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2. Migräne, Pathophysiologie
**** Noble-Topham SE, Dyment DA, Cader MZ, Ganapathy R,
Brown JD, Rice GP, Ebers GC. Migraine with aura is not linked to
the FHM gene CACNA1A or the chromosomal region, 19p13.
Neurology 2002; 59:1099-1101
Zusammenfassung:
Das FHM-Gen CACNA1A auf
Chromosom 19p13 wurde
immer wieder als mögliches
Suszeptibilitätsgen für die
Migräne mit Aura (MA) diskutiert.
Hinweise hierfür sind u.a.:
1) Bei Familien mit Kopplung
an den Chr. 19 Lokus finden
sich neben Hemiparesen häufig
auch andere Aurasymptome;
2) In einzelnen FHM-Familien
fanden sich Mutationsträger mit
reiner MA (ohne Hemiparese);
3) In FHM-Familien finden sich
gehäuft Individuen mit MA
(ohne Hemiparese).
Vor diesem
Hintergrund untersuchten die
Autoren in einem großen Kollektiv
kanadischer Familien
(n=64) mit jeweils zwischen
zwei und 19 betroffenen MAPatienten
(n=237) zwei Mikrosatelliten-
Marker für den Chromosom
19p13-Lokus:
D19S1150 (in Intron 7 von
CACNA1A lokalisiert) sowie
D19S558 (extragenisch).
Die Auswertung der Genotypisierungs-
Daten mit drei verschiedenen
statistischen Ansätzen
erbrachte übereinstimmend
keine Hinweise für eine Rolle
von CACNA1A bei der MA: bei
einer parametrischen Kopplungsanalyse
(unter Zugrundelegung
eines autosomaldominanten
Vererbungsmodus
und Klassifizierung von MOIndividuen
als „nicht betroffen“)
ergaben sich für beide
Marker und für zwei zusätzliche,
das FHM-Gen flankierende
Marker, stark negative Lod-
Scores (auch bei getrennter
Subgruppen-Analyse der zwei
bzw. drei Generationen umfassenden
Familien); selbst die
isolierte Betrachtung einzelner
Familien erbrachte kein positives
Ergebnis. Der Befund ließ
sich zusätzlich untermauern
durch das ebenfalls negative
Resultat einer nichtparametrischen
Kopplungs-
Analyse sowie durch einen
Transmission Disequilibrium
Test an insgesamt 79 Kernfamilien,
bei dem sich hinsichtlich
der Übertragung bestimmter
Allele von betroffenen Eltern
auf ihre betroffenen Kinder
keine signifikanten Abweichungen
von einem zufallsmäßigen
Muster ergaben. Die Autoren
schlussfolgern, dass in ihrem
Kollektiv CACNA1A keine
Bedeutung für MA zukommt,
räumen jedoch die Möglichkeit
einer genetischen Heterogenität
der MA ein.
Kommentar:
Das Ergebnis von Noble-
Topham steht im Gegensatz zu
einer Reihe anderer Arbeiten,
insbesondere zwei unabhängigen
affected sib-pair Analysen
(May et al. 1995, Terwindt et
al. 2001) und einer klassischen
Kopplungsarbeit (Nyholt et al.
1998). Ein direkter Vergleich
mit diesen Untersuchungen ist
nur eingeschränkt möglich:
erstens, da es sich bei diesen
Studien um Kollektive mit
anderer geographischer / ethnischer
Herkunft handelt; zweitens,
da in diesen Studien sowohl
MA- als auch MOIndividuen
als betroffen klassifiziert
wurden. Dennoch bleiben
deutliche Limitationen dieser
Arbeiten festzuhalten: das
positive Ergebnis bei Terwindt
und insbesondere May zeigte
eine nur grenzwertige Signifikanz,
in der Analyse von Nyholt
koppelte nur eine (!) von vier
untersuchten Familien auf Chr.
19p13. Demgegenüber sprechen
für die aktuelle Arbeit von
Noble-Topham u.a. die Größe
des Kollektivs und die Anreicherung
auf Familien mit MA
(bei der MA wird im Vergleich
zur MO von einer stärkeren
genetischen Komponente ausgegangen).
Auch der kombinierte
Einsatz verschiedener sich
ergänzender statistischer Modelle
erhöht ohne Zweifel die
Aussagekraft. Die Schlussfolgerung
der Autoren erscheint
somit durchaus berechtigt.
Anderseits kann in Hinblick auf
die genetische Heterogenität der
MA (siehe die Vielzahl der
kürzlich veröffentlichten Suszeptibilitätsloci
: u.a. Carlsson
et al. 2002, Lea et al. 2001,
Wessman et al. 2001) nicht
ausgeschlossen werden, dass
CACNA1A zumindest für eine
Subgruppe von Patienten doch
eine Rolle spielt. Die Rolle des
kürzlich publizierten zweiten
FHM-Gens auf Chromosom 1
(ATP1A2; De Fusco et al. 2003)
ist noch unklar. Hier sind weitere
Studien zu erwarten. (MD)
***Bednarczyk EM, Wack DS, Kassab MY, Burch K, Trinidad K,
Gona J. Brain bood flow in the nitroglycerin (NTG) model of migraine:
measurement using positron emission tomography and
transcranial Doppler. Cephalalgia 2002;22:749-757
Zusammenfassung:
Die Arbeit der amerikanischen
Arbeitsgruppe untersuchte das
sogenannte „NTG-Modell“ im
Kopfschmerz, indem sie 12
gesunde Probanden ohne Kopfschmerzanamnese
mittels
transcraniellem Doppler und
quantitativem H2
15O PET untersuchten.
Nach NTG-Applikation
(i.v. Applikation in 3 verschiedenen
Dosen) zeigte sich, dass
Blutdruck und Puls stabil bleiben,
während der (globale)
cerebrale Blutfluß anstieg und
die Blutflußgeschwindigkeit der
A. cerebri media abfiel. Die
Gabe von Sumatriptan hatte
keinen Effekt auf diese Veränderungen.
Zusätzlich zeigte sich
nach Gabe von NTG ein signifikanter
Anstieg des regionalen
Blutflusses in den basalen
intracraniellen Arterien und im
Cingulum, während der regionale
Blutfluß (rCBF) im occipitalen
Cortex beidseits gegenüber
der Voruntersuchung abfiel.
Kommentar:
In den letzten Jahren wird
zunehmend die Rolle von NO in
der Pathophysiologie der Migräne
diskutiert. Einer der Gründe,
warum man ursprünglich auf
die Rolle von NO kam, war die
Tatsache, dass, allerdings mit
zeitlicher Verzögerung, nach
der Applikation des NO-Donors
Nitroglycerin ein migräneähnlicher
Schmerz bei Migränepatienten
ausgelöst werden kann.
Die initiale (und kurzfristige)
Vasodilatation kann die Entwicklung
eines sofortigen
Kopfschmerzes (der bei vielen
Menschen auftritt) eventuell
erklären, nicht jedoch den
mehrere Stunden später auftretenden
migräneähnlicher
Schmerz (der nur bei Migränepatienten
auftritt). Die Autoren
wählten bewusst und sorgfältig
gesunde Probanden ohne
Kopfschkerzanamnese und
stellten sogar sicher, dass kein
Verwandter ersten Grades an
Migräne leidet. Insofern sollte
nur das Model an sich, nicht die
Migräne untersucht werden.
Bezüglich des globalen cerebralen
Blutflusses war ein überraschender
Befund, dass sich
dieser noch 30 Minuten nach
Infusionsende nachweisen ließ,
was auf Grund der kurzen
Halbwertszeit von NTG nur mit
einem aktiven Metaboliten
erklären lässt. Während die
auffällig symmetrische, bioccipitale
regionale Deaktivierung
(die formal in der Nähe des
visuellen Assoziationskortex
liegt) vermutlich ein Artefakt
ist, tritt die Aktivierung des
Cingulums zeitgleich mit dem
(Nitroglycerin-) Kopfschmerz
auf, den alle Probanden erlebten.
Am interessantesten sind
dagegen die hoch signifikante
regionale Steigerung des rCBF
in der Gegend der basalen
großen Hirnarterien, welche
exzellent zu früheren Veröffentlichungen
passen, in denen eine
Gefäßerweiterung der Carotis
interna sowohl im akuten
Clusterkopfschmerz, als auch im
experimentellen Gesichtsschmerz
gezeigt werden konnte.
Die Autoren gehen darauf nicht
wesentlich ein, zeigen jedoch
zweifelsfrei, dass eine intracranielle
Gefäßweitstellung nicht
mit Migräneschmerz einhergehen
muss. Im Umkehrschluss
braucht eine Migräneattacke
nicht zwingend eine Veränderung
im Gefäßdiameter. Und
ohne es zu wissen, widerlegen
die Autoren auch gleich noch
ein Axiom der H2
15O PETBildgebung:
das nämlich jede
Aktivierung das Korrelat synaptischer
Aktivität sein muss.
(MAY)