07. Migräne, Prophylaxe
**** Melchart D, Linde K, Fischer P, White A, Allias G, Vickers A, Berman B. Acupuncture for recurrent headaches: a systematic review of randomized controlled trials. Cephalalgia 1999;19:779-786.
Zusammenfassung: Akupunktur ist in der Praxis eine der häufigst angewandten Methoden zur Behandlung der Migräne und des chronischen Spannungskopfschmerzes. Mehrere Kollegen aus verschiedenen Einrichtungen zur Komplementärmedizin in Europa und in USA haben im Rahmen der Cochrane-Collaboration eine Übersicht über randomisierte oder quasi-randomisierte Studien zusammengestellt, bei denen Akupunktur, sei es Nadel- oder Elektro- bzw. Laserakupunktur mit Scheinakupunktur oder anderen Therapien verglichen wurde. Insgesamt wurden 22 Studien mit zusammen 1.042 Patienten identifiziert. 15 Studien wurden bei Migränepatienten, sechs bei Spannungskopfschmerzpatienten und eine Studie bei Patienten mit unterschiedlichen Kopfschmerzformen durchgeführt. Nur fünf der Studien benutzten die Kriterien der Internationalen Kopfsschmerzgesellschaft zur Diagnose der Kopfschmerzen. 14 Studien verglichen Akupunktur mit Scheinakupunktur, fünf verglichen Akupunktur mit einer medikamentösen Therapie und zwei verglichen Akupunktur mit Physiotherapie. Detaillierte Informationen über die Technik der Akupunktur wurde nur in neun Studien mitgeteilt.
Im Mittel erfolgte die Behandlung über neun Wochen mit acht Therapiesitzungen. Bei den 15 Studien, bei denen die Patienten nachbeobachtet wurden, betrug die mittlere Nachbeobachtungszeit 28 Wochen. Zielparameter in den meisten Studien waren Häufigkeit und Intensität der Kopfschmerzen. Fast alle Studien hatten schwerwiegende methodische Einschränkungen. Dabei ergab sich eine interessante Korrelation, dass die Studien, die über besonders positive Ergebnisse berichteten, die schwerwiegendsten methodischen Mängel hatten. Diese drei Studien stammten aus Deutschland. Bei insgesamt 10 Studien mit Migränepatienten konnten Therapieresponder identifiziert werden. In den meisten Fällen wurde als ein Responder jemand betrachtet, bei dem sich eine über 33%ige Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit ergab. Nach diesen Kriterien fanden sich 158 Patienten in der Akupunkturgruppe und 145 in der Kontrollgruppe. In der Akutpunkturgruppe betrug die Responderrate 100/158, in der Kontrollgruppe 60/145. Dies führt zu einem Faktor zugunsten der Akupunktur von 1,55 mit einem 95% Konfidenzintervall von 1,04 – 2,3. Zwei Studien zum Spannungskopfschmerz benutzten ebenfalls eine über 33%ige Reduktion eines Kopfschmerzindex. Hier ergab sich bei insgesamt 48 Patienten keine signifikanter Vorteil der Akupunktur.
Kommentar: Die vorliegende Publikation ist die größte bisher publizierte Mettaanalyse zum Einsatz der Akupunktur bei rezidivierenden Kopfschmerzen. Die Übersicht zeigt eindrucksvoll, dass die meisten Studien zu dieser Thematik entweder viel zu klein sind oder schwerwiegende methodische Mängel haben. Ein signifikantes Ergebnis ist nur dadurch zu erreichen, wenn eine relativ niedrige Responderraten von 33% als Erfolg angesetzt wird. Diese Responderrate wird in den meisten Medikamentenstudien bereits in der Placebogruppe erreicht. Berücksichtigt man darüberhinaus, dass die Gesamtzahl aller Patienten, die in diese Studien eingeschlossen wurden, unter 400 liegt und dass dies die minimale Patientenzahl ist, die heute für eine Studie zur medikamentösen Prophylaxe gefordert wird, zeigt sich, dass hier noch ein großer Handlungsbedarf besteht. Eindrucksvoll ist allerdings, dass eine Methode, deren Beweis nach den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin bisher nicht erbracht wurde, offenbar flächendeckend eingesetzt wird. Dies ganz im Gegensatz zu den Substanzen zur medikamentösen Prophylaxe, deren Wirksamkeit eindeutig belegt ist, die aber nur ein Bruchteil der Patienten mit entsprechender Indikation erhält. (HCD)
** Mill·n Guerrero RO, C·rdenas MAI, Ocampo AA, Pacheco MF. Histamine as a therapeutic alternative in migraine prophylaxis: a randomized, placebo-controlled, double-blind study. Headache 1999;39:576-580.
Zusammenfassung: Unter der Vorstellung, dass niedrige Dosen subkutanen Histamins zu einer Hemmung von Histamin H3-Rezeptoren führen, untersuchten die mexikanischen Autoren die subkutane Gabe von Histamin in Dosierung zwischen 0,1 und 1 ng zweimal wöchentlich zur Migräneprophylaxe. In die Studie wurden 60 Patienten mit Migräne aufgenommen. Zunächst wurde über einen Monat hinweg eine vorhergehende medikamentöse Prophylaxe abgesetzt. Nach der Randomisierung (jede Gruppe umfaßte 30 Patienten) erhielten die Patienten entweder zweimal pro Woche Placebo oder Histamin gespritzt. Die Behandlung erstreckte sich über einen Zeitraum von 12 Wochen. Zielkriterien waren die Kopfschmerzhäufigkeit, Intensität, Dauer und Zahl der eingenommenen Analgetika. Für alle Zielparameter ergab sich eine hochsignifikante Überlegenheit von Histamin gegenüber Placebo. Dieser Unterschied war ab der vierten Woche zu verzeichnen. In Zahlen ausgedrückt betrug die Reduktion der Migränefrequenz unter Histamin 85%, die Reduktion der Intensität 81%, die Dauer der Migräne 87% und die Zahl der eingenommenen Medikamente 80%. In der Placebogruppe betrugen die entsprechenden Reduktionen 22% bzgl. der Kopfschmerzhäufigkeit, 16% für die Intensität, 13% für die Dauer der Migräneattacken und 25% für die Einnahme von Analgetika. Als Nebenwirkung wurde lediglich ein Brennen an der Injektionsstelle angegeben. Nach Ansicht der Autoren ist dies die erste Studie, die erfolgreich zeigt, dass die subkutane Gabe von Histamin eine migräneprophylaktische Wirkung hat.
Kommentar: Will man den hier angegeben Zahlen der mexikanischen Autoren glauben, wäre dies die bisher überzeugenste und erfolgreichste migräneprophylaktische Studie, die jemals publiziert wurde. Kritisch ist zunächst anzumerken, dass die Patientenzahl sehr gering ist. Darüberhinaus muß davon ausgegangen werden, dass die subkutane Gabe von Histamin zu einer Lokalreaktion führt, die die Patient entblindet, so dass sie wahrscheinlich sehr wohl wußten, ob sie Verum oder Placebo erhielten. Bevor die hier erzielten Ergebnisse nicht durch eine zweite unabhängige Studiengruppe reproduziert werden, kann das hier empfohlene Therapieschema im Moment noch nicht empfohlen werden. (HCD)