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Migräne, Epidemiologie

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1. Migräne, Epidemiologie

*****Stewart WF, Lipton RB, Chee E, Sawyer J, Silberstein SD. Menstrual cycle and headache in a population sample of migraineurs. Neurology 2000;55:1517-1523

Zusammenfassung: In allen Lehrbüchern der Neurologie und der Diagnose und Therapie von Kopfschmerzen ist aufgeführt, daß ein Triggerfaktor für das Auftreten von Migräneattacken der Eisprung und die Periodenblutung ist. Darüber hinaus wird postuliert, daß Migräneattacken während der Menstruation von höherer Intensität und längerer Dauer sind. Ob diese Annahmen richtig sind, untersuchten die amerikanischen Autoren in einer großen prospektiv angelegten Studie, die an einer populationsbezogenen Gruppe von Migränepatientinnen durchgeführt wurde. Im Rahmen der Studie wurden zunächst Telefoninterviews durchgeführt, um eine populationsbezogene Stich-probe von Migränepatienten und -patientinnen zu erhalten. Patientinnen, die der Studienteilnahme zustimmten, wurden dann von einem erfahrenen Neurologen untersucht und wenn die Diagnose einer Migräne bestätigt wurde, in die Studie aufgenommen. Die Frauen wurden gebeten, Kopfschmerztagebücher über insgesamt 98 Tage zu führen. Darüber hinaus notierten die Frauen den Zeitpunkt der Periodenblutung und des Eisprungs. Insgesamt wurden 6.510 Telefoninterviews durchgeführt. 4.095 der Interviewten waren Frauen. Insgesamt erfüllten 884 Personen die Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft für eine Migräne. An der Studie selbst nahmen 130 Frauen teil, wobei 81 von diesen die Kopfschmerztagebücher bis zum Ende der Beobachtungszeit ausfüllten. Insgesamt wurden 934 Kopfschmerzepisoden erfaßt, die zu 1.580 Tagen mit Kopfschmerzen führten. Die Gesamtzahl der beobachteten Tage betrug 7.219.

Von den Kopfschmerzereignissen wurden 45% als Migräne eingestuft und 55% als andere Kopfschmerzen. Für die Migräne ergab sich eine signifikante Häufung an den Tagen 0 und 1 der Periodenblutung mit einer odds ratio von 1,92 und an den Tagen 2 und 1 vor der Periodenblutung mit einer odds ratio von 1,5. Für die anderen Tage und dem Zeitpunkt der Ovulation (berechnet als 14-15 Tage vor der Periodenblutung) ergab sich kein erhöhtes Auftreten von Kopfschmerzen. Diese Häufung von Migräneattacken bei der Periodenblutung ergab sich allerdings nur bei Migräne ohne Aura. Auch Kopfschmerzen, die vom Charakter her Spannungskopfschmerzen ähnelten, waren mit einer odds ratio von 1,67 an den Tagen 0 und 1 der Periodenblutung häufiger. Die Schmerzintensität und die Dauer der Kopfschmerzereignisse unterschied sich allerdings bei den menstrutationsassoziierten Kopfschmerzereignissen nicht von den Migräneattacken und Episoden von Spannungskopfschmerz außerhalb dieser Zeit.

Kommentar: Die hier vorgelegte Studie ist populationsbezogen und damit in ihren Ergebnissen sehr viel mehr auf die Realität zu beziehen als Studien, die an Patientinnen durchgeführt wer-den, die wegen ihrer Beschwerden einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen. Die hier durchgeführte Studie konnte endlich mit dem Vorurteil aufräumen, daß Migräneattacken während der Periode länger und intensiver sind als außerhalb der Periode. Die bisher gemachten Beobachtungen rühren daher, daß mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Frauen, bei denen dies der Fall ist, eher einen Arzt aufsuchen als Frauen, bei denen kein Unterschied in der Migräneintensität während und außerhalb der Periodenblutung besteht. Die Autoren konnten allerdings eindeutig belegen, daß die Wahrscheinlichkeit, eine Migräneattacke zu bekommen während und kurz vor der Periode, fast doppelt so hoch ist wie außerhalb dieser Zeit. Interessant ist die Beobachtung, daß Frauen, die unter einer Migräne leiden und Kopfschmerzen vom Spannungstyp haben, ebenfalls eine Häufigkeit dieser Kopfschmerzereignisse zum Zeitpunkt der Periode aufweisen. Dies würde die Annahme stützen, daß Menschen, die unter einer Migräne leiden, auch sehr leichte Migräneattacken haben können, die phänomenologisch dem Spannungskopfschmerz ähneln. (HCD)

*****Neuhauser H, Leopold M, von Brevern M, Arnold G, Lempert T. The interrelations of migraine, vertigo, and migrainous vertigo. Neurology 2001;56:436-441

Zusammenfassung: Migräne ist eine häufige Erkrankung. Etwa zwischen 8 und 12% der Bevölkerung leiden unter eine Migräne. Auch intermittierende Schwindelattacken sind häufig, dies auch, wenn man Schwindelursachen wie den benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel ausschließt. In der Kindheit gibt es isolierte Schwindelattacken als Manifestation einer Migräne. Die Autoren von der Neurologie der Charité in Berlin untersuchten daher systematisch, ob es bei ihren Patienten einen Zusammenhang zwischen Schwindelattacken und Migräne gibt.

Die Autoren untersuchten prospektiv 200 konsekutive Patienten aus einer Schwindelambulanz und 200 Patienten einer Migräneambulanz. Als migräneassoziierter Schwindel wurde definiert, wenn rezidivierende Drehschwindelattacken mit wahrgenommener Selbstbewegung oder Objektbewegung auftraten, wenn eine Migräne nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft bestand und wenn mindestens einer der folgenden Migränesymptome während mindestens zwei Schwindelattacken bestand, nämlich migräneähnliche Kopfschmerzen, Licht- oder Lärmempfindlichkeit, Aurasymptome und wenn andere Ursachen durch entsprechende Untersuchungen ausgeschlossen waren. Als Kontrollgruppe dienten 200 Patienten einer orthopädischen Poliklinik. Die Prävalenz der Migräne war in der Gruppe der Schwindelpatienten mit 38% deutlich höher als in der Kontrollgruppe mit 24%. Die Prävalenz von migränösen Schwindelattacken war 7% in der Patientengruppe aus der Schwindelambulanz und 9% aus der Patientengruppe der Migräneambulanz. Bei 15 der 33 Patienten mit migränösen Schwindelattacken war der Schwindel regelmäßig mit typischen Migräneattacken asso-ziiert. Bei 16 Patienten kam es auch zu Schwindelattacken ohne Kopfschmerzen. Bei 2 Patienten traten Schwindel und Kopfschmerz immer getrennt auf. Es gibt klinisch und epidemiologisch eindeutig eine Assoziation zwischen Migräne und rezidivierenden Schwindelattacken.

Kommentar: Die hier vorliegende prospektive Studie ist eine wertvolle Ergänzung zur Differentialdiagnose des Schwindels. Ein nicht unerheblicher Prozentsatz von Migräne- und Schwindelpatienten hat offenbar eine Assoziation beider Erkrankungen. Dies ist deswegen besonders wichtig, weil in der Regel auch die rezidivierenden Schwindelattacken auf eine Migräneprophylaxe ansprechen. Bevorzugen würde man hier Flunarizin einsetzen, das seinerseits eine Wirkung beim rezidivierenden Schwindel hat. Die Wirkung von Flunarizin in dieser Subgruppe von Patienten wurde allerdings bisher in einer prospektiven plazebo-kontrollierten Studie nicht untersucht. (HCD)


DMKG