Categories
Articles

Kopfschmerz-News

.

< – Inhaltsverzeichnis


02. Migräne, Klinik

*** Lindskog U, �dkvist L, Noaksson L, Wallquist J (1999) Benign paroxysmal vertigo in childhood: A long-term follow-up. Headache 39:33-37.

Das Syndrom des sog. benign paroxysmal vertigo (BPV) in childhood ist gekennzeichnet durch plötzliche Schwindelanfälle von Sekunden bis Minuten Dauer mit Steh- und Gehunfähigkeit sowie Nystagmus. Das Bewußtsein ist nicht gestört, allerdings können vegetative Begleitsymptome wie Blässe, Schweißausbruch und Erbrechen auftreten. Nach einer Phase von häufigen Attacken werden diese im Laufe von Monaten seltener und verschwinden spätestens nach einigen Jahren.

Die Ätiologie dieser Erkrankung ist unklar. Eine Beziehung zur Migräne wurde in einigen Literaturbeiträgen postuliert. Die obengenannte schwedische Arbeitsgruppe untersuchte in einer Langzeitverlaufuntersuchung die Prognose des Syndroms und den Zusammenhang mit Migräne und Kopfschmerz. Neunzehn Kinder, die in der Zeit zwischen 1975 und 1988 in der Kinder- und HNO-Klinik die diagnostischen Kriterien für BPV erfüllten, wurden 1994 nachuntersucht. Die Patienten waren zu der Zeit zwischen 18 und 24 Jahre alt. Alle hatten eine normale statomotorische und geistige Entwicklung durchgemacht. Es wurde eine Anamnese unter besonderer Berücksichtigung der Familie, Migräne, Kopfschmerz und Schwindel erhoben und eine neurologische Untersuchung, EEG, Audiometrie und Nystagmographie mit Kalorik durchgeführt. Alle Patienten waren zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung gesund. Das Alter bei Auftreten des Schwindels lag zwischen 5 Monaten und 8 Jahren (Median 3 Jahre), das Alter bei Remission lag zwischen 2 und 16 Jahren (Median 4.3 Jahre). Die Familienanamnese für Migräne war bei den BPV Patienten mit 39% deutlich geringer als im Durchschnitt bei Migränepatienten. 25% der weiblichen und 14% der männlichen Patienten in der geschilderten Studie entwickelten eine Migräne.

Somit war die Prävalenz von Migräne gegenüber der Normalpopulation in dieser Altersgruppe erhöht, wenn auch nicht statistisch signifikant. Die Inzidenz von Spannungskopfschmerz glich der einer Vergleichspopulation. Eine Patientin litt zusätzlich an einer paroxysmalen cervikalen Dystonie.

Die Audiometrie war bei allen Patienten unauffällig. Die kalorische Testung war normal bis auf wenige Ausnahmen, die von den Autoren als unwichtige pathologische Befunde (unimportant pathology) bezeichnet wurden.

Die Studie belegt wie auch schon vorausgegangene andere die gute Prognose des BPV. Augenscheinlich ist dieses kindliche Krankheitssyndrom kein unbedingter Vorläufer einer sich später entwickelnden Migräne. Es bestand zwar ein Trend zu erhöhter Migräneinzidenz, allerdings waren die Zahlen statistisch nicht signifikant.

Es erscheint somit gerechtfertigt, BPV nicht als isoliertes Symptom einer kindlichen Migräne, sondern möglicherweise einer anderen Pathophysiologie anzusehen. In diesem Zusammenhang wäre es möglicherweise von Interesse gewesen, mehr über die nystagmographischen Pathologika zu erfahren, die immerhin 6 Patienten aufwiesen. Leider werden diese Befunde einschließlich beobachteter Spontannystagmen präjudizierend unter der Titulation “unwichtige Pathologika” subsummiert. (OK)

*** Niederberger U, Gerber WD, Schiffer N (1998). Migräne und Schlaf. Retrospektive und prospektive Analyse anhand von Kopfschmerz- und Schlafprotokollen. Schmerz 12: 389-395

Es ist alltägliche klinische Erfahrung in der Betreuung von Migränepatienten, daß Migräneattacken häufig morgens aus dem Schlaf heraus auftreten und daß in diesen Nächten die Schlafqualität subjektiv herabgesetzt ist.

Verglichen mit dieser häufigen Beobachtung liegen nur relativ wenige Studien über die klinischen und pathophysiologischen Zusammenhänge von Schlaf und Migräne vor.

In der hier vorgelegten Studie aus dem Institut für Medizinische Psychologie der Universität Kiel sind Migränepatienten in einem retrospektiven und in einem prospektiven Design mit Tagebüchern nach ihrem Schlafverhalten und nach dem Auftreten von Migräneattacken befragt worden. Dabei konnte zum einen die klinische Erfahrung bestätigt bzw. statistisch gestützt werden, daß Migräneattacken am häufigsten aus dem Schlaf heraus auftreten und daß der Nachtschlaf vor den Migräneattacken qualitativ eingeschränkt ist.

Verkürzter Nachtschlaf vor Migräneattacken beruht auf einem früheren Erwachen, nicht auf einer späteren Einschlafzeit. Die subjektive Qualität des Schlafs wird retrospektiv als schlechter im Vergleich zu Nächten ohne nachfolgende Migräneattacke angegeben. Hier kann jedoch nicht zwischen einer eigenständigen Parasomnie z.B. als prodromales Symptom der Migräne und einer retrospektiv schlechter eingeschätzten Schlafqualität unter dem Eindruck der nachfolgenden Migräneattacken unterschieden werden. Objektiv kann allerdings eine vermehrte Aufwachfrequenz in den Nächten vor Migräneattacken nachgewiesen werden, die darauf hindeutet, daß die Schlafarchitektur in diesen Nächten bereits verändert ist, bevor die eigentliche Migräenattacke einsetzt.

Die Autoren bieten eine Reihe von Erklärungsansätzen für die von ihnen beobachteten Phänomene an. Zum einen kann ein gestörter Serotoninmetabolismus in den Nächten vor Migräneattacken diskutiert werden, der sowohl die Induzierung einer Attacke als auch ein vermindertes Auftreten von REM-Schlaf erklären würde. Zum anderen kann es in den Nächten vor Migräneattacken zu veränderten noradrenergen Mechanismen kommen, wie sie für die Tage vor Migräneattacken mittels Messung der Contingent Negative Variation von derselben Arbeitsgruppe bereits nachgewiesen sind. Insofern könnte der gestörte Nachtschlaf vor einer Migräneattacke als prodromales Symptom interpretiert werden.

Die Daten der hier vorgelegten Studie beruhen jedoch nur auf zwei kleineren Kollektiven von 23 (retrospektiv) bzw. 16 (prospektiv) Patienten, so daß allgemeine Aussagen, die über die allgemeine klinische Erfahrung hinausgehen, nur vorsichtig zu formulieren sind. Außerdem ist keine Polysomnographie durchgeführt worden, so daß alle Schlußfolgerungen über einen Zusammenhang von Migräne und von Schlafphysiologie letztlich spekulativ bleiben müssen.

Die von den Autoren geforderten größeren polysomnographischen Studien zur Schlafarchitektur von Migränepatienten sind daher dringend notwendig. (SE)

****Cologno D, Torelli P and Manzoni GC (1998) Migraine with aura: a review of 81 patients at 10-20 years’ follow-up. Cephalalgia 18:690-696.

Mit dieser Arbeit stellen die Autoren den Langzeitverlauf der Migräne, in diesem Fall Migräne mit Aura, auf eine solidere Basis.

Viele Mythen ranken sich um die Assoziation des Migräneverlaufs mit besonders der Menopause, der Einnahme oraler Antikonzeptiva oder der Prävalenz der Migräne während einer Schwangerschaft.

Das wesentliche Ergebnis dieser Studie ist ein erfreulicherer Verlauf der Migräne als bisher vielfach angenommen. Von den 81 Patienten (55 F, 26 M) waren nach einer Beobachtungszeit von 10 bis 20 Jahren 35 % mehr als ein Jahr attackenfrei, 19 % für mehr als 5 Jahre. Die Häufigkeit der Attacken hat ebenfalls bei 54,4 % der verbliebenen Patienten beträchtlich abgenommen, zugenommen nur bei einem Viertel der Patienten.

Ein Zusammenhang des Sistierens der Migräneattacke mit der Menopause konnte nicht gefunden werden. 24 Frauen waren über mindestens 3 Monate während der Beobachtungszeit auf orale Antikonzeptiva eingestellt worden. 10 dieser Patientinnen beschrieben eine Verschlechterung der Migräne mit Aura während der Einnahme der Pille, 13 berichteten über keine Veränderungen, nur 2 verbesserten sich.

Während 29 Schwangerschaften verbesserte sich die Migräne mit Aura bei 62 % der Patientinnen und verschlechterte sich bei 6,8. Diese Daten sind von Bedeutung in der Aufklärung der Patienten. Sie können den Patienten erklären, warum dubiose Therapieverfahren, wie sie wohl auch weiterhin in einer Vielzahl angewendet werden, häufig zu scheinbaren, auch anhaltenden “Erfolgen” führen können. (WP)

* Torelli P, Colono D, Manzoni GC (1999) Weekend headache: A retrospective study in migraine without aura and episodic tension-type headache. Headache 39:11-20.

Vertraut man den anamnestischen Angaben von Betroffenen, gewinnt man den Eindruck, daß Kopfschmerzen und hier insbesondere die Migräne an Wochenenden gehäuft auftreten (“Wochenendmigräne”).

Genau diese “Wochenendkopfschmerzen” sind Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Gibt es Wochenendkopfschmerzen, unterscheiden sie sich klinisch von episodischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp oder einer Migräne ohne Aura oder handelt es gar sich um eine eigene Kopfschmerzentität? Antworten auf diese Frage verspricht die Arbeit ­ liefern kann sie diese jedoch aufgrund methodischer Mängel nicht.

Datengrundlage sind nicht – wie bei der zu untersuchenden Fragestellung zu vermuten – prospektiv von den Patienten ausgefüllte Kopfschmerztagebücher, sondern allein die retrospektiven Angaben der Patienten zum Zeitpunkt des Erstinterviews in einer italienischen Kopfschmerzambulanz. Die Verläßlichkeit auf diese Weise gewonnener Daten ist grundsätzlich stark eingeschränkt.

Anhand der anamnestischen Daten wurden jeweils die Patienten mit Migräne ohne Aura bzw. episodischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp in 2 Gruppen eingeteilt, um diese dann miteinander zu vergleichen: Eine Gruppe mit gehäuftem Auftreten der Kopfschmerzen an Wochenenden und eine Gruppe ohne gehäuftem Auftreten an Wochenenden. Die entscheidende Definition aber, wann die Untersucher von einem gehäuften Auftreten ausgehen (mehr als 2 von 7 Kopfschmerztagen an Wochenenden oder gar Kopfschmerzen ausschließlich am Wochenende?) und wann nicht fehlt!

Die Untersucher kommen zu dem Ergebnis, daß 31 % der Patienten mit einer Migräne ohne Aura und 17 % der Patienten mit episodischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp von an Wochenenden gehäuft auftretenden Kopfschmerzen berichten. Diese Wochenendkopfschmerzen entsprächen in ihrem klinischen Erscheinungsbild der jeweilig vorliegenden Kopfschmerzform. Hier ist jedoch nicht nachzuvollziehen, weshalb von den Patienten, die angeblich unter wochenendlichen episodischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp gelitten haben sollen, nicht weniger als 44,4 % pulsierende Kopfschmerzen beklagten, 61,1% lichtüberempfindlich waren und alle entweder mittelstarke (66,7%) oder gar starke (33,3%) Kopfschmerzen angaben!

Hieraus abzuleiten, daß Kopfschmerzen vom Spannungstyp an Wochenenden eine stärkere Intensität aufweisen als während der Woche ist schlechterdings gewagt. Die vorliegende Arbeit zeigt deutlich wie problematisch Erhebungen und Schlußfolgerungen sind, die allein auf retrospektiven Patientenangaben und deren Interpretation beruhen. Die Studie ist jedenfalls wenig hilfreich, das Phänomen des Wochenendkopfschmerzes zu erhellen. (AHK)


DMKG