Forschungsergebnisse
Triggerfaktoren und Migräne – Fakt oder Fiktion?
Dr. Volker Pfaffenrath, Neurologe
Moderne Vorstellungen zur Pathophysiologie der Migräne gehen davon aus,
daß bestimmte Triggerfaktoren allein oder in Kombination eine
Migräneschwelle, die genetisch determiniert ist, überschreiten
müssen, um die einzelne Attacke auszulösen. Zahlreiche,
überwiegend tradierte Vorstellungen, ranken sich um die potentiellen
Auslöser. Bei Durchsicht der wissenschaftlichen Literatur zeigt sich
allerdings, daß überwiegend retrospektive Studien ohne
Diagnosestellung nach IHS-Kriterien bei kleiner Fallzahl und ohne
Plazebokontrolle sich mit dieser Thematik beschäftigen.
Als Migräne-Triggerfaktoren werden angeschuldigt Hormone (
Menstruation, Ovulation, Pille, Klimakterium) Umweltfaktoren (Flackerlicht,
Lärm, Aufenthalt in großer Höhe, verqualmte Räume)
innere Zyklen wie der Wechsel des Schlaf-Wachrythmus, eine Reihe von
Substanzen wie Alkohol, Käse, Südfrüchte, Schokolade und die
Medikamente. Darüberhinaus gelten Wetterwechsel und Veränderungen
des Streßniveaus wie Erwartungsangst oder Entlastung nach
Streßbelastungen, Wochenende und Urlaubsphasen als Trigger. Keine
Rolle spielen nach der aktuellen Literatur: Luftfeuchtigkeit,
Windgeschwindigkeit, Bewölkung, Luftdruck, Sonneneinwirkung und
Geomagnetismus. Zahlreiche Arzneimittel sollen Migräneattacken
auslösen können (Dipyridamol, Östrogene, NSAR,
Kalziumblocker, Ergotamin, Prostaglandine, Stickstoffmonoxyd, Histermin,
Nitroglycerin, Reserpin und Triptane. Hier muß allerdings
unterschieden werden zwischen einem Schmerzmittelkopfschmerz, zum Beispiel
ausgelöst durch Ergotamine und Triptane und einem vaskulären
(pulsierenden) Kopfschmerz, die beide keine zusätzlichen klassischen
Migränesymptome aufweisen. Nahrungsmittel (Eiscreme, Schokolade,
Käse, Zitrusfrüchte, Alkohol, Gemüse, Tee, Kaffee,
Meeresfrüchte und Getreideprodukte) sollen an der Auslösung von
Migräneattacken beteiligt sein; bisher konnte der Beweis nicht
geführt werden , das ein spezifischer Nahrungsbestandteil allein
für eine Migräne verantwortlich ist.
Studien im Zusammenhang Migräne und Schokolade zeigten entweder ein
negatives Ergebnis oder die Resultate waren wissenschaftlich nicht
akzeptabel. Konträre Ergebnisse fanden sich auch für die Rolle von
Käse (Thyramin) und Rotwein. Die im Rotwein enthaltenen Flavine sollen
über einen Phenolsulphotransferase-Mangel zu einem Anstieg von Phenolen
im Blut und damit zu Kopfschmerzen führen. Auch der Wechsel des Schlaf-
Wachrythmus als Migräneauslöser muß als alleiniger Faktor
bezweifelt werden, da zusätzlich Änderungen der Koffein- und
Nahrungsaufnahmen bestehen neben der Entspannung zum Wochenende hin.
Auffallend ist auch, daß Auslöser der Migräne und des
Spannungskopfschmerz bzw. des Kombinationskopfschmerzes sich kaum
voneinander unterscheiden.
Zusammenfassend sind Triggerfaktoren nicht die alleinige Ursache einer
Migräne und provozieren weder allein noch in Kombination
regelmäßige Attacken, können aber, falls identifiziert, eine
medikamentöse Therapie erleichtern oder sogar überflüssig
machen. Darüberhinaus tragen sie natürlich zum Verständnis
der Migränepathophysiologie bei.
Beim heutigen Stand des Wissens muß man davon ausgehen, daß
hormonelle Faktoren, wie Menstruation und Ovulation und Pilleneinnahme bei
der Migräne eine Rolle spielen können, darüberhinaus die
Erwartung einer Streßsituation oder die Entlastungsphase danach.
Für alle anderen Faktoren fehlt ein endgültiger wissenschaftlicher
Beweis.