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Verhaltensmedizinisches Kopfschmerzkonzept

 

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Langzeiteffekte eines stationären verhaltensmedizinischen Kopfschmerzkonzeptes: Eine 2-Jahres-Follow-up-Studie

Pielsticker, Anke; Gudden, Wolfgang; Zaudig, Michael

Fragestellung:

Es wurde die Behandlungseffektivität einer interdisziplinären stationären Kopfschmerztherapie untersucht. Die folgenden Fragen standen im Vordergrund:

  1. Welche Behandlungseffekte zeigen sich zum Entlassungszeitpunkt im Vergleich zum Aufnahmezeitpunkt in schmerzrelevanten Variablen?
  2. Welche Effekte zeigen sich 3, 6, 12 und 24 Monate nach Entlassung?

Methode:

Die bislang ausgewertete Behandlungsstichprobe umfaßt 54 Patienten/innen (m=11,w=43) mit chronischen Kopfschmerzen (Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp, Clusterkopfschmerz, Gesichtsschmerz, posttraumatischer Kopfschmerz, medikamenteninduzierter Kopfschmerz).

Das Behandlungskonzept beinhaltet sowohl psychologische (Kopfschmerzbewältigung, PMR, Streßbewältigung), somatische (medikamentöse Therapie, TENS, Akupunktur) als auch physikalische Maßnahmen, die in Einzel- und Gruppentherapien vermittelt werden.

Die Erhebung der Daten zur Therapieevaluation erfolgte anhand eines Fragebogens (eigene Version), der den Patienten zu den jeweiligen Meßzeitpunkten ausgehändigt bzw. zugesandt wurde. Der Katamnesefragebogen enthält Angaben zu den Bereichen Kopfschmerzerleben und Beeinträchtigung, Medikamenteneinnahmeverhalten und Schmerzbewältigungskompetenzen. Von den Bezugstherapeuten wurde das Chronifizierungsstadium nach Gerbershagen zum Aufnahmezeitpunkt erfaßt.

Ergebnisse:

Die durchschnittliche Aufenthaltszeit betrug 74 Tage. Die untersuchte Stichprobe erwies sich als stark chronifiziert. Gemäß der Stadieneinteilung nach Gerbershagen befinden sich 72,5 %, der Patienten in Stadium 2 und 17,6 % bereits in Stadium 3 der Chronifizierung; lediglich 9,8% der Patienten sind dem Stadium 1 zuzuordnen.

Die häufigsten psychischen Sekundärdiagnosen waren Analgetikamißbrauch (24,1 %), Dysthymia (13 %) und akute Belastungsreaktion (13%). Zum Aufnahmezeitpunkt attribuierten 17,8 % der Patienten ihre Kopfschmerzen auf körperliche Ursachen, 6,7% auf seelische Ursachen und 66,7 % auf körperliche und seelische Ursachen. Zum Zeitpunkt der Entlassung attribuierten nur noch 7,4 % der Patienten ihre Kopfschmerzen auf körperliche Ursachen, 20,4 % nahmen seelische und 70,4 % körperliche und seelische Ursachen an.

Die nachfolgend berichteten Ergebnisse beziehen sich auf den Evaluationszeitraum bis 12 Monate nach der Entlassung aus der stationären Behandlung. Im Vergleich zum Aufnahmezeitpunkt zeigten sich bei Entlassung signifikante Unterschiede hinsichtlich der Kopfschmerzhäufigkeit und -intensität, des Medikamentenkonsum sowie bessere Schmerzbewältigungskompetenzen. Bei 68,5 % der Patienten konnte eine Abnahme der Kopfschmerzhäufigkeit um mehr als 50 % erreicht werden; bei 64,8 % nahm die Schmerzdauer um 64,8 % ab. Einen sehr guten oder guten Therapieerfolg gaben zum Zeitpunkt der Entlassung 72,2%, nach 3 Monaten noch 53,7%, nach 6 Monaten 61,1% und nach 12 Monaten 57,4% der Patienten an.

Die durchschnittliche Bewertung des Therapieerfolges auf einer 6-stufigen Ratingskala (1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = befriedigend, 4 = nicht befriedigend, 5 = schlecht) ergab zu den verschiedenen Evaluationszeitpunkten signifikante Unterschiede zwischen dem Zeitpunkt “bei Entlassung” und “3-Monate-Follow-up (p=0,23) sowie zwischen dem Zeitpunkt “bei Entlassung” und “12-Monate-Follow-up (p=0,20); der Vergleich der übrigen Meßzeitpunkte ergab keine signifikanten Unterschiede. Es erscheint auffällig, daß der Therapieerfolg nach 3 Monaten zunächst abnimmt und sich nach 6 Monaten wieder an den bei Entlassung erreichten Stand annähert (siehe Abbildung).

Als besonders bedeutsam für den Therapieerfolg wird die Einzeltherapie (88,9%), die Physikalische Therapie (77,8%), das Entspannungstraining (75,9%), der Kontakt zu Mitpatienten (74,1%), der Abstand vom familiären und beruflichen Umfeld (66,7%) und die Kopfschmerzbewältigungsgruppe (59,3%) eingeschätzt.

Abbildung: Bewertung des Therapieerfolges

Im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Aufnahme zur stationären Behandlung berichteten bei Entlassung 52,2%, daß es Ihnen hinsichtlich der Kopfschmerzsymptomatik besser gehe; nach 3 Monaten waren es noch 48,1%, nach 6 Monaten 59,3% und nach 12 Monaten 49,1%. 40,7% der behandelten Patienten haben nach der Entlassung eine ambulante Psychotherapie aufgenommen bzw. weitergeführt. Die ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung stellt jedoch keinen bedeutsamen Prädiktor für den langfristigen Therapieerfolg dar. Den besten Prädiktor für den Therapieerfolg bei Entlassung stellte die Kausalattribution dar (R2 = 3,2 %). Patienten mit einer eher organischen Kausalattribution zu Beginn der Therapie haben tendenziell einen besseren Therapieerfolg als Patienten mit psychischer bzw. kombinierter (seelisch und körperlicher) Kausalattribution.

Schlußfolgerungen:

Die Daten sprechen für die Effektivität des beschriebenen Behandlungsansatzes, betonen die Bedeutung der einzeltherapeutischen Maßnahmen und belegen einen langfristig stabilen Therapieerfolg. Für die Effektivität der Behandlung erscheint insbesondere der Einbezug kopfschmerzspezifischer und differentieller Therapieelemente bedeutsam.

Ausblick:

Derzeit werden die Daten für dieselbe Stichprobe für den Evaluationszeitraum von 2 Jahren nach Therapieende ausgewertet. Die Ergebnisse werden auf dem Kongreß der DGSS/DMKG vom 20.-24.10.99 in München präsentiert.

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