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Migräne, Epidemiologie

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2. Migräne, Prophylaxe

*** Leniger T, Diener HC. Die Antikonvulsiva Valproinsäure, Gabapentin, Topiramat und Lamotrigin in der Migränetherapie. Akt Neurol 2000; 27: 475-479

Zusammenfassung: Die Arbeitsgruppe in Essen beschäftigt sich seit Jahren in klinischen Studien mit der Therapie der Migräne. In der vorgelegten Arbeit fassen die Autoren die Studienergebnisse über die prophylaktische Wirksamkeit der Antikonvulsiva Valproinsäure, Gabapentin, Topiramat und Lamotrigin in der Migränetherapie sowie die akute Wirksamkeit dieser Substanzen in der Behandlung von Migräneattacken zusammen. Neben der Darstellung der Studienergebnisse wird versucht, aufgrund der Wirkungsmechanismen der Antikonvulsiva und der damit verbundenen verschiedenen Wirksamkeit der Substanzen bezüglich der Migränetherapie einen möglichen allgemeinen Wirkungsmechanismus herauszuarbeiten. Für die Valproinsäure liegen 4 doppelblinde placebokontrollierte Studien mit jeweils signifikanter Reduktion der Migränefrequenz zwischen 40 und 50% unter einer Therapie von 500-1500 mg Valproinsäure vor. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen Dosierungen fand sich nicht. Die Responderrate lag bei 75% der Patienten. Für Gabapentin liegen 2 placebokontrollierte Doppelblindstudien vor, die ebenfalls eine Wirksamkeit von Gabapentin für die Dosierung 1200 und 2000 mg (ohne Unterschied zwischen den Dosierungen) fanden. Topiramat wurde in 2 doppelblinden, placebokontrollierten Studien mit kleinerer Fallzahl in einer Dosierung von 200 mg je Tag getestet. In einer Studie wurde ein statistischer Trend, in einer anderen eine signifikante Reduktion der Migräne-Frequenz in der Topiramatgruppe gefunden. Etwa 60% der Patienten reagierten positiv. Dagegen fand sich für das 4. vorgestellte Antikonvulsivum Lamotrigin, welches in einer Tagesdosis von 100 mg je Tag gegeben wurde, keine signifikante Reduktion der Migräne-Frequenz in der Verumgruppe. In einer offenen Studie wurde unter Lamotrigin eine Reduktion der Häufigkeit von Auren bei unveränderter Häufigkeit der Migränekopfschmerzen gefunden. Desweiteren berichten die Autoren über die Ergebnisse zweier offener Studien bezüglich der Wirksamkeit von Valproinsäure in einer Dosierung von 300 bis 500 mg intravenös in der Akut-Therapie der Migräneattacke. Es fand sich in beiden Studien eine Wirksamkeit der intravenösen Valproinsäuregabe mit signifikanter Schmerzreduktion nach 10-25 Minuten in etwa 90% der Patienten. In Würdigung der Studienergebnisse kommen die Autoren zu der Überzeugung, dass die Valproinsäure und auch Gabapentin als Mittel der 2. Wahl in der Migräneprophylaxe, nach Betablocker und Flunarizin, eingestuft werden können. Topiramat scheint wirksam zu sein, weitere Bestätigungen durch Studien sind zu fordern. Lamotrigin erscheint in der Prophylaxe der Migräne keine Rolle zu spielen. Für die Attackentherapie könnte Valproinsäure eine Alternative darstellen. Aufgrund des Wirkungsspektrums von Valproinsäure, Gabapentin und Topiramat, die alle auch einen GABAergen Mechanismus beinhalten, werden GABAerge Mechanismen im Rahmen der Pathophysiologie der Migräneattacke für wahrscheinlich gehalten.

Kommentar: Bezüglich der Darstellung der möglichen Wirkungsmechanismen der Antikonvulsiva als auch der Studienergebnisse bleibt nichts hinzuzufügen. Bezüglich der zwischen den Zeilen vorgebrachten Überlegung, dass GABAerge Mechanismen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Migränesymptomatik spielen, würde man sich vielleicht eine weitere Darstellung von experimentellen Ergebnissen, aber auch Untersuchung zu der Wirksamkeit anderer GABAerger Substanzen, wie z.B. Propofol (Krusz et al., Headache 2000, 40:224-230) oder z.B. die Rolle der Benzodiazepine in der Behandlung von Migräneattacken (z.B. Tfelt-Hansen et al., Cephalalgia 1982, 2:205-210) wünschen. Darüber hinaus muss einschränkend erwähnt werden, dass die vorgestellten Antikonvulsiva alle sog. “dirty drugs” sind und sich auch andere Wirkmechanismen (letztlich die Reduktion neuronaler Erregbarkeit) als Erklärungsmodelle heranziehen lassen. (AS)

***** Silberstein SD for the US Headache Consortium. Practice parameter: Evidence-based guidelines for migraine headache (an evidence-based review). Report of the Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology. Neurology 2000;55:754-763

Zusammenfassung: Es gibt eine Vielzahl von Therapieempfehlungen zur Akuttherapie und zur Prophylaxe der Migräne. Diese werden in den verschiedenen Ländern nach verschiedenen Gesichtspunkten erstellt. Die American Academy of Neuroloy hat nun ein Konsortium beauftragt, Therapieempfehlungen nach den Kriterien der Evidenz basierten Medizin zu erstellen. Zur Erstellung der Therapieempfehlungen wurden, soweit erfassbar, alle kontrollierten und randomisierten Studien zur Akuttherapie und zur Prophylaxe der Migräne herangezogen. Durch ein Expertengremium wurden dann die einzelnen Studien nach ihrer Qualität beurteilt. Für die einzelnen Substanzen und Therapien wurden dann die wissenschaftliche Evidenz, die Sicherheit des wissenschaftlichen Nachweises der Wirkung und ein klinischer Eindruck der Wirksamkeit erstellt und auch die Nebenwirkungen erfasst. Für die Akuttherapie der Migräne wurden als therapeutisch gesichert und wissenschaftlich nachgewiesen die Triptane Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan empfohlen sowie die parenterale Gabe von Dihydroergotamin. Als wirksam wurden darüber hinaus eingestuft Paracetamal, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen und Prochlorperazin (ein Opioid). Ebenfalls wahrscheinlich wirksam aber mit geringem wissenschaftlichem Niveau des Nachweises, ist die Kombination von Paracetamol mit Codein, das Neuroleptikum Chlorpromazin, Diclofenac, Ergotamin plus Coffein, Metoclopramid und Prochlorperazin. Substanzen für die Migräneprophylaxe, deren Wirksamkeitsnachweis wissenschaftlich belegt ist, sind Valproinsäure, Amitriptylin, Propranolol und Timolol. Wahrscheinlich wirksam sind Gabapentin, Atenolol, Metoprolol und Nadolol, Verapamil, Acetylsalicylsäure, Ketoprofen, Naproxen, Magnesium und Vitamin B2. Unwirksam sind Carbamazepin, Clonidin, Nifedipin und Pindolol. Bei den nichtmedikamentösen Verfahren sind wahrscheinlich Entspannungsverfahren, Biofeedback und kognitiv-behaviorale Therapien wirksam. Diese Studienlage lässt keinen Wirksamkeitsnachweis zu für Hypnose, Akupunktur, transkutane elektrische Nervenstimulation, chiropraktische Behandlung und eine hyperbare Sauerstoffbehandlung. Für eine ganze Reihe von Substanzen zur Akuttherapie und zur Prophylaxe lässt sich der wissenschaftliche Nachweis führen, dass sie zur Behandlung von Migräneattacken und zur Prophylaxe der Migräne wirksam sind.

Kommentar: Prinzipiell ist der Ansatz der amerikanischen Kollegen, Therapierichtlinien nach Evidenz basierter Medizin herauszugeben, zu begrüßen. Der Nichtspezialist ist allerdings überwältigt, wenn er mit 37 Substanzen zur Akuttherapie der Migräne und 32 Substanzen zur Prophylaxe der Migräne konfrontiert wird. Positiv ist allerdings herauszuheben, dass die Autoren sich nicht ausschließlich auf publizierte Studien verlassen, sondern auch eine Umfrage bei Neurologen bzgl. des klinischen Eindrucks der Wirksamkeit durchgeführt haben. Einige ältere Substanzen, die beispielsweise bei der Migräneprophylaxe definitiv wirksam sind, wie beispielsweise Methysergid, wären sonst nicht berücksichtigt worden. In einer ganzen Reihe von Punkten lassen sich allerdings die hier empfohlenen Therapien nicht auf deutsche Verhältnisse übertragen. So kommen in Deutschland in der Regel Opioide nicht zum Einsatz. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass Patienten in den Vereinigten Staaten sehr häufig die Notfallambulanzen von Krankenhäusern aufsuchen, da eine hausärztliche Versorgung außerhalb der Praxiszeiten in den Vereinigten Staaten nicht üblich ist. Auch sind barbiturathaltige Kopfschmerzmittel in Deutschland seit mehreren Jahren verboten. Diese sind in den Vereinigten Staaten noch sehr populär. Der Einstufung der Autoren, dass selektive Serotoninaufnahmehemmer möglicherweise mit der Migräneprophylaxe wirksam sind, stimmt der Referent nicht zu. Auch die Einschätzung, das Nimodipin und Verapamil bei der Migräneprophylaxe wirksam sind, kann nicht zugestimmt werden. Das in Deutschland häufig verwendete Migränemittel Flunarizin wurde in der Aufstellung nicht berücksichtigt, da es in den Vereinigten Staaten nicht zugelassen ist. Interessierte Leser können die ausführliche Version der Therapieempfehlungen im Internet auf der Webpage der American Academy of Neurology AAN.edu nachlesen (HCD).


DMKG