8. Andere Kopfschmerzen
**** Gómez-Aranda F, Canadillas F, Martí-Massó JF, Díez-Tejedor E, Serrano PJ, Leira R, Gracia M, Pascual J (1997). Pseudomigraine with temporary neurological symptoms and lymphocytic pleocytosis. A report of 50 cases. Brain 120: 1105-1113
Die sogenannte Pseudomigräne mit episodisch auftretenden, neurologischen Symptomen und einer lymphozytären Pleocytose ist ein Krankheitsbild, das erstmalig im Jahre 1980 beschrieben wurde. In der vorliegenden Arbeit wird nunmehr eine erste größere klinische Übersicht über 50 Patienten mit insgesamt 164 Kopfschmerzepisoden mitgeteilt. Die Diagnose der Pseudomigräne mit Pleocytose (PMP) sollte bei Patienten in Erwägung gezogen werden, die Männer sind, die zwischen dem 30. Und 50. Lebensjahr alt sind und das folgende klinische Bild aufweisen: 1. Episoden von mittelschwerden bis schweren bilateralen Kopfschmerzen, die von zeitlich und räumlich verändernden neurologischen fokalen Ausfällen begleitet werden, gewöhnlicherweise Taubheit in Mund- und Kinnbereich mit Aphasien und gelegentlich auch Fieber. 2. Komplette Remission der Beschwerden innerhalb von 2 Monaten. 3. Symptomfreiheit zwischen den einzelnen Episoden. 4. Eine lymphozytäre Pleocytose in Liquor cerebrospinalis ohne spezifischen ätiologischen Hinweis. 5. Normale neuro-radiologische Untersuchungen mit Ausnahme von vorübergehenden fokal erhöhten Radionuclidanreicherungen im Hirn-SPECT. 6. Zeitlich begrenzte fokale EEG-Veränderungen.Die klinischen Verläufe, die in einer großen Befragung in Spanien erhoben worden sind, ähneln den Symptomen, die in der internationalen Klassifikation von Kopfschmerzen entsprechend der Migräne mit prolongierten Aura dargelegt sind. Das besondere bei der Symptomatik bei der PMP ist die lymphocytäre Pleocytose im Liquor cerebro spinalis. Allerdings gibt es keine aussagekräftigen Studien über eine mögliche Zellzahlveränderung im Liquor cerebrospinalis während sonstiger Migräneattacken. In den wenigen vorliegenden Studien gibt es jedoch keine Hinweise darauf, daß bei Migräneattacken eine lymphocytäre Pleocytose im Liquor auftritt. Da aber die zeitlich ausgedehnte und schwerwiegende fokale Symptomatik am ehesten ein Anlaß dafür ist, daß eine Untersuchung des Liquor cerebrospinalis durchgeführt wird, könnte möglicherweise die sogenannte PMP eine besondere Subpopulation von besonders schwerwiegenden Migräneattacken mit Aura darstellen, die reaktiv eine lymphocytäre Pleocytose zur Folge hat. Spezifische Ursachen für eine lymphocytäre Pleocytose wurden anhand der Untersuchungsergebnisse ausgeschlossen, insbesondere eine Borreliose, eine Neurosyphillis, eine Neurobrucellose, Mycoplasmeninfektionen, HIV-Meningitis und eine granulomatöse beziehungsweise eine neoplastische Arrachnoiditis. Einige Autoren nehmen an, daß die PMP durch eine virale Meningoencephalitis verursacht wird. Da die Virusserologie bei den beschriebenen Patienten jedoch negativ war, vermuten die Autoren, daß diese Hypothese für die hier beschriebenen Patienten nicht zutrifft. Als mögliche Hypothese diskutieren die Autoren, daß ähnlich wie bei einer Poliradikulitis circa 30-40% der Patienten eine Virusinfektion im Vorfeld der Erkrankung aufwiesen. Infolgedessen, könnte durch die Virusinfektion eine Triggerung des Immunssystems induziert werden, welche Antikörper induziert die an Antigene in den cranialen Gefäßen binden können. Eine Konsequenz dieser Reaktion könnte eine aseptische Entzündung der Hirngefäße sein, die für den Kopfschmerz verantwortlich ist. Auch die vorübergehenden neurologischen fokalen Symptome könnten dadurch erklärt werden. (HG)
* Wallis BJ, Lord SM, Barnsley L, Bogduk N (1998). The psychological profiles of patients with whiplash-associated headache. Cephalalgia 18: 101-105
Als Folge eines erlittenen Schleudertraumas (ST) werden Kopfschmerzen (KS) von ungefähr der Hälfte der Betroffenen angegeben, ohne daß es dafür wissenschaftlich gesicherte organische Korrelate gibt. Diskutiert werden KS-Ursachen wie Nackenverletzungen, post-traumatische Verletzungen oder psychischer Streß. Anhand eines Vergleichs psychologischer Symptomprofile möchte die vorliegende Studie klären, wie sich das Profil von Personen mit ST-KS zu dem Profil von Personen mit post-traumatischen KS, mit nicht-traumatischen KS und Personen ohne KS verhält. Dazu wurden 55 Patienten mit ST-KS und 29 Patienten mit ST, aber ohne KS, anhand der international gut etablierten Symptom-Check-Liste (SCL-90) untereinander sowie mit der Normalstichprobe des Instruments verglichen. In einem weiteren Auswertungsschritt wurden die Profile der Studien-Stichprobe den Daten von Migränepatienten und Personen mit Spannungskopfschmerz (SKS) und anderen post-traumatischen KS gegenübergestellt. ST-Patienten mit und ohne KS sowie Patienten mit posttraumatischen KS unterschieden sich lediglich hinsichtlich der schmerzbezogenen Subskalen des SCL-90 deutlich von der Normalstichprobe. Zwischen den KS-Stichproben traten keine Unterschiede auf. Ein bedeutsamer Unterschied besteht jedoch im Vergleich dieser Patientengruppe mit Migränikern und SKS-Betroffenen: Patienten mit nicht-traumatischen KS zeigen in allen 9 Subskalen der SCL (inclusive der schmerzbezogenen Symptome) signifikant höhere Symptomausprägungen. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß die Beeinträchtigungen der (Schleuder-) Trauma-Patienten eine Folge des Traumas sind, aber geringer ausfallen als bei Nicht-Trauma-Patienten, da sie für ihre KS eine Erklärung hätten. Diese Folgerung unterstellt für die Schmerzwahrnehmung der Patienten eine einfache Ursache-Wirkungs-Beziehung und wird der Komplexität von Einflußfaktoren bei chronischen Schmerzen nicht gerecht. Ein weiterreichender Schluß der Autoren, aufgrund der Ähnlichkeit der psychologischen Profile die Patienten mit ST-KS den Patienten mit posttraumatischen KS gleichzusetzen und (bisher nur nicht gefundene) organische Korrelate anzunehmen, erscheint dagegen sehr gewagt. Zudem stehen alle Syndromvergleiche dieser Studie auf bedenklichem methodischem Boden: Es werden keine Angaben über die Dauer der Schmerzen gemacht (Ausnahme: ST-KS > 3 Monate), wodurch für die Zielgröße ‘psychische Beeinträchtigung’ eine Grundlage der Vergleichbarkeit nicht gegeben ist. Ferner gehen in die Berechnungen nur Mittelwerte, keine Streuungen ein, wodurch sich ein direkter statistischer Vergleich verbietet. (GF)
*** Zakrzewska JM, Chaudhry Z, Nurmikko TJ, Patton DW, Mullens EL (1997) Lamotrigine (Lamictal) in refractory trigeminal neuralgia: results from a double-blind placebo controlled crossover trial. Pain 73: 223-230
Die Effizienz der beiden Antikonvulsiva Carbamazepin und Phenytoin bei der Behandlung der Trigeminusneuralgie ist seit langem bekannt und gesichert. Sie gelten als die Mittel der ersten und zweiten Wahl. In der vorliegenden Studie an 14 Patienten mit medikamentös-therapieresistenter Trigeminusneuralgie wurde die Wirksamkeit des neuen Antikonvulsivums Lamotrigin bei der Behandlung dieser Schmerzform untersucht. Die Patienten erhielten als Zusatztherapeutikum entweder 400 mg Lamotrigin, welches innerhalb von 4 Tagen aufdosiert wurde oder Placebo und wurden weitere 10 Tage nachbeobachtet. Entsprechend einem Cross-over Design wurden hiernach Placebo und Lamotrigin in den beiden Behandlungsarmen ausgetauscht und weitere 10 Tage nachbeobachtet. Die Beurteilung der Wirksamkeit erfolgte anhand der Kriterien:
1. Ausmaß des Schmerzes anhand der Zahl der Schmerzattacken, der Schmerzintensität und der subjektiven Schmerzerleichterung oder
2. des Benutzens von Zusatzmedikation bei schweren Schmerzzuständen oder
3. einer Gesamtbeurteilungsskala. Insgesamt erbrachte die Studie Hinweise darauf, daß Lamotrigin bei der Behandlung der therapieresistenten Trigeminusneuralgie wirksamer ist als Placebo. Wegen der geringen Fallzahl und eines nicht unerheblichen Placebo-Effektes kann dies jedoch bestenfalls als erster Effektivitätshinweis verstanden werden, der zu weiterführenden Untersuchungen in größerem Umfang berechtigt. Zu berücksichtigen bleibt jedoch, daß es sich hier um die Gruppe der medikamentös-therapieresistenten Patienten handelte und ein Wirksamkeitshinweis hier als ethische Berechtigung verstanden werden kann, Lamotrigin zumindest in einer Pilotstudie schon primär bei Patienten mit neu aufgetretener Trigeminusneuralgie zu applizieren. Da sowohl Carbamazepin als auch Lamotrigin ihre Wirksamkeit durch Stabilisierung eines Typs des spannungsabhängigen neuronalen Natriumkanals entfalten, ist auch unter pathophysiologischen Gesichtspunkten eine Wirksamkeit von Lamotrigin bei der Behandlung der Trigeminusneuralgie möglich. (AH)
** Vilming ST, Kloster R (1997). Post-lumbar puncture headache: clinical features and suggestions for diagnostic criteria. Cephalalgia 17: 778-784
Die Autoren haben in einem großen Krankenhaus in Oslo die Häufigkeit und die Charakteristika postpunktioneller Kopfschmerzen nach diagnostischen Lumbalpunktionen untersucht. Achtundachtzig von 239 mit einer 20 G oder 22 G Nadel punktierten Patienten (36,8%) entwickelten postpunktionelle Kopfschmerzen. Frauen waren signifikant häufiger betroffen als Männer (45,2% bzw. 21,4%). Unterschiede der Häufigkeit bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen waren nicht signifikant. 53% der Patienten entwickelten die Kopfschmerzen innerhalb des ersten Tages, 89% innerhalb von 2 Tagen, die übrigen Patienten am dritten und vierten Tag nach der Punktion. Die postpunktionellen Kopfschmerzen hielten im Median 6 Tage an (Bereich 1-29 Tage). In 2 Fällen dauerten sie länger als die von der International Headache Society (IHS) definierten 14 Tage. Im Rahmen der Studie führten die Patienten ein Kopfschmerztagebuch mit Hilfe einer visuellen Analogskala und absolvierten täglich zweimal ein standardisiertes Aufrichtungsmanöver. Die Kopfschmerzen waren umso stärker, je schneller sie beim Aufrichten auftraten bzw. zunahmen (T1) und je schneller sie ihr Maximum erreichten (T2). Die Zeit bis zum Verschwinden bzw. zur Besserung beim erneuten Hinlegen (T3) korrelierte nicht mit der Kopfschmerzintensität. Im Median dauerte T1 20 sec (Bereich 0-265 min), T2 30 sec (Bereich 0-60 min), T3 20 sec (Bereich 0-15 min). Diese Befunde relativieren die von der IHS definierte maximale T1-Dauer von 15 min (T1 war bei 24,7% der Patienten einmal oder wiederholt länger als 15 min) und zeigen, daß die T3-Grenze mit 30 min (zu) großzügig definiert ist. Die mediane Kopfschmerzstärke im Liegen wurde von den Patienten auf der visuellen Analogskala mit 7 mm (Bereich 0-100 mm), die maximale Kopfschmerzstärke in aufrechter Position mit 58 mm (Bereich 6-100 mm) angegeben. Insgesamt handelt es sich um eine gute klinische Studie zur Charakteristisierung der postpunktionellen Kopfschmerzen. Die Ergebnisse passen auch nach Ansicht der Autoren zur Liquorleck-Theorie für die Entstehung der postpunktionellen Kopfschmerzen. Leider versäumen die Autoren jeden Hinweis, daß die Häufigkeit dieser von ihnen so intensiv studierten Kopfschmerzes durch die Verwendung atraumatischer Lumbalpunktionskanülen von 20-40% auf unter 10% reduziert werden kann. (MSch)