Kopfschmerzen bei Carotis- und Vertebralisdissektion
Arne May
Die Dissektion der Carotiden oder Vertebralarterien ist eine ungewöhnliche, aber alles in allem nicht seltene Ursache für Kopfschmerzen und akute neurologische Defizite bei jüngeren Erwachsenen.
Inzidenz: Die Dissektion des cervikalen Segmentes der A. carotis interna kommt vor allem im mittleren Alter vor. Das Durchschnittsalter von 140 gesammelten Patienten war 45 Jahre (11-74 Jahre), 70% waren im Alter zwischen 35 und 50 Jahren [3]. Das häufigste Alter liegt in den frühen 40ern bei beiden Geschlechtern, die genaue Inzidenz ist jedoch nicht bekannt.
Schmerzlokalisation: Der Kopfschmerz als das häufigste Symptom [7] ist meist unilateral und bei der Carotisdissektion periorbital, frontal oder fronto-temporal, häufig submandibulär beginnend, lokalisiert. Bei der Vertebralisdissektion ist der Kopfschmerz meist occipital oder parieto-occipital beginnend und kann die gesamte Kopfhälfte umfassen und in den ipsilateralen Arm ausstrahlen. Generell wird die Schmerzausprägung in etwa 30% der Patienten bilateral vorhanden sein [2].
Schematisches Diagramm mit der Angabe der häufigsten Schmerzlokalisationen bei einer Carotis-Dissektion. (Nach Silberstein, S.D., Lipton, R.B. and Goadsby, P.J., Headache in clinical practice, Oxford University Press)
Schmerzcharakter: Der Schmerz wird üblicherweise als moderat bis schwer beschrieben und hat meistens einen dumpf-drückenden, manchmal bohrenden Charakter. Generell aber gilt, daß der Schmerz jeden Teil des Gesichtes, des Kopfes oder Halses betreffen kann, keine spezifische Schmerzausprägung aufweist und häufig plötzlich auftritt. Daher wird er leider nicht selten als Migräne oder Spannungskopfschmerz verkannt. Wichtig sind in der Differentialdiagnose 1.) das man daran denkt und 2.) genau auf auch diskrete Hinweise achtet, die gegen einen ideopathischen Kopfschmerz sprechen.
Wegweisende Symptome: Symptome, die direkt an die Ursache der Kopfschmerzen denken lassen, sind auskultatorisch ein Geräusch über den Carotiden, vor allem aber ein Horner Syndrom sowie eine retinale und cerebrale Ischämie bei der Carotisdissektion und fokal-neurologische Symptome (Hirnstammsymptome: Schwindel, Dysarthrie, Doppelbilder, später Bewußtseinsstörungen oder Halbseitensymptomatik) bei der Vertebralisdissektion. Diese Symptome finden sich in über 50% der Patienten, während ein Trauma nur in 27% nachzuvollziehen ist [1].
Ursache: In zwei Drittel der Fälle ist die Dissektion spontan. Diskutiert werden eine vorbestehende fibromuskuläre Dysplasie. Durch Mini-Traumata kann es dann zu einem dissezierenden Wandhämatom mit und ohne Lumeneinengung kommen. Von zunehmender praktischer Bedeutung gerade bei Kopfschmerzpatienten wird die Chiropraxie. Kopfschmerzpatienten gehen nicht selten zum Chiropraktiker wegen neben den Kopfschmerzen bestehenden Nackenschmerzen. Diese werden dann prinzipiell als Ursache verkannt und der Hals “eingerenkt”. Inzwischen gibt es eine Fülle an Veröffentlichungen, die auf dieses Problem hinweisen [4-6]. Alleine in Kalifornien wurden binnen 2 Jahren 55 Schlaganfälle, 16 Myelopathien und 30 Radikulopathien als direkte Folge einer Chiropraxie der HWS berichtet.
Die meisten dieser Patienten behalten ein neurologisches Defizit ! Fast alle Schlaganfälle in der Folge einer Chiropraxie betreffen das hintere Stromgebiet. Praktisch alle diese Patienten hatten eine leere Anamnese und keine oder nur geringe Risikofaktoren. Wichtig ist es zu wissen. Daß zwar in den meisten Patienten die Leitsymptome sofort auftreten, jedoch bis zu mehreren Wochen später noch präsent werden können. Das bedeutet, daß man bei Verdacht die Patienten spezifisch nach kleineren Traumen (Auffahrunfall, Besuch beim Chiropraktiker) fragen muß.
Diagnostik: farbcodierte Duplexsonographie, MRT (nach 3 Tagen direkter Nachweis des Wandhämatoms durch Methämoglobin Signal (hyperintens in T1- und T2- gewichteten Bildern), MR- Angiographie. Die konventionelle Angiographie hat die höchste Aussagekraft und ist Methode der Wahl, wenn der Verdacht vorliegt und die Duplexsonographie oder MRT unsichere Ergebnisse liefern.
Dissektion der Arteria carotis communis rechts mit typischem Sandwich-Lumen in der Duplexsonographie. (mit freundlicher Genehmigung von T. Hölscher, Neurologie Regensburg)
Therapie: In der Akutphase ist die PTT-wirksame Vollheparinisierung Mittel der Wahl. Wenn dann keine Stenose mehr nachweisbar ist, wird ASS 100-300mg für etwa ein Jahr empfohlen. Bei einer signifikanten Lumenreduktion durch das intramurale Hämatom soll eine Antikoagulation (Marcumarisierung) für die Dauer von 1 Jahr.
Prognose: Eine wiederholte Ruptur eines einmal geheilten Dissektion ist extrem rar. Allerdings kann in einem Patienten mit anamnestischer Dissektion, ein nicht-betroffener Anteil desselben oder anderer Gefäße einreißen. Eine komplette und exzellente restitutio ad integram wird bei etwa 85% der spontan en Dissektionen erzielt. Hauptkriterium ist allerdings das frühe Erkennen, bevor es zu cerebralen Herdsymptomen in Folge einer Ischämie gekommen ist.
Literatur:
- Bertram, M., Ringleb, P., Fiebach, J., Orberk, E., Brandt, T. and Hacke, W., Spectrum of neurological symptoms in dissections of brain-supplying arteries, Dtsch Med Wochenschr, 124 (1999) 273-278.
- Biousse, V., D’Angletan, J.D. and Touboul, P., Headache in 67 patients with extracranial internal carotid artery dissection, Cephalalgia, 11 (1991) 349-350.
- Hart, R.G. and Easton, J.D., Dissection of cervical and cerebral arteries, Neurol Clin, 1 (1983) 155-182.
- Hufnagel, A., Hammers, A., Schonle, P.W., Bohm, K.D. and Leonhardt, G., Stroke following chiropractic manipulation of the cervical spine, J Neurol, 246 (1999) 683-688.
- Lee, K.P., Carlini, W.G., McCormick, G.F. and Albers, G.W., Neurologic complications following chiropractic manipulation: a survey of California neurologists, Neurology, 45 (1995) 1213-1215.
- Parenti, G., Orlandi, G., Bianchi, M., Renna, M., Martini, A. and Murri, L., Vertebral and carotid artery dissection following chiropractic cervical manipulation, Neurosurg Rev, 22 (1999) 127-129.
- Silberstein, S.D., Lipton, R.B. and Goadsby, P.J., Headache in clinical practice, Oxford University Press, Northamtonshire, 1998.
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