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Kopfschmerz-News 11/1998 Migräne Pathophysiologie – DMKG

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2. Migräne Pathophysiologie

***** Cutrer FM, Sorensen AG, Weisskoff RM, Østergaard L, Sanchez del Rio M, Lee JE, Rosen BR, Moskowitz MA (1998). Perfusion-weighted imaging defects during spontaneous migrainous aura. Ann Neurol 43:25-31

Bei etwa 15% aller Migräneattac-ken kommt es zu einer Aura. Der pathophysiologische Mechanismus der Aura ist bisher nicht ausreichend geklärt. Es gab nur eine Untersuchung mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie, die nahelegte, daß es zu einer Abnahme des regionalen cerebralen Blutflusses im Occipitalpol von bis zu 40% kommt. Die Arbeitsgruppe aus Boston untersuchte jetzt insgesamt 4 Patienten mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie. Alle Patienten waren Mitarbeiter des Krankenhauses. So gelang es bei den meisten, innerhalb von 20-45 min die entsprechenden kernspintomographischen Untersuchungen durchzuführen, nachdem die Aura-Symptome begonnen hatten. Gemessen wurden u. a. der regionale cerebrale Blutfluß, das regionale cerebrale Blutvolumen, die mittlere Transitzeit, alle im Rahmen der perfusionsgewichteten Bildgebung und zusätzlich die diffusionsgewichtete Bildgebung. Einer der Patienten wurde zweimal untersucht. Alle Betroffenen hatten visuelle Symptome, die einem der beiden Occipitalpole zugeordnet werden konnten. Bezogen auf den regionalen cerebralen Blutfluß fand sich eine Reduktion im zur Klinik passenden Occipitalpol zwischen 60 und 53%. Die Abnahme des regionalen cerebralen Blutvolumens lag zwischen 6 und 33%. Die mittlere Transitzeit stieg um 10-36%. Im Gegensatz dazu zeigten die diffusionsgewichteten Bilder keine signifikanten Veränderungen. Außerhalb des Occipitalpols waren bei den perfusionsgewichteten Messungen keine Veränderungen nachweisbar. Diese extrem wichtigen Untersuchungen zeigen, daß es tatsächlich zu einer Abnahme des cerebralen Blutflusses und des cerebralen Blutvolumens im Occipitalpol während der Migräneaura kommt. Die Tatsache, daß die diffusionsgewichteten Bilder normal sind, belegt, daß es sich hier nur um eine Funktionsstörung und nicht um eine Veränderung der Struktur handelt. Dies erklärt auch wiederum die Reversibilität der beobachteten neurologischen Ausfälle. Wichtig ist auch die Beobachtung, daß während der Kopfschmerz-Phase cerebraler regionaler Blutfluß und Blutvolumen normal sind. Im Gegensatz zu den PET-Untersuchungen konnten die Wissenschaftler hier eine langsame Ausbreitung der Perfusionsdefizite nicht nachweisen, wie man sie bei einer spreading-depression erwartet würde. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß diese Phänomene ganz zu Beginn einer Migräneaura auftreten, die aus methodischen Gründen hier nicht erfaßt werden konnten. (HCD)

**** Goadsby PJ, Fields HL (1998). On the functional anatomy of migraine. Ann Neurol 43:272

Unsere Arbeitsgruppe hatte im Jahr 1995 eine PET-Studie publiziert, in der wir eine Struktur im Mittelhirn fanden, die während Migräneattacken aktiv war (vermehrter regionaler Blutfluß) und dies auch, nachdem die Attacke erfolgreich mit Sumatriptan behandelt worden war. Unsere Interpretation damals war, daß es sich hier um einen Migränegenerator handelt. P. Goadsby aus London geht nun der Frage nach, warum diese Struktur kontralateral zum Kopfschmerz zu finden war. Die von uns beobachtete Aktivitätserhöhung liegt im Bereich von neuroanatomischen Strukturen, die schmerzmodulierende Eigenschaften haben wie beispielsweise das periaquäduktale Grau. Dieses projiziert allerdings ganz überwiegend ipsilateral zum Nucleus caudalis des N. trigeminus und zum Hinterhorn. Goadsby bietet nun eine andere Interpretation an. Neuroanatomisch gibt es aszendierende Verbindungen vom periaquäduktalen Grau zum Thalamus. Diese aszendierenden Bahnen haben ebenfalls modulierende Wirkung. Neurophysiologisch läßt sich nachweisen, daß Neurone in den medialen Thalamuskernen aktiviert werden, wenn z. B. die Dura oder ein Sinus elektrisch stimuliert wird. Die Hypothese von Goadsby könnte dadurch Gewicht gewinnen, daß es während Migräneattacken im Gegensatz zu anderen Schmerzen nicht zu einer Aktivierung des Thalamus kommt, was für einen Einfluß des Migränegenerators auf thalamische Strukturen sprechen könnte. (HCD)

***** Diener HD (1997). Positron Emission Tomography Studies in Headache. Headache 37 (10): 622-625

Eine aussichtsreiche Möglichkeit zur Untersuchung der Anatomie und Physiologie der zentralen Verarbeitung von Kopfschmerz besteht in der Anwendung der funktionellen Bildgebung mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Nach kurzer Erläuterung theoretisch-technischer Aspekte der PET sowie praktisch-experimenteller Probleme, die sich z.B. aus der Heterogenität der klinischen Beschwerdebilder der Patienten ergeben, wird dem Leser eine ausgezeichnete Übersicht über Änderungen des cerebralen Blutflusses insbesondere bei der Migräne gegeben. Besonderes Augenmerk wird auf die Aspekte globale vs. regionale Blutflußänderung, Aura, “Migräne-Zentrum” und Wirkung von Sumatriptan gelegt. Die Darstellung erfolgt nicht nur im Kontext der publizierten Literatur (Xenon 133 CT, SPECT, PET), sondern wird durch bisher unveröffentlichte Befunde aus der Arbeitsgruppe des Autors entscheidend ergänzt. Zusammenfassend ergibt sich folgender Stand: Die Migräne ohne Aura verläuft ohne nachweisbare globale Änderungen des hemisphäralen Blutflusses ipsi- oder contralateral zur Kopfschmerzseite. Der regionale cerebrale Blutfluß (rCBF) steigt in der Migräneattacke (ohne Aura) in einem spezifisch aktivierten zentralen Netzwerk bestehend aus Hirnstammstrukturen, antero-caudalen Anteilen des Gyrus cinguli und auditorischen und visuellen Assoziationscortices an. Die involvierten cerebralen Strukturen können hierbei relativ schlüssig mit dem Auftreten der vegetativen Symptomatik und der erlebten Phono- und Photophobie funktionell in Zusammenhang gebracht werden. Der rCBF Anstieg in Strukturen des Hirnstammes ist offensichtlich typisch für die Migräne. Er konnte bisher weder beim Cluster-Kopfschmerz noch bei experimentell ausgelösten Gesichtsschmerzen nachgewiesen werden. Sumatriptan, insgesamt ohne Wirkung auf den globalen cerebralen Blutfluß, unterdrückt die corticalen und cingulären rCBF Anstiege, während die Hirnstammaktivierung unbeeinflußt bleibt. Nach Ansicht des Autors demarkiert sie ein “Migräne-Zentrum im Hirnstamm”. Da die Aktivierung auch nach suffizienter Therapie der Schmerzen erhalten bleibt, kann sie weder mit Aufgaben im Rahmen der Schmerzverarbeitung noch der Schmerzunterdrückung ausreichend erklärt werden. Als persistierender irritabler Focus könnte sie jedoch als Generator für das Wiederauftreten der Migräne nach Wirksamkeitsverlust des Sumatriptans wirken. Die “zusätzliche” Wirkung der Aurasymptomatik auf den rCBF kann mangels Daten noch nicht abschließend beurteilt werden. Die einzige Fallbeobachtung mit PET in der Frühphase einer spontanen Migräneattacke (allerdings ohne Aura) wies eine bilateral von occipital fortschreitende Hypoperfusion mit Ausbreitung nach parietal und temporal nach. Die dabei festgestellte beträchtliche Oligämie (Abnahme des rCBF bis zu 40%) reichte – so die augenblickliche Interpretation – möglicherweise jedoch noch nicht aus, um die Schwelle für das Auftreten sensibler Defizite zu überschreiten. Ob die wellenartigen rCBF Veränderungen als Korrelat einer Spreading Depression betrachtet werden dürfen, muß in weiteren PET Untersuchungen mit hoher zeitlicher Auflösung in der Frühphase der Aura weiterverfolgt werden. Der experimentelle Ansatz des Autors, die Auraphase bei Patienten mit bekannter Migräne mit Aura im kopfschmerzfreien Intervall durch 5-HT-Antagonisten zu triggern, blieb bislang noch ohne Ergebnisse, da keine klinisch ausreichend bedeutsamen Attacken provoziert werden konnten. Mit Hilfe der PET werden in den nächsten Jahren wichtige Aussagen zur Ätiopathogenese verschiedener Kopfschmerzformen möglich werden. Die Darstellung von Aktivierungsmustern nach pharmakologischen Interventionen wird helfen, den präferentiellen Hauptwirkort einer Substanz herauszuarbeiten. Dabei wird sich auch die Frage klären, ob Substanzen, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden, den “Migräne-Generator im Hirnstamm” beeinflussen. (TRT)

*** Ojaimi J, Katsabanis S, Bower S, Quigley A, Byrne E (1998). Mitochondrial DNA in stroke and migraine with aura. Cerebrovasc Dis 8: 102-106

Es gibt klinische und experimentelle Hinweise, daß der Stoffwechsel der Mitochondrien an der Pathophysiologie der Migräne beteiligt ist. Berücksichtigt man weiterhin, daß Migräne eine auch genetische Erkrankung ist, liegt es nahe, die DNA der Mitochondrien (mDNA) auf Mutationen oder andere Veränderungen hin zu untersuchen. Die hier referierte australische Studie hat die bisher größte Anzahl von verschiedenen Mutationen der mDNA bei Patienten mit Schlaganfall unbekannter Ursache und Migräne mit Aura untersucht. Für die bekannten Mutationen, die mit einer mitochondrialen Erkrankung wie MELAS, MERRF oder der Leberschen Optikusatrophie assoziiert sind, wurde keine erhöhte Mutationsrate bei Schlaganfall- und Migränepatienten gefunden. Dies bestätigt eine Reihe von bereits publizierten Studien. Darüber hinaus hat diese Studie auch sekundäre Mutationen untersucht, die für die Lebersche Optikusatrophie bekannt sind, aber nicht direkt die Erkrankung verursachen, sondern wahrscheinlich einen kumulativen mutagenen Effekt bewirken. Hier fanden die Autoren eine signifikant erhöhte Rate der Mutationen 4216 und 13708 bei Schlaganfallpatienten unter 35, nicht jedoch bei jungen Migränepatienten mit Aura und auch nicht in den Gesamtgruppen für Schlaganfall und Migräne. Die Bedeutung dieser Mutationen ist völlig ungeklärt. Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen, daß eine mögliche Beteiligung von Veränderungen der mDNA an der Pathophysiologie des juvenilen Insults oder der Migräne mit Aura am ehesten über eine Akkumulation einzelner Mutationen geschieht. Die Studie liefert zwar wichtige Ergebnisse zur Untersuchung der mDNA bei Schlaganfall und Migräne, weist aber eine Reihe von Einschränkungen auf. So gehen die Autoren von einer erhöhten maternalen Transmission der Migräne aus (die mit einer Vererbung über die mDNA gut vereinbar wäre). Eine erhöhte maternale Transmission ist aber in den modernen epidemiologischen Studien für Migräne gar nicht nachgewiesen worden. Die Autoren berichten eine Inzidenz der Migräne von 38% bei ihren Schlaganfallpatienten, ohne diese ungewöhnlich hohe Rate näher zu diskutieren. Die exakten Kriterien für einen Schlaganfall unbekannter Ursache werden in diesem Zusammenhang auch nicht genannt. Es ist nicht auszuschließen, daß Migränepatienten mit Aura und abnormal neuroimaging (was ist das?) in diese Gruppe eingeschlossen worden sind. Auch wird nicht berichtet, wie hoch die einzelnen Mutationsraten für die definierte Untergruppe der Schlaganfallpatienten mit Migräne ist. Dies wäre wichtig zur Untermauerung der Hypothese, daß Veränderungen der mDNA mit zur erhöhten Inzidenz des juvenilen Insults bei Migränepatienten beitragen können. Die Autoren untersuchen zwar viele bisher noch nicht berücksichtigte Mutationen der mDNA, verzichten jedoch ausgerechnet auf die Mutation 11084, die nach einer bisher nicht replizierten japanischen Studie bei 25% der Migränepatienten auftreten soll. Die Inzidenz der Mutation 4216 beträgt in der hier referierten Studie ca. 47% bei juvenilen Schlaganfallpatienten und ca. 5% in der Kontrollgruppe (genaue Zahlen werden nicht angegeben). Es wird aber nicht diskutiert, daß die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung bis ca. 13% liegt. Die Studie findet zwar keine signifikanten Beziehungen zwischen Migräne und genetischen Störungen der Mitochondrien, kann diese aber auch nicht ausschließen, da zum einen noch längst nicht alle möglichen Mutationen der mDNA untersucht worden sind und zum anderen das autosomale Genom für die Mitochondrien noch gar nicht berücksichtigt worden ist. Insofern ist die Folgerung der Autoren, daß Mutationen der mDNA über eine Akkumulation möglicherweise für eine complicated migraine (der Begriff wird nicht definiert) verantwortlich sind, durch diese Studie nicht gestützt. (SE)

***** Peroutka SJ (1997). Dopamine and migraine. Neurology 49: 650-656

In dieser didaktisch sehr klaren Übersichtsarbeit befaßt sich der Autor mit der möglichen Rolle von Dopamin in der Pathophysiologie der Migräne und stellt klinische, experimentelle, genetische und pharmakologische Daten vor, die diese These unterstützen. Eine der wichtigsten Indizien ist, daß Migränesymptome durch Gabe von dopaminergen Substanzen ausgelöst werden können: Dopaminagonisten wie Apomorphin lösen bei Migränikepatienten die typischen Prodromi einer Migräneattacke, wie Gähnen, Übelkeit, Erbrechen Gastrostase und Blutdruckabfall aus, und zwar in Dosen, die beim Nicht-Migränepatienten noch zu keiner Reaktion führen. Apomorphin auch in sehr geringer Dosierung löste in einer italienischen Studie in 86% der Migränepatienten, nicht jedoch bei der Kontrollgruppe, Kopfschmerzen aus. Diese als Dopaminhypersensitivität bekannte Reaktion von Migränepatienten könnte dadurch erklärt werden, daß Gene die für Dopaminrezeptoren codieren, bei Migränepatienten verändert sind. Dopaminrezeptorantagonisten wie Domperidon und Metoclopramid werden bereits in der Klinik gegen die Übelkeit in der Migräneattacke additiv zu einem Schmerzmittel oder Migränemedikament eingesetzt. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß sie in höheren Dosen auch in der Monotherapie gute Erfolge in der Therapie akuter Attacken aufweisen. Flunarizin schließlich ist in der Prophylaxe der Migräne erfolgreich. Insofern sprechen viele Gründe für eine grundlegende Rolle des dopaminergen Systems in der Pathophysiologie der Migräne. Allerdings muß man bedenken, daß Kopfschmerzen keine häufige Nebenwirkung der Behandlung von Parkinsonpatienten sind und Dyskinesien/Hyperkinesien als Nebenwirkung von Dopaminagonisten ihren Einsatz in der Migränetherapie limitieren. (MAY)

**** Pascual J, del Arco C, Romón T, del Olmo E, Catro E, Pazos A (1996). Autoradiographic distribution of [3H]sumatriptan-binding sites in post-mortem human brain. Cephalalgia 16:317-322

Die Autoren untersuchten im Rahmen einer autoradiographischen Studie die Bindung von Tritium-markiertem Sumatriptan an menschlichen Gehirnschnitten. Die Arbeit sollte dabei die Frage klären, inwieweit Sumatriptan im menschlichen Gehirn an zentrale Hirnstammstrukturen bindet. Insgesamt wurden 11 menschliche Gehirne post mortem von Patienten, die nicht an neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen litten oder verstorben waren, in dieser Studie aufgearbeitet. Eine hohe Bindung von Sumatriptan konnte vor allem in den Schichten des Cortex besonders intensiv im visuellen Cortex beobachtet werden. Daneben zeigten sich Bindungen mittlerer Intensität im Bereich der Subtantia nigra, des Globus pallidus und der Area postrema (Zentrum für Übelkeit und Erbrechen). Niedrige bis mittlere Bindungsintensitäten zeigten sich im Hirnstamm (periaquäduktales Grau, Nucleus trigeminus caudalis). Niedrige oder keine Bindung zeigten sich im Hippocampus, im Thalamus, im Cerebellum und anderen Abschnitten des Hirnstamms (Nucleus raphe, Nucleus tegmentalis). Auch wenn dies die erste komplette Studie zur Bindung von Sumatriptan an post mortalen humane Gehirnschnitten ist, kann die Frage nach der Bedeutung einer Bindung von Sumatriptan an zentralen Strukturen nicht abschließend beantwortet werden. Klar ist nur, daß Sumatriptan keine zentralen analgetischen Effekte ausübt. Da es in mittlerer, überwiegend aber in niedriger Intensität an Hirnstammstrukturen bindet, wie der Area postrema oder dem Nucleus trigeminus caudalis, die in der Pathophysiologie eine Migräne eine wichtige Rolle zu spielen scheinen, könnte eine zentrale Wirkung möglich sein. Interessant aber ungeklärt bleibt, warum die höchste Bindungsintensität im visuellen Cortex gefunden wurde, gerade unter dem Aspekt, daß Sumatriptan währen der Aura nicht wirkt. Da Sumatriptan jedoch neben 5HT1B/D Rezeptoren auch an 5HT1F Rezeptoren bindet, kann nicht klar differenziert werden, inwieweit in den Bereichen höherer Intensität möglicherweise 5HT1F Rezeptoren gelabelt worden. Hier liegt die Schwäche der Studie. Zusätzliche Experimente mit selektiveren 5HT1D/B Antagonisten fehlen leider, die diese Differenzierung erlaubt hätten. (VL)

*** Griffiths LR, Nyholt DR, Curtain RP, Goadsby PJ, Brimage PJ (1997). Migraine association and linkage studies of an endothelial nitric oxide synthase (NOS3) gene polymorphism. Neurology 49:614-617

Verschiedene genetische Studien haben inzwischen den Zusammenhang zwischen Gendefekten und Migräne belegen können. Bisher konnten unterschiedliche Genloci auf den Chromosomen 19 und 1 festgestellt werden, die jeweils Ionenkanäle kodieren. In der hier vorliegenden Studie haben die Autoren einen Genpolymorphismus für die Expression des endothelialen Isoenzyms der Nitric Oxide Synthase (NOS3) entdeckt. Die Autoren fragten nun, inwieweit dieser Polymorphismus mit Migräneattacken assoziiert werden konnte. Dazu untersuchten sie 91 Migränepatienten und 85 nicht erkrankte Normalpersonen. In der Linkage-Analyse konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Polymorphismus für NOS3 und Migräneanfällen festgestellt werden. Vielmehr war der Polymorphismus auch in der Normalpopulation erkennbar. Pathophysiologisch deuten mehrere Aspekte auf eine Beteiligung von Nitric Oxide im Entstehungsmechanismus von Kopfschmerzen. Die Studie hat insofern methodische Mängel, als daß sie lediglich ein einziges Isoenzym untersucht, während andere, möglicherweise ebenso wichtige Isoenzyme wie die induzierbare Nitric Oxide Synthase (NOS2) in der Studie nicht erwähnt wird. Darüber hinaus muß festgestellt werden, daß es schwierig ist, eine homogene Gruppe von normalen Kontrollpersonen zu erhalten, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß Patienten auch im Alter über 30 erstmalig Migräneattacken erleiden. Die Autoren haben es insofern versäumt, diese Kontrollgruppe genauer zu definieren und darzulegen, inwieweit die Kontrollgruppe aus “echten Nicht-Migräne-patienten” besteht. Insgesamt eine zwar interessante Studie jedoch mit methodischen Mängeln, so daß das Ergebnis nur in sehr beschränktem Maß verwertbar ist. (VL)

***** Storer RJ, Goadsby PJ (1997). Microiontophoretic application of serotonin (5HT)1B/1D agonists inhibits trigeminal cell firing in the cat. Brain 120: 2171-2177

In dieser innovativen und technisch sehr aufwendigen experimentellen Arbeit wurde an narkotisierten, relaxierten und beatmeten Katzen der Sinus sagittalis superior elektrisch gereizt. Die resultierende Aktivität von 38 einzelnen Neuronen des Nucleus caudalis n. trigemini wurde in Höhe C2 abgeleitet. Die Latenzen der Antworten bestätigten zunächst den bekannten Befund, daß es sich bei den afferenten Fasern vom Sinus sagittalis superior vorwiegend um Ad- und (weniger auch) C-Fasern handelt. 5-HT1—Agonisten und Kontrollösungen wurden mikroiontophoretisch über eine kombinierte Iontophorese- und Ableitelektrode in die unmittelbare Nähe der abgeleiteten Neurone appliziert. Zu einer Reduktion der evozierten Antworten kam es unter dem unspezifischen 5-HT1-Agonisten Ergometrin (pharmakologisch mit Dihydroergotamin vergleichbar) bei 9 von 10 Zellen, unter Sumatriptan bei 2 von 3 und unter Zolmitriptan bei 9 von 15 Zellen, während NaCl die Antworten nur bei 3 von 10 Zellen reduzierte. Ähnliche Befunde ergaben sich für den Effekt der Substanzen auf die Spontanaktivität, die bei acht Neuronen registriert wurde; die exzitatorische Aminosäure Homozysteinsäure als Positivkontrolle hatte bei diesen Neuronen einen fazilitierenden Effekt auf die Aktivität. Frühere tierexperimentelle Ergebnisse zeigten, daß das relativ hydrophile Sumatriptan nach intravenöser Gabe die evozierten Antworten von Nucleus-caudalis-Neuronen nur dann reduzierte, wenn die Blut-Hirn-Schranke experimentell lädiert wurde. Die jetzige Untersuchung, bei der die 5-HT1-Agonisten mittels Mikroiontophorese zeitlich und räumlich sehr umschrieben appliziert wurden, zeigt zum ersten Mal unmittelbar, daß 5-HT1-Rezeptoren an Neuronen des Nucleus caudalis eine inhibitorische Funktion besitzen. Einige Fragen müssen offen bleiben: die Untersuchung legt zwar nahe, daß 5-HT1-Rezeptoren an der Synapse zwischen afferentem und erstem zentralen Neuron eine inhibitorische Wirkung vermitteln. Nicht erklärt ist aber, warum 5-HT-Agonisten nicht bei allen Kopf- und Gesichtsschmerzen klinisch wirksam sind, da die Nozizeption doch in jedem Falle über den Nucleus caudalis vermittelt sein sollte. Zweitens ließ sich durch die vorliegenden Experimente nicht die Rolle aller 5-HT-Rezeptorsubtypen differenzieren. Die eingesetzten spezifischen Agonisten wirken nicht am 5-HT1A-Rezeptor, Zolmitriptan auch nicht am 5-HT1E-Rezeptor. Sumatriptan und Zolmitriptan wirken aber agonistisch am 5-HT1F-Rezeptor, für den daher eine ähnliche funktionelle Rolle wie die des 5-HT1B/1D-Rezeptors nicht ausgeschlossen ist. (JN)


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