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Kopfschmerz-News März 1997

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VIII. Andere Kopfschmerzen

1. * Clark JW, Solomon GD, deS Senanayake P, Gallagher C (1996) Substance P concentration and history of headache in relation to postlumbar puncture headache: Towards prevention. Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry 60:681-683.

Postpunktionelle Beschwerden – insbesondere lageabhängige Kopfschmerzen- nach diagnostischen Lumbalpunktionen treten bei 30-40% Prozent der Patienten auf. Aus der Literatur ist bekannt, daß vor allem Frauen und Patienten mit niedrigem Körpergewicht von postpunktionellen Kopfschmerzen betroffen sind. Ein weiterer relevanter prädisponierender – jedoch vermeidbarer – Faktor ist die Verwendung traumatischer und großkalibriger Punktionnadeln. Befriedigende nichtinvasive Verfahren zur Behandlung postpunktioneller Beschwerden sind nicht bekannt.

In der vorliegenden prospektiven Studie wurde an insgesamt 310 Patienten die Korrelation einer bekannten Anamnese mit chronischen Kopfschmerzen sowie die Liquorkonzentrationen des Neuropeptides Substanz P mit dem Auftreten von postpunktionellen Kopfschmerzen untersucht. Die Autoren identifizierten für beide Variablen (positive Kopfschmerz-Anamnese und erniedrigte Substanz P-Spiegel) eine dreifach erhöhtes Risiko für das Auftreten von postpunktionellen Kopfschmerzen.

Die Studie weist erhebliche methodische Mängel auf. Es wird z. B. nicht darauf eingegangen inwieweit die erniedrigten Substanz P-Spiegel unabhängig von dem Merkmal Kopfschmerzanamnese sind. Die Ergebnisse unterscheiden sich sonst nur unwesentlich von einer bereits 1994 veröffentlichten Studie der gleichen Arbeitsgruppe (Solomon et al. Headache 1994).

Nach Auffassung der Autoren eignet sich die Identifikation der o.g. Risikofaktoren zur Prävention postpunktioneller Beschwerden. Dies ist in Praxis schwer vorstellbar, da auch Patienten mit erhöhtem Risiko für postpunktionelle Kopfschmerzen in Zukunft nicht von diagnostischen Lumbalpunktionen ausgeschlossen werden können. Außerdem bietet sich durch den Einsatz dünner, atraumatischer Punktionskanülen die Möglichkeit das Risiko für postpunktionelle Beschwerden ausreichend zu reduzieren. (HK)

2. ***** Pascual J, Iglesias F, Oterino A, Vazques-Barquero A, Berciano J (1996) Cough, exertional, and sexual headaches. Neurology 46:1520-1524.

Obwohl isolierte Kopfschmerzen in Verbindung mit Husten, körperlicher Anstrengung und sexueller Aktivität auch nach neuen epidemiologischen Studien selten sind (Lebensprävalenz ca. 1%), stellen sie den Kliniker vor wichtige differentialdiagnostische Entscheidungen, da diese Kopfschmerzformen zwar als primäre Kopfschmerzen existieren, jedoch auch wichtige Symptome sekundärer Kopfschmerzen bei ernsten und lebensbedrohlichen Krankheitsbildern wie Anomalien des kraniozervikalen Übergangs, Tumoren der hinteren Schädelgrube und Subarachnoidalblutungen darstellen können.

Seit den sechziger Jahren stellt die vorliegende Serie mit 72 Patienten, die sich in einer neurologischen Ambulanz vorstellten, die größte Studie dar, die sich mit diesen relativ seltenen Kopfschmerzmanifestationen befaßt.

Während die ursprüngliche Studie von Rooke (1968) nur in 10% der Fälle von struktuellen intrakraniellen Läsionen ausging, fanden Pascual und Koautoren bei 42% ihrer Patienten aufgrund der Fortschritte in der Neuroradiologie pathologische Befunde in der Computertomographie und Kernspintomographie des Schädels.

Die Autoren demonstrieren interessante und differentialdiagnostisch hilfreiche Unterschiede bzgl. Manifestationsalter und Kopfschmerzdauer zwischen den primären und sekundären Formen von Husten-, Anstrengungs- und Orgasmuskopfschmerz. Meistens bestanden in den symptomatischen Fällen neben den triggerbaren Kopfschmerzen weitere klinisch-neurologische Zeichen wie Übelkeit und Nackensteifigkeit und Hirnnervenausfälle. Dennoch wird man in der Praxis insbesondere bei der Erstmanifestation die Schwelle zu weiterer bildgebender Diagnostik (z.B. CCT) niedrig ansetzen. (HK)

3. *** Radanov BP, Begré S, Sturzenegger M, Augustiny KF (1996). Course of psychological variables in whiplash injury – a 2-year follow-up with age, gender and education pairmatched patients. Pain 64: 429 – 434.

117 Patienten mit akutem HWS-Schleudertrauma wurden zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses sowie nach 3, 6, 12 und 24 Monaten prospektiv bezüglich Kopfschmerzstärke, Stärke der Nackenschmerzen, Befindlichkeit und Persönlichkeitsvariablen untersucht. Nacken-/und Kopfschmerzstärke wurden visuell analog skaliert; die Befindlickeit mit dem Selbsteinschätzungsfragebogen nach von Zerssen quantifiziert. Die Persönlichkeitsvariablen wurden mit dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI) erfaßt. 21 der 117 Patienten klagten nach 2 Jahren noch über Nacken- und Kopfschmerz. Bei den restlichen Patienten war eine Schmerzremission während der ersten 6 Monate nach dem Trauma eingetreten. Aus dieser gesunden Gruppe wurde retrospektiv eine alters-, geschlechts- und bildungsparallelisierte Subgruppe gebildet und mit der Patientengruppe mit Restschmerzen nach 2 Jahren bezüglich der psychologischen Variablen verglichen. In der nach 2 Jahren noch symptomatischen Gruppe wurde eine signifikant höhere Befindlichkeitsstörung und höhere Werte auf der Nervositätsskala bei fehlenden Unterschieden in der Depressionsskala gefunden. Da sich beide Gruppen nur bezüglich der Nacken- oder Kopfschmerzen unterschieden, jedoch nicht bezüglich der Depressivität (entsprechend FPI Skala) wurde von den Autoren der Schluß gezogen, daß die psychologischen Auffälligkeiten als Folge der somatischen Beschwerden auftraten und nicht umgekehrt psychische Auffälligkeiten den anhaltenden Nacken- oder Kopfschmerz nach sich gezogen hatten. Die Studie macht keine Angaben, ob nicht schon zum Einschlußzeitpunkt in der Erstuntersuchung zwischen beiden Gruppen signifikante Unterschiede in der Nacken- und/oder Kopfschmerzstärke bestanden hatten und den unterschiedlichen Verlauf mitverursachten. Ebenso wird keine Aussage darüber gemacht, warum bei 17% des Ausgangskollektivs die Schmerzen über 2 Jahre persistierten (z.B. unterschiedlicher Unfallmechanismus, unterschiedlicher Schweregrad des Schleudertraumas, unterschiedliche Kopfstellung z. B. Rotation bei Aufprall, unterschiedliche initiale Schmerzstärke, Angaben zur prätraumatischen Kopfschmerzvorgeschichte etc. ). Die Autoren betonen, daß bei fehlenden signifikanten Unterschieden bezüglich Neurotizismus diese Persönlichkeitsvariable den Beschwerdeverlauf nicht beeinflußt und daß psychologische Auffälligkeiten in der Akutphase nach dem Schleudertrauma keinen eindeutigen prädiktiven Wert hinsichtlich des outcome haben, da sie als Folge der traumabedingten Beschwerden und nicht als Mitursache angesehen werden (MK).

4. *** King NS ( 1996 ). Emotional, neuropsychological, and organic factors: their use in the prediction of persisting postconcussion symptoms after moderate and mild head injuries. Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry 61: 75 – 81.

Das postkommotionelle oder postkontusionelle Syndrom nach Schädel-Hirn-Traumen (SHT) Grad I oder II mit Kopf- und Nackenschmerz, vegetativen Beschwerden und subjektiven neurasthenischen Beschwerden remittiert im Regelfall innerhalb von 3 Monaten vollständig. Als Ursache für das sog. posttraumatische Syndrom werden organische, aber auch psychogene Faktoren angeschuldigt. Bei ca. 10-20% der Patienten bleiben die Beschwerden länger als _ Jahr bestehen. Ziel der berichteten Studie war es, herauszufinden, ob eine Untersuchungsbatterie mit Erfassung neuropsychologischer, psychologischer und klinischer Variablen den posttraumatischen outcome vorhersagen kann. Hierzu wurden 50 Patienten mit SHT 7-10 Tage nach dem Trauma testpsychologisch und mit standardisierten Fragebögen untersucht.

Die Beschwerden im Rahmen des posttraumatischen Syndroms wurden mit dem Rivermead postconcussion symptom questionaire erhoben. Es zeigte sich, daß die Beschwerden nach _ Jahr mit Hilfe von Angst- und Depressionsskalen und einem Fragebogen zur Erfassung der subjektiven Belastungsfaktoren, die durch das Trauma entstanden waren, am besten prädiziert werden können. Die Autoren schlagen die Anwendung einer selektierten Testbatterie in der Akutphase nach dem Trauma vor, um den posttraumatischen Beschwerdeverlauf zumindest für das erste _ Jahr nach dem Ereignis vorhersagen zu können. Die vorgeschlagene Testbatterie beinhaltet: Quantifizierung der Dauer der unfallbedingten Erinnerungslücke, Erfassung von Angst und Depressivität, Testverfahren zur Erfassung von Konzentration und Aufmerksamkeit, standardisierter Beschwerdebogen und ein Testverfahren zur Erfassung von Konzentration und Orientierung. Die Wertigkeit dieser Testverfahren hinsichtlich der prädiktiven Effizienz im klinischen Alltag muß durch vergleichbare Studien anderer Gruppen validiert werden. (MK)

5. ***** Goadsby PJ and Lipton RB (1997) A review of paroxysmal hemicranias, SUNCT syndrome and other shortlasting headaches with autonomic feature, including new cases. Brain (120): 193-209

In diesem ausgezeichneten Übersichtsartikel befassen sich die Autoren mit dem klinischen Bild von zum Teil in der Weltliteratur sehr raren und daher in den operationalen Kriterien der IHS nicht oder ungenügend aufgeführten primären Kopfschmerzarten. Dazu gehören die chronisch paroxysmale Hemikranie, die episodisch paroxysmale Hemikranie, das SUNCT-Syndrom (short lasting unilateral neuralgiform headache with conjunctival injection and tearing), die Hemicrania continua und Hypnic headache. Nach eingehender klinischer Charakterisierung und zusätzlichen neuen Fallbeschreibungen werden für jede Kopfschmerzform die bisherigen experimentellen Untersuchungsergebnisse und pathophysiologischen Vorstellungen (so sie existieren) beschrieben. Die Autoren weisen darauf hin, daß das Verbindende dieser Kopfschmerzformen mit dem Cluster-Kopfschmerz die kurze Attackendauer, die strenge Unilateralität der Schmerzen und die ipsilaterale autonome Dysfunktion ist. Sie fassen daher die beschriebenen Krankheitsbilder einschließlich des Cluster-Kopfschmerzes als trigeminalautonome Cephalgien (TAC’s) zusammen und schlagen eine neue Klassifikation für die momentan überarbeitete IHS-Klassifikation vor. In dem sehr gut mit Literatur belegten Übersichtsartikel wird besonders hervorgehoben, daß einige dieser raren Kopfschmerzformen nach wie vor nicht erkannt und falsch behandelt werden. Darüberhinaus wird schlüssig argumentiert, daß die trigeminalautonomen Cephalgien klinisch fließend ineinander übergehen können und ein einheitliches pathophysiologisches Konzept verlangen. (MAY)


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