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Kopfschmerz-News

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2. Migräne, Pathophysiologie

***** Bowyer SM, Aurora SK, Moran JE, Tepley N, Welch KMA. Magnetoencephalographic fields from patients with spontaneous and induced migraine aura. Ann Neurol 2001;50:582-587

Zusammenfassung: Während der Migräneaura kommt es zu neurologischen Reiz- und Ausfallserscheinungen, vor allem im visuellen System, die sich langsam entwickeln. Das neurophysiologische Pendant für diese klinischen Symptome soll die spreading cortical depression sein, ein elektrophysiologisches Phänomen, dass in Tierexperimenten nach Reizung des Cortex nachgewiesen wurde. Ein entsprechendes Phänomen ist aber bisher beim Menschen, beispielsweise während epilepsiechirurgischer Eingriffe, nicht nachgewiesen worden. In einem Einzelfall konnte im Rahmen einer positronenemissionstomographischen Untersuchung allerdings eine sich langsam ausbreitende Hemmung der kortikalen Durchblutung bei einer Patientin zu Beginn einer Migräneattacke nachgewiesen werden. Diese Daten konnten bisher aber nicht repliziert werden. Die Magnetenzephalographie ist eine nichtinvasive und sehr elegante Methode mit der untersucht werden kann, ob es eine spreading depression während der Migräneaura gibt. In die Studie wurden 4 Migränepatienten aufgenommen, bei denen die Aura spontan auftrat. Bei 8 weiteren Patienten wurde die Migräneaura durch eine intensive Lichtstimulation ausgelöst. Sechs weitere Personen ohne Migräne dienten als Kontrolle. Bei allen Patienten wurde das MEG mit Hilfe eines 148 Kanalmagnetenzephalo-graphen aufgezeichnet.

Bei allen Patienten mit Migräne kam es zu einer visuellen Aura. Bei keinem der Kontrollpersonen kam es zu Sehstörungen. Während der Auraphase hatte keiner der Migränepatienten Kopfschmerzen. Dieser entwickelte sich erst nach Abklingen der Aura. Bei allen Migränepatienten liessen sich langsame Verschiebungen der hirnelektrischen Aktivität im visuellen Cortex nachweisen. Bei den Migränepatienten kam es aber auch in anderen kortikalen Arealen zu einem DC shift, der bei den Kontrollpersonen nicht beobachtet wurde.

Kommentar: Die hier durchgeführte magnetenzephalographische Untersuchung ist extrem wichtig, da sie zum ersten Mal an einer grösseren Population von Migränepatienten mit Aura belegt, dass es zu elektrophysiologischen Veränderungen im Cortex während der Migräneaura kommt. Dieser Nachweis war bisher nur mit Hilfe der Kernspintomographie gelungen. Kernspintomographische Untersuchungen des Blutflusses sind deswegen problematisch, weil nur indirekte Schlüsse über eine mögliche kortikale Aktivierung oder Hemmung möglich sind. Die Magnetenzephalographie stellt im Gegensatz dazu direkt die hirnelektrische Aktivität dar. Der Nachweis einer kortikalen spreading depression in der Migräneaura ist deswegen wichtig, weil eine Behandlung der Migräneaura bisher nicht möglich ist. Es werden daher in Zukunft neue Medikamente entwickelt werden und zum Einsatz kommen, die spezifisch die kortikale spreading depressionhemmen. (HCD)

*** Peres MFP, Sanchez del Rio M, Seabra MLV, Tufik S, Abucham J, Cipolla-Neto J, Silberstein SD, Zukerman E. Hypothalamic involvement in chronic migraine. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2001;71:747-751

Zusammenfassung: In der noch nicht offiziell verabschiedeten neuen Fassung der IHS-Klassifikation wird neu der Begriff der chronischen Migräne definiert. Darunter versteht man einen täglichen Kopfschmerz, der durch migräneartige Episoden überlagert wird und häufig aus einer eindeutig zu diagnostizierenden Migräne sich über die Jahre entwickelt hat. Ein Grossteil dieser Patienten haben einen Schmerzmittel-Fehlgebrauch betrieben, bei einer geringen Anzahl kam es möglicherweise ohne weitere Auslöser zu solch einer Entwicklung. Die Autoren aus Brasilien und den USA gingen von der Annahme aus, dass eine Fehlfunktion im Bereich des Hypothalamus, wie sie z.B. auch für den Clusterkopfschmerz diskutiert wird, vorliegt. Insgesamt wurden bei 17 Patienten und 9 gesunden Probanden in einem klinischen Setting, stündlich in der Nacht über 12 Stunden, venös Blut abgenommen und die Hormone Melatonin, Prolaktin, Wachstumshormon und Cortisol bestimmt. Die Bestimmung wurden mittels eines Radioimmunoassay durchgeführt. Elf der Patienten hatten einen Schmerzmittel-Fehlgebrauch und 8 Patienten litten an einer Schlafstörung, definiert als mindestens 3 mal pro Woche im letzten Monat aufgetretene Schlaflosigkeit. Vier Patienten entsprachen den diagnostischen Kriterien der American College of Rheumatology für Fibromyalgie. Darüber hinaus wurde der Grad einer vorliegenden Depression und einer Angsterkrankung evaluiert, ohne dass auf diese Werte später abgehoben wird. Wesentliches Ergebnis ist, dass sich beim Gruppenvergleich der Kontrollen und der Patienten keine Differenz in der mittleren Melatonin-Sekretion findet. Führt man eine Subgruppen-Analyse durch, findet sich bei den Patienten mit einer klinisch diagnostizierten Insomnie eine signifikant erniedrigte mittlere und maximale Melatonin-Konzentration, die in der Nacht auch etwas später ihr Maximum erreicht. Ebenfalls im Gruppenvergleich nicht unterschiedlich war der mittlere Prolaktin-Spiegel, wobei aber signifikant mehr Patienten einen niedrigen Prolaktin-Spiegel zeigten als die Kontrollen. Für den Cortisol-Spiegel fand sich insgesamt eine höhere Konzentration bei den Patienten als bei den Kontrollen. Der Wachstumshormon-Spiegel war für beide Gruppen ähnlich.

Die Autoren schliessen aus diesen Befunden, dass wahrscheinlich bei der chronischen Migräne eine Störung im Bereich des Hypothalamus vorliegt, wobei nicht zu unterscheiden ist, inwieweit diese Störung, die vorwiegend die Melatonin- und Prolaktin-Sekretion betrifft, Ursache oder Folge der chronischen Migräne ist. Als mögliche primäre Mechanismen wird diskutiert, inwieweit die erhobenen Werte durch eine vermehrte Produktion des Tumornekrosefaktors TNF-Alpha, einem der wesentlichen proinflammatorischen Zytokine, bedingt sein kann.

Kommentar: Diese Studie geht sicherlich einer interessanten Fragestellung nach, inwieweit Strukturen, die mit endogenen Rhythmen und vegetativer Kontrolle verbunden werden, ursächlich an der Migräne, bzw. chronischen Migräne beteiligt sind. Insgesamt sind aber die Ergebnisse der Studie mit vielen Fragezeichen zu versehen. Erstens, sind seit mindestens 20-30 Jahren ähnliche Studien für verschiedene psychiatrische Erkrankungen bekannt, die in der Mehrzahl ebenfalls Auffälligkeiten im Cortison- und Prolaktin-Sekretion gefunden haben, ohne dass bis heute dieses zu einem wesentlichen diagnostischen oder therapeutischen Zugewinn geführt hätte. Zweitens sind die dargestellten Auffälligkeiten insgesamt allenfalls als marginal und möglicherweise rein durch die Stichprobengrössen und die Co-Variablen wie Schmerzmittel-Fehlgebrauch, Schlafstörungen und generalisiertes Schmerzsyndrom zu erklären. Festzuhalten ist, dass nur für die Patienten mit begleitender Schlafstörung die Melatonin-Sekretion auffällig war, dass für das Prolaktin ebenfalls nur für eine Subgruppe eine auffällige Sekretion vorlag und dass das Wachstumshormon, welches eigentlich ähnlich verändert sein sollte, nicht auffällig war. Die Erhöhung des Cortisol-Spiegels ist bei Patienten mit einer chronischen Schmerzerkrankung, und insbesondere der möglicherweise Co-Morbidität mit einer Angststörung (dieses wurde nicht weiter analysiert) nicht wirklich auffällig. So muss am Schluss zusammenfassend festgehalten werden, dass es sich hierbei um einen interessanten Ansatz handelt, der aber zum jetzigen Zeitpunkt, wie auch die Autoren selber sagen, nicht wirklich unterscheiden kann, was Ursache und was Folge der Erkrankung ist. (AS)


DMKG