Categories
Articles

Kopfschmerz-News

.

< – Inhaltsverzeichnis


9. Andere Kopfschmerzen

*** Higgins JNP, Owler BK, Cousins C, Pickard JD. Venous sinus stenting for refractory benign intracranial hypertension. Lancet 2002;359:228-230

Zusammenfassung: Beim Pseudotumor cerebri handelt es sich um ein klinisches Syndrom mit erhöhtem Liquordruck und chronischen Kopfschmerzen überwiegend bei übergewichtigen Frauen im mittleren Lebensalter. Die Pathophysiologie ist nicht bekannt. Bei einigen der Frauen wurden allerdings angiographisch Sinusthrombosen nachgewiesen. Wenn die Sinusthrombose spontan oder unter Therapie rekanalisierten, besserten sich auch konsekutiv die Kopfschmerzen und der Liquordruck normalisierte sich. Über eine interventionelle Therapie des Pseudotumor cerebri wurde bisher nicht berichtet. Die englischen Autoren berichten von einer 30jährigen übergewichtigen Frau, die stationär eingewiesen wurde, nachdem sie über 22 Monate hinweg über chronische Kopfschmerzen klagte und zuletzt auch Sehstörungen bemerkte. Bei der ophthalmologischen Untersuchung fand sich eine Stauungspapille beidseits und eine Vergrößerung des blinden Flecks. Die Magnetresonanztomographie des Schädels war normal. Der Liquordruck war auf 35 cm Wassersäule erhöht. Die Patientin wurde zunächst mit Acetazolamid und einem Diuretikum behandelt, die beide ohne Wirkung waren. Auch eine Gewichtsreduktion und wiederholte Lumbalpunktion führten nicht zu einem anhaltenden Therapieerfolg. Eine MR-Angiographie zeigte dann eine Stenose des Sinus transversus bds. bei normalem Fluß im Sinus sagittalis superior. Derselbe Befund fand sich bei einer cerebralen Venographie. Es wurde ein Druckkatheter eingeführt, der einen eindeutigen Druckgradienten zwischen dem distalen Teil des Sinus transversus und der Vena jugularis nachwies. Die Patientin wurde über einen Venenkatheter in der rechten Vena jugularis gestentet. Unmittelbar nach dem Eingriff war kein Druckgradient im Sinus transversus mehr nachweisbar. Drei Wochen später hatte die Patientin nur noch leichte Kopfschmerzen und die Stauungspapillen waren abgeklungen. Der Liquordruck hatte sich ebenfalls normalisiert. Auch ein Jahr später hatte die Patientin nur noch leichte Kopfschmerzen.

Kommentar: Der hier vorliegende Fallbericht wird sicher dazu führen, daß viele Fälle eines vermeintlichen Pseudotumor cerebri genauer nachuntersucht werden müssen. Die Autoren spekulieren hier, daß die nachgewiesenen Stenosen im Sinus transversus möglicherweise bereits organisierte partiell rekanalisierte Thrombosen waren, die sich aufgrund der langen Zeitdifferenz zwischen dem eigentlichen Ereignis und der Ausbildung des Pseudotumor cerebri in der MR-Angiographie nicht mehr nachweisen ließen. Die Tatsache, daß in den in der Literatur beschriebenen Fällen eine Ballondilatation einer Stenose des Sinus transversus nicht wirksam war, mag daran liegen, daß der Sinus relativ elastisch ist und sich nicht auf Dauer durch eine Ballondilatation dehnen läßt. Der hier vorliegende Fall sollte Anlaß sein, bei Patienten, bei denen eine konservative Therapie des Pseudotumor cerebri erfolglos ist und bei denen auch wiederholte Liquorpunktionen nicht zum Erfolg führen, vor Anlage eines Shuntes zumindest eine venöse Angiographie des Sinus transversus bds. vorzunehmen. (HCD)

**** Keidel M, Rieschke P, Stude P, Eisentraut R, van Schayck R, Diener H. Antinociceptive reflex alteration in acute posttraumatic headache following whiplash injury. Pain 2001;92:319-26

Zusammenfassung: Die Autoren untersuchten die Parameter der exteroceptiven Suppression der Aktivität des M. temporalis bei Patienten mit akutem posttraumatischen Schmerz nach Schleudertrauma ohne neurologische Ausfälle, ohne Knochen- und Kopfverletzungen in einem Zeitraum von circa fünf Tagen nach dem Unfall. Insgesamt wurden 82 Patienten in diese Studie aufgenommen und deren Ergebnisse mit den Meßdaten von 82 gesunden Probanden verglichen. Es fand sich eine hoch signifikante Verkürzung der späten exteroceptiven Supressionsperiode. Der Beginn der späten exteroceptiven Supressionsperiode setzte später ein und die Supressionsperioden endeten früher als bei den Vergleichsprobanden. Die Ergebnisse legen nahe, daß bei akutem posttraumatischen Kopfschmerz eine Änderung der antinoziceptiven Reflexaktivität des Hirnstammes besteht. Erklärt wird diese Veränderung mit einer vorübergehenden Dysfunktion der Reflexmechanismen.

Kommentar: Die Pathophysiologie posttraumatischer Kopfschmerzen ist in vielen Einzelheiten bisher unverstanden. Kürzlich erschienene Publikationen vermuten, daß die Entstehung der posttraumatischen Kopfschmerzen im Wesentlichen funktionelle Hintergründe hat. Posttraumatische Kopfschmerzen würden besonders in den Ländern auftreten, in denen durch Versicherungen Kompensationsleistungen gezahlt werden. Die hier vorliegende Studie ist daher von besonderer Bedeutung. Sie belegt, daß die Kopfschmerzen mit objektiv meßbaren Veränderungen neurophysiologischer Parameter einhergehen. Bereits Anfang der neunziger Jahre sind ähnliche Veränderungen auch beim chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp beschrieben worden. Bis heute ist es nicht eindeutig geklärt, ob eine Verkürzung der späten exteroceptiven Supressionsperioden als Ursache der Kopfschmerzentstehung anzusehen ist, oder aber ob die Veränderung der Reflexaktivität eine Folge der bestehenden Kopfschmerzen ist. In beiden Fällen jedoch sind eindeutige Modulationen der neurophysiologischen antinoziceptiven Reflexaktivität dokumentierbar. Von besonderer Bedeutung ist zudem, daß bereits nach fünf Tagen nach dem Trauma entsprechende Veränderungen nachzuweisen sind. (HG)

*** King JO, Mitchel PJ, Thomson KR, Tress BM. Manometry combined with cervical puncture in idiopathic intracranial hypertension. Neurology 2002;58:26-30.

Zusammenfassung: Die idiopathische Hypertension, IIH, (Pseudotumor cerebri) ist gekennzeichnet durch einen gesteigerten Hindruck, ohne strukturelle Gehirnveränderungen und normaler Rückenmarksflüssigkeit. Typischerweise tritt diese Syndrom bei übergewichtigen jungen Frauen auf. Klinisch bietet sich eine Kombination von Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Papillenödem, Sehstörungen, Lähmung des N.abducens und einem Tinnitus. In dieser Studie konnte nunmehr durch eine cerebrale Venographie und Manometrie gezeigt werden, dass die Ursache der Druckerhöhung im cerebral venösen Abflusssystem durch eine Kompression des Sinus transversus infolge erhöhten intracraniellen Drucks bedingt wird und nicht, wie ursprünglich angenommen, durch einen primär obstruktiven Prozeß im cererbralen Sinusvenensystem. Von acht Patienten mit einer IIH, die sich einer Entnahme von 20-25 ml Rückenmarksflüssigkeit durch eine lateralen Punktion in Höhe C1-2 unterzogen konnte bei 6 Patienten ein Druckabfall zwischen 12 und 41 mm HG im proximalen Sinus transversus beobachtet, und eine deutliche Abnahme des intracraniellen Drucks festgestellt werden.

Kommentar: In dieser Studie von King u. Mit. konnte nachgewiesen werden, dass der erhöhte intrakranielle Druck bei der IIH zu einem Kollaps der Gefäßwände des Sinus transversus führt, und erst sekundär zu einem Druckanstieg im restlichen venösen Abflußsystem. Nach Entnahme von 20-25 ml Rückenmarksflüssigkeit kam es zu einer signifikanten Reduktion des erhöhten intracraniellen Druckes. Auch wenn angeführt wurde, dass die zervikogene Punktion von Rückenmarksflüssigkeit, wenn von erfahrenen Neuroradiologen durchgeführt, keine Komplikationen aufweist, wurde weder allfällige Nebenwirkungen, noch auf klinische Veränderungen (Verbesserungen) eingegangen. Die Aussage, dass Patienten sich lieber einer zervikogene Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit unterziehen als einer lumbalen, ist zumindest für europäische Verhältnisse nicht nachvollziehbar. Der Stellenwert der zerebralen Venographie, im Gegensatz zur nicht invasiven MR – Venographie, erscheint überbewertet. Das Ergebnis ist wissenschaftlich durchaus interessant, der therapeutische, wie auch prognostische Effekt bleibt jedoch zu hinterfragen. (CL)

*** Hershey AD, Powers SW, Bentti AL, LeCAtes S, deGrauw TJ. Characterization of chronic daily headaches in children in a multidisciplinary headache center. Neurology 2001; 56:1032-1037

Zusammenfassung: Die Charakterisierung chronischer, insbesondere täglicher Kopfschmerzen ist für das Kindesalter schlecht charakterisiert. Aus diesem Grund wurden 577 Kinder in einem Kopfschmerzzentrum im Alter zwischen 3 und18 Jahren untersucht. 34% hatten mehr als 15 Kopfschmerztage im Monat. Die Kopfschmerzen begannen durchschnittlich mit 9 ± 3,6 Jahren. Die Kinder hatten eine Krankheitsdauer von durchschnittlich 3 Jahren bei der Erstvorstellung hinter sich. 68% der Betroffenen waren Mädchen. Nach IHS-Kriterien litten 60% an Migräne, 43% an episodischen und 37% an chronischen, aber nicht täglichen Kopfschmerzen vom Spannungstyp sowie 19% an täglichen Kopfschmerzen (CDH). Letztere waren überwiegend durch ihren Migränecharakter typisiert. Die Kopfschmerzen waren pochend und bilateral. und beeinträchtigten in fast allen Fällen die Lebensqualität. 38,5% dieser Kinder nahmen an mindestens 5 Tagen der Woche Schmerzmittel ein.

Kommentar: Das allgemein vermehrt zu beobachtende Phänomen chronischer, insbesondere täglicher Kopfschmerzen im Kindesalter wird umfänglich und prospektiv analysiert. Schwierig bleibt dabei die Assoziation mit Migränecharakteristika: Der wegfallende Attackencharakter ist ja eigentlich ein Ausschlußkriterium für die Annahme einer Migräne. Zu vermuten ist allerdings eine hohe Koinzidenz mit schmerzmittelinduzierten Kopfschmerzen. Darüberhinaus bleibt die Genese der Chronifizierung weitgehend unverstanden. Unklar bleibt darüberhinaus die Prävalenz speziell im Vergleich zu Erwachsenen (4%). Der Schwierigkeit einer eindeutigen ätiologisch und pathophysiologisch begründeten Einordnung sollte wie im Erwachsenenalter auch bei der Überarbeitung der IHS-Klassifikation entsprochen und i.S.e. „chronischen Migräne“ eine eigenständige Kopfschmerzform zugebilligt werden. Unabhängig davon stellen die chronifizierten Kopfschmerzen eine Herausforderung an die Therapie dar, die neben Gesichtspunkten des Medikamentenentzuges ein umfassendes multidisziplinäres Programm realisieren muß, um die Kinder aus ihrer starken Beeinträchtigung zu führen. (RP)

**** Levine DN, Rapalino O. The pathophysiology of lumbar puncture headache. J Neurol Sci 2001; 192:1-8

Zusammenfassung: Nach einer Punktion des lumbalen Durasackes kommt es zu orthostatischen Kopfschmerzen, dem Postpunktionskopfschmerz. Die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens hängt von der Dicke der Punktionsnadel bzw. der Größe des Lecks in der Dura ab. Der Verlust von 10% des Liquors über eine lumbale Punktion führt regelmässig zu orthostatischen Kopfschmerzen. Allerdings ist es nicht der Liquorverlust allein, der die Kopfschmerzen verursacht, denn Verluste über craniale Zugänge wie Liquorfisteln der Schädelbasis oder Subokzipitalpunktion verursachen sie nicht. Die zur Erklärung herangezogenen Hypothesen besagen zum einen, daß der Flüssigkeitsverlust ein Absinken des Gehirns und so eine Dehnung der duralen Gefässe herbeiführt. Zum anderen erzeugt der erniedrigte Liquordruck eine Druckdifferenz zum venösen System, so daß die pialen Venen sich erweitern. Nach Darstellung der Autoren kann keine dieser Hypothesen den Postpunktionskopfschmerz vollständig erklären. Vielmehr kommt es durch eine Zunahme der Compliance des lumbalen Durasackes im Vergleich zum kranialen Liquorraum zu einer Störung der Verteilung des hydrostatischen Druckes in der aufrechten Position mit darauffolgender akuter venöser Dilatation, die dann zum Kopfschmerz führt. Diese Darstellung wird an einer modellhaften Erläuterung des hydrostatischen Druckes in geschlossenen elastischen Röhren erläutert und mit klinischen Befunden untermauert.

Kommentar: Die Übersichtsarbeit stellt eine interessante Hypothese zur Pathophysiologie des postpunktionellen Kopfschmerzes dar. Neben der physikalischen Herleitung finden viele, auch ältere klinische Befunde aus der Literatur Berücksichtigung. Ein interessanter und lesenswerter Artikel, der zum Nachdenken über ein Thema anregt, über das relativ wenig Fakten vorliegen. (KS)

**** Dodick DW. Thunderclap headache. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2002;72:6-11.

Zusammenfassung: Diese Übersichtsarbeit beschäftigt sich mit dem benignen (idiopathischen) thunderclap headache, seinen symptomatischen Formen und dessen diagnostischer Evaluierung. Ferner stellt der Autor Überlegungen an zur Pathophysiologie und diskutiert die Frage, ob ein Zusammenhang bestehen kann zwischen einem thunderclap headache und einem Aneurysma, welches bisher nie geblutet hat, also asymptomatisch blieb. Der benigne (idiopathische) thunderclap headache stellt eine eigenständige primäre Kopfschmerzerkrankung dar, die in der derzeit noch gültigen internationalen Kopfschmerzklassifikation nicht erwähnt ist.

Als diagnostische Kriterien werden folgende Charakteristika vorgeschlagen:

1. sehr starke Schmerzintensität,

2. plötzlicher oder hyperakuter Beginn (< 30 Sekunden),

3. sekundäre Formen sind durch geeignete Zusatzuntersuchungen ausgeschlossen.

Üblicherweise dauert der Kopfschmerz einige Stunden, allerdings kann ein weniger starker Kopfschmerz Wochen persistieren. Bei bis zu 1/3 der Patienten kommt es zu Rezidiven in den folgenden Monaten bis Jahren. Auslöser für den benignen thunderclap Kopfschmerz können körperliche Anstrengung, Valsalva Manöver oder sexuelle Aktivität sein. Die dem thunderclap headache zugrundeliegende Pathophysiologie ist noch nicht geklärt. Vom Autor diskutiert wird eine überschießende Sympathikusaktivität oder eine abnorme Reaktion auf zirkulierende Katecholamine mit konsekutivem, temporärem Vasospasmus, ausgelöst durch Neuropeptid Y, welches in sympathischen Nerven der arteriellen Gefäßwand enthalten ist. Vom idiopathischen thunderclap headache klinisch nicht zu unterscheiden ist der sekundäre thunderclap headache. Neben einer Subarachnoidalblutung (SAB), müssen auch die Sinusvenenthrombose (SVT), der Hypophysenapoplex, das Dissekat der A. carotis interna, hypertensive Krisen und die spontane intrakranielle Hypotension in die Differentialdiagnose miteinbezogen werden. In Anbetracht dieser Differentialdiagnosen, die ernste Erkrankungen darstellen, muß der thunderclap headche als klinischer Notfall angesehen werden, der weitergehende Untersuchungen erfordert. Vom Autor vorgeschlagen wird bei allen Patienten die Durchführung einer zerebralen Computertomographie (CCT); da dieses bereits am 2. Tag nach einer SAB nur noch eine Sensitivität von 76 % aufweist, muß bei negativem Befund eine Lumbalpunktion angeschlossen werden. Für die Durchführung einer intraarteriellen Angiographie bei unauffälliger neurologischer Untersuchung, CCT und L.P., gibt es nach Ansicht des Autors in der Literatur nicht genügend Evidenz. In mehreren prospektiven Studien (225 bzw. 71 Patienten) mit Beobachtungszeiträumen von einem bzw. 3.3 Jahren hatte keiner der Patienten mit einem thunderclap headache eine SAB. Ein Aneurysma beim thunderclap headache scheint eher ein Zufallsbefund zu sein. Bei unklarem Liquorbefund wird eine MR- oder CT- Angiographie zur weiteren diagnostischen Abklärung vorgeschlagen.

Kommentar: Die Arbeit gibt einen sehr guten Überblick über eine Kopfschmerzform, die in der internationalen Kopfschmerzklassifikation der IHS nicht aufgeführt ist, jedoch aufgrund der in Frage kommenden Differentialdiagnosen immer wieder eine diagnostische Herausforderung darstellt. (GJS)

*** Schnabel M, Vassilou T, Schmidt T, Basler HD, Gotzen L, Junge A, Kaluza G. Ergebniss der frühfunktionellen krankengymnastischen Übungsbehandlung nach HWS-Distorsion. Schmerz 2002;16:15-21

Zusammenfassung: Trotz einer Vielzahl von Publikationen zum Themenbereich des HWS Akzelerationstraumas behandelt nur ein verschwindend kleiner Anteil Möglichkeiten der physiotherapeutischen Therapie in der Akutphase. Die Autoren der vorliegenden Studie untersuchten bei 168 Patienten in einem prospektivem, randosmisierten Design die Auswirkungen einer frühfunktionellen Physiotherapie bestehend aus werktäglicher Anwendung der „heissen Rolle“, von Lymphdrainage, Muskelfunktionsmassage und aktiven Übungen mit und ohne Theraband in den ersten beiden Wochen nach Unfallereignis. Den Patienten der Kontrollgruppe wurde eine weiche Zervikalstütze verordnet. Beiden Patientengruppen gemeinsam war eine symptomatische Analgesie mit 150 mg Diclofenac täglich. Der physiotherapeutisch behandelten Gruppe war jedoch zusätzlich der Gebrauch der Zervikälstütze an zwei Tagen erlaubt. Zielkriterien waren die durchschnittliche Schmerzintensität und –beeinträchtigung innerhalb einer Woche zum einen im Zeitraum der ersten beiden Wochen nach dem Unfall, zum anderen nach sechs Wochen. Die physiotherapeutisch behandelte Gruppe zeigte bei beiden Zielparametern eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität sowie der Beeinträchtigung. Auch war der Anteil der schmerzfreien Patienten mit 72% höher als mit 50% in der Kontrollgruppe. Unterschiede im Gebrauch von Analgetika liessen sich nicht nachweisen. Darüberhinaus war jedoch die Abbrecherquote mit 38% gegenüber 15% zuungunsten der Kontrollgruppe verschieden. Die Autoren schlussfolgern, dass die eingesetzten physiotherapeutischen Massnahmen einem eher schädigenden Schonverhalten entgegenstehen, zur Aufnahme von Alltagsaktivitäten auffordern und zu einer Ablenkung der Aufmerksamkeit vom Schmerzgeschehen ablenken, was eine Vorbeugung der Chronifizierung zur Folge hätte.

Beurteilung: Die Autoren konnten nachweisen, dass die frühzeitige aktive Übungsbehandlung zu einer besseren Schmerzreduktion als alleinige Ruhigstellung mittels Zervikalstütze nach sechs Wochen führt. Somit handelt es sich um eine der wenigen echten prospektiven und randomisierten klinischen Studien zum Vergleich zwischen zwei kontrovers diskutierten Therapiestrategien. Trotz der zum Teil langatmig dargestellten Methodik finden sich mehrere Schwächen im Studiendesign: Es findet keine Anwendung der klinisch validierten Kriterien der IHS sowie der Quebec Task Force (QTF) zur klinischen Beurteilung der posttraumatischen Schmerzen statt. Ebenso bleiben die Zielkriterien „Schmerz“ und „Beeinträchtigung“ unscharf definiert, obwohl an anderer Stelle eine Differenzierung in Kopf- Nacken- oder Interskapularschmerz erfolgt.

Der Untersuchungszeitraum von 6 Wochen erscheint zur Bewertung von Langzeitergebnissen vor dem Hintergrund einer von den Autoren diskutierten Chronifizierungsprävention zu kurz. In diesem Zusammenhang muss auch der relativ hohe Anteil von Schmerzpersistenz (50%) in der Standardtherapiegruppe nach 6 Wochen gesehen werden. Eigene prospektive klinische wie auch elektrophysiologische Untersuchungen weisen eine Schmerzfreiheit bei bis zu 80% auf (Keidel et al 1994, 2001). Ähnliche Werte finden sich auch bei Pearce 1989.

Weiterhin bleiben neuropsychologische oder prämorbid psychopathologische Riskofaktoren unberücksichtigt. Die Autoren räumen zwar in ihrer eigenen kritischen Würdigung die mangelnde Kontrolle der Variable „emotionale Zuwendung“ ein, jedoch stellt insbesondere diese einen der wichtigen Risikofaktoren zur Schmerzchronifizierung dar (Gaitsch 2001, Radanov 1994, Söderlund 2000, 2001).

Darüberhinaus ist die von den Autoren als Standardtherapie bezeichnete Verordnung der Zervikalstützte über einen Zeitraum von bis zu 2 Wochen als Kontrollbedingung nicht optimal ausgewählt. Vor dem Hintergrund einer möglichen iatrogenen Verlängerung posttraumatischer Beschwerden sollten in folgenden Therapiestudien demnach „echte“ –und nicht „immobilisierte“- Kontrollgruppen mitgeführt und Beobachtungszeiträume auf mindestens 6 Monate ausgeweitet werden. (PS)


DMKG