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Kopfschmerz-News 12/1997 Migräne Pathophysiologie – DMKG

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2. Migräne Pathophysiologie

***** Greenberg DA, Calcium channels in neurological disease (1997). Ann Neurol 42: 275-282

Die vorliegende Arbeit bietet eine Übersicht über die verschiedenen neurologischen und immunologischen Erkrankungen, die mit Calciumkanälen in Zusammenhang gebracht wurden. Mutationen in Genen, die für Calciumkanäle kodieren, haben Auswirkung auf die Proteinstruktur, wobei die Art der Proteinstruktur Einfluß auf die Funktion nimmt und somit die Art der Mutation die Funktionsänderung bestimmt. Die Funktionsänderung läßt wiederum Rückschlüsse auf den einer Krankheit zu Grunde liegenden Pathomechanismus zu. Die Erkenntnisse über die pathologische Funktion der Calciumkanäle schließlich könnten in Zukunft neue Therapiemöglichkeiten eröffnen. Die mit Calciumkanälen in Zusammenhang stehenden Krankheiten werden als Calciumkanal-Krankheiten bezeichnet. Von den existierenden Untergruppen sind vor allem die verschiedenen spannungsabhängigen Kanäle und die Ryanodin-Rezeptoren (RYR) für neurologische und immunologische Krankheiten von Bedeutung. Neun Gene spannunsghängiger Kanäle, die für Untereinheiten, zumeist die Kanalformende Untereinheit alpha 1A, kodieren sind auf unterschiedlichen Chromosomen bekannt. Die hiermit assoziierten Krankheiten sind die hypokaliämische periodische Lähmung (Hypp), die familiäre hemiplegische Migräne (FHM), die episodische Ataxie Typ 2 (EA-2) und die spinocerebelläre Ataxie Typ 6. Für die drei bekannten Ryanodin-Rezeptoren existieren drei Gene. Als mit Ryanodin-Rezeptor 1 (RYR 1) assozierte Erkrankungen sind die maligne Hyperthermie und Central Core Disease zu nennen. Interessanterweise werden diese neurologischen Krankheiten autosomal dominant vererbt. Für das Lambert-Eaton Syndrom, die Myasthenie und die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) existiert die Theorie einer immunologischen Genese mit Antikörpern gegen spannungsabhängige Kanäle oder RYR. Ein Zusammenhang weiterer Krankheiten wie Migräne, Cluster-Kopfschmerz und Vasospasmus bei Subarachnoidalblutung (SAB) mit Calciumkanälen wird diskutiert und z.Zt. untersucht. Erstaunlicherweise bedingen unterschiedliche Mutationen im selben Gen völlig unterschiedliche Krankheiten; so werden die FHM, die EA-2 und die SCA 6 vom selben Gen auf dem kurzen Arm von Chromosom 19 kodiert. Zusammenfassend bedingen Mutationen in alpha 1S-Untereinheiten der spannungsabhängigen Kanäle oder in RYR1, die sich im Skelettmuskel befinden, Muskelerkrankungen (Hypp, maligne Hyperthermie, Central Core Disease), wohingegen Mutationen von oder Antikörper gegen die alpha 1A-Untereinheit spannungsabhängiger P/Q-Kanäle, die hauptsächlich im Kleinhirn und in der motorischen Endplatte zu finden sind, Ataxien und neuromuskuläre Erkrankungen verursachen. Das Wissen um diese Kanalkrankheiten und die ihnen zu Grunde liegenden Mutationen könnten bei der Prophylaxe und Therapiefindung bzw. Verbesserung der Therapie herangezogen werden. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine exzellente, gut recherchierte Übersicht über die neu gebildete Krankheitsgruppe der Kanalkrankheiten und ihre genetischen Grundlagen. In diesem Zusammenhang wichtig ist die Entdeckung, daß der Gendefekt bei der FHM einen neuronalen P/Q-Kanal kodiert. (CU)

***** Evers S, Bauer B, Suhr B, Husstedt IW, Grotemeyer KH (1997) Cognitive processing in primary headache: a study on event-related potentials. Neurology 48: 108-113

In verschiedenen Studien zur Pathophysiologie von Kopfschmerzen werden kognitive Prozesse bei verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen analysiert. Mittlerweile verdichtet sich die Evidenz, daß insbesondere bei der Migräne eine veränderte Reizverarbeitung bei den betroffenen Patienten besteht, die sich insbesondere durch eine besondere Habituation auf repetitiv angebotene Reize zeigt. In verschiedenen experimentellen Designs zeigt sich, daß Migränepatienten ein reduziertes Habituationsverhalten oder sogar einen Verlust der Habituation bei der Darbietung von wiederholten Reizen aufweisen.

In dieser Studie untersuchen die Autoren das Habituationsverhalten bei Patienten mit Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp, Cluster-Kopfschmerz, chronisch paroxysmaler Hemikranie und medikamenteninduziertem Kopfschmerz. Die Studie zeichnet sich insbesondere dadurch aus, daß 233 Patienten untersucht wurden. Die Studie ist damit die am größten angelegte Studie zu diesem Fragenkomplex. Als Ergebnis fand sich, daß bei Migränepatienten im Vergleich zu den anderen untersuchten Gruppen einschließlich gesunder Kontrollprobanden ein Verlust der kognitiven Habituation besteht. Dieser Effekt war bei Patienten, die an einer Migräne ohne Aura leiden stärker ausgeprägt, als bei Patienten, die an einer Migräne mit Aura leiden. Damit belegt diese Studie sehr überzeugend, daß primäre Kopfschmerzerkrankungen, wie insbesondere die Migräne, mit besonderen Charakteristika im Bereich der visuellen Wahrnehmung einhergeht. Anstatt einer physiologischen Habituation zeigt sich bei Migränepatienten eine potenzierte Reizantwort bei wiederholter Applikation von Stimuli. Diese Daten sind von großer Bedeutung, da die Triggerung von Migräne-Attacken durch wiederholte Reizeinwirkung verstanden werden kann. Möglicherweise wird durch das Fehlen der Habituation bei wiederholter Reizapplikation eine lokale Ansammlung von Neurotransmittern bedingt, die zu einer toxischen Läsion der Hirnfunktion führen können. Diese Situation könnte zum Phänomen der Spreading-depression und letztlich dann zur neurogenen Entzündung führen. (HG)


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