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Zytokine und Kopfschmerzen

 

online gestellt: Jan. 2001

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Zytokine und Kopfschmerzen

M. Empl, A. Straube; Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum Großhadern

Kopfschmerzen als Symptom eines entzündlichen Allgemeininfektes sind ein wohlbekanntes Phänomen. Wie sie jedoch entstehen, ist weitgehend unbekannt. Die Abläufe, die grundsätzlich bei einer Entzündung oder bei einem Gewebeschaden Schmerzen entstehen lassen, sind jedoch in weiten Teilen geklärt. So lösen freigesetzte Entzündungsmediatoren wie z.B. Prostaglandine Schmerzen aus. Aber auch spezifischere Immunbotenstoffe wie Zytokine (Tumor Necrosis Factor-alpha, Interleukin-6) können zur Schmerzentstehung beitragen [1, 2, 3]. Ob diese Mechanismen auch bei primären Kopfschmerzsyndromen wie z.B. der Migräne oder dem Clusterkopfschmerz eine Rolle spielen, ist noch unklar. Vor dem Hintergrund der bekannten Assoziation von Schmerz und Entzündung wurde jedoch auch bei diesen Kopfschmerzen eine Beteiligung des Immunsystems vermutet.

Bei der Migräne geht eine Hypothese von einer zentral getriggerten sterilen Entzündung duraler Gefäße aus (neurovaskuläre Entzündung). Aber auch beim Clusterkopfschmerz wurde bereits früh aufgrund der jahreszeitlichen Häufung im Frühjahr und im Herbst sowie der Wirksamkeit einer Steroidbehandlung eine entzündliche Ursache angenommen.

Migräne

Untersuchungen zur Pathophysiologie der Migräne zeigen eine Aktivierung mesencephaler Zentren während der Attacke, die auch nach medikamentöser Ausschaltung der Schmerzen bestehen bleibt [4]. Diese Aktivierung kann also alleine nicht für die Schmerzwahrnehmung verantwortlich sein. Eine die Schmerzen besser erklärende Entzündung duraler Gefäße konnte beim Menschen allerdings noch nicht nachgewiesen werden [5]. Jedoch konnte während der Migräneattacke die Ausschüttung des Neuropeptids CGRP als Zeichen der Aktivierung des trigeminovaskulären System beobachtet werden [6]. Insgesamt fehlt trotz deutlicher Hinweise der Nachweis einer neurovaskulären Entzündung in der Migräneattacke.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Zusammenschau immunologischer Untersuchungen.

So konnte eine zwar nicht basal, aber in der Attacke gering erhöhte Produktion der proinflammatorischen Zytokine Interleukin-1 beta und TNF-alpha von Monozyten bei 110 Migränepatienten nachgewiesen werden [7]. In einer anderen Untersuchung wiesen 3 Migränepatienten im Intervall eine vermehrte spontane und induzierte Freisetzung von Interleukin-1 beta durch Monozyten im Vergleich zu 14 Kontrollen [8] sowie 20 Migränepatienten eine erhöhte TNF-alpha Serumkonzentration zwischen den Attacken im Vergleich zu Kontrollen auf [8]. Van Hilten et al. [9] fanden hingegen bei der Bestimmung von Interleukin-1, TNF-alpha im Plasma während der Migräneattacke von 20 Patienten keinen Unterschied zu den Werten im Intervall, verglichen aber nicht mit Werten von Kontrollen.

Es könnte also sein, dass Migränepatienten während oder zwischen den Attacken keine unterschiedlichen, jedoch im Vergleich mit Kontrollen erhöhte Serumwerte für TNF-alpha aufweisen. Eine systemische Erhöhung von TNF-alpha im Serum konnten wir hingegen in einer eigenen Untersuchung an Migränepatienten weder im Intervall noch bei sechs Patienten in der Attacke im Vergleich zu Kontrollen bestätigen [10]. Wir fanden allerdings erniedrigte lösliche TNF-alpha Rezeptoren (sTNF-RI) im Serum, die die Wirkung von TNF-alpha antagonisieren. Interleukin-6 oder lösliche Interleukin-6 Rezeptoren waren hingegen unverändert. Die möglicherweise lokale, nicht systemisch nachweisbare Wirkung von TNF-alpha an duralen Gefäßen könnte also bei Migränepatienten weniger gut gepuffert werden als bei normalen Kontrollen. Andererseits könnte eine Erniedrigung von sTNF-RI auch durch eine nicht chronische, aber regelmäßige Analgetikaeinnahme von Migränepatienten bedingt sein.

Die sowohl in der Attacke verglichen mit interiktal [7] als auch im Intervall verglichen mit Kontrollen [8] erhöhte Produktion von TNF-alpha und Interleukin-1 durch Monozyten weist auf die wichtige Rolle der Immunzellen hin, die vor allem eine lokale Wirkung entfalten können.

Shimomura [11] konnte eine Erniedrigung des T-Zellen aktivierenden Zytokins Interleukin-2 bei Migränepatienten im Intervall im Vergleich zu Kontrollen nachweisen, was als Zeichen einer verminderten T-Zellaktivität interpretiert wurde. Das eher hemmend wirkende Zytokin Interleukin-4 fiel innerhalb einer Attacke ab, allerdings ebenso wie andere Moleküle, die eine Entzündung anzeigen (sICAM) [12].

Zusammengefasst gibt es bei teilweise sehr deutlichen methodischen Mängeln der Studien (sehr geringe Fallzahl n=3) keine eindeutigen Befunde, die einen festgelegten entzündlichen Ablauf einer Migräneattacke nachweisen, jedoch einige Hinweise auf eine Beteiligung des Immunsystems, sei es in Form einer Dysfunktion im Intervall (verminderte T-Zellaktivität, erniedrigte lösliche TNF-Rezeptoren) oder einer Überaktivität in der Attacke (verstärkte Zytokinproduktion der Monozyten).

Clusterkopfschmerz

Die Pathophysiologie des deutlich selteneren Clusterkopfschmerzes ist noch weitgehend ungeklärt. Eine Hypothese geht von einer sterilen lokalen Entzündung einseitig im Sinus cavernosus aus, die bei vermehrten venösen Gefäßdruck auf die dort durchlaufenden Nervenfasern im Liegen zu den typischen nächtlichen, einseitig um das Auge konzentrierten, heftigen Schmerzen mit autonomen Begleitsymptomen wie eines Horner-Syndroms, Lakrimation und Nasenkongestion führt [13]. Neuere Erkenntnisse aus der funktionellen Bildgebung stellen hingegen den Hypothalamus [14] als inneren Zeitgeber an die Spitze einer unbekannten pathophysiologischen Kette, die zu einer trigeminovaskulären Aktivierung mit Freisetzung des Neuropeptids CGRP [15] und den typischen nächtlichen Attacken führt. Der Weg von der hypothalamische Aktivierung zur Schmerzentstehung ist dabei unklar.

Bei immunologischen Untersuchungen zum Clusterkopfschmerz konnte beobachtet werden, dass Killerzellen von Clusterpatienten stärker auf eine Stimulation mit Interleukin-2 reagierten [16]. Passend dazu wiesen Lymphozyten von Clusterpatienten eine erhöhte basale Interleukin-2 Rezeptor Expression sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Episode auf. Allerdings ließen sich diese Zellen weniger als bei Kontrollen stimulieren, möglicherweise aufgrund der bestehenden Voraktivierung [17]. Außerdem konnten wir bei Clusterpatienten in der Episode erhöhte lösliche Interleukin-2 Rezeptor Konzentrationen als Zeichen einer T-Zellaktivierung feststellen [18] sowie eine andere Untersuchung erhöhte Serumkonzentration des proinflammatorischen Interleukin-1 [19]. Beim Clusterkopfschmerz gibt es somit mehrere Befunde, die auf eine Immunaktivierung, insbesondere der T-Zellen hinweisen, auch wenn die untersuchten Zytokine nicht immer direkt schmerzauslösend wirken. Die Triggerung der Schmerzen könnte allerdings über Vermittlung eines Gefäßeffekts, z.B. über Stickstoffoxid (NO) ablaufen. Dies ist umso interessanter, als sich durch das T-Zell stimulierende Interleukin-2 auch eine Verbindung zum Hypothalamus schlagen lässt. So ist Interleukin-2 im Tierversuch in der Lage, über NO-erge Neurone die Ausschüttung des corticotropin releasing hormon des Hypothalamus zu stimulieren [20]. Ob eine Stimulation des Hypothalamus durch Interleukin-2 bei Clusterpatienten wirklich stattfindet und sich bildgebend auch als Aktivierung darstellen würde, ist nicht untersucht.

Insgesamt weisen die immunologischen Befunde beim Clusterkopfschmerz etwas eindeutiger als bei der Migräne auf eine mögliche Immunaktivierung hin, auch wenn der genaue Ablauf beider Kopfschmerzarten noch nicht verstanden ist.

Zusammenfassung

Zusammengefasst ergibt sich trotz einiger positiver Hinweise kein zusammenhängendes Bild der immunologischen Vorgänge bei der Migräne oder Clusterkopfschmerzen. Gerade aufgrund der Komplexität des psycho-neuro-endokrin-immunologischen Netzwerks ist es schwierig zu entscheiden, die erhobenen Befunde eine Ursache oder ein Epiphänomen (Einfluss von schmerzbedingtem Stress) darstellen, ob also eine Prädisposition oder eine Fehlregulation des Immunsystems den pathophysiologischen Vorgängen wirklich zugrunde liegt. Zudem lassen Veränderungen außerhalb der Attacke nicht unbedingt auf Abläufe innerhalb einer Attacke schließen. Letztlich sollten widersprüchliche Befunde nur nach einer Bestätigung in weiteren Studien gewertet werden. Eine wechselseitige Modulation von Nerven- und Immunsystem kann aber auch bei der Entstehung von Schmerzen als gegeben angesehen werden.

Literatur:

  1. Cunha FQ, Poole S, Lorenzetti BB, Ferreira SH (1992) The pivotal role of tumor necrosis factor alpha in the development of inflammatory hyperalgesia. Br J Pharmacol 107:660-664.
  2. Sorkin LS, Xiao WH, Wagner R, Myers RR (1997) Tumor necrosis factor alpha induces ectopic activity in nociceptive primary afferent fibres. Neuroscience 81:255-262
  3. Oka T, Oka K, Hosoi M, Hori T (1995) Intracerebroventricular injection of interleukin-6 induces thermal hyperalgesia. Brain Res 692:123-128
  4. Weiller C, May A, Limmroth V, Juptner M, Kaube H, Schayck RV, Coenen HH, Diener HC (1995) Brain stem activation in spontaneous human migraine attacks. Nat Med 1:658-60
  5. May A, Shepheard SL, Knorr M, Effert R, Wessing A, Hargreaves RJ, Goadsby PJ, Diener HC (1998) Retinal plasma extravasation in animals but not in humans: implications for the pathophysiology of migraine. Brain 121:1231-1237
  6. Goadsby PJ, Edvinsson L (1993) The trigeminovascular system and migraine: studies characterizing cerebrovascular and neuropeptide changes seen in humans and cats. Ann Neurol 33:48-56
  7. Gallai V, Sarchielli P, Floridi a, Franceschini M, Trequattrini A, Firenze C (1994) Monocyte function in migraine patients with and without aura. Headache Q 5:214-227
  8. Covelli V, Munno I, Pellegrino NM, Altamura M, Decandia P, Marcuccio C, Di Venere A, Jirillo E (1991) Are TNF-alpha and IL-1 beta relevant in the pathogenesis of migraine without aura? Acta Neurol Napoli 13:205-211
  9. van Hilten JJ, Ferrari MD, Van der Meer JWM, Gijsman HJ, Looij BJ (1991) Plasma interleukin-1, tumour necrosis factor and hypothalamic-pituitary-adrenal axis responses during migraine attacks. Cephalalgia 11:65-67
  10. Empl M, Förderreuther S, Riedel M, Müller N, Straube A (1999) TNF-RI are decreased in migraine patients. J Neurol 246 :I37
  11. Shimomura T, Araga S, Esumi E, Takahashi K (1991) Decreased serum interleukin-2 level in patients with chronic headache. Headache 31:310-313
  12. Martelletti P, Stirparo G, Morrone S, Rinaldi C, Giacovazzo M (1997) Inhibition of intercellular adhesion molecule-1 (ICAM-1), soluble ICAM-1 and interleukin-4 by nitric oxide expression in migraine patients. J Mol Med 75:448-53
  13. Hardebo JE (1994) How cluster headache is explained as an intracavernous inflammatory process lesioning sympathetic fibers. Headache 34:125-131
  14. May A, Bahra A, Buhel C, Frackowiak RSJ, Goadsby PJ (1998) Hypothalamic activation in cluster headache attacks. Lancet 351: 275-278
  15. Goadsby PJ and Edvinsson L (1994) Human in vivo evidence for trigeminal activation in cluster headache. Neuropeptide changes and effects of acute attacks therapies. Brain 117:427-434
  16. Giacovazzo M, Stirparo G, DeStefano L, Martelletti P, Rinaldi-Garaci C (1989) Lymphokine-activated Killer (LAK) cell phenomenon in cluster headache. “In vitro” activation by recombinant interleukin-2. Headache 29:177-179
  17. Martelletti P, Stirparo G, De Stefano C, Di Sabato F, Giacovazzo M, Rinaldi-Garaci C (1990) Defective expression of IL-2 recepotors on peripheral blood lymphocytes from patients with cluster headache. Headache 30:228-231
  18. Empl M, Förderreuther S, Schwarz M, Müller N, Straube A (2000) Erhöhte lösliche Interleukin-2 Rezeptoren bei Clusterkopfschmerzpatienten. Der Schmerz 14:S64-S65
  19. Martelletti P, Granata M, Giacovazzo M (1993) Serum interleukin-1 beta is increased in cluster headache. Cephalalgia 13: 343-345
  20. Karanth S, Lyson K, McCann SM (1999) Effects of the cholinergic agonists and antagonists on interleukin-2 induced corticotropin-releasing hormone release from the mediobasal hypothalamus. Neuroimmunomodulation 6:168-174


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