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Kopfschmerz-News


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2. Migräne, Pathophysiologie

***Rocca MA, Colombo B, Pagani E, Falani A, Codella M, Scotti G, Comi G, Filippi M. Evidence for cortical functional changes in patients with migraine and white matter abnormalities on conventional and diffusion tensor magnetic resonance imaging. Stroke 2003;34:665-670.

Zusammenfassung: Die Autoren untersuchten mit der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) als auch der Diffusion Tensor Imaging (DTI) 15 Patienten mit Migräne ohne Aura und 15 gesunde Probanden (gleiches Geschlecht, gleiches Alter). Einschlusskriterien waren neben der Migräne auch mindestens vier „white matter lesions“ in subcorticalen Strukturen. Bei einem einfachen Motor-task (Öffnen und Schließen der rechten Hand) konnte mittels f-MRT eine Ausweitung und Intensivierung der nervalen Aktivität des für das Öffnen der Hand zuständigen Motorcortex gefunden werden. Im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe fand sich darüber hinaus eine diskret nach dorsal verschobene kortikale Aktivierung im Motorcortex und eine relative Vergrößerung und auch contralaterale Aktivierung der SMA.

Kommentar: In dieser Studie zeigen die Autoren, dass Migränepatienten, die Veränderungen der weißen Substanz ohne fassbare Gefäßerkrankung aufweisen, für dieselbe Leistung (in diesem Falle wurde das motorische System getestet) eine höhere neuronale Aktivierung im Motorcortex zeigen. Darüber hinaus war das funktionelle motorische Areal für die Hand nach dorsal verschoben. Dieser Effekt entspricht einer funktionellen Plastizität, die schon früher für Patienten mit strukturellen Schäden wie z. B. Schlaganfall oder Multipler Sklerose gezeigt wurde. Insofern sind diese Daten weder typisch noch wegweisend für Migräne. Vielmehr bestätigen diese Daten frühere Studien und zeigen, dass auch geringe und unspezifische subkortikale Läsionen eine funktionelle regionale kortikale Reorganisierung zur Folge haben können. Interessanter Weise fanden sich keine zeitlichen Unterschiede der BOLD-Antworten bei Migränikern verglichen mit gesunden Probanden. Das bedeutet, dass das kortikale Motorareal beider Gruppen gleich schnell aktiviert, jedoch für die gleiche Aufgabe wegen subkortikaler Läsionen mehr Nervenzellen, respektive ein größeres kortikales Areal aktivieren muss. Diese Strategie ist wirksam, denn funktionell fanden sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Insofern ist die Studie physiologisch interessant, da sie einen Hinweis gibt, wie das Gehirn subkortikale Läsionen kompensiert. Die Ätiologie der Läsionen, die bei Migränepatienten nicht außergewöhnlich sind, bleibt im Dunkeln. (MAY)

*** Milanov, I., Bogdanova D. Trigemino-cervical reflex in patients with headache. Cephalalgia 2003; 23:35–38.

Zusammenfassung: Bei Kopfschmerz, insbesondere bei Kopfschmerz vom Spannungstyp sind Hirnstammreflexauffälligkeiten beschrieben worden. Untersucht wurden bislang vorwiegend trigeminotrigeminale Reflexe, die als Kopfschmerz assoziierte Auffälligkeiten eine verminderte späte Suppression (ES 2) der inhibitorischen EMG-Reflex-Antwort des willkürinnervierten M. temporalis nach Stimulation trigeminaler Afferenzen zeigten. Die antinozizeptiven Reflexauffälligkeiten werden als Ausdruck einer alterierten zentralen Schmerzverarbeitung angesehen. Die Autoren der vorliegenden Arbeit gingen der Frage nach, ob sich bei einem alternativen Hirnstamm mediierten, bislang bei Kopfschmerz noch nicht untersuchten trigeminocervikalen Reflex bei Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz oder mit Migräne ohne Aura Auffälligkeiten nachweisen lassen, die ebenfalls auf eine veränderte zentrale Schmerzverarbeitung hinweisen. 15 Patienten mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp und 15 Patienten mit Migräne ohne Aura wurden elektrophysiologisch untersucht. Alle Patienten litten unter einem einseitigen oder zumindest seitenbetonten Kopfschmerz.

Medikamentöse Kopfschmerzprophylaxe war nicht gegeben. Patienten mit Kombinationskopfschmerz oder medikamenteninduziertem Dauerkopfschmerz wurden ausgeschlossen. Als Kontrollgruppe dienten 32 gesunde Normalpersonen. Die trigemino-cervicale Reflexantwort wurde beidseits von dem M. sternocleidomastoideus in entspannter Ruhelage registriert. Der N. supraorbitalis wurde rechts und links mit 3fach über der Wahrnehmungsschwelle liegender Reizstärke nahe des Nervenaustrittspunktes stimuliert. Latenz, Dauer, Fläche und Amplitude der reflektorischen EMG-Antwort des M. sternocleidomastoideus wurden berechnet. Im Vergleich zu den gesunden Normalpersonen und zu der nicht schmerzhaften Seite zeigte sich bei den Patienten mit Migräne und den Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz auf der schmerzhaften Seite eine signifikant verkürzte Latenz der reflektorischen EMG-Antwort. Bezüglich Dauer, Amplitude und Fläche der Reflexantwort konnte kein signifikanter Unterschied zwischen schmerzhafter und nicht schmerzhafter Seite nachgewiesen werden. Signifikante Unterschiede bezüglich der Latenz zwischen Migränepatienten und Spannungskopfschmerzpatienten fanden sich nicht. Ebenso zeigten sich keine signifikanten Reflexauffälligkeiten bei Ableitungen von der nicht schmerzhaften Seite zwischen Patienten mit Spannungskopfschmerz, Patienten mit Migräne und der normalen Kontrollgruppe.

Kommentar: Die Autoren berichten als Erstbeschreibung von einer Hirnstamm-mediierten trigemi-no-cervicalen Reflexauffälligkeit mit Latenzverkürzung der reflektorischen EMG-Antwort bei Patienten mit Kopfschmerz. Da bei beiden primären Kopfschmerzformen identische Reflexalterationen aufgezeigt wurden, ist die Methode im klinischen Alltag nicht geeignet, diese beiden Kopfschmerzformen apparativ-diagnostisch zu differenzieren. Die Untersuchungsergebnisse stehen im Einklang mit den elektrophysiologischen Untersuchungen des inhibitorischen Temporalisreflexes als ebenfalls Hirnstamm mediierten, antinozizeptiven trigemino-trigeminalen Reflex, in welchen eine Verkürzung der späten extrozeptiven Suppression (ES 2) bei Patienten mit Spannungskopfschmerz sowie posttraumatischen Kopfschmerz als auch weiteren sekundären Kopfschmerzformen beschrieben wurde. Auch wenn der unterliegende Mechanismus der Reflexauffälligkeiten letztendlich noch ungeklärt ist, wird als gemeinsamer Pathomechanismus eine alterierte zentrale Schmerzverarbeitung angenommen. Diese findet ihr Korrelat in einer Defizienz des inhibitorischen deszendierenden (serotonergen) schmerzverabeitenden Systems, welches zu einer verminderten Fazilitation bzw. verstärkten Disinhibition inhibitorischer Neurone auf Hirnstammebene führt. Die Arbeitsgruppe hat in ihrer Arbeit einen möglichen Zusammenhang zwischen Latenzverkürzung und subjektiver Kopfschmerzstärke nicht untersucht, so dass eine mögliche klinische Nutzanwendung dieser apparativen Methodik zur Überprüfung der therapeutischen Effizienz medikamentöser oder nicht medikamentöser Maßnahmen auf das jeweilige Kopfschmerzsyndrom noch offen bleiben muss (MK).


DMKG