07. Migräne, Prophylaxe
*** Bussone G, Cerbo R, Martucci N, Micieli G, Zanferrari C, Grazzi L, Fabbrini G, Cavallini A, Granella F, Amrosoli L, Mailland F, Poli A, Manzoni G (1999) Alpha-dihydroergocryptine in the prophylaxis of migraine: a multicenter double-blind study versus flunarizine. Headache 39: 426-431.
Standardtherapie in der Migräneprophylaxe sind die Beta-Rezeptorenblocker und Flunarizin. Flunarizin (Sibelium®) wirkt nicht nur als Calciumantagonist sondern auch als Serotoninantagonist und Dopaminantagonist. In der Pathophysiologie der Migrine wird seit vielen Jahren auch eine dopaminerge Rezeptorhypersensitivität postuliert. Alpha-Dihydroergocryptin (alpha-DHEC; Almirid®) ist ein semisynthetisches Ergotderivat, dass dopaminerge, adrenerge und serotonerge Aktivitäten besitzt. Daher sollte untersucht werden, ob die Substanz auch in der Migräneprophylaxe wirksam ist.
Die Studie wurde als multizentrische Parallelgruppen-, doppelblinde, double-dummy-Studie durchgeführt. Es wurden Patienten mit einer Migräne ohne Aura in die Studie eingeschlossen. Einschlusskriterium waren 4-12 Kopfschmerztage pro Monat in den vorausgegangenen drei Monaten. Zunächst erfolgte eine vierwöchige Placebo-run-in-Phase gefolgt von einer sechsmonatigen Behandlungsphase mit 10 mg alpha-Dihydroergocryptin im ersten Monat und die restliche Zeit 10 mg im Vergleich zu 5 mg Flunarizin. Nach der doppelblinden Behandlungsphase erfolgte nochmal eine dreimonatige follow-up-Phase. In die Studie wurden insgesamt 135 Patienten aufgenommen. 70% der Patienten waren Frauen, und das mittlere Alter betrug 36 Jahre. 104 Patienten schlossen die sechsmonatige Behandlungsphase und 58 Patienten schlossen die dreimonatige weitere Beobachtungsphase ab. In beiden Gruppen kam es zu einer signifikanten Abnahme der Häufigkeit der Migräneattacken von durchschnittlich 5,4 Attacken auf 3,8 Attacken zwischen Monat 1 und Monat 6 für alpha-DHEC und von 5,0 auf 4,5 in der Flunarizin-Gruppe. Prozentual ausgedrückt war die Reduktion der Attackenfrequenz 45% in der alpha-DHEC-Gruppe und 35% in der Flunarizin-Gruppe. 51% der Patienten mit alpha-DHEC und 49% mit Flunarizin hatten eine über 50%ige Reduktion der Migränehäufigkeit. In beiden Gruppen blieb die Migränefrequenz auch in den 3 Monaten der Nachbeobachtung reduziert. Die häufigsten Nebenwirkungen in der alpha-DHEC-Gruppe waren Schwindel, gastrointestinale Beschwerden sowie Übelkeit und Erbrechen. In der Flunarizin-Gruppe waren die häufigsten Nebenwirkungen Gewichtszunahme, gastrointestinale Beschwerden und Schwindel. Der Dopaminagonist alpha-Dihydroergocryptin ist in der Migräneprophylaxe wahrscheinlich genauso wirksam wie 5 mg Flunarizin.
Die vorliegende Migränestudie ist interessant, weil zum ersten Mal für einen Dopaminagonisten in einer Studie mit vernünftigem Design eine Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte. Erfreulich an der vorliegenden Studie ist die lange Beobachtungsphase von 6 Monaten. Die zugelassene Dosis von Flunarizin ist üblicherweise 10 mg. Wir selbst konnten aber zeigen, dass 5 mg genauso wirksam sind und weitaus weniger Nebenwirkungen haben, so dass der in der hier vorliegenden Studie benutzte 5 mg-Dosis von Flunarizin durchaus akzeptiert werden kann. Kritisch muss allerdings angemerkt werden, dass keine primären und sekundären Zielvariablen vordefiniert waren, so dass nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Zielparameter für die Publikation gewählt wurden, bei denen sich signifikante Ergebnisse zeigten. (HCD)
** Ghose K (1999) Efficacy and safety of long-term sodium valproate therapy in the prophylaxis of migraine headache, Headache Quarterly 10: 127-130.
Valproinsäure ist in der Zwischenzeit in der Prophylaxe der Migräne etabliert und wurde daher auch in die Therapieempfehlung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft aufgenommen. Es gibt bisher allerdings relativ wenige Studien, die die Langzeiteffekte von Valproinsäure untersucht hätten.
Der Autor aus Neuseeland hat seine ersten 100 konsekutiven Patienten (70 Frauen und 30 Männer) in eine prospektive Studie aufgenommen und über einen minimalen Zeitraum von 3 Monaten behandelt. Die durchschnittliche Zahl der Migräneattacken betrug 6 pro Monat. Die Tagesdosis von Valproinsäure schwankte zwischen 600 und 1.000 mg. Die Patienten, die nach 3 Monaten über eine mehr als 40%ige Reduktion der Migräneattacken berichteten, hatten dann die Möglichkeit, Valproinsäure für längere Zeit einzunehmen. Nach 2 Jahren wurde den Patienten angeboten, Valproinsäure auszuschleichen, um den Spontanverlauf der Migräne beurteilen zu können. Die Patienten hatten dann die Wahl, entweder ohne weitere Prophylaxe zu bleiben, bei Verschlimmerung der Migräne wieder Valproinsäure zu benutzen oder eine andere Prophylaxe zu bekommen. Der dann weitere Beobachtungszeitraum betrug zwischen 48 und 60 Monate. Die Patienten wurden im Abstand von 6 und 12 Monaten nachuntersucht. Sie wurden gebeten, ein Kopfschmerztagebuch zu führen. Im Abstand von 6 und 12 Monaten wurden auch die Serumspiegel der Valproinsäure bestimmt und Laborkontrollen durchgeführt. Während der ersten 12 Wochen brachen 8 Patienten wegen mangelnder Motivation und 3 wegen Nebenwirkungen die Behandlung ab. 80% der verbliebenen 89 Patienten (n=71), die die ersten 3 Monate der Behandlung absolviert hatten, berichteten über eine mehr als 40%ige Reduktion ihrer Migräneattacken. Damit hatten 18 Patienten keine ausreichende Wirkung.
65 Patienten traten in die Langzeitbehandlungsphase ein. Bei 60 Patienten hielt der Therapieeffekt über einen Zeitpunkt von 24 Monaten an, 41 Patienten schlichen die Valproinsäure nach 24 Monaten aus. Bei 36 Patienten kam es erneut zu einer Zunahme von Häufigkeit und Schwere der Migräneattacken. 17 Patienten nahmen erneut Valproinsäure ein und hatten ebenfalls erneut einen therapeutischen Effekt. Acht Patienten, insbesondere diese, die unter ausgeprägten Nebenwirkungen litten, bekamen als Alternative eine andere Prophylaxe. Im Lauf der Studie kam es bei 4 Patienten zu einer Erhöhung der Leberwerte. Häufigste Nebenwirkung war Gewichtszunahme, die bei 50 % der Patienten in den ersten 2 Jahren ein Problem war. Drei Patienten litten unter einem ausgeprägten Tremor, bei 1 Patientin kam es zu starkem Haarausfall. Es fand sich keine Korrelation zwischen dem Serumspiegel von Valproinsäure und der Wirksamkeit auf die Migräne. Die Nebenwirkungen waren allerdings dosisabhängig, und Gewichtszunahme und Tremor waren bei Tagesdosen von 1.000 mg häufiger als bei Dosierung von 600 mg.
Diese offene, nicht Placebo-kontrollierte aber prospektiv durchgeführte Verlaufsstudie zeigt, daß Valproinsäure offenbar auch über eine längere Zeit wirkt. Wird die Substanz abgesetzt und kommt es erneut zu einer Verschlechterung der Migräne, ist Valproinsäure erneut wirksam. Leider ist Valproinsäure nicht, wie ursprünglich gehofft, nebenwirkungsärmer als die bisher eingesetzten Beta-Blocker und Flunarizin, Hauptproblem ist die Gewichtszunahme. Die Messung von Serumspiegel ist offenbar entbehrlich, da diese nicht mit der klinischen Wirksamkeit korrelieren. Für die tägliche Praxis ist elementar, dass Frauen, die mit Valproinsäure prophylaktisch behandelt werden, eine wirksame Schwangerschaftsverhütung durchführen müssen, da Valproinsäure zu Neuralrohrdefekten führen kann. (HCD)