06. Migräne, Akuttherapie
*** Boureau F, Kappos L, Schoenen J, Esperanca P, Ashford E.
A clinical comparison of sumatriptan nasal spray and dihydroergotamine nasal spray in the acute treatment of migraine. Int J Clin Pract 2000;54:281-286
Zusammenfassung:
In einer Reihe europäischer Länder steht Dihydroergotamin zur Behandlung akuter Migräneattacken als Nasenspray zur Verfügung. In Deutschland ist im Moment nur Sumatriptan als Nasenspray verfügbar. In einer multinationalen multizentrischen randomisierten doppelblinden cross-over-Studie wurde an 368 Patienten die Wirksamkeit und Verträglichkeit von 20 mg Sumatriptan Nasenspray und 1 bzw. 2 mg Dihydroergotamin Nasenspray untersucht. Der primäre Endpunkt wurde nach 60 Min. gemessen. Über eine Besserung der Kopfschmerzen nach 1 Std. berichteten 53% der Patienten mit Sumatriptan und 41% mit Dihydroergotamin. Der Unterschied war signifikant. Unterschiede zugunsten von Sumatriptan fanden sich auch nach 45, 90 Min. und 120 Minuten. Schmerzfrei waren 22% der Patienten 60 Min. nach Applikation mit Sumatriptan und 16% mit Dihydroergotamin. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Ein Unterschied ergab sich allerdings beim Wiederauftreten von Kopfschmerzen. Diese traten bei 23% der Patienten nach Sumatriptan und 13% nach Dihydroergotamin auf. Beide Substanzen beeinflußten nicht die Lärmempflichkeit. Die Besserung der Übelkeit war mit Sumatriptan deutlich ausgeprägter als mit Dihydroergotamin.
Kommentar:
Die hier vorliegende Studie unterstreicht das Ergebnis anderer Vergleichsstudien zwischen Sumatriptan und Mutterkornalkaloiden. Sumatriptan ist besser wirksam, wobei diskutiert werden kann, ob 20 mg Sumatriptan wirklich bioäquivalent sind zu 2 mg Dihydroergotamin. Interessant und reproduzierbar ist die Beobachtung, daß wiederauftretende Kopfschmerzen nach Dihydroergotamin seltener sind als nach Sumatriptan. Deshalb gibt es bei Patienten mit lang anhaltenden Migräneattacken und regelmäßigem Wiederauftreten von Kopfschmerzen mit den Mutterkornalkaloiden weiterhin eine wichtige Therapieoption. (HCD)
**** O’Quinn S, Ephross SA, Williams V, Davis RL, Guttermann DL, Fox AW.
Pregnancy and perinatal outcomes in migraineurs using sumatriptan: a prospective study. Arch Gynecal Obstet 1999; 263: 7-12
Zusammenfassung:
Die Autoren stellen eine offene, prospektive Studie im Sinne einer Anwendungsbeobachtung von Sumatriptan (Imigran ®) 6mg subcutan zur Behandlung der akuten Migräneattake vor. Insgesamt wurden 12.339 Patienten in dieser Studie über ein Jahr prospekiv beobachtet. Verglichen mit anderen Triptan-Studien zeigten alle Patienten ein normales Einnahmeverhalten während dieser Zeit. Von den 9.861 Frauen, die an dieser Studie teilnahmen, wurden während dieses Zeitraumes 173 Frauen schwanger. Insgesamt 168 Schwangerschaften konnten vollständig dokumentiert werden werden und gingen in die Auswertung ein. In 92 Fällen wurde Sumatriptan nur bis zur Konzeption und dann nicht mehr verwendet. Die verbleibenden 76 Frauen setzten Sumatriptan zumindest einmalig (aus Versehen, die Schwangerschaft war nicht bekannt) im ersten Trimenon der Schwangerschaft ein. Alle Frauen wurden im Beobachtungszeitraum weiterverfolgt und mögliche Komplikationen dokumentiert. Zwischen den beiden Gruppen (keine Medikation und Sumatriptan in der Schwangerschaft) bestanden keine signifikanten Unterschiede bezüglich perinataler Entwicklung und Geburt.
Kommentar:
Üblicherweise setzt die Migräne in der Schwangerschaft aus. Problematisch ist es, wenn die Migräneattacken in der Schwangerschaft weiter bestehen und eine Attackenmedikation benötigt wird. Anti-Migräne Substanzen wie Ergotamine und Triptane sind in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht zugelassen. Für Ergotamine sind teratogene Effekte und eine höhere Totgeburtrate bekannt. Bereits 1998 wurde darauf hingewiesen, daß in 96 Schwangerschaften die versehentliche Anwendung von Sumatriptan gut vertragen wurde. Die vorliegende Studie zeigt, daß Sumatriptan in der Schwangerschaft eingesetzt, keine erhöhte Komplikationsrate oder Teratogenität zur Folge hat und unterstreicht damit das hohe Sicherheitsprofil dieser Substanz. Selbstverständlich gilt weiterhin, daß Sumatriptan in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden sollte, jedoch kann man Frauen, die dies versehentlich doch taten, beruhigen. Noch sind die beobachteten Fallzahlen sicherlich zu niedrig, um eine endgültige Aussage zur Sicherheit von Sumatriptan in der Gravität treffen zu können, jedoch wurde eine Schwangerschaftsregister eingerichtet, so daß in einigen Jahren ausreichend hohe Fallzahlen vorliegen dürften. (MAY)
* Adelman JU, Mannix LK, Von Seggern RL.
Rizatriptan tablet versus wafer: patient preference. Headache 2000; 40: 371-372
Zusammenfassung:
Rizatriptan liegt in der Applikationsform einer normalen oder einer lyophilisierten Tablette (Wafer) vor. Der Wafer hat den Vorteil im Mund zu „schmelzen„ und kann somit ohne Wasser eingenommen werden. In dieser retrospektiven Beobachtung wurden 367 Patienten des „Headache Wellness Center“, einer amerikanischen Privatklinik, gefragt, welche Applikationsform sie bevorzugen. Beide Applikationsformen wirken gleich schnell und zeigen keinen Unterschied in der Nebenwirkungsrate. 179 Patienten bevorzugten die konventionelle Tablette, während 188 lieber den Wafer einnahmen. Somit ergab sich prima vista kein signifikanter Unterschied in der Präferenz der Applikationsform.
Kommentar:
Leider ist aus der vorliegenden Veröffentlichung nicht zu entnehmen, ob es sich um eine kontrollierte Studie, die den IHS-Richtlinien genügt, handelt, da die Methoden nicht ausreichend beschrieben werden. Offensichtlich wurden Patienten beide Formulierungen mitgegeben und die dann Favorisierte weiter verschrieben. Es ist nicht klar, ob alle Patienten beide Applikationsformen überhaupt probiert haben und wenn ja, wie oft. Auch wird nicht ausreiched beschrieben, warum Patienten eher die eine oder andere Form favorisierten und ob sie eventuell schon vorher Rizatriptan und dann in welcher Form zur Attackenmedikation einnahmen. Eine statistische Auswertung wird nicht beschrieben. Der Kommentar der Autoren ist unkritisch.
Es wird immer deutlicher, daß die bisherigen Studien zur Wirksamkeit von Migränemedikamenten den klinischen Alltag nur ungenügend wiederspiegeln. Befragt nach Ihrer Präferenz in einer Studie, in der Medikamente X und Y verglichen werden, kann es passieren, daß Patienten Substanz X den Vorrang geben, obwohl die statistische Auswertung zeigt, daß Substanz Y nach den herrschenden Kriterien besser wirkt. Hierfür kann es viele Gründe geben. Insofern ist es wichtig, daß in zu planenden Studien die Präferenz, die die Patienten angeben, mehr Gewicht erhält. Wie solche Studien designed werden sollten, ist Grundlage heftiger Diskussionen. Umso wichtiger wäre es gewesen, genauerer Auskünfte über diesen „patient preference trial“ zu erhalten. Da es sich jedoch um eine retrospektive Beobachtung handelt, ist die Studie zumindest nicht vor diesem Hintergrund designt worden. (MAY)
*** Kellstein DE, Lipton RB, Geetha R, Koronkiewicz K, Evans FT, Stewart WF, Wilkes K, Furey SA, Subramanian T, Cooper SA.
Evaluation of a novel solubilized formulation of ibuprofen in the treatment of migraine headache: a randomized, double-blind, placebo-controlled, dose-ranging study. Cephalalgia 2000;20:233-243
Zusammenfassung:
Viele Patienten mit leichten und mittelschweren Migräneattacken kommen weiterhin mit Analgetika relativ gut zurecht. Ein gewisser Nachteil einiger nichtsteroidaler Antirheumatika ist, daß sie relativ langsam resorbiert werden und daher einen etwas verzögerten Wirkungseintritt haben. Deshalb wurde in den Vereinigten Staaten eine schnelllösliche Form von Ibuprofen entwickelt, die in einer multizentrischen plazebo-kontrollierten Studie untersucht wurde. Es handelt sich um eine Dosisfindungsstudie mit 200, 400 und 600 mg Ibuprofen im Vergleich zu Plazebo. Insgesamt wurden 972 Patienten randomisiert und 672 standen für die Auswertung zur Verfügung. Die Besserung der Kopfschmerzen nach 2 Std. betrug 64% für 200 mg, 72% für 400 mg, 72% für 600 mg Ibuprofen und 50% für Plazebo. Kopfschmerzfrei nach 2 Std. waren 25%, 28%, 29% und 13% der Patienten. Ibuprofen war auch wirksamer als Plazebo in der Verbesserung von Lichtempfindlichkeit, Lärmempfindlichkeit und Übelkeit. Insgesamt war die Verträglichkeit gut. Die Nebenwirkungen nahmen aber mit der Dosis von Ibuprofen zu. Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf.
Kommentar:
Diese Studie zeigt, daß bei der Migräne auch eine schnelllösliche Form von Ibuprofen relativ gut wirkt. Interessant ist die Beobachtung, daß es keine Dosiswirkungsbeziehung gibt, d.h. höhere Dosen von Ibuprofen wirken nicht besser als niedrigere Dosierungen. Erstaunlich ist, das bereits 200 mg Ibuprofen ausreichend wirksam sind. Weiterhin erstaunlich ist die hohe Plazeboquote von 50% Verbesserung der Kopfschmerzen nach 2 Std. In indirekten Vergleichen liegen allerdings die Besserungsraten für „Kopfschmerzfrei“ nach 2 Std. eindeutig unter denen der meisten Triptane. (HCD)
**** Gnecchi-Ruscone T, Bernard X, Pierre P, Anderson D, Legg N, Enahoro H, Winter PDO,Crisp A, Melin JA, Camici PG.
Effect of naratriptan on myocardial blood flow and coronary vasodilator reserve in migraineurs. Neurology 2000;55:95-99
Zusammenfassung:
Alle Triptane habe vasokonstriktive Eigenschaften, auch an den Koronararterien. Daher können sie theoretisch zu Veränderung des myokardialen Blutflusses führen. Dies ist allerdings klinisch nur relevant für Patienten mit koronarer Herzerkrankung. Im Rahmen der Zulassung der Triptane wurden früher Sicherheitsstudien verlangt, mit denen nachgewiesen wurde, daß das entsprechende Triptan nicht zu einer Veränderung des myokardialen Blutflusses führt. Daher wurden in der vorliegenden Studie 34 Migränepatienten ohne koronare Herzerkrankung außerhalb einer Migräneattacke in einem doppelblinden plaze-bokontrollierten Design entweder mit 1,5 mg Naratriptan subkutan oder Plazebo behandelt. Der myokardiale Blutfluß wurde mittels Positronenemissionstomographie unter Ruhebedingungen und unter Hyperämie untersucht. Unter Ruhebedingungen waren zwischen Naratriptan und Plazebo keine Unterschiede im myokardialen Blutfluß. Unter Aktivität war der myokardiale Blutfluß um 13% nach Naratriptan gegenüber Plazebo vermindert. Die koronare Vasodilatatorenreserve war unter Naratriptan im Vergleich zu Plazebo unverändert.
Kommentar:
Diese Studie zeigt, daß bei gesunden Migränepatienten die subkutane Gabe von Naratriptan weder die koronare Flußreserve noch den myokardialen Blutfluß beeinflußt. Dies muß aber nicht notwendigerweise für Patienten mit koronarer Herzerkrankung gelten, so daß für diese weiterhin Triptane kontraindiziert sind. (HCD)
*** Stark S, Spierings ELH, McNeal S, Putnam GP, Bolden-Watson CP, O’Quinn S.
Naratriptan efficacy in migraineurs who respond poorly to oral sumatriptan. Headache 2000;40:513-520
Zusammenfassung:
Etwa 1/3 aller Migränepatienten spricht auf die Behandlung mit einem bestimmten Triptan nicht an (sog. Nonresponder). Es gibt bisher aber kaum kontrollierte Studien, die untersuchen, ob diese Patienten dann ggf. auf ein anderes Triptan ansprechen. Die amerikanischen Autoren wählten 347 Patienten aus, die von sich selbst berichteten, daß sie auf Sumatriptan keine gute therapeutische Antwort bei der Behandlung von Migräneattacken haben. Diese Patienten wurden zunächst einfach-blind mit 50 mg Sumatriptan behandelt. Die 220 Patienten, die dann tatsächlich nicht auf Sumatriptan ansprachen, wurden für die nächste Attacke entweder mit Plazebo oder mit 2,5 mg Naratriptan behandelt. Eine Besserung der Kopfschmerzen nach 2 Std. hatten unter diesen Bedingungen 41% der Patienten, die Naratriptan eingenommen hatten und 19% mit Plazebo. Schmerzfrei waren 22% der Patienten in der Naratriptangruppe und 10% in der Plazebogruppe.
Kommentar:
Diese Studie belegt eindrucksvoll, daß, wenn ein Patient auf ein bestimmtes Triptan nicht anspricht, dies nicht bedeutet, daß dies für ein anderes Triptan genauso gilt. Pharmakologisch unterscheidet sich Sumatriptan und Naratriptan durch ihre Fähigkeit, die Bluthirnschranke zu überwinden. Es ist also durchaus möglich, daß bei Sumatriptan Non-respondern aufgrund dieses biologischen Unterschiedes keine genügend hohe Dosis des Medikamentes die zentralen Angriffspunkte der Triptane erreicht. Valide wäre diese Studie allerdings erst dann, wenn Patienten, die auf Sumatriptan subkutan nicht reagieren mit einem anderen Triptan behandelt werden und dann eine Besserung der Kopfschmerzen verspüren. (HCD)