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Indometacin-sensible Kopfschmerzsyndrome

 

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Indometacin-sensible Kopfschmerzsyndrome

Stefan Evers

Einleitung

Migräne und Spannungskopfschmerzen sind Erkrankungen, die in der Praxis des niedergelassenen praktischen Arztes und Neurologen häufig anzutreffen sind. Es gibt jedoch andere primäre Kopfschmerzsyndrome, deren Diagnose wegen ihrer Seltenheit eine Herausforderung darstellt, die aber prompt auf Indometacin ansprechen und daher gut zu behandeln sind. Es sollen hier die epidemiologischen und klinischen Merkmale sowie Therapiemöglichkeiten der chronischen paroxysmalen Hemikranie (CPH), der episodischen paroxysmalen Hemikranie (EPH) und der Hemicrania continua besprochen werden.

Chronisch paroxysmale Hemikranie (CPH)

Die CPH wurde erstmals 1974 beschrieben und hat als eigene Entität (Diagnose 3.2) Eingang in die Klassifikation der International Headache Society (IHS) gefunden. Sie ist definiert durch operationalisierte diagnostische Kriterien, die schwere, streng einseitige Kopfschmerzattacken mit Schwerpunkt orbital, supraorbital und/oder temporal und einer Dauer von 2 bis 45 min verlangen. Die Attackenfrequenz beträgt mindestens 5 pro Tag. Während der Attacken tritt mindestens eines der autonomen Symptome konjunktivale Injektion, Lakrimation, Nasenkongestion, Rhinorrhö, Ptosis und Lidödem auf der betroffenen Seite auf. Die operationalisierten IHS-Kriterien verlangen weiterhin eine absolut zuverlässige therapeutische Wirksamkeit von Indometacin. Die initial empfohlene Maximaldosis Indometacin beträgt 150 mg täglich, darunter kommt es bei ausreichender Dosierung zu einem Sistieren der Kopfschmerzen innerhalb weniger Tage. Die IHS-Kriterien haben sich in der praktischen Anwendung als ausgesprochen zuverlässig erwiesen. Die Attackenfrequenz kann zeitlich variieren, jedoch sollten definitionsgemäß keine Remissionen auftreten. Es gibt zahlreiche klinische Ähnlichkeiten zwischen der CPH und dem Clusterkopfschmerz, aufgrund der kürzeren Dauer und höheren Frequenz der Attacken, des Überwiegens des weiblichen Geschlechts bei der CPH und des selektiven therapeutischen Ansprechens der CPH auf Indometacin erscheint eine Abgrenzung gegenüber dem Clusterkopfschmerz jedoch gerechtfertigt.

Klinische Charakteristika der CPH

Das typische Erstmanifestationsalter liegt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Das Geschlechterverhältnis beträgt 3:1 (Frauen zu Männer). Die Intensität der Schmerzen ist extrem. Der Schmerzcharakter kann zu Beginn pulsierend sein, normalerweise handelt es sich jedoch um stechend-bohrende Schmerzen. Im Gegensatz zu Patienten mit Clusterkopfschmerz verhalten sich viele CPH-Patienten während der Attacken ruhig und legen sich z.T. sogar ins Bett. Die durchschnittliche Attackenfrequenz liegt zwischen 5 und 10 Attacken pro Tag, jedoch sind auch Extreme von nur einer bis zu 40 Attacken täglich beschrieben. Zwischen den Attacken kann ein leichterer Schmerz oder ein Spannungsgefühl bestehen bleiben. Die Attackendauer von 2 bis 45 Minuten ist kürzer als die der Clusterattacken von 15 bis 180 Minuten, jedoch kann der Überschneidungsbereich differentialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten. Die Beteiligung autonomer Symptome ist ähnlich der des Clusterkopfschmerzes, jedoch oft leichtgradiger ausgeprägt.

Differentialdiagnosen der CPH

Differentialdiagnosen der CPH umfassen andere kurzdauernde primären Kopfschmerzen wie den Clusterkopfschmerz und das sog. SUNCT-Syndrom, das ebenfalls durch häufige und kurze, wenige Minuten dauernde Schmerzattacken mit autonomer Beteiligung charakterisiert ist, aber nicht auf Indometacin anspricht. Eine sekundäre CPH wurde beschrieben bei einem Gangliozytom der Sella turcica, einer Vaskulitis, arteriovenöser Malformationen, einem Pancoast-Tumor, einem Frontallappentumor, einem Sinus cavernosus-Meningeom sowie erhöhtem intrakraniellen Druck. Ein hoher Bedarf an Indometacin (> 200 mg pro Tag) sowie das beidseitige Auftreten der Attacken im Falle einer intrakraniellen Druckerhöhung machen das Vorliegen einer sekundären CPH wahrscheinlich.

Diagnostik der CPH

Es gibt außer der sorgfältigen Anamnese keine spezifische Zusatzdiagnostik, die das Vorliegen einer CPH anzeigt. So ist die MRT des Schädels unauffällig. Ein sinnvolles diagnostisches Screening eines Patienten mit CPH sollte eine sekundäre CPH ausschließen und folgende Maßnahmen umfassen: Eine BSG und rheumatologische Basisdiagnostik, ein Röntgenbild des Thorax, eine MRT des Schädels sowie im Falle beidseitiger Kopfschmerzattacken eine Liquorpunktion zum Ausschluß einer Liquordruckerhöhung. Ist nach sorgfältiger Anamnese die Verdachtsdiagnose CPH gestellt, und sind die genannten sekundären Differentialdiagnosen durch entsprechende Zusatzdiagnostik ausgeschlossen, kann die Diagnose CPH “ex juvantibus” durch Indometacingabe gestellt werden. Nach Einnahme der individuell erforderlichen Indometacindosis kommt es zu einem vollständigem Sistieren der Kopfschmerzen innerhalb von 30 min bis 48 Stunden.

Therapie der CPH

Standardtherapie der CPH ist Indometacin. Häufig ist eine Dosis von 25 mg dreimal täglich ausreichend, bei ausbleibendem Therapieerfolg sollte nach einer Woche die Dosis auf 50 mg dreimal täglich erhöht werden. In seltenen Fällen ist auch eine höhere Dosis erforderlich. Gastrointestinale Nebenwirkungen können eine Begleittherapie mit säurehemmenden Medikamenten notwendig machen. Insgesamt ist mit einer Nebenwirkungsrate der Indometacintherapie von ca. 10% der Fälle auszugehen. Eine Tachyphylaxie des Indometacin-Therapieeffektes tritt nach heutigen Erkenntnissen nicht auf. Selten kann das Auftreten schwerer Nebenwirkungen wie allergischer Exantheme, peptischer Ulcera oder Gastritiden den Einsatz von Ausweichmedikamenten notwendig machen.

Als Medikament der zweiten Wahl zur Prophylaxe der CPH ist aufgrund von Fallberichten und nicht kontrollierten Studien Verapamil anzusehen. Daneben können auch Acetylsalicylsäure, Naproxen und Diclofenac versucht werden, jedoch ist meist nur von einem partiellen Therapieerfolg auszugehen, und mit ca. 30 ­ 50% eine deutlich niedrigere Responderrate als bei Einsatz von Indometacin zu erwarten. Als Akuttherapie hat in einer offenen Therapiestudie lediglich Sumatriptan s.c. einen Effekt bei 2 von 7 Patienten gezeigt, während die Anwendung von Sauerstoff erfolglos blieb. Die Wirksamkeit von Sumatriptan wird kontrovers diskutiert und ist bislang weder erwiesen noch ausgeschlossen. Es muß dabei angemerkt werden, daß die Beurteilung einer Akuttherapie der CPH wegen der Kürze unbehandelter Attacken schwierig zu beurteilen ist.

Episodische paroxysmale Hemikranie (EPH)

Die EPH ist eine extrem seltene Kopfschmerzform, bei der zahlreiche kurze Schmerzattacken für bestimmte Zeiträume auftreten, die durch wochen- oder monatelange Remissionsphasen unterbrochen werden. Wie bei der CPH sind die Schmerzen streng einseitig lokalisiert und von ipsilateralen autonomen Symptomen begleitet. Wahrscheinlich ist die EPH als eine episodische Variante der CPH anzusehen, entsprechend der episodischen und chronischen Verlaufsform des Clusterkopfschmerzes.

Klinische Charakteristika und Therapie der EPH

Bislang sind lediglich 13 Fälle von EPH in der Literatur beschrieben. Es kommt zu bis zu 30 Minuten anhaltenden Kopfschmerzattacken, die bis zu dreißigmal am Tag auftreten. Der Schmerz ist heftig, temporoorbital lokalisiert und von pulsierendem oder stechendem Charakter. Übergänge einer EPH in eine CPH sind vereinzelt beschrieben worden, was auf einen engen Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen hinweist. Es ist anzunehmen, daß EPH und CPH wie episodischer und chronischer Clusterkopfschmerz die Endpunkte eines kontinuierlichen Spektrums darstellen. Wie bei der CPH ist Indometacin Mittel der Wahl zur Therapie der EPH.

Hemicrania continua (HC)

Die HC ist charakterisiert durch einen einseitigen, kontinuierlichen Kopfschmerz von mittlerer Intensität. Drei Fünftel der Patienten erleiden zusätzlich Exazerbationen, die das Schmerzkontinuum überlagern. Sie können von kurzer Dauer sein, jedoch auch einige Tage andauern. Während der Exazerbationen kommt es zu autonomen Symptomen wie einer Ptosis, konjunktivalen Injektion, Lakrimation oder Nasenkongestion. Diese autonomen Begleitsymptome sind generell schwächer ausgeprägt als die der CPH und EPH.

Klinische Charakteristika der HC

Patienten mit einer HC lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  1. Patienten mit einer remittierenden Form, bei denen Kopfschmerzepisoden von Wochen bis Monaten Dauer mit schmerzfreien Intervallen abwechseln (15% der Patienten).
  2. Patienten, die zunächst unter einer remittierenden Form der HC leiden, die dann in eine unremittierende Form übergehen (32% der Pateinten).
  3. Patienten mit von Beginn an unremittierenden Kopfschmerzen (53% der Patienten).

Weiterhin gibt es Berichte über eine zunächst kontinuierliche, später remittierende Form der HC, über einen Wechsel der betroffenen Kopfseite während des Erkrankungsverlaufes, sowie über einen Fall einer bilateralen “Hemicrania” continua. Die autonomen Symptome, die während der Exazerbationen auftreten, entsprechen denen der CPH. Berichte über sekundäre Formen der HC exisitieren nicht.

Diagnose und Therapie der HC

Nach sorgfältiger Anamnese kann die Diagnose wie bei der CPH “ex juvantibus” gestellt werden. Wie bei der CPH tritt Schmerzfreiheit nach Einnahme der individuell erforderlichen Indometacindosis innerhalb von 30 min bis 48 Stunden auf. Als Alternativmedikament erzielte des Piroxicamderivat Beta-Cyclodextrin bei einem Patienten die gleiche Wirksamkeit wie Indometacin, war diesem jedoch in einer Serie von 6 Patienten unterlegen.

Pathophysiologie der autonomen Kopfschmerzsyndrome

Trotz der dargestellten Unterschiede in der Ausprägung und Gewichtung verschiedener autonomer Symptome bei den unterschiedlichen Kopfschmerzsyndromen erscheint es gerechtfertigt, die Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes (CK), der CPH, EPH und der HC gemeinsam zu diskutieren. Da der CK das häufigste der genannten Kopfschmerzsyndrome ist, gibt es hierzu die meisten experimentellen Daten. Lange Zeit war es gängige Theorie, daß der CK durch inflammatorische Vorgänge im Sinus cavernosus ausgelöst wird. Entsprechend wurde der CK als vaskulärer Kopfschmerz bezeichnet.

Ergebnisse neuerer PET-Studien, die eine Signalvermehrung im Sinus cavernosus nach Capsaicin-Injektion in die Stirn zeigen, legen nahe, daß es sich bei den beschriebenen vaskulären Veränderungen höchstwahrscheinlich um ein Epiphänomen der Aktivierung des ersten Trigeminusastes handelt. Untersuchungen zeigen, daß die autonomen Symptome Folge einer Aktivierung eines trigemino-parasympathischen Reflexbogens sind. So konnte in Tierexperimenten gezeigt werden, daß eine Stimulation des trigeminalen Ganglions in einem verstärkten cerebralen und extracerebralen Blutfluß resultiert. Die Vasodilatation wird dabei verursacht durch einen Reflexbogen mit dem Nervus facialis, der die parasympathische Efferenz des Gesichtes ist. Eine Stimulation des trigeminalen Ganglions führt zur lokalen Freisetzung trigeminaler (CGRP und Substanz P) und parasympathischer (VIP) Peptide bei Katzen und Menschen und verursachen eine cerebrale Vasodilatation beim Menschen. Die trigeminale Afferenz ist eindeutig aktiviert bei Migräneattacken und beim CK, die parasympathische Efferenz eindeutig nur beim CK. Bei einem Patienten mit CPH konnten während einer Attackenphase Anstiege des CGRP und VIP nachgewiesen werden, die weit über den Anstieg bei Migräneattacken hinausgehen, jedoch mit den nachgewiesenen Veränderungen während CK-Attacken vergleichbar sind.

Ungeklärt bleibt bis heute, warum dieser trigemino-autonome Reflexbogen bei den unterschiedlichen Kopfschmerzsyndromen mit autonomer Beteiligung eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen autonomen Symptome verursacht und welches die eigentliche Ursache ist, die den Reflexbogen aktiviert. Für den CK konnte durch PET-Untersuchungen der ipsilaterale Hypothalamus als Primum movens identifiziert werden, der als einzige Struktur einzig beim CK, nicht jedoch beim Capsaicin-induzierten Kopfschmerz aktiviert wird. Ob dies auch für die anderen Kopfschmerzsyndrome mit autonomer Beteiligung zutrifft, ist noch ungeklärt.

Weiterführende Literatur

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  2. Evers S, Husstedt IW. Alternatives in drug treatment of chronic paroxysmal hemicrania. 1996; 36: 429-432.
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  8. Sjaastad O, Spierings EL. “Hemicrania continua”: another headache absolutely responsive to indomethacin. Cephalalgia 1984; 4: 65-70.


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