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Kopfschmerz-News 3/1999 Migräne, Klinik – DMKG

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02. Migräne, Klinik

*** Granella F, Sances G, Messa G, de Marinis M, Manzoni GC (1997). Treatment of menstrual migraine. Cephalgia 17: 35-38.

Die Autoren trennen den Terminus “menstruelle Migräne” streng von “menstruell gebundener Migräne”, wobei die Definition der menstruellen Migräne der von McGregor (1996) entspricht: “Menstruelle Migräne ist Migräne mit und ohne Aura, die ausschließlich im zeitlichen Zusammenhang mit der Periodenblutung auftritt (plus/minus 1-2 Tage um die Menstruation)”. Möglicherweise ist der Östrogenabfall ein auslösender Faktor in der Genese der menstruellen Migräne.

Im klinischen Alltag zeigt sich, daß menstruelle Migräneattacken häufig therapieresistent sind, so daß für die Therapie nicht ausschließlich auf das Attackenschema zurückgegriffen werden kann. Die Vorhersagbarkeit der Attacken erlaubt eine prophylaktische Therapie im kurzen Zeitfenster und die Komorbidität mit perimenstruellen Syndromen bedingt notwendigerweise gelegentlich eine Erweiterung der Therapie. Dihydroergotamin s.c. ist eine gute Therapieoption bei menstruellen Migräneattacken. Sumatriptan ist von allen Triptanen das am besten untersuchte Medikament bei der menstruellen Migräne. Nach einer Stunde hatten 80% der mit Sumatriptan behandelten Patienten eine Besserung ihrer Kopfschmerzen. Auf der Kopfschmerzskala entsprach dies einer Reduktion von schwer oder mittelschwer zu mild oder keine Kopfschmerzen. In der Plcaebogruppe berichteten nur 19% der Patienten über eine solche Besserung. Eine Subanalyse der klinischen Ergebnisse einer großen Studie mit Zolmitriptan zeigte einen guten Erfolg von Zolmitriptan bei der menstruellen Migräne. Generell ist der Einsatz von Triptanen wegen der z. T. kurzen Halbwertzeit und kurzen Wirkdauer der Triptane bei längeren menstruellen Migräneattacken problematisch, da gelegentlich Dosis-Höchstgrenzen überschritten werden. Es gibt Hinweise, daß die Einnahme von Kontrazeptiva die Wirkung von Sumatriptan beeinflußt. Die Resorption von Zolmitriptan wird nicht durch Antikontrazeptiva beeinflußt. Die Möglichkeit der Kurzzeitprophylaxe besteht bei Patienten, die langdauernde, schwere oder den Alltag ausgeprochen beeinflußende Migräneattacken haben, die schlecht auf Akutmedikamente ansprechen.

Die häufigste Therapieempfehlung der Kurzzeitprophylaxe mit nichtsteroidalen Antiphlogistika wie Naproxen zeigt in Studien keine deutliche Überlegenheit zu Placebo. Eine weitere Möglichkeit der Therapie wurde von Faccinetti (Einnahme von Magnesium) veröffentlicht. Pfaffenrath et al. konnten keinen Unterschied bei Östrogen-Pflastern mit 50µg gegenüber Placebo zeigen, während jedoch höhere Dosierungen von 100µg in einer anderen Studie wirksam waren. Andere Hormontherapien wie Danazol oder Zoldalex werden in dem Artikel diskutiert. Die Autoren geben in dem Artikel eine gute Übersicht über Möglichkeiten der Therapie menstrueller Migräne, wünschenswert wären jedoch Abbildungen für die rasche Orientierung. Insgesamt beruht die Therapie der menstruellen Migräne meist auf der individuellen Erfahrung des Arztes und bedarf weiterer klinischer Studien. (AG)

** Göbel H, Beiküfner HD, Böhme K, Beckmann-Reinold A (1998). Practicability and acceptance of subcutaneuos self-administration of the selective serotonin agonist Sumatriptan. Headache 38: 267-269.

Die Arbeit faßt die Ergebnisse einer Anwendungsbeaobachtung zur Patientenakzeptanz des Glaxo Pen zusammen, die in deutschen Praxen durchgeführt wurde. 419 Patienten wurden rekrutiert, 376 Patienten wurden ausgewertet.

80% des Patientenkollektivs bewerteten die Anwendung als sehr leicht oder leicht. Im Vergleich zum bereits auf dem Markt befindlichen Autoinjektor bevorzugten 58,5% den Pen. 59,5% der Patienten verstanden den Anwendungsmechanismus des Pen in 2-5 Minuten, 90,4 % der Patienten empfanden das Nachfüllen des Pen als einfach. Die Autoren betonen in der Diskussion die Praktikabilität und den geringen Zeitaufwand bei der Instruktion des Patienten. Die Indikation zur subcutanen Injektion besteht bei Patienten mit starkem Erbrechen in der Migräneattacke oder bei Patienten, die auf einen schnellen Wirkeintritt angewiesen sind. Bekannt aus Studien und Praxis ist die hohe Rate des “recurrence headache” (40%) und die Tatasache, daß bei der subcutanen Applikation die meisten Nebenwirkungen auftreten.

Somit ist die Schlußfolgerung der Autoren, die die Zeitersparnis bei Instruktionen des Patienten betont, nicht in die Praxis umzusetzen. Patienten müssen gründlich über Wirkungen und Nebenwirkungen der Substanz sowie über die Anwendungsform informiert werden. In der Praxis ist bekannt, daß die initiale Abwehr bei Patienten hoch ist, sich selber subcutan zu behandeln. Es braucht Zeit, Patienten zu informieren und zu motivieren. Somit sind die beeindruckenden Ergebnisse dieser Studie unter Marketingaspekten ausgezeichnet, im klinischen Alltag aber nur nur mäßig relevant. (AG)

** Lipton RB, Stewart WF, Simon D (1998). Medical consultation for migraine: Results from the American Migraine Study. Headache 38: 87-96.

Seit vielen Jahren besteht die Frage, wie gut die medizinische Versorgung von Migräne-Patienten ist. Mehrere Studien haben nahegelegt, daß viele Patienten keine adäquate medizinische Betreuung erfahren. Die Arbeitsgruppe um Richard Lipton hat mit einer sehr großen Fragebogen-Aktion versucht, dieses Problem genauer einzuengen.

15.000 Fragebögen wurden an Haushalte versandt, die als repräsentativ für die USA galten. Die Rücklaufquote betrug 63 % was die Haushalte angeht, unklar bleibt die Zahl der erreichten Personen. Insgesamt haben 20.468 Menschen geantwortet, von denen aufgrund der IHS-Kriterien bei 2.479 angenommen wurde, daß eine Migräne vorlag. An diese Personen wurde ein zweiter Fragebogen verschickt. Die Rücklaufquote auf diesen zweiten Fragebogen betrug erneut unter 70 % (69,4). 68 % der weiblichen und 57 % der männlichen Migräne-Patienten hatten einen Arzt konsultiert, wobei der Allgemeinarzt mit knapp 50 % der Konsultationen weit im Vordergrund stand, dann gefolgt vom Neurologen oder Internisten. Die Arbeit zeigt, daß Frauen häufiger als Männer einen Arzt konsultierten, dabei zunehmendes Alter, Familienstand (verheiratete Frauen öfter als andere), Schmerzintensität, Zahl der Migräne-Symptome, Attackendauer und Beschwerdebild Faktoren für die Konsultation waren. Nach der Beratung haben nur 56 % der Migräne-Patienten eine zutreffende Diagnose erhalten. Umgekehrt berichten über 60 % der Patienten, die niemals einen Arzt konsultierten, daß sie entweder schweren Kopfschmerz oder eine bedeutende Behinderung durch die Kopfschmerzen hatten.

Insgesamt zeigt diese Arbeit wenig neue und keine überraschenden Daten. Daß Patienten, die unter schweren Kopfschmerzen leiden, eher zum Arzt gehen als andere, ist allgemeine ärztliche Erfahrung. Ehrlicherweise nimmt die Arbeit selbst zu Grenzen der Methodik Stellung, zum einen zur grundsätzlichen Schwierigkeit, über einen Fragebogen mittels IHS-Kriterien die Diagnose zu stellen. Zum zweiten wird der zweite Fragebogen durch die vergleichsweise niedrige Rücklaufquote (alle Patienten hatten ja schon einmal geantwortet) limitiert. Es fehlt aber der Hinweis auf die Tatsache, daß ein Fragebogen, bei dem unklar ist, wie viele Menschen überhaupt erreicht wurden, prinzipielle Grenzen hat. Nicht einmal die Prävalenz der Migräne kann annähernd abgeschätzt werden. Auch die Darstellung der Tabellen ist insgesamt wenig pointiert. Trotz der Vielzahl von Daten kann die Arbeit nichts Wegweisendes präsentieren. Daß viele Patienten mit schwerer Migräne keinen Arzt aufsuchen ist in Europa nicht anders als in Amerika. (GA)

*** Metsähonkala L, Sillanpää M, Tuominen J (1997). Outcome of early schoolage migraine. Cephalalgia 17: 662-665.

Die Studie befaßt sich mit der grundlegenden Fragestellung, wie stabil der Verlauf einer erstmals manifestierten Migräne im Grundschulalter ist, also noch vor Eintritt der Pubertät.

Das erstklassige Datenmaterial beruht auf dem in Skandinavien verfügbaren Standard, nämlich dem Zugriff auf einen ganzen Geburtsjahrgang (4.437 Kinder). Verglichen wurden die durch einen Fragebogen im Alter von 8-9 Jahren erfassten Migräne-Kinder (n=95; 2,7% von 3.580 auswertbaren Unterlagen) mit einer Interview-Erhebung bei 84 noch erreichbaren Kindern im Alter von 11-12 Jahren. Nur 4,8% waren kopfschmerzfrei geworden. Bei 63% der Kinder bestand die Migräne fort, 20% erfüllten die IHS-Kriterien nicht vollständig und 12 % litten unter Spannungskopfschmerzen oder anderen Kopfschmerzformen. Die Hälfte der Kinder wies eine höhere Kopfschmerzfrequenz auf. Jungen waren häufiger betroffen als Mädchen, aber in der Lebensführung nicht signifikant stärker beinträchtigt. Die schlechtere Migräneprognose von Jungen in der Präpubertät wurde in anderen Studien wie von Bille und Sillanpää, die über einen längeren Zeitraum beobachteten, nicht berichtet. Die von Sillanpää angegebenen kopfschmerzfreien Intervalle treten ja auch erst nach durchschnittlich 6jähriger Migränedauer auf, und auch bei Bille kam es erst postpubertär bei 40% der Migränekinder zu einer teilweise vorübergehenden Remission. Der schlechtere kurzzeitige Verlauf in der Präpubertät darf jedoch nicht dazu verleiten, auf eine ev. spätere Remission zu hoffen bzw. in einen therapeutischen Nihilismus zu verfallen.

Viele psychosoziale Belastungsfaktoren, die statistisch “nur” als Trends erkennbar waren, bieten sich für KurzzeitInterventionen im Sinne einer Sekundär-Prävention an. (RP)

**** Maytal J, Young M, Shechter BA, Lipton RB (1997). Pediatric migraine and the International Headache Society (IHS) criteria. Neurology 48: 602-607.

Die Klassifikation der Diagnose “Migräne” wurde anhand der Patientenunterlagen von 253 Kindern daraufhin untersucht, ob die IHS-Kriterien erfüllt waren.

Als Goldstandard diente die klinische Einstufung. In 167 Fällen wurde die IHS-Klassifikation bestätigt. Hiervon entfielen 52,7% auf die Diagnose einer Migräne ohne Aura. Bezogen auf den klinischen Goldstandard ergab sich damit eine Sensitivität der IHS-Klassifikation von 27.3% und eine Spezifität von 92,4%. Die schlechte Sensitivität leitet sich aus der Tatsache ab, daß bestimmte Kriterien wie Einseitigkeit des Kopfschmerzes (34,1%) oder Dauer von mehr als 2 Stunden (55,7%) , Erbrechen (47,7%) und Phonophobie (27,3%) relativ selten erfüllt waren. Zehn zusätzliche Kriterienkostellationen wurden ebenfalls mit der klinischen Diagnose korreliert. Vorgeschlagen wird aus diesen Erkenntnissen heraus eine Definition der kindlichen Migräne ohne Aura, die weniger komplex, sensitiver (71,6%) und fast genauso spezifisch wie die IHS- Kriterien (72,2%) ist: 5 oder mehr anamnestische Attacken, Dauer 1-48 Stunden, 1 Kriterium erfüllt von 3 (Unilateralität, heftiger Charakter oder mittlere bis starke Intensität) sowie 1 von 4 weiteren Kriterien (Übelkeit, Erbrechen, Photophobie, Phonophobie).

Zu fordern ist für die Zukunft eine Modifizierung der IHS-Klassifikation für den kindlichen Kopfschmerz, der die klinischen Belange besser berücksichtigt. (RP)


DMKG