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Kopfschmerz-News

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2. Migräne, Pathophysiologie

**** Bantick SJ, Wise RG, Ploghaus A, Clare S, Smith SM, Tracey I. Imaging how attention modulates pain in humans using functional MRI. Brain 2002;125:310-319

Zusammenfassung: Erfahrungen im klinischen Alltag zeigen, daß die Schmerzempfindung extrem vom Aufmerksamkeitsgrad des entsprechenden Patienten abhängt. Es ist bekannt, daß Ablenkung die Schmerzempfindung lindert. Allerdings ist bisher nicht bekannt, über welche Mechanismen dies geschieht. Die Arbeitsgruppe aus Oxford untersuchte mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie dieses Phänomen. In die Studie wurden acht freiwillige Versuchspersonen eingeschlossen. Als Schmerzstimulus dienten Hitzereize mit einer Temperatur zwischen 50 und 53°C und einer Dauer von 5 Sekunden, die im Bereich des linken Handrückens appliziert wurden. Über einen Projektionsbildschirm wurden neuropsychologische Aufgaben appliziert, die einen unterschiedlichen Konzentrationsgrad erforderten. Wenn die Versuchspersonen abgelenkt waren, kam es zu einer erhöhten Aktivität von Hirnregionen, die mit der affektiven Verarbeitung von Schmerzsignalen befaßt sind, wie dem vorderen cingulären Cortex und orbitofrontalen Regionen. Im Gegensatz dazu kam es zu einer Abnahme der Aktivität im Thalamus, in der Insula sowie im kognitiven Anteil des vorderen Cingulums. Die Veränderungen in der funktionellen Kernspintomographie korrelierten mit der subjektiven Wahrnehmung der Schmerzintensität.

Kommentar: Die hier vorgelegte Studie ist sehr wichtig für das Verständnis von Schmerzverarbeitung und dem Einfluß von Aufmerksamkeit auf die Schmerzintensität. Die Experimente zeigen insbesondere die wichtige Rolle des vorderen Anteils des Cingulums für die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung. Aus neuroanatomischen Studien ist bekannt, daß es vielfältige Verbindungen zwischen dieser Region und den anderen für die Schmerzwahrnehmung relevanten Hirnregionen, wie dem Thalamus, der Insula und dem Hippocampus gibt. (HCD)

***** Dreier JP, Kleeberg J, Petzold G, Priller J, Windmüller O, Orzechowski H-D, Lindauer U, Heinemann U, Einhäupl KM, Dirnagl U. Endothelin-1 potently induces Leao’s cortical spreading depression in vivo in the rat. A model for an endothelial trigger of migrainous aura? Brain 2002;125:102-112

Zusammenfassung: Die erstmals von Leao beschriebene cortical spreading depression (CSD) ist eine Welle der Übererregung kortikaler Neuronenverbände gefolgt von langdauernder Unerregbarkeit, die sich experimentell bei kleinen Säugetieren durch Verletzung des zerebralen Kortex oder Applikation von K+ auslösen lässt. Die charakteristische Ausbreitungsgeschwindigkeit und andere Eigenschaften der CSD weisen darauf hin, dass sie auch das physiologische Korrelat der Migräneaura im menschlichen Kortex darstellt. Die Auslösemechanismen der Migräneaura sind aber nicht bekannt, es werden neuronale und vaskuläre Vorgänge diskutiert. Da eine Aura häufig durch zerebrale Angiographie provoziert wird, vermuten die Autoren der vorliegenden Arbeit, dass die Irritation des Gefäßendothels und die Freisetzung eines endothelialen Faktors der Auslöser sein könnte. Der entscheidende Mediator bei diesem Vorgang könnte das Endothelin-1 (ET-1) sein, eine potente vasokonstriktorische Substanz, die auch die Erregbarkeit von Neuronen und Gliazellen fördert. Um diese Hypothese zu überprüfen, untersuchten die Autoren an der narkotisierten Ratte, ob sich CSD neben den klassischen Methoden auch durch Applikation von ET-1 auf den zerebralen Kortex auslösen läßt. Der Ablauf der CSD konnte dabei durch Messung des DC-Potenzials (Gleichspannungsveränderung), durch K+-sensitive Elektroden und mittels Laser-Doppler-Flowmetrie in einem kranialen Fenster eindeutig bestimmt werden. In einer weiteren Versuchsserie wurden Gehirnschnitte angefertigt, um CSD in vitro auszulösen. ET-1 in Konzentrationen von 10 nM – 1 µM löste am intakten Kortex (aber nicht an den Gehirnschnitten) dosisabhängig eine oder mehrere Wellen von CSD aus, die typischerweise durch Blockierung der NMDA-Rezeptoren gehemmt werden konnten. In einer sehr ausführlichen Diskussion wurden die möglichen vaskulären und neuronalen Mechanismen besprochen, die dieser ET-1-Wirkung zugrunde liegen könnten.

Kommentar: Die vorliegende Arbeit, die mit großer Sorgfalt und einem breiten Spektrum an Messungen zur Absicherung der Ergebnisse durchgeführt wurde, zeigt eindeutig, dass ET-1 ein hochwirksamer Mediator zur Auslösung von CSD ist. Da viele Gruppen an CSD arbeiten, ist es erstaunlich, dass dieser Zusammenhang erst jetzt entdeckt wurde. Unklar bleibt dabei der Mechanismus, über den ET-1 wirkt, wobei es durchaus möglich ist, dass zur Auslösung von CSD mehrere vaskuläre und neuronale Mechanismen zusammenwirken müssen. Die Bedeutung der Arbeit liegt in der Beschreibung eines möglichen endogenen vaskulären Auslösers für die Migräneaura. Da CSD beim Menschen noch immer nicht direkt messbar ist, steht zwar der letzte Beweis dafür aus, daß CSD der Migräneaura zu Grunde liegt, aber unter der Annahme, dass dies der Fall ist, hätte dieses Ergebnis möglicherweise auch Konsequenzen für das Verständnis der Migräneentstehung. Der Zusammenhang zwischen CSD bzw. Auraphase und der Schmerzentstehung bei der klassischen Migräne ist durch neue tierexperimentelle Ansätze gerade in letzte Zeit wieder verstärkt diskutiert worden. Aus der Arbeitsgruppe von Moskowitz (Boston) kommt der Befund, dass CSD im Tierversuch langdauernde Durchblutungszunahmen und Plasmaproteinextravasation in den Meningen auslösen kann und die Expression von c-fos, einem Marker für neuronale Aktivität, im spinalen Trigeminuskern bewirkt (Bolay et al.; Nature Med 2002;8:136-142). Dagegen wurden in der Arbeitsgruppe von Schaible (Jena) nach zuverlässig kontrollierter CSD weder Plasmaproteinextravasation in der Dura noch Anzeichen für neuronale Aktivierung oder Sensibilisierung der Neurone im spinalen trigeminalen Nucleus, dem wichtigsten Relaiskern des trigeminalen Schmerzsystems, gefunden (Ebersberger et al.; Ann Neurol 2001;49:7-13; besprochen in den Kopfschmerz-News 3/2001). Unabhängig von dieser Streitfrage könnte die vorliegende Arbeit für die Praxis von Bedeutung sein, wenn es gelänge, die durch Angiographie ausgelösten Migräneauren durch Intervention im Ablauf der ET-1-abhängigen CSD zu unterbinden. (KBM)


DMKG