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Kopfschmerz-News SEPTEMBER 1997 Andere Kopfschmerzen


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VIII. Andere Kopfschmerzen

34. ** Schnider, P. Aull, S. Baumgartner, C. Merterer, A. Wöber, C. Zeiler, K. Wessely, P. (1996) Long-term outcome of patients with headache and drug abuse after inpatient withdrawal: five year follow-up. Cephalagia 16, 481-485

Aus einem Patientenkollektiv von 64 Kopfschmerz-Patienten der Universitätsklinik in Wien wurden 5 Jahre nach erfolgreichem stationärem Mdikamentenentzug 38 Patienten nachuntersucht. Ziel der Studie war festzustellen, wieviele Patienten noch immer in klinisch gebessertem Zustand waren, wie hoch die Rückfallrate war und ob Prädiktoren auszumachen waren.

19 Patienten (50%) hatten an weniger als 8 Tagen pro Monat Kopfschmerzen, wobei die meisten Änderungen der Frequenz und Intensität innerhalb der ersten zwei Jahre nach stationärer Entlassung angegeben wurden. 15 Patienten betrieben wieder einen Analgetika-mißbrauch. Prädiktoren wie Alter, Geschlecht o.ä. ließen sich nicht mit statistischer Evidenz ausmachen. Hervorzuheben ist der lange Beobachtungszeitraum über den die Patienten nachuntersucht wurden.

Die Autoren weisen selber auf die Möglichkeit hin, das Studiendesign durch das Erheben eines psychopathologischen Befundes zu optimieren, um eventuelle Komorbidität zu erfassen. Günstig wäre auch, künftige Studien mit regelmäßigen Kontolluntersuchungen im Beobachtungszeitraum durch-zuführen und mögliche Prädiktoren zu erheben, zum Beispiel wie lange vor dem stationärem Entzug ein Medikamentenmißbrauch bestanden hat. Interessant wären zudem Daten über den Langzeiteffekt von ambulanten Analgetikaentzügen, was vor allem in Hinblick auf die geringeren Kosten sinnvoll zu untersuchen wäre.

Zusammnefassend hebt diese mit viel logistischem Aufwand durchgeführte Studie die Effizienz stationärer Medikamentenentzüge hervor. (AG)

35. *** Hewitt DJ, McDonald M, Potenoy RK, Rosenfeld B, Passik S, Breitbart W (1997) Pain syndromes and etiologies in ambulatory AIDS patients. Pain 70: 117-123

Ziel dieser von einer New Yorker Arbeitsgruppe um W. Breitbart durchgeführten prospektiven Studie war die Evaluation der Art und der Ätiologien von Schmerzsyndromen bei Patienten mit einer HIV-Erkrankung im Stadium AIDS. Das Einschlußkriterium war die Angabe häufiger oder persistierender Schmerzen über die letzten 2 Wochen vor Studienbeginn.

Insgesamt nahmen an der Studie 151 Patienten teil (75% Männer, 43% sexuelle Übertragung, 24% durch iv.-Drogenbusus, 31% sowohl sexuelle als auch durch Drogenkonsum mögliche Übertragung, 2% durch Transfusion von Blutprodukten). Die Studie beinhaltete neben der internistischen und neurologischen Untersuchung ein klinisches Interview und Einsicht in die Patientenakten. Die Schmerzsyndrome wurden nach den Kriterien für Schmerzen bei Krebs nach Portenoy (1992) in somatischen, neuropathischen und visceralen Schmerz sowie Kopfschmerz klassifiziert. Ein somatischer Schmerz konnte bei 71%, ein neuropathischer Schmerz bei 46%, ein visceraler Schmerz bei 29% und Kopfschmerzen bei 46% der Patienten gefunden werden. Die somatischen Schmerzen involvierten vor allem die Muskeln (27%), Gelenke (25%), Knochen (18%) und Haut (9%). 32% dieser Schmerzen konnte als direkte Ätiologie AIDS zugeordnet werden. 5% waren durch die antiretrovirale Therapie verursacht und in 28% konnten andere Ursachen gefunden werden. Die neuropathischen Schmerzen wurden in 54% durch eine Polyneuropathie, in 19% durch eine Radikulopathie und in 27% durch verschiedene Ursachen hervorgerufen. 55% der neuropathischen Schmerzen waren direkt durch AIDS, 3% durch die antiretrovirale Therapie und 24% durch andere Ursachen bedingt. 72% der von Patienten angebenen Kopfschmerzen konnte keine Ursache zugeordnet werden. In 22% waren die Kopfschmerzen durch Migräne oder Spannungskopfschmerzen bedingt.

Zum Abschluß wurde eine univariate Analyse zur Korrelation von klinischen Daten mit den erhobenen Schmerzsyndromen durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, daß eine niedrigere CD4+-Zellzahl signifikant häufiger mit Kopfschmerzen und einer Polyneuropathie assoziiert war. Weibliche Patienten hatten signifikant häufiger Radikulopathien und Kopfschmerzen.

Zusammenfassend gibt die Studie einen sehr guten Überblick über die bei der HIV-Erkrankung im Stadium AIDS auftretenden Schmerzsyndrome. Wichtig erscheint dabei das Ergebnis, daß die häufigste Schmerzform der somatische und nicht der neuropathische Schmerz war. Dagegen beschäftigt sich aber die Mehrzahl der Publikationen zu HIV-assoziierten Schmerzen mit dem neuropathischem Schmerz, was unter anderem dazu geführt hat, daß der somatische Schmerz im klinischen Alltag häufig übersehen oder unter poly-neuropathischen Beschwerden subsummiert wird.

Kritisch anzumerken ist die fehlende Aufgliederung der neuropathischen Schmerzsyndrome durch eine ausreichende elektrophysiologische Untersuchung in die verschiedenen Unterformen der Polyneuropathien. Zudem wurden keine Aussagen zur Erregersuche bei schmerzhaften Polyneuropathien und Radikulopathien gemacht, da diese überdurchschnittlich häufig mit einer aktiven CMV-Infektion verknüpft sind. Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Erwähnung der Virusbelastung im Serum, die in den letzten zwei Jahren immer mehr an Bedeutung in der Beurteilung der Prognose und des Therapieerfolges gewinnt, und der genauen Angaben der CD4+-Zellzahlen (ab welcher Zahl ist ein CD4+-Count niedrig?). Interessant wäre auch eine gesonderte Betrachtung der verschiedenen Risikogruppen (iv-Drogenabusus vs. homo/ heterosexuelle Übertragung) gewesen. Letztendlich sind 72% fehlende Zuordnung der Kopfschmerzen zu einer Ätiologie ebenfalls unbefriedigend, wenn keine Angaben über die Erregersuche im Serum und Liquor getroffen werden und bildgebende Verfahren ebenfalls unerwähnt bleiben. (MM)

36. * Couturier EGM, Laman DM, van Duijn MAJ, van Duijn H (1997). Influence of caffeine and caffeine withdrawal on headache and cerebral blood flow velocities. Cephalalgia 17:188-190

Coffein erreicht nach oraler Applikation seine höchste Plasmakonzentration innerhalb von 20 – 30 min. Es ist bekannt, daß Menschen, die regelmäßig Kaffee trinken, nach dem Entzug von Coffein Kopfschmerzen bekommen können.

Die holländische Arbeitsgruppe versuchte nun, den Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum, Entzug von Coffein und cerebralen Blutflußgeschwindigkeiten zu untersuchen. Sie nahm 20 gesunde Freiwillige im Alter zwischen 24 und 45 Jahren in die Studie auf. Die Versuchspersonen durften nicht unter Migräne oder Spannungskopfschmerzen leiden. Zunächst wurden die transcranielle Dopplersonographie zu einem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem alle Versuchspersonen regelmäßig Kaffee tranken. Die nächste Messung erfolgte nach 24 Stunden Abstinenz, dann 30 min nach einer Tasse starken Kaffee und 2 Stunden später.

Gemessen wurden die Strömungsgeschwindigkeiten in der A. cerebri media rechts und links, in der A. cerebri posterior rechts und links und in der A. basilaris. Nach 24 Stunden Abstinenz von Coffein klagten 10 der gesunden Versuchspersonen über mittelschwere bis schwere Kopfschmerzen. Nach 24 Stunden Coffeinabstinenz waren die Strömungsgeschwindigkeiten in allen untersuchten Arterien geringfügig höher als unter kontinuierlicher Coffeineinnahme. 30 min und 2 Stunden nach einer Tasse starken Kaffee stiegen die Strömungsgeschwindigkeiten wie-der an und erreichten in etwa wieder die Ausgangswerte.

Es wurden keine signifikanten Veränderungen des Pulsatilitätsindex beobachtet. Die Studie hat viele Unstimmigkeiten. Coffein ist eine vasokonstriktive Substanz. Wird sie entzogen, müßte eine Vasodilatation und damit eine Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit beobachtet werden. Dies war aber nicht der Fall. Da der Pulsatilitätsindex unverändert blieb, kann die Veränderung der Strömungsgeschwindigkeit nicht durch eine Vasokonstriktion oder Vasodilatation erklärt werden. Auf all diese kritischen Punkte gehen die Autoren in ihrer Diskussion nicht ein. Diese Studie belegt eindrucksvoll, daß transcranielle Dopplersonographie, wenn sie ohne eine vernünftige Hypothese angewandt wird, zu völlig sinnlosen Ergebnissen führt. (HCD)

37. ** Vilming ST, Ellertsen B, Troland K, Schrader H, Monstad I. (1997) MMPI profiles in post-lumbar puncture headache. Acta Neurol Scand 95; 184-188

Postpunktionelle Kopfschmerzen (PPK) treten bei ca. 30% der punktierten Patienten auf. Trotz der mittlerweile weithin akzeptierten “Leck-Theorie” wird der Einfluß von psychologischen Mechanismen, insbesondere von Persönlichkeitseigenschaften wie ‘Neurotizismus’, weiterhin diskutiert. An dieser Debatte beteiligt sich auch die vorliegende norwegische Arbeit.

Sie weist die Besonderheit auf, daß die Autoren psychologische Variablen durchschnittlich 36 Monate nach der Punktion gemessen haben und somit den konfundierenden Einfluß von Angst und Depression hinsichtlich des Punktionsanlasses ausgeschlossen haben. 50 Frauen und 20 Männern wurde mit Instruktionshilfe von Psychologen der Minnesota-Multiple-Personality-Inventory (MMPI) vorgelegt. Ca. 45% der Patienten erlitten nach der Punktion einen PPK. Der Einfluß von Alter, Zeit nach der Punktion, Intensität der Schmerzen sowie die neurologische Diagnose der Patienten wurde sorgfältig kontrolliert. Die Geschlechter wurden getrennt ausgewertet. Die Persönlichkeitseigenschaften der Patienten mit und ohne PPK, gemessen mit dem MMPI, unterschieden sich in keiner Subskala.

Bei den Frauen wurde ein bekanntes Phänomen, daß der PPK mit zunehmenden Alter häufiger auftritt, wiedergefunden. MMPI-Studien mit diversen chronischen Schmerzsyndromen haben in der Vergangenheit häufig erhöhte Scores vor allem in der sog. neurotischen Triade ‘Hysterie, Depression, Hypochondrie’ gefunden. Allerdings setzt sich in der Literatur die Sichtweise der Wirkrichtung durch, daß solche Merkmale eher als postmorbide Reaktion auf die Belastungen durch den Schmerz anzusehen sind und im Verlauf der Chronifizierung das Schmerzerleben verstärken können. Bezogen auf die vorliegende Arbeit bedeutet dies, daß durch die MMPI-Messung allenfalls Persönlichkeitsunterschiede gefunden worden wären, die auf die einmalige traumatische Schmerzerfahrung des PPK zurüchzuführen gewesen wären. Dies ist unwahrscheinlich. Ausreichende Klarheit in Bezug auf den PPK und den Einfluß von traits könnten jedoch erst Studien mit einem prospektiven Prä-Post-Design bringen.

Aus dem Bereich des chronischen Schmerzes weiß man, daß frühere Erfahrungen mit Schmerzstimuli, insbesondere die Intensität der Schmerzen und deren Kontrollierbarkeit, wesentlichen Einfluß auf die Vulnerabilität bzw. auf eine adäquate Schmerzreaktion nehmen können. Mittelstarke Noxen in kontrollierbaren Situationen verbunden mit sozialer Verstärkung für eine aktive Bewältigung haben dabei die beste Prognose. In weiteren Untersuchungen zum PPK sollten also differenziert und situationsbezogen die Vorerfahrungen der Patienten mit Schmerzen eingehen. (GF)

38. *** Spacek A, Böhm D, Kress H-G (1997). Ganglionic local opioid analgesia or refractory trigeminal neuralgia. Lancet 349: 1521

Durch die 1981 erstmals beschriebene Injektion niedrigdosierter Opioide an die Ganglien des sympathischen Grenzstranges konnte zwischenzeitlich bei der akuten und postherpetischen Neuralgie, sympathisch unterhaltenen Schmerzen, der sympathischen Reflexdystrophie (Sudeck-Syndrom) und Patienten mit atypischem Gesichtsschmerz eine gute Schmerzreduktion bei geringer Komplikationsrate erzielt werden. Diese Studie untersuchte unkontrolliert und retrospektiv die Bedeutung der ganglionären lokalen Opioidanalgesie (GLOA) für die Behandlung der Trigeminusneuralgie.

32 Patienten aus einer Schmerzklinik (14 Männer; 18 Frauen; mittleres Alter 69,5 Jahre) mit eindeutiger Diagnose und Therapieresistenz unter Carbamazepin im Wirkungsbereich wurden rekrutiert. Der Carbamazepin-Serumspiegel oder die tägliche Dosierung wurden nicht angegeben. Die Schmerz-intensität wurde nach einer visuellen Analog-Scala (VAS, 1-10) erhoben. Buprenorphin (0,045-0,06mg) wurde dann mindestens 3 mal (1x/Tag) entweder an das Ganglion cervicale superius (GCS, n=21) oder an das Ganglion sphenopalatinum (GSP, n=11) injiziert. Die Schmerzreduktion wurde anhand der VAS vor und nach jeder ganglionären Opioid-Injektion erhoben. Nach durchschnittlich 9 (GSP-Gruppe) oder 12 (GCS-Gruppe) aufeinanderfolgenden Injektionen konnte in beiden Patienten-Gruppen eine signifikante (über 60%ige) und mehrere Monate (1-18 Monate) anhaltende Schmerzreduktion beobachtet werden.

Die Studie zeigt, daß die GLOA bei unter Carbamazepin therapieresistenten Patienten mit Trigeminus-Neuralgie eine gute therapeutische Wirksamkeit besitzen kann, die noch durch weitere kontrollierte und prospektive Studien zu belegen ist. Die therapeutische Wirkung war unabhängig von der Lokalisation der ganglionären Opioid-Injektion. Weder die Pathophysiologie der Trigeminus-Neuralgie noch die genaue Wirkungsweise der GLOA sind bekannt. Um so interessanter ist die Frage, welchen Einfluß Opioide auf Neurone haben, die an der Schmerzentstehung bei der Trigeminusneuralgie und dem atypischen Gesichtschmerz beteiligt sind. (GPH)