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01. Migräne, Epidemiologie

** Careri S, Narbone MC, Zito C, Serra S, Coglitore S, Pugliatti P, Luzza F, Arrigo F, Oreto G. Prevalence of atrial septal aneurysm in patients with migraine: an echocardiographic study. Headache 2003;43:725-728

Zusammenfassung: Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die unterstellen, dass Patienten, die unter einer Migräne mit Aura leiden, häufiger ein offenes Foramen ovale (PFO) haben, als bei Migränepatienten ohne Aura und bei Kontrollen. Die italienische Arbeitsgruppe führte bei 90 konsekutiven Migränepatienten ohne cerebrovaskuläre Erkrankung eine transthorakale Echokardiographie durch. Als Kontrollen dienten 53 Personen ohne Migräne. Zielkriterium war das Vorhandensein eines septalen Aneurysmas. Bei 75 Migränepatienten wurde zusätzlich eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt. Ein septales Aneurysma fand sich bei 12/90 Patienten mit Migräne (13,3%) und bei einem der 53 Kontrollpersonen (1,9%). Zehn der Patienten mit Migräne mit Aura hatten ein septales Aneurysma (28,5%) und zwei die unter einer Migräne ohne Aura litten (3,6%). Der Unterschied war statistisch signifikant. Die Autoren schlussfolgern, dass ein atriales septales Aneurysma für die Entstehung einer Migräne mit Aura eine Rolle spielt.

Kommentar: Die Autoren haben zwar eine klinisch interessante Beobachtung gemacht, aber die falsche Schlussfolgerung gezogen. Ein offenes Foramen ovale und ein septales Aneurysma sind nicht die Ursache der Aura einer Migräne, sondern werden sehr wahrscheinlich zufällig mit der Anlage zur Migräne mit Aura vererbt. Dieser gemeinsame Erbmodus könnte auch das leicht erhöhte Schlaganfallrisiko von Patienten mit einer mit Aura und offenem Foramen ovale erklären. (HCD)

** Arbois A, Massons J, Garcia-Eroles L, Oliveres M, Balcells M, Targa C. Migrainous cerebral infarction in the Sagrat Cor Hospital of Barcelona stroke registry. Cephalalgia 2003;23;389- 394.

Zusammenfassung: Migräne gilt als eine der seltenen Ursachen für den ischämischen Schlaganfall. Epidemiologische Studien beschreiben Migräne mit Aura als Risikofaktor vor allem für jüngere Frauen mit Bluthochdruck, bei Gebrauch oraler Kontrazeptiva oder starkem Nikotinkonsum. Es existieren jedoch wenige Daten zur Häufigkeit und Prognose von migräneinduzierten Schlaganfällen, da bisherige Fallserien keine einheitliche Definition benutzten und diese Entität in prospektiven Schlaganfallregistern meist nicht erfasst wurde. Die Autoren präsentieren die Ergebnisse eines hospitalbasierten Schlaganfallregisters aus Barcelona, das in den Jahren 1986-95 insgesamt 2000 Schlaganfallpatienten konsekutiv erfasst hat. Migräneinduzierte ischämische Schlaganfälle wurden angenommen, wenn die IHS-Kriterien für Migräne mit Aura erfüllt wurden, das Infarktgebiet topographisch der beschriebenen Aurasymptomatik zugeordnet werden konnte und andere Schlaganfallursachen ausgeschlossen worden waren. Diese Patienten wurden mit Patienten mit anderen seltenen (aber bekannten) Schlaganfallätiologien verglichen. Insgesamt wurden 70 Patienten mit Schlaganfällen seltener Ursache beschrieben, 9 davon erfüllten die oben beschriebenen Kriterien für eine migräneinduzierten Schlaganfall. Von diesen Patienten waren 6 Frauen, der Altersdurchschnitt lag bei 36 Jahren und 6 Patie nten waren zum Entlassungszeitpunkt symptomfrei. Bei keinem der 9 Patienten lag einer der wesentlichen Risikofaktoren für Schlaganfall vor. Verglichen mit den 61 Patienten mit anderen ungewöhnlichen Schlaganfallätiologien waren die Patienten mit migräneinduziertem Schlaganfall ‚signifikant’ jünger, hatten häufiger eine aktuelle Migränevorgeschichte und klagten eher über Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen im Zusammenhang mit der Entwicklung der neurologischen Defizite. In einer multivariaten Analyse wurden jüngeres Alter und eine Symptomatik mit Übelkeit/Erbrechen als unabhängige Prädiktoren für die Diagnose eines migräneinduzierten Schlaganfalls beschrieben. Die Autoren leiten zudem aus ihren Daten eine relativ günstige Prognose dieses Krankheitsbildes ab.

Kommentar: Die Benutzung einer engen Definition für migräneinduzierte Schlaganfälle ist sicher einer der Stärken der Studie und methodisch vielleicht richtungsweisend für künftige Untersuchungen. Allerdings wecken die Autoren in der Einleitung Erwartungen, die sie nicht erfüllen können: Aus einer hospitalbasierten Schlaganfalldatenbank eines einzigen Zentrums mit ca. 200 Schlaganfällen/Jahr lassen sich kaum allgemeine Aussagen zur Inzidenz oder Prognose ableiten, erst recht nicht für eine derart seltene Erkrankung. So reichten dann auch insgesamt 10 Jahre Erfassungszeit gerade für insgesamt 9 Patienten aus, deren deskriptive Darstellung als Fallserie natürlich ihren Wert hat, die aber aus methodischer Sicht nicht annähernd für die Entwicklung eines logistischen Modells ausreichen und deren Daten auch nicht zu weiteren Schlussfolgerungen verleiten sollten. Man kann aus dieser Studie jedoch sicherlich lernen, dass für die Erforschung der klinischen Charakteristika und Prognose dieser Erkrankung ein multizentrischer Ansatz nötig ist, wie er derzeit in Deutschland vom Studienverbund Schlaganfall gleich für mehrere seltene Schlaganfallursachen verfolgt wird. Epidemiologische Fragestellungen lassen sich dagegen nur durch bevölkerungsbezogene Ansätze (Inzidenz) oder Fall- Kontroll Studien (Risikoabschätzung) beantworten. (KK)

*** Steiner T, Scher AI, Stewart WF, Kolodner K, Liberman J, Lipton RB. The prevalence and disability burden of adult migraine in England and their relationship to age, gender and ethnicity. Cephalalgia 2003; 23: 519-527

Zusammenfassung: Die Prävalenz der Migräne ist inzwischen in zahlreichen Studien für verschiedene Länder ermittelt worden. Für Großbritannien lagen [mit Ausnahme für das englische Königshaus] bislang noch keine exakten Zahlen vor, so dass eine englisch- amerikanische Arbeitsgruppe bei Erwachsenen die bevölkerungsbezogene Prävalenz und deren Abhängigkeit von demographischen Faktoren untersucht hat. Als Methode wurde das standardisierte Telefoninterview gewählt, wie es schon in Studien zur Prävalenz der Migräne in den USA evaluiert worden war. Befragt wurden insgesamt 4.007 Briten im Alter von 16 bis 65, die in getrennten Haushalten lebten. Die Ein-Jahres-Prävalenz der Migräne ohne und mit Aura betrug 7,6% bei den Männern und 18,3% bei den Frauen; eine Migräne mit Aura lag bei 2,6% aller Männer und bei 7,7% aller Frauen vor. Die Prävalenz war bei den 40 bis 50-Jährigen am höchsten und fiel zu beiden Seiten des Alters annähernd symmetrisch ab. Der Bildungsgrad, die Größe des Haushalts und das Haushaltseinkommen zeigten keinen signifikanten Zusammenhang mit der Migräneprävalenz. Interessanterweise war die Migräne bei Nicht- Kaukasiern nur ca. halb so häufig wie bei Kaukasiern. Der Median der Migräneattacken im Jahr betrug 12 bei Frauen und 6 Männern, dieser Unterschied war signifikant. Die Dauer einer unbehandelten Migräneattacke betrug im arithmetischen Mittel 24 Std. bei Männern und 37 Std. bei Frauen, auch dieser Unterschied war signifikant. Der durchschnittliche Arbeitsausfall durch Migräne betrug 5,9 Tage pro Jahr, allerdings lag der Median hierfür unter 1. Auf die britische Bevölkerung hochgerechnet bedeuten die Daten, dass 5,8 Mio. Briten an Migräne leiden und täglich 190.000 Migräneattacken im Vereinigten Königreich auftreten.

Kommentar: Die Studie hat aus methodischer Sicht einige Mängel, die auch von den Autoren diskutiert werden. Das strukturierte Telefoninterview kann eine direkte Anamnese nicht ersetzen. So wird im Text von Kopfschmerzen gesprochen, die der Migräne nach den IHS Kriterien sehr ähnlich sind, aber nicht in jedem Fall exakt entsprechen. Es ist bekannt, dass mit einer solchen Methode die wahre Prävalenz eher überschätzt wird. Auch die Prävalenz der Aura wurde überschätzt, da diese in den Fragen als Beschreibung der typischen Migräne vordefiniert war und somit ein Halo-Effekt erzielt wurde. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft führt derzeit eine ähnlich große Studie an der deutschen Bevölkerung durch. Hierbei wird ein direktes Interview durchgeführt, um die o.g. Fehler zu vermeiden. Die Überschätzung der idiopathischen Migräne wird zusätzlich durch die Tatsache begründet, dass symptomatische Kopfschmerzen, die manchmal eine Migräne imitieren können, nicht ausgeschlossen wurden. Im übrigen liegen die Daten im Größenbereich bereits publizie rter Studien, was zeigt, dass die britische Bevölkerung sich auch in Bezug auf die Migräne nicht von anderen kaukasischen Nationen unterscheidet. Interessanterweise zeigten sich einige signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Frauen haben häufiger eine Aura, die Migräne dauert länger und tritt häufiger auf. Nicht- Kaukasier haben in dieser Studie signifikant seltener Migräne, dies deckt sich mit früheren Studien, die z.B. bei Schwarzen auch seltener Migräne gefunden haben. Glücklicherweise kann die Studie zudem eindrücklich zeigen, dass Bildung und Einkommen [zumindest nach britischen Verhältnissen] keinen Zusammenhang mit der Prävalenz oder der Semiologie der Migräne haben. (SE)


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