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Kopfschmerz-News März 1997

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V. Spannungskopfschmerz

1. **** Bendtsen L, Jensen R, Olesen J (1996) Nonselective (amitriptyline), but not a selective (citalopram), serotonin reuptake inhibitor is effective in the prophylactic treatment of chronic tensiontype headache. Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry (61): 285-290.

In dieser Arbeit wurde bei 40 Patienten mit einem chronischen Spannungskopfschmerz über 32 Wochen doppelblind, placebokontrolliert und im cross over Design der Effekt von durchschnittlich 75mg Amitriptylin gegen 20mg Citalopram, einem neuen selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitor (SSRI), untersucht. Das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin, ein nicht selektiver Serotonin-reuptake-Hemmer gilt als Mittel der Wahl in der Behandlung des chronischen Spannungskopfschmerzes. Im Gegensatz zu der breiten klinischen Anwendung gibt es nur wenige placebokontrollierte Studien über Amitriptylin beim chronischen Spannungskopfschmerz und dies mit sich widersprechenden Resultaten. Citalopram hat ähnliche antidepressive Eigenschaften wie triyklische Antidepressiva, aber ein günstigeres Nebenwirkungsprofil.

Nach einer Run-In-Phase von vier Wochen wurde Verum bzw. Placebo jeweils über acht Wochen verabreicht mit zwischengeschalteten Wash-Out-Phasen von zwei Wochen. Hauptvariable für die Effektivität war die sog. AUC (Area under the Headache Curve), definiert als das Areal unter einer Kurve, die bestimmt war aus dem Produkt von Kopfschmerzdauer und Kopfschmerzintensität in den letzten vier Wochen einer Behandlungsphase. Sekundäre Zielparameter waren die Kopfschmerzdauer, die durchschnittliche Kopfschmerzintensität pro Kopfschmerztag, die Kopfschmerzfrequenz, die Zahl der eingenommenen Analgetika und Anzahl der Patienten mit Nebenwirkungen jeweils in den letzten vier Wochen der Behandlungsphase. 34 der Patienten schlossen die Studie ab. Amitriptylin reduzierte den Bereich unter der Kurve um 30% im Vergleich zu Placebo, während Citalopram ohne signifikante Effekte war. Amitriptylin senkte signifikant die Dauer der Kopfschmerzen, die Kopfschmerzfrequenz und die Schmerzmitteleinnahme, während die Kopfschmerzintensität unbeeinflußt blieb. Der Effekt von Amitriptylin setzte bereits in der dritten Woche ein und blieb bis zum Ende der Behandlungsphase bestehen mit Ausnahme der sechsten Behandlungswoche. Carry over und time period-Effekte waren nicht zu verzeichnen, ebenso keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Erstaunlicherweise lag die Placeborate bei 10%, im Gegensatz zu durchschnittlich 30% bei anderen Spannungskopfschmerz-Studien und anderen primären Kopfschmerzformen. Amitriptylin verursachte signifikant mehr Nebenwirkungen (wie Mundtrockenheit und Benommenheit) als Citalopram und Placebo, wobei zwischen den letzteren kein Unterschied bestand.

Die Autoren beschreiben zurecht, daß zwar Amitriptylin signifikant wirksamer war als Placebo, aber keine Kopfschmerzfreiheit erzielt wurde. Bei Patienten mit einem langjährigen täglichen Kopfschmerz muß dies aber das Ziel der Therapie sein, da sonst eine Dauertherapie betrieben werden muß. Insofern liefert also auch diese Studie keinen eindeutigen und sicheren Beweis für den Effekt von Amitriptylin beim Spannungskopfschmerz.

Von den neueren SSRI sind Zimelidine, Paroxetin, Fluoxetin und Citalopram bei verschiedenen chronischen Schmerzsyndromen, u.a. auch beim täglichen chronischen Kopfschmerz (Fluoxetin) geprüft worden, ohne daß überzeugende Effekte gezeigt werden konnten. Dies läßt den Schluß zu, daß der Effekt von trizyklischen Antidepressiva nicht nur allein auf ihrem Effekt als Serotonin-Reuptake-Hemmer beruht, sondern daß auch die Inhibition des Noradrenalin reuptakes und die Aktivierung verschiedener Subtypen von Serotonin-Rezeptoren zusätzliche Bedeutung haben muß.

Zusammenfassend kann man von einer modernen methodischen und statistischen Anforderungen entsprechenden Studie ausgehen, wobei Amitiptylin zwar erneut seine Wirksamkeit unter Beweis stellte, allerdings die klinisch notwendige Kopfschmerzfreiheit nicht erzielen konnte. (VP)

2. **** Göbel H, Fresenius J, Heinze A, Dworschak M, Soyka D (1996) Effektivität von Oleum menthae piperitae und von Paracetamol in der Therapie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Nervenarzt 67:672-681.

In dieser randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie wurde im cross over design bei 41 Patienten, die seit 14 Jahren an durchschnittlich 5 Tagen pro Monat unter einem Spannungskopfschmerz litten, die analgetische Wirksamkeit und Verträglichkeit einer lokal applizierten Pfefferminzölpräparation gegen Paracetamol und gegen Placebo geprüft. Die Applikation des Öls erfogte auf Stirn und Schläfen. Die Patienten erhielten entweder Placebo, Paracetamol, Pfefferminzöl oder Pfefferminzöl in Kombination mit 1000 mg Paracetamol. Hauptzielkriterium war die mittlere Reduktion der klinischen Schmerzintensitität im Zeitverlauf von 60 Minuten mittels eines Kategorien-Rating-Ver-fahrens. Ca. 80% der Patienten litten an 1-6 Tagen pro Monat an Spannungskopfschmerzen, der Rest zwischen 8-22x/Monat. Die vier Gruppen waren hinsichtlich Kopfschmerzintensität, Behinderungen durch den Kopfschmerz, Begleitsymptomen und Zeit zwischen Kopfschmerzbeginn und Medikamentenanwendung praktisch identisch. Pfefferminzöl und Paracetamol erwiesen sich signifikant wirksamer als Placebo. Zwischen der Wirksamkeit von Paracetamol und Pfefferminzöl bestand kein signifikanter Unterschied. Bei gleichzeitiger Gabe von Paracetamol plus 10%igem Pfefferminzöl ließ sich ein additiver Effekt feststellen, der allerdings nicht signifikant war.

Pfefferminzöl soll seine Effekte entfalten über die Stimulation von Kälterezeptoren, Hemmung von Serotonin und Substanz-P, über seine muskelrelaxierende Wirkung, die Blutflußsteigerung in Hautkapillaren und seinen Einfluß auf antinozizeptive Reflexe.

Der Autor unterstreicht, daß unter kontrollierten klinisch-experimentellen Bedingungen der Einsatz von 10%igem Pfefferminzöl eine verträgliche und kostengünstige Alternative zu den bisherigen therapeutischen Möglichkeiten darstellt, die in diesem Fall aus 1000mg Paracetamol bestand. Er weist mit Recht darauf hin, daß im Vergleich zur regelmäßigen Analgetikaeinnahme das Plus auf der Seites des Pfefferminzöls zu suchen ist.

Allerdings litten die Versuchsteilnehmer insgesamt relativ selten unter einem Spannungskopfschmerz. Es sind dies nicht die Patienten, die ihren Hausarzt oder spezialisierte Kliniken aufsuchen. Unabhängig davon wäre es sicherlich sinnvoll, den Effekt von Pfefferminzöl bei Patienten mit einem chronischen Spannungskopfschmerz zu untersuchen, da hier der größte Bedarf an Alternativen besteht und Langzeiteffekte überprüft werden könnten. (VP)

3. **** Jensen R (1995) Mechanisms of sponataneous tension-type headaches: An analysis of tenderness, pain thresholds and EMG. Pain 64:251-256.

Obwohl Angaben über die Häufigkeit in der Literatur stark schwanken, finden sich sowohl bei Patienten mit chronischem als auch episodischem Spannungskopfschmerz (SK) erhöhte EMG-Aktivitäten der perikraniellen Muskulatur und erhöhte Druckschmerzempfindlichkeit der Kopfweichteile. Dies wird bisher auch in den diagnostischen Richtlinien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft berücksichtigt, die zwischen SK mit erhöhter muskulärer Anspannung und Druckempfindlichkeit und SK ohne diese Begleitbefunde unterscheidet. Wahrscheinlich handelt es sich bei der erhöhten EMG-Aktivität eher um ein Epiphänomen als um einen ätiologisch oder pathogenetisch bedeutsamen Faktor.

Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Studien zu EMG-Aktivität und perikranieller Druckschmerzhaftigkeit untersucht Jensen aus der dänischen Arbeitsgruppe von Olesen in seiner prospektiven Studie nicht nur Patienten mit SK und Normalpersonen sondern vergleicht muskuläre Anspannung in Ruhe und mechanische sowie thermische Schmerzschwellen bei Patienten während und außerhalb von Kopfschmerzphasen. Hierbei zeigen sich im Gegensatz zu Normalpersonen keine wesentlichen Unterschiede für die erhöhte EMG-Aktivität des M. temporalis und M. trapezius bei SK-Patienten mit und ohne Kopfschmerz zum Zeitpunkt der Untersuchung. Im Gegensatz hierzu ist die Schmerzschwelle für Druck- und Hitzereize nur während der Kopfschmerzphasen und hier auch nur im Bereich des Perikraniums reduziert. Im Unterschied zu den Ergebnisse der belgischen Arbeitsgruppe von Schoenen folgert Jensen, daß es sich beim Spannungskopfschmerz nicht um einen Zustand generalisierter zentraler Hyperalgesie sondern um einen segmentale Nozizeptionsstörung für Signale von myofaszialen Afferenzen auf spinalem und trigeminalen Niveau handelt. Diese Störung sei beim episodischen SK noch transienter Natur. Im Rahmen der häufigen Transformation von episodischen zu chronischen und schließlich täglichen SK käme es dann zu einer andauernden Sensitivierung zentraler Hinterhornneurone in den betroffenen Segmenten.

Angesicht der relativ geringen Patientenzahl (n=28) in der Studie von Jensen, sind weitere Untersuchungen zur interessanten Frage der segmentalen Nozizeption beim SK wünschenswert. Hierbei sollte auch genauer auf den Einfluß von Analgetika auf die perikranielle EMG-Aktivität und Druckempfindlichkeit und den Verlauf von SK eingegangen werden. (HK)

4. **** Wöber-Bingöl C, Wöber C, Karwautz A, Schnider P, Vesely C, Wagner-Ennsgraber C, Zebenholzer K, Wessely P (1996) Tension-type headache in different age groups at two headache centres. Pain 67:53-58.

Spannungskopfschmerzen repräsentieren die häufigste primäre Kopfschmerzart mit Prävalenzen zwischen 29-71%. Bemerkenswert an der vorliegenden epidemiologischen Studie der Wiener Kopfschmerzgruppe ist die Untersuchung von klinischen Merkmalen des Spannungskopfschmerzen aufgrund von Untersuchungen sowohl in einer Klinik für Kinder- und Jugendliche mit neurologischen Erkrankungen als auch in einer neurologischen Ambulanz für Erwachsene, die u.a. eine Abschätzung des klinischen Verlaufs über verschiedene Altersgruppen erlaubt. Besonders interessant sind hierbei die starke positive Korrelation zwischen Alter und Kopfschmerzhäufigkeit und -intensität und das häufige Auftreten von migränetypischen Teilsymptomen wie Abhängigkeit der Kopfschmerzintensität von körperlicher Belastung und Phono- und Photophobie bereits im Kindesalter. Obwohl Patienten mit Migräne nach IHS-Kriterien aus der Studie ausgeschlossen wurden, fanden sich bei einem relative hohen Anteil, der mit dem Alter, nicht jedoch mit der Einnahme von Analgetika korrelierende migräneähnliche Symptome.

Die Autoren sprechen sich deshalb für eine entsprechende Modifikation der diagnostischen Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft aus. Die Autoren räumen ein, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein wesentlicher Teil der Zunahme von Kopfschmerzintensität- und intensität beim Spannungskopfschmerz aufgrund einer zunehmend regelmäßigen Einnahme von Analgetika in Korrelation mit dem Alter eintreten. (HK)


DMKG