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Kopfschmerz-News 12/1997 Andere Kopfschmerzen – DMKG

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8. Andere Kopfschmerzen

*** Soyka D. (1997) Therapie und Prophylaxe von Gesichtsneuralgien und chronischen Gesichtsschmerzen anderer Provenienz. Münch. Med. Wochenschr. 139: 26-32.

Im Vergleich zum Migräne- und Spannungskopfschmerz sind Gesichtsneuralgien und andere chronische Gesichtsschmerzen zahlenmäßig von geringer Bedeutung. Die individuelle Schmerzbelastung ist jedoch vielfach ungleich höher. Insbesondere die Trigeminusneuralgie, Zosterneuralgie oder der atypische Gesichtsschmerz gelten als individuell stark belastende Schmerzsyndrome. Von besonderer Bedeutung ist daher die differentialdiagnostische Aufsplitterung in therapeutisch relevante Unterkategorien. Die vorliegende Arbeit vermittelt hier einen guten Überblick über die etablierte Therapie der Trigeminusneuralgie, der postzosterischen Neuralgie und des atypischen Gesichtsschmerzes. Ergänzt werden könnten folgende Punkte: bei der Trigeminusneuralgie sind wahrscheinlich auch andere Natriumkanalblocker außer Carbamazepin und Phenytoin wie Lamotrigin oder Antiepileptika mit anderem Wirkmechanismus wie Gabapentin wirksam. Nach unserer Erfahrung rechtfertigen sie Therapieversuche schon vor dem Einsetzen von Baclofen und Clonazepam.
Ungewöhnlich ist die diagnostische Kategorie Trigeminusneuropathie (atypische Trigeminusneuralgie), die in dieser Form in der internationalen Kopfschmerzklassifikation nicht definiert ist. Meines Erachtens müßten diese Patienten entweder nach 12.2.2 (symptomatische Trigeminusneuralgie) oder 12.8 (Gesichtsschmerz, der nicht die Kriterien der Gruppen 11 und 12 erfüllt) klassifiziert werden, aus neurologischer Sicht ist auch bei diesen Patienten der Versuch einer Pharmakotherapie unbedingt der in der Arbeit als Behandlung der Wahl vorgeschlagenen Elektrostimulation vorzuziehen.
Bei der postzosterischen Neuralgie fällt auf, daß Injektionen am Sympathikus mit Lokalanästhetika oder auch Opioiden in der frühen Phase einer Post-Zosterneuralgie vorgeschlagen werden. Dies ist in der Literatur nicht unumstritten und durch Studien wohl auch schwer zu belegen, eine Beurteilung wird auch durch den sich häufig spontan bessernden Krankheitsverlauf erschwert. Erwähnenswert wäre ein kurzer Hinweis auf die Hemicrania continua gewesen, die wegen ihrer Ansprechbarkeit auf Indomethazin von therapeutischer Relevanz ist. Insgesamt zeigt der Übersichtsartikel, daß es sich um ein vielschichtiges Gebiet mit einer recht standardisierten Vorgehensweise bei Trigeminusneuralgie und sehr viel weniger standardisierbaren therapeutischen Zugängen im Bereich der seltenen Kopfschmerzformen handelt. (WP)

**** Lord SM, Barnsley L, Wallis BJ, McDonald GS, Bogduk N (1996) Percutaneous radiofrequency neurotomy for chronic cervical zygapophyseal-joint pain. N Engl J Med 335: 1721-1726.

In einer kontrollierten, randomisierten und doppelblinden Studie wurde der therapeutische Effekt einer Thermokoagulation des medialen Astes des Ramus dorsalis der cervikalen Wurzel eines schmerzhaften HWS-Segmentes bei Patienten mit chronischem Nackenschmerz nach einem HWS-Schleudertrauma untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem posttraumatischen Nackenschmerz nach HWS-Distorsion, der länger als 3 Monaten bestand und mit schmerzhaften zygapophysealen Gelenken der Segmente C3/4 – C6/7 einherging. Bei der Mehrzahl der Patienten war der Schmerz unilateral und unisegmental. Der Schmerz war mit placebo-kontrollierten lokalen Wurzelinfiltrationen, die vor der Thermokoagulation erfolgten, konfirmiert worden. 12 Patienten wurden thermokoaguliert. Als Kontrollgruppe dienten ebenfalls 12 Patienten, die sich dem identischen invasiven Vorgehen mit Applikation der Koagulationsnadel an dem cervikalen Ramus dorsalis des schmerzhaften Zygapophyseal-Gelenkes unterzogen. Es erfolgte lediglich keine Erhitzung der Nadel zur Koagulation. Der Nackenschmerz wurde vor der Koagulation auf einer visuellen Analogskala skaliert und mit dem McGill Pain Questionnaire beschrieben. Kontrolluntersuchungen erfolgten 3-5 Tage, 2-3 Wochen und 3 Monate nach dem schmerztherapeutischen Eingriff. Die Thermokoagulation zeigte eine signifikante Auswirkung auf Schmerzlinderung bzw. Schmerzfreiheit. So erreichte der postoperativ remittierte Schmerz in der behandelten Gruppe erst nach 263 Tagen ein Niveau von 50% der praeoperativen Schmerzstärke im Vergleich zu der Placebo behandelten Patientengruppe, die eine transiente Schmerzbesserung von nur 8 Tagen zeigte.
Aus den Ergebnissen kann gefolgert werden, daß mit der Thermokoagulation bei Patienten mit Nackenschmerz nach HWS-Distorsion länger anhaltende Schmerzfreiheit bzw. Schmerzreduktion erzielt werden kann. Dies gilt zumindest für Patienten mit einseitigem und segmentalem Schmerz, der vor einem solchen invasiven Schmerzbehandlungsversuch durch diagnostische Infiltrationsblockaden mit einem Lokalanästhetikum gesichert sein muß. Die Methode ist nicht geeignet für Patienten, bei denen der Schmerz mit einer lokalen Testinfiltration nicht unterdrückbar ist oder bei Patienten, die eine Schmerzremission bei Placeboblockade mit Kochsalzlösung angeben.
Da sich aus der Studie eine sichere Wirksamkeit bei dem (häufigen) bilateralen Nackenschmerz und bei Schmerzen, die über mehrere Segmente lokalisiert sind, nicht belegen läßt, bleibt die Thermokoagulation nur einzelnen selektierten Fällen vorbehalten. Die Indikation muß deshalb besonders streng gestellt werden. Die Durchführung muß durch Spezialisten erfolgen. (MK)

**** Pöllmann W, Keidel M, Pfaffenrath V (1997) Headache and the cervical spine: a critical review. Cephalalgia 17: 801-816

Die vorliegende Übersichtsarbeit nimmt sich des zwischen verschiedenen Fachdisziplinen kontrovers diskutierten Themas “Zervikogener Kopfschmerz” mit überwältigender Gründlichkeit an. Die Kriterien der IHS nennen ihn “Kopfschmerzen, die mit Nackenerkrankungen assoziiert sind”, Sjaastad und Mitarbeiter hatten 1983 den Terminus “Zervikogener Kopfschmerz” definiert, der insbesondere die Einseitigkeit festlegt. Da die Definition nicht ganz einheitlich ist, schwanken die epidemiologischen Daten stark. Das pathophysiologische Verständnis baut im Wesentlichen auf Hypothesen auf. Zur Diagnostik werden Blockaden mit Lokalanästhetika eingesetzt, die jedoch nur dann Aussagekraft haben, wenn die C2-Wurzel oder der Nervus occipitalis major blockiert werden. Demgegenüber ist die manuelle Untersuchung für die Diagnosestellung untergeordnet. Röntgenuntersuchungen ergeben üblicherweise ein sehr heterogenes Bild, sind jedoch in den seltensten Fällen völlig normal. Die Autoren diskutieren ausführlich die Differentialdiagnosen, in erster Linie den Cluster-Kopfschmerz, die Migräne, den Spannungskopfschmerz und den post-traumatischen Kopfschmerz. Hinsichtlich der Behandlung kann jedoch wenig als gesichert gelten. Die diagnostische Blockade mit Lokalanästhetika hat in Einzelfällen einen prolongierten Effekt, in der Regel hält er jedoch nicht über einige Wochen an. Medikamente haben wenig Effekt und spielen eine untergeordnete Rolle. Operative Therapie wird nach Durchsicht aller Studien von den Autoren nicht empfohlen, da kaum prospektive randomisierte Studien vorliegen. Ähnlich verhält es sich mit Manualtherapie.
Im letzten Kapitel fassend die Autoren zusammen, was als gesichert angesehen werden kann: der zervikogene Kopfschmerz sollte nicht als Entität, sondern als unspezifisches Schmerzmuster verstanden werden; die Autoren schlagen vor, sowohl die Unilateralität als auch das vorangegangene Kopf- oder Nackentrauma aus der Diagnose zu streichen. Die Diagnose kann durch eine diagnostische C2-Blockade gestützt werden. Eine gesicherte therapeutische Option existiert nicht.
Angesichts der weiter bestehenden diagnostischen Unklarheit schlagen die Autoren schließlich einen 7-Punkte-Plan für weitere Forschung vor. Zu Recht nennen sie dabei an erster Stelle epidemiologische Studien. Mit 231 Literaturstellen gibt die Arbeit einen ausgesprochen gründlichen Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand zum zervikogenen Kopfschmerz. (GA)

* Otte A, Ettlin T M,, Nitzsche E U, Wachter K, Hoegerle S, Simon G H, Fierz L, Moser E, Mueller-Brand J. (1997) PET and SPECT in whiplash syndrome: a new approach to a forgotten brain? J Neurol Neurosurg Psychiatry 63: 368-372.

Die Autoren untersuchten die Frage, ob sich nach einem HWS-Schleudertrauma Abnormitäten des Glukosemetabolismus im Gehirn nachweisen lassen. Die Untersuchungsergebnisse von 6 Patienten und 12 gesunden Normalpersonen wurden gegenübergestellt. In der Positronen-Emissions-Tomographie fand sich ein Glukose-Hypometabolismus in parietooccipitalen Regionen. Auch in der SPECT-Untersuchung fand sich eine parieto-occipitale Minderperfusion. Die Autoren halten diese Veränderungen für das anatomische Substrat kognitiver Störungen. Die Studie weist deutliche methodische Mängel auf: der verwendete SPECT-Tracer “mißt” nicht nur den regionalen cerebralen Blutfluß, sondern auch den Metabolismus. Das Intervall zwischen Trauma und SPECT-Untersuchung ist äußerst variabel (3 bis 63 Monate). Für den Leser ist nicht ersichtlich, welche neuropsychologischen Defizite in welcher Stärke bestehen (es finden sich fast keine klinischen Angaben über die Patienten) bzw. nicht mehr bestehen.
Die von den Autoren geäußerte Hypothese (parieto-occipitaler Hypometabolismus als Folge einer Aktivierung nozizeptiver Afferenzen aus dem oberen Zervikalmark) widerspricht der gängien Interpretation von SPECT und PET-Daten (eine neuronale Aktivierung führt zu einer Zunahme des Metabolismus, nicht zu einer Abnahme). Eine Aktivierung nozizeptiver Afferenzen aus dem oberen Zervikalmark wurde in dieser Studie nicht belegt und ist in Anbetracht des langen Intervalls zwischen SPECT-Untersuchung und Trauma bislang auch nicht aus den in der Literatur bekannten Daten zu folgern (pathologische Veränderungen der Schmerzverarbeitung normalisieren sich innerhalb weniger Monate nach Trauma). Das Intervall zwischen SPECT und PET-Untersuchung (11 bis 175 Tage!) ist so groß und variabel, daß eine Korrelation zwischen den Untersuchungsbefunden beider Methoden sehr fragwürdig erscheint. Möglicherweise gibt die von den Autoren in Aussicht gestellte Untersuchung einer größeren Zahl von Patienten (n=136 bzw. n=200; Publikationen “in press”) mehr Aufschluß über die wichtige Frage pathologischer Veränderungen des Hirnmetabolismus nach zervikozephalem Schleudertrauma. (MJ)


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