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04. Migräne, Pathophysiologie

*** Daugaard D, Thompsen LL, Olesen J (1998). No relation between cephalic venous dilatation and pain in migraine. J Neurol Neurosurg Psychiatry 65: 260-262.

Das cranielle Gefäßsystem spielt eine entscheidende Rolle in der Schmerzentstehung der Migräne, jedoch ist die Gewichtung der einzelnen Komponenten (arteriell/ venös/ kapillär) weiterhin unklar. Hinweise auf das Vorliegen einer Involvierung des craniellen arteriellen Gefäßsystems in der Migräne ist spätestens seit Wolff gut belegt, jedoch spielen im einzigen Tiermodell der Migräne die venösen, und hier vor allem die duralen und pialen Gefäße eine Rolle in der Schmerzentstehung.

Aus dieser Überlegung heraus unternahmen die Autoren eine Studie mit 20 Migränepatienten in der akuten Kopfschmerzphase, in der das venöse System beeinflußt wurde. Die Patienten drückten entweder für 10 Sekunden lang die beiden Vv jugulares internae ab (sog. Queckenstedt Manöver), oder (als Placebokontrolle) auf beide Masseteren. Während des Queckenstedt Manövers empfanden 8 von 20 Patienten den Kopfschmerz unverändert, 5 von 20 eine Verschlechterung und 7 von 20 eine Besserung der Kopfschmerzen. Beim Druck auf die Masseteren sagten immerhin 8 von 20 Patienten, daß der Kopfschmerz nachlasse, während 10 keine Änderung verspürten und nur bei 2 von 20 der Kopfschmerz schlimmer wurde. Leider wurde die Änderung der Kopfschmerzstärke nicht quantifiziert, obwohl dies mittlerweile zum Standard aller Schmerzstudien gehört. Zusammenfassend schließen die Autoren daraus, daß eine intracranielle venöse Dilatation, die sie durch das Manöver auslösen wollten, den Kopfschmerz nicht signifikant beeinflußte. Die pathophysiologische Überlegung die sie anschließen ist, daß das Tiermodell der Migräne, in dem ja dem venösen System eine Schlüsselrolle zukommt, auf den Menschen nur bedingt übertragbar ist. Bei dem besagten Tiermodell der neurogenen Entzündung handelt es sich jedoch dezidiert um die pialen und duralen Gefäße. Obwohl die Schlußfolgerung aufgrund anderen Studien und Fakten für sich genommen richtig ist, kann aus der vorliegenden Studie vermutlich nur geschlossen werden, daß eine Dilatation der großen venösen Blutleiter des Craniums den Migränekopfschmerz nicht ändert. (MAY)

***** Kraus RL, Sinnegger MJ, Glossmann H, Hering S, Striessnig J (1998). Familial hemiplegic migraine mutations change alpha1a CA2+. J Biological Chemestry 273:5586-5590

In den letzten zwei Jahren konnten mehrere Forschungsgruppen nachweisen, daß die familiär hemiplegische Migräne mit einer Mutation des PQ-Calciumkanals, genauer der alpha1a-Untereinheit dieses Kanals, assoziiert ist. Die pathophysiologischen Konsequenzen einer falsch exprimierten Untereinheit des Calciumkanals sind jedoch nach wie vor unklar.

Um mögliche Mechanismen und Effekte der Untereinheitveränderungen er-kennen zu können, untersuchten die Autoren die elektrophysiologischen Folgen bei Calciumkanälen, nachdem die alpha1a-Untereinheit verändert wurde. Nach Klonierung der alpha1a-Mutanten wurden diese in Oocyten von X. laevis exprimiert. Die Mutationen an den alpha1a-Untereinheiten entsprachen dabei den veränderten Aminosäurensequenzen bei den vier bisher beim Menschen nachgewiesenen Mutationen. Bei diesen so veränderten Calciumkanälen wurden nun das Öffnungsverhalten nach Applikation von 1 Hz Pulsstimulationen, Zeit der Aktivierung und Dauer der Inaktivierung gemessen. Dabei zeigte sich bei drei der Mutanten im Vergleich zum sog. �wild type’ des Rezeptors eine deutliche Instabilität bei der Wiederherstellung des Ausgangspotentials. Für mit diesem Typ von Calciumkanälen besetzte Neurone bedeutet dies einen deutlich erhöhten spannungsabhängigen Calciumeinstrom nach intrazellulär. Das Phänomen der zunehmenden Instabilität bei der recovery des Calciumkanals ist jedoch von Art und Intensität des Stimulus abhängig. Außerhalb dieser spezifischen Bedingungen waren die Polarisation, Öffnung, Dauer der Öffnung und recovery normal. Hypothetisch bedeutet dies übertragen auf klinische Bedingungen, daß Calciumkanäle mit bestimmten Mutationen, die im wesentlichen durch Mutation einzelner Aminosäuren in einer Untereinheit verursacht wurden, unter spezifischen Bedingungen zu einem erhöhten Calciumeinstrom in die Zelle führen können.

Auch wenn diese Daten reine in vitro-Daten darstellen und die hier verwendeten Calciumkanäle in ihrer Sequenz mit den menschlichen Calciumkanälen übereinstimmen, so gibt dieser elegante Versuchsaufbau doch eine erste Vorstellung, wie mutierte Calciumkanäle, die zu 90% den bei der familiär hemiplegischen Migräne veränderten Calciumkanälen entsprechen, unter spezifischen Bedingungen Neurone beeinflussen können. Die Autoren haben damit ein weiteres Mosaiksteinchen zur Klärung der Pathophysiologie bei der Migräne gefunden. (VL)

**** Maassen VanDenBrink A, Vergouwe MN, Ophoff RA, Naylor SL, Dauwerse HG, Saxena PR, Ferrari MD, Frants RR (1998). Chromosal localization of the 5-HT1F receptor gene: No evidence for involvement in response to sumatriptan in migraine patients. Am J Med Genet 77:415-420

Gegenstand dieser Arbeit war eine genetische Analyse, inwieweit der 5-HT1F-Rezeptor bei der Wirkung des Sumatriptan bei Migränepatienten involviert sein könnte. Der 5-HT1F-Rezeptor wird beim Menschen in cerebralen Gefäßen aber auch auf Neuronen exprimiert.

In der vorliegenden Studie untersuchten die Autoren zunächst die chromosomale Lokalisation des 5-HT1F-Rezeptorgens und die Relation zwischen möglicherweise existierenden Polymorphismen des Rezeptorgens und der klinischen Wirkung von Sumatriptan bei Migränepatienten. Zunächst konnte ermittelt werden, daß das 5-HT1F-Rezeptorgen auf dem kurzen Arm des Chromosoms 3 lokalisiert ist. Mögliche Polymorphismen wurden bei 14 Migränepatienten untersucht, die konsistent gut auf Sumatriptan reagierten, an 12 Patienten, die konsistent nach einer initalen Wirkung des Sumatriptan unter dem Auftreten von Rekurrenzattacken leiden, an weiteren 12 Patienten, die nicht auf Sumatriptan reagierten und in weiteren 13 Patienten, die grundsätzlich von ausgeprägten thorakalen Engegefühlen im Rahmen des Sumatriptan-Gebrauchs berichteten hatten. Bei keinem der Patienten konnte ein Polymorphismus des 5-HT1F-Rezeptorgens nachgewiesen werden.

Die Autoren folgerten daraus, daß der 5-HT1F-Rezeptor mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht mit der Wirkung des Sumatriptan assoziiert ist und wahrscheinlich nicht am anfallscoupierenden Effekt der Substanz beteiligt ist. (VL)

**** Striessnig J, Grabner M, Mitterdorfer J, Hering S, Sinnegger MJ, Glossmann H (1998). Structural basis of drug binding to L CA2+ channels. TiPS 19:108-115

Dieser Artikel ist ein umfangreicher Review über die strukturellen Besonderheiten auf L-Typ Calciumkanäle unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bindungseigenschaften zu wichtigen Therapeutika. Calciumkanalantagonisten gehören inzwischen zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Medikamenten überhaupt. Grundsätzlich können mindestens fünf verschiedene Typen von spannungsabhängigen Calciumkanälen auf Säugetierzellen unterschieden werden. Nur ein Untertyp der Calciumkanäle, der L-Typ Calciumkanal, besitzt innerhalb seiner alpha1-Untereinheit eine hohe Affinität zu den verschiedenen pharmakologischen Substanzgruppen innerhalb der Calciumkanalantagonisten, beispielhaft an Verapamil, Diltiazem und Isradipidin. Die stereoselektive hochaffine Bindung an diese Form der Calciumkanäle blockiert den Calciumeinstrom in das Herz, in die glatte Muskelzelle und resultiert klinisch in antihypertensiven, kardiodepressiven und antiarrhythmischen Effekten.

Breite Berücksichtigung in diesem Review finden die jüngsten Darstellungen der an der spezifischen Bindung der Rezeptoren beteiligten Aminosäuren, die kürzlich durch die Verwendung von Photoaffinitätslabelling sichtbar gemacht werden konnten. Die Kenntnis dieser Strukturen erlaubt nun den spezifischen Austausch einzelner Aminosäuren, wodurch die Sensitivität des betroffenen Calciumkanals selektiv zu einer bestimmten Substanz verändert werden kann (sog. “gain-of-function approach”). 15 Jahre nach der Entdeckung der drei inzwischen klassischen Bindungsseiten der L-Typ Calciumkanäle ist es gelungen, die molekulare Architektur zu entschlüsseln. Im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung neuer Pharmatherapeutika darf nun gehofft werden, daß die Entwicklung von Substanzen, die auch andere Kanaltypen agonistisch oder antagonistisch beeinflussen, für die derzeit keine Substanzen zur Verfügung stehen, deutlich beschleunigt wird. Dies könnte insbesondere für PQ-Calciumkanäle interessant sein, die in jüngster Zeit mit verschiedenen pathophysiologischen Mechanismen in Verbindung gebracht worden sind, wie beispielsweise bei der familiär hemiplegischen Migräne.

Dieser Artikel eignet sich insbesondere für Leser, die sich tiefgreifender mit der Molekularbiologie, aber auch mit den elektrophysiologischen Besonderheiten von Calciumkanälen beschäftigen möchten. (VL)

*** Siniatchkin M, Gerber W-D, Kropp P, Vein A. Contingent negative variation in patients with chronic daily headache. Cephalalgia 1998; 18: 565-569.

Die ‘contingent negative variation’ (CNV) ist eine sekundenlang anhaltende Negativierung im EEG über der Präzentralregion. Sie tritt auf, wenn eine Person nach einem ersten Reiz auf einen zweiten imperativen Stimulus wartet, um dann eine Aufgabe zu erfüllen. Abnorme Amplituden und reduzierte Habituation dieses Erwartungspotentials werden seit 40 Jahren für viele neurologische und psychiatrische Störungen beschrieben. Der Kieler Forschungsgruppe ist es kürzlich gelungen, bei Migränepatienten Störungen der Habituation der CNV aufzuzeigen. Allerdings hat sich mittlerweile herausgestellt, daß eine reduzierte Habituation nicht syndromspezifisch ist, sondern eher Ausdruck einer Chronifizierung.

Deshalb untersuchte die Gruppe in der vorliegenden Studie, inwiefern sich Migränepatienten mit zusätzlichen täglichen Dauerkopfschmerzen (TDK; n=15), die von den Autoren als Ausdruck einer Verschlechterung der primären KS angesehen werden, in ihren CNV-Parametern von Patienten unterscheiden, die “nur” Migräne haben (MIG; n=15). Die TDK-Pat. erfüllten zu 58% die Kriterien eines Analgetika-Abusus, zeigten eine eine längere Erkrankungsdauer und wiesen zudem mehr Migräne- und Kopfschmerztage und eine ausgeprägtere Depressivität auf. Beide Patientengruppen (TDK und MIG) zeigten gegenüber einer Kontrollgruppe eine fehlende Habituation der CNV. Die Autoren werten dies als neuerlichen Beweis eines migränetypischen Reiz-Reaktions-Musters des Gehirns, das unabhängig sei von der Schwere des Verlaufs der Erkrankung, da es sowohl bei den stärker beeinträchtigten TDK-Patienten als auch bei den Migränepatienten auftritt. Darüber hinaus wiesen die Migränepatienten eine erhöhte Amplitudennegativität auf, TDK-Patienten hingegen nicht.

Die Autoren sehen in der erhöhten Negativierung bei Migränepatienten ein neurophysiologisches Korrelat dafür, daß diese sich zwischen den Anfällen exzessiv auf die Bewältigung von Umweltanforderungen vorbereiten. Für die TDK-Patienten wird angenommen, daß sie deshalb keine erhöhte Negativierung zeigen, weil ihnen aufgrund der fortgeschrittenen Chronifizierung kompensatorische Coping-Mechanismen fehlen. Stattdessen finden sich in der TDK-Gruppe Auffälligkeiten in zwei anderen CNV-Parametern: Erhöhte Amplituden in der “post-imperativen negativen Variation” (PINV), die in der Literatur als Korrelat von Hilflosigkeit ausgelegt werden und erniedrigte Amplituden in der späten Komponente der CNV, die Aufmerksamkeit und Vigilanz repräsentieren sollen. In Verbindung mit einem erhöhten Depressionsscore lassen diese Ergebnisse nach Ansicht der Autorengruppe vermuten, daß die Chronifizierung der Erkrankung bei TDK-Patienten schon soweit fortgeschritten ist, daß diese kaum noch in der Lage sind, gegebenen Umweltanforderungen adäquat zu begegnen. Zusammenfassend: Fehlende Habituation kennzeichnet die Migräne, erniedrigte späte CNV und erhöhte PINV entsprechen dem Schweregrad der Beeinträchtigung.

Der innovative Ansatz der Studie besteht sicherlich darin, ein elektrophysiologisches Surrogat für den Chronifizierungsgrad der Migräneerkrankung finden zu wollen. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn die Autoren deutlicher darauf hinwiesen, daß die CNV-Auffälligkeiten nicht migränespezifisch sind (s.o.). So werden in dem Artikel zwischen den CNV-Befunden und einzelnen bekannten pathophysiologischen Aspekten der Migräne (Defizit im Energiemetabolismus; Dysfunktionen in der Neurotransmission) kausale Verbindungen hergestellt, die nicht gesichert sind. Zudem wären die Schlußfolgerungen aus Amplitudenwerten bzgl. der Coping-Unterschiede der Patientengruppen plausibler, wenn das Copingverhalten auch durch zielgenaue psychometrische Instrumente erfaßt worden wäre. Zuletzt bleibt anzumerken, daß es nach wie vor spekulativ ist, welche Informationsverarbeitungsprozesse im CNV-Paradigma abgebildet werden. Sicherlich geht in dieser Studie die Interpretation einzelner Parameter zu weit. (GF)

***** May A, Bahra A, Büchel C, Frackowiak RSJ, Goadsby PJ (1998) Hypothalamic activation in cluster headache attacks. Lancet 352: 275- 278.

Der Cluster-Kopfschmerz wird nach gegenwärtigen Vorstellungen zur zugrundeliegenden Pathophysiologie als vaskulärer Kopfschmerz betrachtet und mit möglichen entzündlichen Prozessen im Bereich des Sinus cavernosus in Zusammenhang gebracht. Die Entzündung soll den venösen Abfluß einer Seite behindern und die durch den Sinus verlaufende Arteria carotis gegen den knöchernen Kanal drücken. Hierdurch würden die mit der A carotis ziehenden sympathischen Fasern reversibel geschädigt mit der Folge der typischen vegetativ vermittelten Erscheinungen im Bereich des betroffenen Auges. Die zirkadian jeweils zum gleichen Zeitpunkt auftretenden Attacken lassen jedoch auch an einen neuronalen Generator des Cluster-Kopfschmerzes denken.

In der vorliegenden Arbeit wurde diese Hypothese mit Aktivierungsuntersuchungen in der Positronen-Emissionstomo-graphie untersucht. Hierzu wurden Veränderungen der zerebralen Durchblutung bei Cluster-Kopfschmerzpatienten gemessen, bei denen mittels Nitroglycerin Attacken provoziert wurden. Als Kontrolle diente eine Gruppe von Cluster-Kopfschmerzpatienten im symptomfreien Intervall, die bekanntermaßen auf die Provokation mit Nitroglycerin keine Cluster-Kopfschmerzen entwickeln. Alle Patienten zeigten Aktivierungen im zum Kopfschmerz kontralateralen Thalamus, dem cingulären Kortex, den ipsilateralen Basalganglien, der Inselregion (bilateral) sowie in Teilen des Kleinhirns. Dies sind zerebrale Areale, die auch in anderen funktionell bildgebenden Studien bei experimentellen und klinischen Schmerzreizen mit einer erhöhten Durchblutung reagierten. Nur bei Patienten, bei denen tatsächlich Cluster-Kopf-schmer-zen auftraten, zeigte sich zusätzlich eine Aktivierung des ipsilateralen inferioren Hypothalamus.

Aufgrund der für die Clusterattacken spezifischen Aktivierung des inferioren hypothalamischen Graus postulieren die Autoren für diese Struktur eine Triggerfunktion beim Cluster-Kopfschmerz. Dies erscheint insofern schlüssig, als das inferiore hypthalamische Grau eine Hirnstruktur darstellt, welche an der Regulation zirkadianer Schlaf- und Wachrythmen maßgeblich beteiligt ist und somit gut für das teilweise uhrwerkartige Auftreten der Attacken verantwortlich sein könnte. Wenn auch zu bedenken ist, daß eine durch Nitroglycerin induzierte Cluster-Attacke nicht zwangsläufig zu derselben zerebralen Aktivierung führen muss wie ein unter nicht-experimentellen Bedingungen entstehender Cluster-Kopfschmerz, so gibt die vorliegende methodisch sorgfältig durchgeführte Studie einen ersten wichtigen Hinweis auf eine neuronale Beteiligung in der Entstehung des Cluster-Kopfschmerzes.

Die Autoren schlagen vor, die vaskulären Veränderungen während einer Cluster-Attacke nicht als Ursache, sondern vielmehr als ein trigeminal vermitteltes Epiphenomen einer ursprünglich neuronalen Störung in den zirkadianen Schrittmacherzellen des Hypothalamus zu betrachten. Dies ist plausibel, da eine Dilatation der großen basisnahen Gefäße nicht nur beim Cluster-Kopfschmerz, sondern auch bei der Migräne und bei einem Kopfschmerz ausgelöst durch Capsaicin-Injektion in die Stirn (May et al. 1998) beobachtet werden kann. Mit der Anwendung der funktionellen Bildgebung erweitern sich die Kenntnisse über die zentrale Verarbeitung von Kopfschmerzen unterschiedlicher klinischer Ausprägung. Wie andere Studien verdeutlichen (vgl. auch Weiller et al. 1995), zeigen Kopschmerzformen wie z.B. die Migräne und der Cluster-Kopfschmerz spezifische zerebrale Aktivierungsmuster. Dies kann Vorstellungen über die Pathophysiologie und mittelfristig auch die Therapie in neue Richtungen lenken. (TRT)

***** Welch KMA, Cao Y, Aurora, Wiggins G, Vikingstad EM (1998). MRI of the occipital cortex, red nucleus, and substantia nigra during visual aura of migraine. Neurology 51: 1465-1469.

Üblicherweise wird angenommen, daß es sich bei der Migräneaura um ein elektrophysiologisches Phänomen ähnlich der spreading depression handelt. Die Oligämie beginnt dabei üblicherweise im Occipitalpol und wandert dann langsam in andere Anteile der Hirnrinde. In der frühen Phase einer spreading depression kommt es aber zunächst zu einer Zunahme des Blutflusses und zu einer erhöhten Sauerstoffkonzentration im Gewebe.

Die Autoren berichten hier von einem Patienten mit visueller Aura, bei dem sie mit Hilfe der Kernspintomographie den Sauerstoffgehalt der Hirnrinde und des Gehirns indirekt maßen. Der 28jährige Patient hatte im Rahmen seiner Aura eine homonyme Hemianopsie nach links und Dysästhesien im Gesicht und im Bereich des Armes. Innerhalb der 13 min, die die Aurasymptome noch anhielten, wurden 672 MR-Bilder angefertigt. Zunächst kam es zu einer Signalintensitätszunahme im primären visuellen Cortex die sich im weiteren Verlauf in die occipito-temporalen Cortices asbreitete. Im Bereich des Mesencephalons fanden sich erhöhte Signalintensitäten im Bereich des Nucleus ruber und der Substantia nigra. Die hier gemessenen Signalintensitätserhöhungen entsprechen einer Zunahme von Oxihämoglobin in den Kapillaren des Hirngewebes am ehesten im Rahmen einer Zunahme der Perfusion. Die hier beobachteten Veränderungen im Bereich des Cortex konnten nur im Bereich der Hirnrinde, nicht im Bereich des Marklagers beobachtet werden. Wurde die T2-Intensitätszunahme über die Zeit beobachtet, ist die Ausbreitung dieser Veränderungen rascher, als bei einer spreading depression zu erwarten. Darüber hinaus ergab sich keine klare Korrelation zwischen der Hemianopsie und den Veränderungen im occipitalen Cortex. Unerwartet waren die Veränderungen im Nucleus ruber und in der Substantia nigra.

Von Tierexperimenten ist bekannt, daß eine Stimulation des Nucleus ruber analgetische Wirkung hat. Wie dies allerdings in die Migräneaura paßt, ist noch ungeklärt. Es sollte allerdings vorsichtshalber ange-merkt werden, daß es sich hier um eine Einzelfallbeobachtung handelt, die erst noch durch weitere Fälle verifiziert werden muß. (HCD)

**** Werhahn, K, Förderreuther S, Straube A (1998) Effects of the serotonin 1B/1D receptor agonist zolmitriptan on motor cortical excitability in humans. Neurology 51: 896-898.

Die transkranielle Magnetstimulation ist ein etabliertes nichtinvasives Verfahren zur Testung der intracorticalen Excitabilität. Durch die Bestimmung der Schwelle der Erregung von motorisch evozierten Potentialen in Ruhe und die intracorticale Inhibition getestet mit sog. paired-pulse Technik läßt sich der Einfluß von Pharmaka auf die cortikale Funktion untersuchen. Zolmitriptan, ein neuer 5-HT Rezeptoragonist, ist wirksam zur Therapie akuter Migraineattacken. Die Substanz überquert die Blut-Hirn-schranke. Experimentell wurden Effekte auf den caudalen Nucleus trigeminalis postuliert.

Die Autoren der vorgestellten Untersuchung studierten den Effekt von Zolmitriptan auf die corticale Erregbarkeit (motorische Schwelle und silent-period Dauer) und intracorticale Excitabilität zur Beurteilung zur Aktivität GABA-erger inhibitorischer Interneurone bei 8 gesunden Probanden ohne Migräneanamnese. Mit einer an zwei Magnetstimulatoren gekoppelten Butterfly-Spule wurde vor und nach einer Applikation von 0.1 mg/kg Zolmitriptan die TMS-Schwelle gemessen. Zur Bestimmung der Inhibition wurden über dieselbe Spule an identischer Position zwei Impulse gegeben mit dem ersten als konditionierendem Stimulus 20% unter der Schwelle und dem (zweiten) als Teststimulus. Einzelimpulse und gepaarte Impulse mit einem Interstimulusintervall (ISI) von 2 bis 15ms wurden gegeben und aufgezeichnet. Die peak-to-peak Amplitude des einzelnen konditionierten Potentials wurden vermessen. Die silent-period wurde bei leichter Vorinnervation mit 20 Reizen bestimmt. Die Testpersonen beklagten etwa zur Hälfte leichte vorübergehende Nebenwirkungen nach Medikamentengabe wie Engegefühl, Nausea oder Schwindel. Die motorische Schwelle und silent period unterschieden sich nicht vor und nach Gabe von Zolmitriptan. Da diese durch Pharmaka moduliert wird, die einen Einfluß auf Spannungs- und frequenzabhängige Natrium- und Calcium Kanäle haben, schlossen die Autoren, daß Zolmitriptan nicht an diesen Kanälen angreift. Nach Zolmitriptan Gabe zeigte sich eine statistisch signifikante Reduktion der ipsilateralen corticalen Inhibition bei kurzen ISI zwischen 2 und 6ms (p < 0.03; MANOVA). Die Autoren deuten dies als Hinweis für einen zentralen corticalen Angriffspunkt von Zolmitriptan, wahrscheinlich durch Beeinflussung intracorticaler inhibitorischer Neurone. Möglicherweise geschieht dieses durch eine Reduktion der Serotonin-mediierten Inhibition von Autorezeptoren an serotonergen Neuronen, welche das Aktivierungslevel regulieren. Die Studie gibt einen Hinweis, daß die Wirkung dieses Triptans als Migrainetherapeutikum möglicherweise auch cortical entfaltet wird. Ein direkter Rückschluß auf die Migrainepathophysiologie ist aus den Ergebnissen nicht möglich. (OK)

*** Del Zompo M, Cherchi A, Palmas MA, Ponti M, Bocchetta A, Gessa GL, Piccardi MP (1998). Association between dopamine receptor genes and migraine without aura in a Sardinian sample. Lancet 51: 781-786.

Die Entdeckung, daß die familiäre hemiplegische Migräne (FHM) in ca. 50% der Fälle durch Mutationen in einem Calciumkanal-Gen auf Chromosom 19q13 verursacht wird, hat in den letzten Jahren zu zahlreichen weiteren Untersuchungen geführt, die andere Migräneformen und andere Loci berücksichtigen. Ein Teil dieser Arbeiten hat sich auf die Dopaminrezeptoren konzentriert, da dopaminerge Mechanismen anscheinend eine Rolle in der Pathophysiologie der Migräne spielen. So können dopaminerge Substanzen bei Migränepatienten Attacken auslösen, antidopaminerge Eigenschaften von Medikamenten, z.B. von Flunarizin, sind möglicherweise für deren Wirksamkeit in der Migränebehandlung verantwortlich.

In diesem Kontext hat die sardinische Arbeitsgruppe die Gene für die Dopaminrezeptoren 2, 3 und 4, welche alle bereits identifiziert sind, in einer Gruppe von Migränepatienten untersucht. Schon 1997 hat die Arbeitsgruppe von Stephen Peroutka in den USA eine signifikante Assoziation zwischen Migräne mit Aura und einer bestimmten Mutation in dem Gen des Dopaminrezeptor 2 berichtet (Peroutka SJ, Wilholt T, Jones K (1997) Clinical susceptibility to migraine with aura is modified by dopamine D2 receptor (DRD2) Ncol allele. Neurology 49: 201-206.). Während Peroutka noch den klassischen Weg der Fall-Kontroll-Studie ewählt hatte, wurde in der hier vorgelegten Studie mit einer anderen Methode gearbeitet. Die Autoren untersuchten das sog. Transmissions-Dysequilibrium, das besonders in genetisch weitgehend homogenen Populationen geeignet ist, auch leichtgradige Assoziationen aufzudecken. Die sardinische Bevölkerung gilt als eine solche sehr homogene Population und wurde deswegen für diese Studie ausgewählt. Verschiedene bekannte Polymorphismen der Dopaminrezeptor-Gene wurden untersucht. Für kein Allel konnte eine signifikante Assoziation mit Migräne ohne Aura aufgedeckt werden.

Die Autoren analysierten jedoch zusätzlich auch eine Untergruppe von Patienten, die sowohl Gähnen als auch Übelkeit als typische Migränesymptome angaben. Da beide Symptome vor allem dopaminergen zentralen Mechanismen unterworfen sind, haben die Autoren diese Subgruppe als “dopaminerge Migräniker” bezeichnet. In dieser Subgruppe konnte eine signifikante Assoziation des Allel 1 im Gen für den Dopaminrezeptor 2 mit Migräne ohne Aura nachgewiesen werden. Für diese Assoziation waren jedoch lediglich 7 Probanden verantwortlich.

Die Ergebnisse der Studie sind dementsprechend auch mit Vorsicht zu beurteilen. Weitere Probleme der Studie sind die Besonderheiten homogener Populationen, wie hier der sardinischen, in denen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung völlig andere Allelfrequenzen und Allelselektionen vorkommen können. Außerdem sagt die hier gefundene Assoziation nichts über die Funktion des Gens aus, da das Allel in einem Intron untersucht worden ist und die Kopplung mit einem funktionell relevanten Teil des Gens nicht nachgewiesen ist. Schließlich muß auch kritisch hinterfragt werden, ob nur durch die beiden Symptome Gähnen und Übelkeit eine dopaminerge Subgruppe gebildet werden darf, zumindest kann dieser Ansatz weder epidemiologisch noch biochemisch bislang gestützt werden. Zusammenfassend ist dies jedoch die zweite Studie, die mit molekularbiologischen Methoden eine signifikante Assoziation der Migräne mit Veränderungen des Gens für den Dopaminrezeptor 2 findet.

Wenn auch noch Widersprüche zur anderen Publikation (Peroutka et al.; s.o.) bestehen, z.B. finden Peroutka et al. die signifikante Assoziation für Migräne mit Aura, während diese Studie die Assoziation für Migräne ohne Aura findet, so gibt die Studie doch Anlaß, weiter über den Zusammenhang des Dopaminrezeptor 2 bzw. dessen Mutationen und der Migräne zu forschen. (SE)


DMKG