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Tips und Tricks der Experten

 

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Tips und Tricks der Experten in der Betreuung von Kopfschmerzpatienten

Volker Pfaffenrath

Diagnose und Therapie von primären Kopfschmerzen wie z.B. der Migräne, des Spannungskopfschmerzes, des Kombinationskopfschmerzes und des Schmerzmittelkopfschmerzes werden durch eine ganze Reihe an Vorurteilen von Seiten des betreuenden Arztes geprägt. Kopfschmerzpatienten gelten als zeitaufwendig, problematisch und schwer zu therapieren. Mehr als ein Drittel der Kopfschmerzerkrankten verzichtet deshalb auf einen Arztbesuch und behilft sich mit freiverkäuflichen Schmerzmitteln. Kopfschmerz-experten gehen davon aus, daß mehr als 60% der an primären Kopfschmerzen Leidenden erfolgreich behandelt werden können, unter der Voraussetzung, daß auf die Bedürfnisse des Patienten eingegangen wird und die Therapie nach modernen medikamentösen und nichtmedikamentösen Vorgaben erfolgt, wie sie von der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) publiziert wurden. Der Kopfschmerzpatient erwartet neben Zeit und Empathie eine kompetente Führung. Als chronisch Kopfschmerzkran-ker muß er über viele Jahre betreut werden. Die Diagnosestellung ist üblicherweise nicht allzu schwierig, wenn man davon ausgeht, daß 90% der Kopfschmerzkranken, die in Allgemeinpraxen und beim Neurologen gese-hen werden, unter einer Migräne, einem Spannungskopfschmerz, einem Kombinationskopfschmerz, einem Schmerzmittelkopfschmerz oder einem Halswirbelsäulenkopfschmerz (cervikogener Kopfschmerz) leiden. Die Anamneseerhebung sollte sich an ein bestimmtes Muster halten:

– Familiäre Belastung

– Lebensalter bei Erstmanifestation

– Schmerzmitteleinnahme

– Kopfschmerzen (- Frequenz, Dauer, Lokalisation, Qualität, Intensität)

– Begleitsymptome

– Sehstörungen

– Triggerfaktoren

– Trauma in der Vorgeschichte

– Hormonmedikation

Die Betreuung kann vereinfacht werden, wenn dem Patienten bereits auf dem Markt vorhandene Videos über sein Krankheitsbild zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig sollte der Patient auf vorhandene Patientenratgeber hingewiesen werden. Bei der Erstuntersuchung ist es angezeigt, mittels entsprechender Broschüren auf die zehn häufigsten Fragen einzuge-hen:

  • Ist die Migräne eine psychische Störung?
  • Habe ich ein erhöhtes Schlaganfallrisiko?
  • Arbeitet mein Gehirn während eines Migräneanfalles normal?
  • Können meine Kinder die Migräne erben?
  • Muß ich sämtliche Triggerfaktoren meiden, die möglicherweise eine
  • Migräne auslösen?
  • Ist Migräne heilbar?
  • Hat Migräne etwas mit meiner Wirbelsäule zu tun?
  • Ist die Migräne von Hormonen abhängig?
  • Können nur Medikamente meine Migräne lindern?
  • Kann ich Ihrer Diagnose vertrauen? Schließlich waren alle Untersuchungen negativ.

Die aktuelle Kopfschmerztherapie in Deutschland ist durch eine fehlende Umsetzung der Therapierichtlinien der Fachgesellschaften geprägt. Gleiches gilt für die geringe Akzeptanz des Leidensdruckes des Patienten. Die Betreuung hinsichtlich Therapie, Beratung und Therapiekontrolle ist insuffizient und der Kopfschmerz als chronische und organische Erkrankung nicht akzeptiert.

Für die Migräneattackenbehandlung steht im Vordergrund der Einsatz eines Antiemetikums wie Domperidom und Metoclopramid mit einfachen Analgetika wie Acetylsalizylsäure und Paracetamol. Ersatzweise können Ibuprofen (z.B. 800 mg in der Retardform) oder Naproxen (500 mg Supp.) verabreicht werden. Aus Kostengründen sollte Ergotamintartrat bei den Patienten, die ohne Nebenwirkungen gute Erfahrungen mit dieser Substanz gemacht haben, weiter verabreicht werden. Die Triptane (Sumatriptan, Zolmitriptan, Naratriptan und Rizatriptan) haben dann eine Indikation, wenn die Attackenbehandlung entsprechend den Richtlinien der DMKG keine Effekte aufweist, mit Nebenwirkungen verbunden ist, oder Kontraindikationen bestehen. Bei regelmäßiger Arbeitsunfähigkeit sollten Triptane wegen ihres raschen Wirkungseintrittes und ihrer insgesamt geringen Nebenwirkungs-rate bevorzugt werden. Triptane gelten als Mittel der ersten Wahl bei der sogenannten menstruellen Migräne, die üblicherweise durch Therapieresistenz und eine Dauer von 3-7 Tagen gekennzeichnet ist. Unter einer menstruellen Migräne leiden etwa 10 % der Migränikerinnen. Ersatzweise kann eine Kurzzeitprophylaxe mit Naproxen bzw. mit einem östrogenhaltigen Pflaster (Estraderm) indiziert sein.

Die Triptane unterscheiden sich kaum hinsichtlich ihrer Effektivität, der Dauer bis zum Wirkungseintritt und ihrer Nebenwirkungen. Sumatriptan bietet aufgrund der unterschiedlichen Applikationsformen (Tablette, Spray, Suppositorium, Autoinjektor) die größte Variabilität in der Anwendung; Naratriptan ist durch einen verzögerten Wirkungseintritt, dafür durch eine geringere Recurrence gekennzeichnet. Rizatriptan soll in der oralen Form über den raschesten Wirkungseintritt verfügen.

In der Prophylaxe gelten sind anerkannt: Beta-Blocker (Metoprolol, Propranolol), Flunarizin, Cyclandelat, Valproat und Naproxen. Der Einsatz von Magnesium ist umstritten. Metoprolol und Propranolol sind die Mittel der ersten Wahl in einer Dosierung von 100-200 mg bzw. 80-160 mg pro Tag. Aus Compliance-Gründen sollte der Retardform der Vorzug gegeben werden. Bei Nebenwirkungen oder fehlenden Effekt des Beta-Blockers kann in einzelnen Fällen eine Kombination mit z.B. Flunarizin 5mg abends versucht werden. Bei häufigen Attacken kann Amitryptilin bzw. Amitryptilinoxid zum Beta-Blocker hinzugegeben werden. Dies ist auch durch einen guten Effekt auf begleitende Schlafstörungen gekennzeichnet und kann in Einzelfällen den begleitenden Schmerzmittelkonsum reduzieren.

Kopfschmerzexperten setzen in Einzelfällen Tranylcypromin unter Beachtung der diätetischen Maßnahmen und Kontraindikationen ein. Häufige Behandlungfehler sind zu kurze oder zu lange Behandlung, das Nichtbeachten eines Schmerzmittelmißbrauches und eine Unterdosierung z.B. des Beta-Blockers. Die medikamentöse Therapie der kindlichen Attacke umfaßt in der Prophylaxe ebenfalls den Einsatz von Beta-Blockern (z.B. 1,5 mg Metoprolol pro kg Körpergewicht); die Attackenbehandlung erfolgt in der Kombination von Domperidon mit ASS, Paracetamol oder Ibuprofen (200-400mg). Im Vordergrund muß eine Beratung hinsichtlich begleitender Triggerfaktoren (z.B. Schulstreß) und Lebensstil (z.B. zu viele sportliche oder soziale Aktivitäten, unregelmäßige Nahrungseinnahme, wechselnder Schlaf- Wachrhythmus) stehen.

In der Behandlung des akuten Spannungskopfschmerzes wird die Gabe von Paracetamol, Ibuprofen und Naproxen empfohlen, allerdings nicht häufiger als 7-10mal/Monat. Eine Prophylaxe erfolgt üblicherweise mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin und Amitriptylinoxid, ersatzweise Doxepin oder Imipramin. Die Wirkung ist nach sechs Wochen zu beurteilen; insge-samt sollte die Dosis langsam über sechs Wochen erhöht werden unter Beachtung von Nebenwirkungen. Bei gutem Effekt kann nach sechs Monaten ein Ausschleichversuch erfolgen. Der Effekt eines Prophylaktikums kann frühestens nach sechs Wochen beurteilt werden. Eine Indikation zur Prophylaxe besteht nur dann, wenn Kopfschmerzen täglich oder fast täglich seit mindestens drei Monaten bestehen. Bei fehlendem Effekt der klassischen Trizyklika kann versuchsweise Naproxen in einer Dosierung von 2 x 500 mg pro Tag eingesetzt werden bzw. ein MAO-Hemmer wie Tranylcypromin. Kopfschmerzexperten setzen gelegentlich Kombinationen eines MAO -Hemmers mit einem trizyklischen Antidepressivums wie Amitriptylin ein. Hinsichtlich des Einsatzes der moderneren SSRI und Muskelrelaxantien fehlt bisher ein ausreichender Beleg. Bei Spannungskopfschmerzen von kurzer Dauer (2-6 Wochen) kann vor Einsatz eines trizyklischen Antidepressivums Naproxen in einer Dosierung von 2 x 500mg pro Tag probiert werden.

Beim Clusterkopfschmerz werden zur Attackenbehandlung Sumatriptan als Autoinjektor und die Inhalation von 100 %igen Sauerstoff (7 l/Min) bzw.

1 mg Dihydroergotamin i.m. oder subkutan angeraten. Im Vordergrund steht die Prophylaxe mit Verapramil, Lithium und Valproat. Bei fehlendem Effekt einer Monotherapie können Zweier- und Dreierkombinationen ver-sucht werden. Corticosteroide empfehle ich nur dann, wenn trotz einer Prophylaxe zahlreiche und heftige Attacken auftreten. Manche Experten unterbrechen solche Zyklen auch durch die Verabreichung von Dexamethason 12 mg über 3-4 Tage. Gelegentlich kann auch ein Schlafentzug wirksam sein. Ergotamintartrat wird üblicherweise vom Cluster-Kopfschmerzpatienten gut toleriert und über eine Dauer von 4-5 Tagen bis zum Wirkungseintritt einer Prophylaxe verabreicht, gelegentlich als Monotherapie bei Versagen der üblichen Prophylaktika, allerdings ausschließlich beim episodischem Clusterkopfschmerz. Beim chronischen Clusterkopfschmerz kann es über einen Zeitraum von 2-3 Monaten als Adjuvans zur üblichen Therapie indiziert sein.

Bei einem begleitenden Schmerzmittelentzug sollen alle Schmerzmittel abrupt abgesetzt und nur eine Bedarfmedikation wie z.B. Metoclopramid oder Domperidon bei Übelkeit und Erbrechen verabreicht werden. Für den Entzugskopfschmerz ist 2 x 500 mg Naproxen über zehn Tage indiziert. Barbiturate oder Tranquilizer sollten langsam ausgeblendet werden. Nach dem Entzug muß sich eine Migräne- und/oder Spannungskopfschmerzprophylaxe anschließen. Der Entzug sollte am Wochenende begonnen werden und immer den Hinweis auf fehlende Alternativen zum Entzug einschließen. Eine prophylaktische Krankschreibung ist nicht notwendig. Eine Wiedervorstellung ist nach zehn Tagen dringend erforderlich.

Grundsätzlich sollten innerhalb der ersten sechs Monate der Behandlung die Patienten regelmäßig in einem Abstand von 4-6 Wochen gesehen werden und einen Kopfschmerzkalender führen. Danach richtet sich auch die Bera-tung des Patienten und die Entscheidung über begleitende nichtmedika-mentöse Maßnahmen (Verhaltenstherapie etc.)


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