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DIFFERENTIELLE INDIKATION FÜR TRIPTANE

 

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Gibt es eine differentielle Indikation für Triptane bei der Migräneattacke?

Volker Pfaffenrath

Bis zur Einführung des ersten Triptans (Sumatriptan) in Deutschland im Jahre 1993 standen für die Attackenbehandlung der Migräne Acetylsalicylsäure, Paraceta-mol, Ergotamintartrat, Ibuprofen und Naproxen zur Verfügung. Sumatriptan (Imigran) ist wie Zolmitriptan (AscoTop), Naratriptan (Naramig) und das am 15.10.1998 in Deutschland zugelassene Rizatriptan (Maxalt) ein speziell für die Behandlung von Migräneattacken entwickeltes Präparat. Alle gehören zur Gruppe der Serotonin-5-HT1D-1B-Agonisten. Sie haben einen positiven Einfluß nicht nur auf die Kopfschmerzen, sondern auch auf Übelkeit, Erbre-chen, Lärm- und Lichtempfindlichkeit und auf das allgemeine Krankheitsgefühl während der Migräneattacke.

Für die Erklärung des Kopfschmerzes gibt es beim Menschen bisher nur wenige Daten. PET-Studien haben im Hirnstamm und Mittelhirn während der Migräneattacke eine Region erhöhter Durchblutung nachgewiesen, die am ehesten dem sogenannten “Migränegenerator” entspricht (1).

Die Aktivierung des Generators würde ­ in Analogie zu Tierexperimenten ­ zu einer neurogenen Entzündung der Duragefäße mit Austritt von Albumin durch das Gefäßendothel und die Gefäßwand, die Freisetzung von proinflammatorischen oder exzitatorischen Neuropeptiden wie Substanz P, calcitonin gene related peptide (CGRP), Neuropeptid Y, Neurokinin A und vasoaktivem intestinalem Polypeptid (VIP) führen. Während Migräneattacken beim Menschen ließ sich im venösen Blut der V. jugularis eine erhöhte Kon-zentration der genannten Neuropeptide nachweisen, wobei diese Verände-rungen durch die Gabe von Sumatriptan reversibel waren. Die Rolle zentraler schmerzleitender Strukturen, wie sie in den Tierexperimenten von Goadsby gefunden wurden, ist noch nicht bekannt. Ungeklärt ist auch die Rolle geneti-scher Faktoren. Bei einer Sonderform der Migräne, der familiären hemiplegi-schen Migräne, wurde der Genlokus auf dem Chromosom 19 identifiziert. Mutationen an dieser Stelle führen zu Veränderungen der Funktion eines zerebralen P/Q-Kalziumkanals.

Alle Triptane haben einen identischen Wirkungsmechanismus und führen zu einer Konstriktion der dilatierten Gefäße der harten Hirnhaut. Darüberhinaus inhibieren sie die neurogene Inflammation und die Fortleitung der Impulse über den N. trigeminus zum Hirnstamm und zum Cortex.

Die Anforderungen an Migräneattackentherapeutika sind:

  • günstiges Wirksamkeits- und Nebenwirkungsprofil
  • Selektivität an 5-HT1B bzw. 5HT1D-Rezeptoren
  • geringe recurrance (Wiederkehrkopfschmerz)-Rate
  • geringe oder keine peripheren vasokonstriktiven Effekte (z.B. Coronararterien)
  • und evtl. zusätzliche zentrale Effekte.

 

Arzt und Patient erwarten eine hohe Effektivitätsrate, einen raschen Wirkungseintritt, eine konstante Wirkung bei allen Formen der Migräne und einen günstigen Preis.

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die pharmakologischen Parameter der einzelnen Triptane hinsichlich des Effektes nach zwei Stunden, der Kopfschmerzfreiheit und der recurrance-Rate. Letztere stellt ein Problem aller Migränemittel dar,

 

da bei langdauernden Migräneattacken gegen Ende der pharmakologischen Wirkung die Migränekopfschmerzen wieder auftreten können (recurrance oder secondary treatment failure).

Tabelle 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Dosierungen und Applikationsarten der Triptane. Sumatriptan steht als Tablette (50 und 100mg), als Autoinjektor zur Selbstinjektion (6mg), als Suppositorium (25mg) und als Nasenspray (10 und 20mg) zur Verfügung. Zolmitriptan (2,5mg), Naratriptan (2,5mg) und Rizatriptan (10mg) gibt es bisher nur in der oralen Form. Rizatriptan ist als besonders schnell resorbierbare Tablette verfügbar (Maxalt lingua), deren Effekt bereits nach 30 Minuten einsetzen soll. Ähn-liche Daten liegen bereits von Zolmitriptan (45 Minuten) vor, aber auch von Sumatriptan. Suppositorien sollten bei heftigem Erbrechen gegeben werden bzw. bei Patienten, die Angst vor dem Autoinjektor haben. Das Nasenspray ist für Patienten mit Erbrechen und Durchfällen gedacht. Es erlaubt eine besonders unauffällige Anwendung. Durch den Einsatz des Nasensprays wird sich sicherlich die Häufigkeit der Applikation von Sumatriptan mittels Autoinjektor reduzieren.

Grundsätzlich ist die Effektivität von Imigran als Tablette, als Suppositorium und als Nasenspray miteinander vergleichbar. Beim Ersteinsatz als Tablette sollten immer 50mg eingesetzt werden, da deren Effektivität sich kaum von der 100mg-Tablette unterscheidet.

Um eine Vergleichbarkeit der Studien zu gewährleisten, benutzt man als Parameter heute den sog. Nettogewinn (net gain). Man versteht darunter die Differenz zwischen Verum und Placeborate. Abbildung 1 zeigt deutlich, daß Sumatriptan, Zolmitriptan und Rizatriptan sich nur geringfügig voneinander unterscheiden. Offen ist, ob die prozentual etwas bessere Wirksamkeit von Rizatriptan klinisch von Bedeutung ist. Für Naratriptan gilt, daß die Wirk-samkeit, die Sumatriptan, Zolmitriptan und Rizatriptan bereits nach zwei Stunden erreichen, erst nach vier Stunden erreicht wird. Naratriptan hat damit zwar einen verzögerten Wirkungseintritt, aber mit 24% die insgesamt geringste recurrance-Rate.

Abbildung 1

ORALE TRIPTANE: 2 – Stunden – Effekt

Triptane gelten als Mittel der ersten Wahl bei der Behand-lung der menstruellen Migräne, bei einer regelmäßigen Arbeitsunfähigkeit über Tage und wenn Analgetika, NSAR bzw. Ergota-mintartrat in Kombination mit Antiemetika unwirksam sind bzw. Nebenwir-kungen oder Kontraindikatio-nen bestehen.

Die menstruelle Migräne ist durch eine übliche Attackendauer von zwei bis sieben Tagen gekennzeichnet. Bei Attacken, die bis zu drei Tagen andauern, sollten Triptane als Monotherapie zur Anwendung kommen, bei längeren Attacken sollte eine Kurzzeitprophylaxe (z.B. Naproxen oder Estraderm TTS) mit einem Triptan kombiniert werden.

Hinsichtlich Nebenwirkungen, Verträglichkeit und Effektivität sind 50mg Sumatriptan, 2,5mg Zolmitriptan und 10mg Rizatriptan absolut miteinander vergleichbar. Naratriptan zeigt einen verspäteten Wirkungseintritt bei dafür geringerer Nebenwirkungs- und Recurrance-Rate. Rizatriptan lingua kann Vorteile bieten hinsichtlich eines rascheren Wirkungseintrittes. Als Alternative kommen hier Sumatriptan als Nasenspray mit 10 bzw. 20mg in Frage. Sumatriptan bietet darüberhinaus in der 50mg-Dosis gegenüber Zolmitriptan, Rizatriptan und Naratriptan preis-liche Vorteile.

Jeder Versuch einer differentiellen Indikation ist unter diesen Bedingungen künstlich. Es ist deshalb sinnvoll, nicht unbedingt Erfahrun-gen mit allen Triptanen zu sammeln, sondern sich im klinischen Alltag mit zwei Triptanen in ihren unterschiedlichen Applikationsformen zu begnügen.

Die Triptane werden zweifellos in den nächsten drei Jahren die modernsten Migränemittel darstellen, evtl. noch ergänzt durch eine weiteres Triptan (Eletriptan), dessen Zulassung für Ende 1999 diskutiert wird.

Literatur

Diener H.C., Brune K., Gerber W.D., Göbel H., Pfaffenrath V. Behandlung der Migräneattacke und Migräneprophylaxe. Dt Ärztebl 1997; 94:A-3092-3102 (Heft 46)

Pfaffenrath V., Cunin G., Sjonell G., Prendergast S. Efficacy and Safety of Sumatriptan Tablets (25mg, 50mg and 100mg) in the Acute Treatment of Migraine; Defining the Optimum Doses of Oral Sumatriptan. Headache 1998; 38:184-190.


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