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Botulinustoxin-Injektionen in die perikraniale Muskulatur – eine neue Therapieoption zur Prophylaxe des chronischen Spannungskopfschmerz?

 

online gestellt: Aug. 2000

Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Botulinustoxin-Injektionen in die perikraniale Muskulatur – eine neue Therapieoption zur Prophylaxe des chronischen Spannungskopfschmerz?

A. Straube, München

Der chronische Spannungskopfschmerz mit einer Häufigkeit von 2-3% der Bevölkerung ist auch heute noch ein therapeutisches Problem. Klinisch findet sich ein haubenförmiger, dumpfer Kopfschmerz mit mittlerer Intensität und ohne wesentliche begleitende Übelkeit.

Die Pathophysiologie dieser chronischen Kopfschmerz-Syndrome ist noch nicht komplett verstanden. Bei den Kopfschmerzen vom Spannungstyp findet man bei etwa 50-65% der Patienten eine erhöhte muskuläre Schmerzempfindlichkeit der perikraniellen Muskulatur sowie bei einem Teil dieser Patienten auch Hinweise für eine vermehrte EMG-Aktivität als Hinweis für eine vermehrte Muskelspannung. Inwieweit diese vermehrte Muskelspannung Ursache der Kopfschmerzen oder nur im Sinne einer Stress-Reaktion Folge der Kopfschmerzen ist, ist bis jetzt nicht geklärt.

Andere Konzepte gehen davon aus, dass beim chronischen Spannungskopfschmerz ursächlich eine vermehrte psychische Belastung vorliegt, bzw. dass der chronische Spannungskopfschmerz eine Folge einer Depression oder Somatisierungsstörung ist (siehe auch Pfaffenrath et al. 1998). Dabei wird postuliert, dass diese primär psychischen Veränderungen zu einer sekundären Erniedrigung zentraler Schmerzschwellen führen, so dass schon physiologische Reize als schmerzhaft erlebt werden.

Ein in den letzten Jahren, insbesondere von den dänischen Arbeitsgruppen erarbeitetes Konzept (Übersicht in Jensen, 1999), geht von einer multifaktoriellen Ursache aus, wobei die Entwicklung eines vermehrten myofaszialen Schmerzes mit Muskeldruckschmerzhaftigkeit und nachfolgender Erniedrigung zentraler Schmerzschwellen ursächlich für die Entwicklung eines chronischen Spannungskopfschmerzes ist. Weiter zeigen epidemiologische Studien eine familiäre Häufung chronischer Spannungskopfschmerzen, so dass eine genetische Prädisposition zu diskutieren ist (Russel et al. 1999).

Bedingt durch das Fehlen eines durchgängig akzeptierten pathophysiologischen Konzeptes, ist es verständlich, dass die bisherigen therapeutischen Ansätze auf empirischen Beobachtungen beruhen. Am besten untersucht ist der Einsatz von trizyklischen Antidepressiva, wie z.B. Amitriptylin, welches in mehreren placebokontrollierten Studien untersucht wurde (Pfaffenrath et al. 1994; Göbel et al. 1994a,b; ). Dabei zeigte sich eine Effektivität bei nur 40-50% der Patienten (Placeborate 20-25%), welche eine signifikante Kopfschmerzreduktion erfuhren.

Nebenwirkungen der trizyklischen Antidepressiva, wie Amitriptylin, oder der Ausweichmedikamente Doxepin und Clomipramin sind Mundtrockenheit (50%), Müdigkeit (60%), Gewichtszunahme (16%), Miktionsstörungen bei Prostatahypertrophie, kardiale Nebenwirkungen, Allergien, Glaukom und auch selten epileptische Anfälle.

Basierend auf der oben schon zitierten Beobachtung, dass ein Teil der Patienten mit chronischen Spannungskopfschmerzen klinisch eine vermehrte Muskelspannung der perikraniellen Muskulatur zeigt, wurden in den letzten Jahren Therapieversuche mit Botulinumtoxin-Injektionen in diese Muskulatur durchgeführt.

Botulinumtoxin wird schon seit längerem bei verschiedenen Krankheitsbildern eingesetzt, in der Augenheilkunde zur Therapie von Schielstellungen, in der Neurologie zur Behandlung von fokalen Dystonien und zuletzt auch spastischer Tonuserhöhungen nach Läsionen des 1 Motoneurons. Daneben haben sich weitere Indikationen herausgebildet wie die idiopathische Hyperhidrose, Detrusor-Sphinkter-Dyssynergien und kosmetische Eingriffe.

Das Gift selber wird von dem Sporenbildner Clostridium botulinum gebildet und liegt in 7 Formen vor, wobei nur Form A und E therapeutisch verwendet werden. Botulinumtoxin besteht aus einer schweren Kette und einer leichteren Kette. Die schwere Kette bindet an einem spezifischen Rezeptor auf der Oberfläche von cholinergen Neuronen und danach wird die leichtere Kette abgespaltet und in die Zelle aufgenommen. Dort blockiert diese dann ein für den Transport von Acetylcholinvesikel notwendiges Protein. Letztlich führt dieses dann zu einer Verminderung oder sogar kompletten Verlust der Acetylcholinausschüttung am synaptischen Spalt. Das Protein kann auch transsynaptisch retrograd transportiert werden, wobei dieses klinisch keine Bedeutung hat. Die Wirkung setzt in der Regel nach 7-10 Tage ein und hält 2-3 Monate an, wobei durch Ersatz des gehemmten Proteins die Wirkung aufgehoben wird.

Die Nebenwirkungen der therapeutischen Gabe, die durch die grosse Zahl der behandelten Patienten genau bekannt sind, sind zu starke Lähmung des Zielmuskels bei zu hoher Dosis, Fernwirkung auf andere Muskeln bei zu hoher kumulativer Dosis, in sehr seltenen Fällen kurzzeitige grippeartige Symptome. Hinweise für bleibende Organschäden fanden sich bei jetzt über 10-jähriger Erfahrung nicht.

Die in der Behandlung von Dystonien angewandte Dosierungen liegen zwischen 40 Units Dysport® für den M. orbicularis oculi, 70 Units für den M. sternocleidomastoideus und 200-500 Units für den M. biceps brachii. Die Dosierungen für das gleichwertige Botox® liegen um 2-3mal niedriger.

Ergebnisse bezüglich der Anwendung beim Spannungskopfschmerz wurden bisher nur vereinzelt berichtet. Rilja (1997) untersuchte 10 Patienten, bei denen 15-35 Units Botox® (Allergan) in die perikraniale Muskulatur injiziert wurden. In allen Patienten kam es 1-2 Wochen nach der Injektion zu einer Besserung der Muskelverspannung und zusätzlich zu einer Besserung der Kopfschmerzsymptomatik, die bis zu 8 Wochen anhielt. In einer ähnlichen Studie zeigten Schulte-Mattler und Mitarbeiter (1999), dass die Injektionen von insgesamt 200 Einheiten Dysport® (Ipsen-Pharma) in die perikranielle Muskulatur zu einer Verbesserung der Kopfschmerzen in 7 von insgesamt 9 Patienten führte. Der scheinbare Dosisunterschied in beiden Studien erklärt sich durch die unterschiedliche Wirkpotenz beider Präparate, so entspricht 1 Unit Botox® etwa 2,5 Units Dysport®. Auch eine retrospektive Beobachtung an 134 Patienten, die aus kosmetischen Gründen 12-40 Units Botox in den M. frontalis oder M orbicularis oculi injiziert bekamen, zeigte bei 9 Patienten, die auch über Spannungskopfschmerzen klagten, eine Besserung des Kopfschmerzes (Carruthers et al. 1999). Im Gegensatz zu diesen positiven Berichten berichteten Rollnick et al. in einem Abstract, präsentiert auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie in Rostock 1999, dass sie in einer placebokontrollierten Studie bei 21 Patienten keine signifikante Besserung sahen.

Zusammenfassend muß zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, daß es Hinweise gibt, daß eine passagere Lähmung der perikranialen Muskulatur eine Therapieoption beim chronischen Spannungskopfschmerz sein könnte. Es bedarf aber weiterer kontrollierter Studien, um dieses zu bestätigen und auch gegebenfalls Injektionsorte und Dosierungen zu etablieren. Botulinumtoxin-Injektionen sind daher noch nicht als ein etabliertes Therapieverfahren bei chronischen Spannungskopfschmerzen anzusehen.

LITERATUR

  • Carruthers A, Langtry JAA, Carruthers J, Robinson G (1999) Improvement of tension-type headache when treating wrinkles with Botulinum Toxin A injections. Headache 39:662-665.
  • Dressler D (1995) Botulinum-Toxin-Therapie. Thieme Verlag, Stuttgart
  • Göbel H, Hamouz V, Hansen C, Heininger K, Hirsch S, Lindner V, Heuss D, Soyka D (1994) Amitriptylin in der Therapie des chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Nervenarzt 65:670-679.
  • Göbel H, Hamouz V, Hansen C, Heininger K, Hirsch S, Lindner V, Heuss D, Soyka D (1994) Chronic tension-type headache: amitriptyline reduces clinical headache-duration and experimental pain sensitivity but does not alter pericranial muscle activity readings. Pain 59:241-249.
  • Headache Classification Committee of the International Headache Society (1988) Classification and diagnostic criteria for headache disorders, cranial neuralgias and facial pain. Cephalalgia 8:Suppl 7:1-96.
  • Jensen R (1999) Pathophysiological mechanisms of tension-type headache: a review of epidemiological and experimental studies. Cephalalgia 19:602-621.
  • Pfaffenrath V, Diener HC, Isler H, Meyer C, Scholz E, Taneri Z, Wessely P, Zaiser-Kaschel H, Haase W, Fischer W (1994) Efficacy and tolerability of amitriptylinoxide in the treatment of chronic tension-type headache: a multi-centre controlled study. Cephalalgia 14:149-155.
  • Pfaffenrath V, Brune K, Diener HC, Gerber WD, Göbel H (1998) Die Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Nervenheilkunde 17:91-100, Stuttgart, 1999
  • Relja M (1997) Treatment of tension-type headache by local injection of botulinum toxin. Eur J Neurology 4 Suppl 2:S71-73.
  • Relja M, Korsic M (1999) Treatment of tension type headache by injections of botulinum toxin type A: double-blind placebo-controlled study Neurology 52:A203.
  • Russel MB, Ostergaard S, Bendtsen L, Olesen J (1999) Familial occurrence of chronic tension-type headache. Cephalalgia 19:207-210.
  • Schulte-Mattler WJ, Wieser T, Zierz S (1999) Treatment of tension-type headache with botulinum toxin: a pilot study. Eur J Med Res 183-186.

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