Streitfall: Kopfschmerzen von der Halswirbelsäule
(Elzach/München/Göttingen) Seit vielen Jahren streiten Ärzte darüber, ob und wann Schäden und Erkrankungen der Halswirbelsäule Kopfschmerzen verursachen können. Darum haben Experten der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) nun zahlreiche Untersuchungen und Befunde auf den wissenschaftlichen Prüfstand gestellt. Resultat: In Diagnostik und Therapie gibt es zwar viele Hypothesen, aber nur wenig Gesichertes.
In welchen Fällen werden Kopfschmerzen durch Verspannungen der Nackenmuskulatur oder Schäden an Strukturen der Halswirbelsäule verursacht und wann handelt es sich um Migräne, Spannungskopfschmerzen oder eine der anderen 165 bekannten Kopfschmerzarten? Welches diagnostische Etikett ein Arzt seinem Kopfweh-Kranken anklebt, hängt – sehr zum Leidwesen der Experten – oft weniger von wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen ab als von der häufig eingeengten Sichtweise der jeweiligen Facharzt-Zunft. “Schickt man einen Kopfschmerz-Patienten zu zehn verschiedenen Fachärzten, kommt er zumeist mit zwölf verschiedenen Diagnosen wieder”, lautet darum ein geflügeltes Wort der Kopfschmerz-Experten.
Besonders umstritten sind Kopfschmerzen, die von der Halswirbelsäule und ihrer benachbarten Gewebe ausgehen, im Fachjargon “zervikogener Kopfschmerz” genannt. Vor allem Orthopäden und Manualtherapeuten wittern in “Wirbelblockaden” und Abnutzungserscheinungen der Halswirbelsäule häufig die Ursache von Kopfschmerzen. Daß es derartige Zusammenhänge in der Tat gibt, räumt auch eine Expertengruppe der Deutschen Migräne und Kopfschmerzgesellschaft in einer kritischen Bewertung ein (Cephalalgia 17, 1997), über die in den aktuellen Kopfschmerz-News berichtet wird.
Werden bestimmte Nervenwurzeln im Bereich der Halswirbelsäule mit Lokalanästhetika örtlich betäubt, verschwindet der Schmerz. Solche diagnostischen Leitungsblockaden führen auch in Einzelfällen dazu, daß die Beschwerden für einige Tage, selten für Wochen unterdrückt werden. Darum bescheinigen der Präsident der DMKG, der Münchener Neurologe Dr. Volker Pfaffenrath, und seine Kollegen solchen Blockaden diagnostische Aussagekraft.
Tastbefunde und Röntgenaufnahmen liefern hingegen keine gesicherten Informationen für die Diagnostik, da fast alle Menschen im Erwachsenenalter mehr oder weniger ausgeprägte Veränderungen an der Halswirbelsäule haben.
Auf ungesichertem Fundament ruhen jedoch die meisten Therapie-methoden, da wissenschaftliche Studien auf diesem Gebiet Mangelware sind. Fazit der Spezialisten: “Eine gesicherte therapeutische Option existiert nicht.”
Gleichwohl brauchen betroffene Patienten ärztliche Hilfe. “Medikamente”, sagt Professor Walter Paulus von der Abteilung für Klinische Neurophysiologie in Göttingen, “bewirken bei zervikogenen Kopfschmerzen wenig und spielen daher eine untergeordnete Rolle”. Physiotherapie bringt hingegen – zumindest vorübergehend – Erleichterung. Kritisch stehen die Experten der Manualtherapie, dem “Einrenken”, gegenüber: “Wird dieser Eingriff unsachgemäß ausgeführt, kann er einen Schlaganfall auslösen”, stellt Professor Paulus fest.
Sind bei schweren Fällen alle konservativen Maßnahmen ausgereizt, bleibt als letzte Möglichkeit nur ein neurochirurgischer Eingriff. “Dieser”, betont Professor Paulus, “ist aber nur dann indiziert, wenn die schmerzauslösenden Mechanismen eindeutig diagnostiziert wurden, wenn also bei einer Leitungsblockade Kopfschmerzen und idividuelle Begleiterscheinungen des Patienten während der Wirkdauer des Lokalanästhetikums verschwinden.” “In solchen Einzelfällen können Patienten durch neurochirurgische Eingriffe beschwerdefrei werden”, resümmiert Priv. Doz. Dr. Jürgen Jansen von der neurochirurgischen Universitätsklinik Göttingen seine bisherigen vorläufigen Erfahrungen an rund hundert Patienten.
Aufgrund der bestehenden Unsicherheit fordern die DMKG-Experten vor allem weitere Untersuchungen, etwa epidemiologische Studien, die Auskunft über die tatsächliche Häufigkeit dieser Kopfschmerz-Art geben könnten. Ebenso sind auch weitere Studien zu Diagnostik und Therapie notwendig.
Eine Liste mit Kopfschmerz-Experten in der jeweiligen Region
ist beim Generalsekretär und Pressesprecher der DMKG erhältlich.
Prof. Dr. Gunther Haag
Elztal Klinik
Pfauenstr. 6, 79215 Elzach-Oberprechtal
Tel.: (07682) 805-333, Fax: (07682) 805-135
Die Mitglieder-Liste und weitere Informationen über Kopfschmerz und Migräne auch unter: http://www.dmkg.de