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Kopfschmerz-News

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10. Medikamenten-induzierter Kopfschmerz

** Heinz A, Denke C, Ernst G. Medikamenteninduzierter Kopfschmerz – Mögliche Mechanismen der Abhängigkeitsentwicklung. Schmerz 1999;13:304-314.

Zusammenfassung: Der medikamenteninduzierte Kopfschmerz (MIKS) zeichnet sich durch zumeist täglichen Kopfschmerz von dumpf-drückendem Charakter aus und sistiert meist nach Absetzen der Medikamente. Zu den am häufigsten konsumierten Medikamenten zählen Acetaminophen, Acetylsalicylsäure und Ergotamin. Die Autoren analysieren die aktuelle Literatur zu MIKS im Hinblick auf mögliche neurobiologische Mechanismen der Abhängigkeitsentwicklung. Zunächst wird auf die Hypothese von Nicolodi und Sicuteri hingewiesen, dass der Störung der serotoninergen Neurotransmission eine wichtige Rolle bei der Enstehung der Migräne zukommen könnte. Einer serotoninergen Unterfunktion wird eine führende Rolle auch in der Entwicklung von Angsterkrankungen, Depressionen und Abhängigkeitserkrankungen zugeschrieben. Deswegen sei das häufige gemeinsame Auftreten von Migräne, Depression und Angsterkrankungen, dass in vielen Studien bestätigt werden konnte, nicht zufällig. Andererseits gäbe es Hinweise, dass Ergotamin sowie Triptane auf diese serotonergen Systeme einwirken.

Im weiteren werden Ergebnisse mehrerer tierexperimenteller Studien zitiert, in denen gezeigt werden konnte, dass die Kombination von Acetaminophen und Koffein eine stimulierende, leistungsverbessernde Wirkung hat. Nach Meinung der Autoren zeigen auch klinische Beobachtungen, dass die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln, Koffein oder Ergotaminderivaten nicht nur MIKS, sondern auch suchtähnliche Verhaltensauffälligkeiten verursacht. Abschließend werden Ergebnisse eigener bildgebender Untersuchungen vorgestellt, in denen tierexperimentell eine Assoziation zwischen einer serotoninergen Dysfunktion, affektiven Störungen und der Entwicklung einer Abhängigkeit gezeigt werden konnte. Zusammenfassend wird eine Hypothese unterstützt, nach der die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln durch die Einwirkung in das bereits gestörte serotoninerge System zu einer Abhängigkeitsentwicklung führe und somit den Circulus vitiosus des MIKS unterstütze.

Kommentar: Der Artikel stellt einen “Potpourri” der bekannten Daten und Hypothesen dar. Die von den Autoren postulierte Hypothese hat einen sehr spekulativen Charakter. Leider ist auch die Übersicht über die Wirkungsmechanismen verschiedener Medikamente mangelhaft (ZK).

*** Evers S, Suhr B, Bauer B, Grotemeyer K-H, Husstedt I-W. A retrospektive long-term analysis of the epidemiology and features of drug-induced headache. J Neurol 1999;246:802-809.

Zusammenfassung: Die Arbeitsgruppe aus Münster untersuchte retrospektiv Häufigkeit und Charakteristik medikamenteninduzierter Kopfschmerzen. Dazu wurden alle Krankengeschichten der neurologischen Abteilung der Universität Münster in den Jahren zwischen 1983 und 1995 analysiert. Für die Diagnose wurden die diagnostischen Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft herangezogen, wobei aber auch Patienten, die beispielsweise Ergotamin nicht täglich sondern jeden zweiten Tag nahmen, in die Studie eingeschlossen wurden. Insgesamt wurden auf diese Weise 257 Patienten identifiziert. Dies entspricht etwa 8% aller Kopfschmerzpatienten in der Kopfschmerzambulanz. Es handelte sich in 81% um Frauen und 19% um Männer. 147 der Patienten unterzogen sich einem ambulanten und 110 der Patienten einem stationären Medikamentenentzug. Das mittlere Alter der Patienten bei Kontakt mit der Neurologie betrug 43 Jahre, wobei das Alter bei Beginn der primären Kopfschmerzen, seien es Migräne oder Spannungskopfschmerzen, bei 20 Jahren lag und der Beginn der medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen bei einem mittleren Alter von 38 Jahren zu verzeichnen war. Im Mittel beklagten die Betroffenen 21 Kopfschmerztage/Monat.

Prozentual waren die Diagnosen wie folgt verteilt: Migräne 34,6%, Kopfschmerz vom Spannungstyp 26,8%, Kombinationskopfschmerzen 14,8%, Clusterkopfschmerz 1,2%, Trigeminusneuralgie 1,2% und nicht klassifizierbar 21,4%. In abnehmender Häufigkeit wurden Paracetamol (47,9%), Ergotamin (45,5%), Acetylsalicylsäure (40%), Koffein (38%), Dihydroergotamin (24%), nicht steroidale Antirheumatika (23%), Codein (10%), Opioide (5%), Sumatriptan (5%) und Benzodiazepine (4%) genommen. 56,4% der Patienten nahmen Kombinationsanalgetika. Wurde der Zeitpunkt vor 1990 und nach 1990 verglichen, ergaben sich signifikant häufigere Einnahmen von Paracetamol, Koffein, Opioiden und Sumatriptan und eine deutlich geringere Einnahme von Ergotamin, Benzodiazepinen und Barbituraten. Leider war die Häufigkeit der Einnahme von Kombinationsanalgetika in beiden Zeiträumen unverändert hoch.

Kommentar: Diese Studie ist sehr wichtig, da sie an einer großen Stichprobe belegt, wie häufig medikamenteninduzierte Kopfschmerzen in Kopfschmerzambulanzen sind. Wie frühere Studien zeigt sich auch das es mehrere Jahre der regelmäßigen Medikamenteneinnahme bedarf, bis ein täglicher Kopfschmerz entsteht. Anzuzweifeln ist, ob es sich bei den drei Patienten mit Clusterkopfschmerzen wirklich um medikamteninduzierte Dauerkopfschmerzen handelte, da eine entsprechende Neigung aus anderen Studien nicht bekannt ist. Frustrierend ist die Beobachtung, dass insbesondere die analgetischen Mischpräparate in den 90er Jahren genauso häufig zu medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen führten wie zuvor. Obwohl von Kopfschmerzspezialisten entsprechende Hinweise auf die Potenz dieser Substanzen, Dauerkopfschmerzen hervorzurufen, publiziert wurden ändert sich nichts am Einnahmeverhalten der Patienten und am Verschreibungsverhalten der Ärzte. (HCD)

** Radat F, Sakh D, Lutz G, El Amrani M, Ferreri M, Bousser M-G. Psychiatric comorbidity is related to headache induced be chronic substance use in migraineurs. Headache 1999;39:477-480.

Zusammenfassung: Medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerzen werden in Kopfschmerzzentren häufig gefunden. Die klinische Erfahrung zeigt, dass viele der Betroffenen neben dem Dauerkopfschmerz unter einer Depression leiden. Die französischen Autoren wollten dies in einer Fall-Kontrollstudie untersuchen. Die Kopfschmerzdiagnosen wurden nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft gestellt. Die psychiatrischen Diagnosen wurden entsprechend dem DSM-III-R gestellt. In die Studie wurden 34 Patienten mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen und 34 Kontrollen aufgenommen. 88,2% der Patienten waren Frauen. Die beiden Gruppen waren bzgl. Alter und Migränedauer vergleichbar. Patienten mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen hatten signifikant häufiger eine Depression (Odds Ratio 8,7), Panikattacken (p=0,001) und eine soziale Phobie (Odds Ratio 10,1). Bzgl. Alkohol- und Drogenabusus, Eßstörungen und Psychosen sowie einer sozialen Phobie fanden sich keine Unterschiede. Wurden Meßskalen zur Erfassung von einzelnen Symptomen der Depression eingesetzt, waren Patienten mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen signifikant ängstlicher und depressiver.

Kommentar: Diese wichtige Studie belegt, dass Patienten mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen signifikant häufiger an Angsterkrankungen und Depressionen leiden und auch zum Zeitpunkt der Entzugstherapie Symptome dieser beiden psychiatrischen Erkrankungen signifikant häufiger vorhanden sind als bei Kontrollen. Dies ist von großer Bedeutung, da die psychiatrischen Begleiterkrankungen mitbehandelt werden müssen, wenn ein Medikamentenentzug erfolgversprechend sein soll. Die Autoren haben leider nicht angegeben, welche Medikamente mißbraucht wurden, so dass nicht ganz ausgeschlossen ist, dass ein Teil der psychiatrischen Auffälligkeiten ebenfalls medikamenteninduziert waren. Es sind allerdings prospektive epidemiologische Studien notwendig, um zu klären, ob hier ein zufälliger oder kausaler Zusammenhang vorliegt. (HCD)


DMKG