinigten Staaten forderte dagegen, die unterste wirksame Dosis zu identifizieren und dort wurde zunächst eine Dosierung von 25 und 50 mg zugelassen.

Das Ziel der hier durchgeführten Studie war, festzustellen, welche der Dosierungen in einem offenen Design aus Sicht des Patienten das optimale Verhältnis aus Wirksamkeit und Nebenwirkungen hat. In die Studie wurden typische Migränepatienten mit Migräne mit und ohne Aura aufgenommen. Alle Patienten wurden gebeten, die drei nächsten Migräneattacken jeweils mit 50 mg Sumatriptan zu behandeln. Je zwei weitere Dosierungen standen zur Behandlung wiederkehrender Kopfschmerzen zur Verfügung, wobei die Höchstdosis von drei Dosierungen in 24 Std. nicht überschritten werden durfte. Nachdem drei Attacken behandelt worden waren, hatten die Patienten die Wahl, bei der selben Sumatriptandosis zu bleiben oder die Dosis zu verdoppeln oder zu halbieren. Nach der Behandlung sechs weiterer Attacken war die Studie abgeschlossen. Die Patienten wurden gebeten, in Kopfschmerztagebüchern die Wirkung auf die Kopfschmerzen, auf die autonomen Begleiterscheinungen und auf die allgemeine Funktionsfähigkeit festzuhalten. Es wurde die typische “Glaxoskala” mit starken Kopfschmerzen, mittelstarken Kopfschmerzen, leichten Kopfschmerzen und keine Kopfschmerzen verwendet. Ursprünglich wurden 728 Patienten in die Studie eingeschlossen, von denen 407 wenigstens eine Attacke und 338 mindestens drei Attacken behandelten. Das mittlere Alter der Patienten betrug 42 Jahre, 86% waren Frauen. 19% litten unter einer Migräne ohne Aura, 55% unter einer Migräne mit Aura (!) und 26% unter einer Migräne mit und ohne Aura. Von den ursprünglich 338 Patienten, die ihre Attacken mit 50 mg Sumatriptan behandelten, entschlossen sich 12% (42) zunächst die niedrigere Dosis von 25 mg zu versuchen und 170 (50%) auf 100 mg zu steigern. In der Folgezeit verblieben etwa jeweils die Hälfte der Patienten, die 25 mg Sumatriptan genommen hatten, in dieser Dosisstufe, die andere Hälfte erhöhte die Dosis wieder auf 50 mg. Von den Patienten, die 100 mg eingenommen hatten, verblieben 97% bei 100 mg und 3% nahmen wieder 50 mg. Patienten, die zunächst bei 50 mg Sumatriptan geblieben waren, wechselten zu 7% auf 25 mg und zu 32% auf 100 mg. Typische Gründe, die Dosis zu reduzieren waren Nebenwirkungen und um die Dosis zu erhöhen mangelnde Wirksamkeit. Die Wirksamkeit nach zwei Stunden betrug 50% für die 25 mg Dosis, 55% für die 50 mg Dosis und 56% für die 100 mg Dosis. Erwartungsgemäß besserte Sumatriptan auch die vegetativen Begleiterscheinungen und die allgemeine Funktionsfähigkeit.

Sehr interessant ist die Beobachtung, dass zwischen 53 und 61% der Attacken mit einer zweiten Dosis Sumatriptan behandelt wurde, obwohl keineswegs ein eindeutiges Wiederauftreten der Kopfschmerzen vorhanden war. Diese Patienten hatten unter Verletzung des Studienprotokolls eine zweite Dosis wegen einer nicht ausreichenden Wirkung der ersten Dosis eingenommen. Bei zwischen 19% und 32% der Attacken wurde eine dritte Dosis innerhalb von 24 Std. eingenommen. Zwischen 32 und 35% aller Patienten notierten Nebenwirkungen. Zwischen den drei Dosierungen fanden sich keine Unterschiede. Die häufigsten Nebenwirkungen, die möglicherweise mit der Medikation zusammenhingen, waren Muskelschmerzen, unsystematischer Schwindel, Druckgefühl generell, Druckgefühl im Bereich der Brust und Dysästhesien.

Kommentar: Die üblichen zulassungsrelevanten Studien für Kopfschmerzmittel sind zwar wissenschaftlich perfekt durchgeführt, häufig aber nicht sehr praxisrelevant. Dies gilt insbesondere für Dosisfindungsstudien. Die beste Möglichkeit herauszufinden, welche Dosis für einen individuellen Patienten das beste Verhältnis aus Wirkung und Nebenwirkung bietet, ist es, die Dosierung freizustellen und den Patienten herausbekommen zu lassen, welche Dosis er präferiert. Dies entspricht auch am ehesten dem klinischen Alltag. Diese große, offene Studie zeigt überzeugend, dass es keine relevanten Unterschiede in der Wirkung zwischen der 25 mg, 50 mg und 100 mg Dosis von Sumatriptan gibt. Dies haben übrigens auch Vergleichsstudien mit anderen Migränemitteln ergeben. Trotz der etwas häufigeren Nebenwirkung bei der höheren Dosierung präferieren allerdings die meisten Patienten die höheren Dosierungen, was dafür spricht, dass individuell eine gute Wirkung höher erachtet wird als die Nebenwirkungen. Das hier vorgestellte Studiendesign ist auch eine gute Methode, um im klinischen Alltag herauszubekommen, welche Dosis für einen individuellen Patienten am besten wirksam ist. Erschreckend ist allerdings, die hohe Zahl der Patienten, die eine zweite und dritte Dosis pro 24 Std. von der Studienmedikation einnahmen. Bemerkenswert ist auch der hohe Anteil der Patienten, die eine Migräne mit Aura angaben. Die Erklärung mag darin liegen, dass der Großteil der teilnehmenden Studienzentren Anästhesisten und nicht Neurologen waren, so dass möglicherweise unsystematische Sehstörungen als visuelle Aura verkannt wurden. (HCD)

** Maizels M, Geiger AM. Intranasal lidocaine for migraine: a randomized trial and open-label follow-up. Headache 1999;39:543-551.

Zusammenfassung: In der Vergangenheit gab es eine Reihe von kleineren, zum Teil offenen, und einer doppelblinden Studie, die behaupteten, dass die intranasale Applikation von 4%igem Lidocain zur Behandlung von Migräneattacken wirksam sei. Ein Hauptkritikpunkt an diesen Studien ist, dass es aufgrund der lokalen Wirkung kaum möglich ist, Lidocain zu “verblinden”. Die hier vorgelegte Studie bestand aus zwei Teilen. Zunächst wurden die Patienten in eine doppelblinde randomisierte Placebo-kontrollierte Studie eingeschlossen. Anschließend konnten die Patienten, wenn sie dies wünschten, in einer offenen Studie beliebig viele Migräneattacken mit Lidocain weiterbehandeln. 131 Patienten wurden in die Studie aufgenommen. 113 Patienten behandelten eine Attacke während des doppelblinden Studienarms und 74 Patienten nahmen an der offenen Studie teil. Die Patienten wurden instruiert, sich auf das Bett zu legen und den Kopf über die Bettkante hängen zu lassen. Dann sollten sie den Kopf zur Seite des Kopfschmerzes drehen und 0,5 ml der Studienmedikation über einen 30 Sekundenzeitraum in die Nase träufeln. Bei unilateralen Kopfschmerzen wurde die Studienmedikation auch nur unilateral appliziert, bei bilateralen Kopfschmerzen auf beiden Seiten. Die Patienten wurden gebeten, die Kopfschmerzen 5 und 15 Minuten nach Applikation der Studienmedikation zu beurteilen. Sie durften 30 Min. nach der Applikation der Studienmedikation eine Ausweichmedikation einnehmen.

In der doppelblinden Studie wurden insgesamt 95 Migräneattacken mit Lidocain und 108 Kopfschmerzattacken mit Placebo behandelt. Unter Lidocain kam es bei 35,8% der Patienten innerhalb von 15 Min. zu einer Besserung der Kopfschmerzen verglichen mit 7,4% in der Placebogruppe. 46,2% der Patienten in der Lidocaingruppe und 79,4% der Patienten in der Placebogruppe benutzten eine Ausweichmedikation. Wieder auftretende Kopfschmerzen innerhalb von 24 Std. wurden bei 20,6% der Patienten in der Lidocaingruppe und bei keinem der Patienten in der Placebogruppe beobachtet. In der offenen Studienphase behandelten 74 Patienten insgesamt 313 Migräneattacken. Der Erfolg der Studienmedikation betrug 41,2% nach 15 Min. Im Verlauf der sechs Monate kam es zu keinem Wirkungsverlust der Studienmedikation. Die Autoren schließen daraus, dass 4%iges intranasales Lidocain eine rasche und gute Wirkung bei Migräne hat.

Kommentar: Die hier vorliegende Studie ist in ihrem ersten Studienteil bzgl. der Fallzahl gerade eben ausreichend. Leider haben auch hier die Autoren keinerlei Anstrengungen unternommen, um eine Aufhebung der Verblindung durch die Lokalwirkung durch Lidocain zu erreichen. Leider wurden auch keinerlei Angaben darüber gemacht, wie gut die Wirkung von Verum und Placebo nach zwei Stunden war, so dass auch kein Vergleich mit anderen Studien und anderen medikamentösen Therapien möglich ist. Weitgehend unbrauchbar ist der offene Teil der Studie, da man voraussetzen kann, dass alle Patienten, bei denen keine ausreichende Wirksamkeit bestand, nicht weiter an der Studie teilnahmen. Weiterhin ist vom Studiendesign her fehlerhaft, dass nicht eine vordefinierte Anzahl von Migräneattacken behandelt wurde. Daher springen die Autoren in der Darstellung ihrer Methodik und Ergebnisse immer wieder zwischen Patienten und behandeln Migräneattacken hin und her, was ebenfalls keinen Vergleich mit anderen Therapien in anderen Studien erlaubt. Entgegen den Behauptungen der Autoren ist auch mit dieser Studie nicht bewiesen, dass die intranasale Gabe von Lidocain bei der Migräne wirklich wirksam ist. (HCD)

**** Krobot KJ, Steinberg HW, Pfaffenrath V. Migraine prescription density and recommendations. Results of the PCAOM Study. Cephalalgia 1999;19:501-519.

Zusammenfassung: Sowohl die Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft als auch andere nationale Kopfschmerz-Gesellschaften publizieren regelmäßig Therapie-Empfehlungen zur Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne, basierend auf klinischen Studien, den Regeln der Evidenz-basierten Medizin folgend, in Kombination mit einem Konsensus führender Kopfschmerzexperten. Bisher ist allerdings nicht systematisch untersucht worden, inwieweit sich diese Therapie-Empfehlungen auf das Verschreibungsverhalten niedergelassener Ärzte auswirken bzw. wie häufig die entsprechenden Therapie-Empfehlungen in der Praxis umgesetzt werden.

In der vorliegenden Studie wurde eine repräsentative Stichprobe von Praxen niedergelassener Ärzte erfasst, die etwa 1% aller Praxen niedergelassener Ärzte umfasste. In die Studie gingen alle Patienteninformationen ein, in denen als Diagnose Migräne genannt wurde. Der Erfassungszeitraum lag zwischen Dezember 1993 und November 1994, und es wurden dann alle Konsultationen und Verschreibungen bis zum Ende November 1996 verfolgt. Auf diese Weise wurden Arztbesuche und Verschreibungsverhalten im Rahmen der Migräne erfasst. Für die verschriebenen Medikamente wurden die folgenden Untergruppen gebildet: enterale oder parenterale Anwendung, Antiemetika, Analgetika, Kombination von Analgetika mit Antiemetika, Mutterkornalkaloide und Triptane (Sumatriptan) sowie Migräneprophylaktika. Im Rahmen der Prophylaxe waren Amitriptylin, Cyclandelat, DHE, Flunarizin, Lisurid, Methysergid, Metoprolol, Pizotifen, Propranolol und Valproinsäure akzeptabel. Zur damaligen Zeit war als einziges Triptan Sumatriptan in oraler und subkutaner Form verfügbar. Insgesamt wurden 4.636 Männer und 16.573 Frauen erfasst. 93% der Patienten waren gesetzlich und 7% privat versichert. In der Anamnese hatten 36% der Männer und 47% der Frauen Migräne angegeben. 77% der Praxen waren Praxen von Allgemeinmedizinern und 23% von niedergelassenen Internisten. 18% der Ärzte waren unter 39 Jahre alt und jünger, 56% waren zwischen 40 und 59 Jahre alt und die anderen 60 Jahre und älter.

Insgesamt wurden 102.350 Konsultationen erfasst, die mit der Migräneerkrankung zu tun hatten. Es wurden 90.540 Rezepte ausgefüllt. Die höchste Verschreibungshäufigkeit mit 55% waren Kombinationsanalgetika, die von der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft nicht empfohlen werden. An zweiter Stelle lagen andere Schmerzmittel und Therapeutika mit 18%, die ebenfalls nicht empfohlen werden. Von den empfohlenen Therapien wurden in abnehmender Reihenfolge verschrieben: 6% Analgetika und nicht-steroidale Antirheumatika als Monosubstanzen, 5% Sumatriptan, 5% eine Kombination von Metoclopramid und Paracetamol, 2% Antiemetika, 2% Mutterkornalkaloide (als Monosubstanz). Sechs Prozent aller Patienten erhielten eine Migräneprophylaxe entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft. Erwartungsgemäß nahm die Verschreibung für Migränemittel und Migräneprophylaktika mit dem Alter zu, wobei bei Frauen der Gipfel zwischen 40 und 60 Jahren liegt, bei Männern ebenfalls. Medikamente, die nicht den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG) entsprechen, wurden vier- bis fünfmal so häufig verschrieben wie Medikamente, die den Therapie-Empfehlungen entsprechen. Jüngere Patienten und Patienten, die von jüngeren Ärzten behandelt werden, wurden signifikant häufiger gemäß den Richtlinien der DMKG behandelt als ältere Patienten und Patienten, die von Ärzten betreut wurden, deren Alter über 60 Jahre lag.

Kommentar: Leider haben offenbar die Therapie-Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft keine durchschlagenden Konsequenzen für die Behandlung von Migränepatienten. Es werden immer noch ganz überwiegend Mischpräparate zur Akuttherapie der Migräne eingesetzt, obwohl deren Wirkung und der Nutzen-Risiko-Verhältnis durch prospektive Studien nicht belegt ist. Erfreulicherweise zeigt sich aber, dass Privatpatienten nicht anders behandelt werden als Kassenpatienten. Wichtig ist auch die Beobachtung, dass Patienten, die erstmals den Arzt aufsuchen, signifikant häufiger eine Behandlung entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft erhalten als Patienten, die sich bereits längere Zeit in Behandlung befinden. Dies könnte dafür sprechen, dass bei diesen Patienten die bisher durchgeführte Therapie nicht – wie notwendig – in gewissen Zeitabständen reevaluiert wird. Diese große Studie belegt, was aus dem praktischen Alltag und Berichten von Patienten leider bereits zu vermuten war, nämlich dass es offenbar sehr lange dauert, bis Therapie-Empfehlungen, basierend auf den Ergebnissen großer kontrollierter Studien in die klinische Realität umgesetzt werden. In der Praxis niedergelassener Allgemeinärzte und Internisten ist dies zum Teil nachzuvollziehen, da die entsprechenden Ärzte für eine Vielzahl chronischer Krankheitsbilder ihre Therapie an jeweils neue Therapie-Empfehlungen anpassen müssen.

Frapierend ist allerdings der große Kostenfaktor, der durch das Verschreiben von Medikamenten mit zweifelhafter Wirkung entsteht. Von jeweils 100 Mark, die für Medikamente ausgegeben wurden, wurden 53 Mark für Therapien ausgegeben, die nicht den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft entsprechen. Erfreulich ist die Beobachtung, dass jüngere Ärzte offenbar Therapie-Empfehlungen häufiger aufgreifen als ältere Kollegen. Bedenklich ist allerdings die Tatsache, dass Patienten, die sich bereits länger in Behandlung befinden, sehr viel seltener nach den Therapierichtlinien behandelt werden, was sehr dafür sprechen könnte, dass ein Teil der Verschreibungen vorgenommen wird, ohne dass die Validität des entsprechenden Therapiekonzeptes überprüft wird. (HCD)

**** O’Quinn S, Davis RL, Gutterman DL, Pait GD, Fox AW. Prospective large-scale study of the tolerability of subcutaneous sumatriptan injection for acute treatment of migraine. Cephalalgia 1999;19:223-31.

Zusammenfassung: Die subkutane Gabe von 6 mg Sumatriptan ist die wirksamste Behandlung einer akuten Migräneattacke. Da alle Triptane aber vasokonstriktive Eigenschaften haben, besteht insbesondere bei der subkutanen Gabe und gleichzeitig bestehenden Gefäßerkrankungen, wie einer ausgeprägten Angina pectoris, die Gefahr, dass es zu einem Myokardinfarkt oder malignen Herzrhythmusstörungen kommen kann. Nachdem es einige Berichte über tödliche Zwischenfälle nach subkutaner Gabe von Sumatriptan gegeben hatte, initiierte die Fa. Glaxo/Wellcome eine große prospektive Studie, an der über 3.000 Ärzte in den Vereinigten Staaten teilnahmen. In die Studie wurden Patienten mit einer Migräne mit oder ohne Aura, die über 18 Jahre alt waren aufgenommen. Sie gaben ihr schriftliches Einverständnis in die Studie und hatten mindestens 3 Migräneattacken im vorausgegangenen Jahr gehabt. Den Patienten wurde mitgeteilt, dass sie ergotaminhaltige Substanzen in einem 24 Std.-Fenster vor und nach der Applikation von Sumatriptan nicht anwenden durften. Die Patienten erhielten einen Autoinjektor und wurden instruiert, wie Sumatriptan subkutan zu applizieren war. Sie mußten sich regelmäßig im entsprechenden Studienzentrum wieder vorstellen, insbesondere dann, wenn die ersten vier Injektionen vorüber waren. Die Patienten mußten nach jeder behandelten Migräneattacke eine bestimmte Telefonnummer anrufen und Auskünfte über mögliche Nebenwirkungen geben. Nach jeweils vier behandelten Migräneattacken erhielten sie kostenlos weitere Ampullen von Sumatriptan zur Selbstbehandlung.

Nach den internationalen Richtlinien wurden die berichteten Nebenwirkungen in “normale” Nebenwirkungen kategorisiert, die bei der Gabe von Sumatriptan zu erwarten waren und in “schwerwiegende”, d.h. tödliche oder lebensbedrohliche Nebenwirkungen oder Nebenwirkungen, die zu einem Krankenhausaufenthalt führten. Insgesamt wurden 12.339 Patienten in die Studie aufgenommen. 86,3% waren Frauen, das mittlere Alter betrug 41 Jahre. Die Migräne bestand seit ca. 16,9 Jahren. 21% der Patienten hatten eine Migräne mit Aura. 85% der Patienten gaben an, außerordentlich selten Alkohol zu sich nehmen. Durchschnittlich wurden von den Patienten 15 Attacken innerhalb der 12monatigen Studiendauer behandelt. Einige wenige Patienten benötigten sehr häufige Gaben von Sumatriptan, so dass bei diesen ein medikamenten-induzierter Dauerkopfschmerz oder ein Sumatriptanabusus unterstellt werden muß. 507 Patienten (4,1%) berichteten über insgesamt 583 schwerwiegende Nebenwirkungen. In 20 Fällen (0,2%) war der behandelnde Arzt der Meinung, dass es eine kausale Beziehung zur Injektion von Sumatriptan gab. 118 Patienten brachen nach dem Auftreten der schwerwiegenden Nebenwirkungen die weitere Behandlung ab. Es kam insgesamt zu 25 Todesfällen, bei denen mit Ausnahme von 6 Todesfällen, keinerlei vaskulären Erkrankungen eine Rolle spielten. Sechs Patienten starben am Schlaganfall oder Herzinfarkt. Der mittlere Zeitraum zwischen der letzten Injektion von Sumatriptan und dem tödlichen Ereignis lag zwischen 5 und 329 Tagen.

Der Löwenanteil der berichteten schwerwiegenden Ereignisse hatte nichts mit der vermuteten vasokonstriktiven Wirkung von Sumatriptan zu tun. Insgesamt kam es zu 4 nicht tödlichen Schlaganfällen und zu drei transienten ischämischen Attacken (TIA). Bei zwei der Schlaganfälle bestand eine enge zeitliche Beziehung zwischen der Injektion von Sumatriptan und dem Schlaganfall. Alle 3 TIA’s traten mehr als 4 Tage nach der Injektion auf. 41 Patienten in der Studie litten bereits unter einer Epilepsie. Bei 3 Patienten kam es im zeitlichen Zusammenhang mit der Injektion zu einem epileptischen Anfall, wobei bei 2 der Fälle ein tatsächlicher Zusammenhang mit Sumatriptan unwahrscheinlich ist. Bei 36 Patienten kam es zu schweren Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Angina pectoris, Myokardinfarkt oder einer Kardiomyopathie. Die 3 Myokardinfarkte traten jeweils mindestens 3 Tage nach der letzten Injektion auf. Mit einer Ausnahme traten alle Attacken von Angina pectoris Tage nach der Injektion von Sumatriptan auf. Bei zwei Patienten bestand ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Injektion von Sumatriptan und Herzrhythmusstörungen. Ein dritter Patient hatte entgegen der Instruktionen, 3 Injektionen innerhalb von 24 Std. vorgenommen und Herzrhythmusstörungen entwickelt. Insgesamt hatten die Patienten, die vaskuläre Risikofaktoren aufwiesen, dasselbe Nebenwirkungsprofil wie Patienten ohne vaskuläre Risikofaktoren.

Kommentar: Diese offene und sehr wichtige Beobachtungsstudie legt nahe, dass die subkutane Injektion von Sumatriptan relativ sicher ist, wobei angemerkt werden muß, dass natürlich Patienten mit entsprechender Kontraindikation a priori von der Studie ausgeschlossen wurden. Dies belegt, dass bei Beachtung der Kontraindikation die subkutane Gabe von Sumatriptan sicher ist und das schwerwiegende vaskuläre Ereignisse erfreulicherweise außerordentlich selten auftreten. (HCD)


DMKG