Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
In der Behandlung der akuten Migräneattacke steht mit den Triptanen eine sehr erfolgreiche Medikation zur Verfügung. Unabhängig davon besteht aber weiterhin ein Bedarf an Migräneprophylaktika, die hohe Effektivität mit geringen Nebenwirkungen verbinden. Außer anerkannten Substanzen wie z.B. Beta-Blocker und Flunarizin werden eine Reihe von Mitteln propagiert, die entweder zweifelhafte oder nur geringe Effekte haben und deren Verschreibung eher auf anektodischen Berichten beruht als auf einer gesicherten wissenschaftlichen Basis. Im folgenden werden ausschließlich Substanzen vorgestellt, die in den letzten zwei Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht wurden:
- Magnesium
- Riboflavin (Vitamin B2)
- Mutterkraut (feverfew)
- Clonidin
- Amantadin
- Antidepressiva
MAGNESIUM
Seit vielen Jahren wird Magnesium ein migräneprophylaktischer Effekt nachgesagt. Außer einer kleinen Studie, in der Magnesium für die menstruelle Migräne getestet wurde, ist dieser Effekt nie in kontrollierten Studie untersucht worden. Andere Untersuchungen konnten nicht überzeugend unter Beweis stellen, wo Magnesium in der Pathophysiologie der Migräne eingreift und ob es sich dabei nicht um reine Zufallsbefunde handelt.
Einige neuere Studien haben zumindestens interessante Hypothesen generiert, so z.B. erniedrigte Magnesiumspiegel intracerebral und im Erythrozyten im kopfschmerzfreien Intervall bei Migränepatienten mit einer Migräne mit Aura. Ein niedriger Magnesiumspiegel fand sich auch im Serum und im Liquor sowohl während als auch außerhalb der Attacke. Tierexperimentell wurde ein Zusammenhang zwischen einem Magnesiummangel und der cortikalen “spreading depression” demonstriert. Obwohl diese Laborbefunde auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Migräne und einem Magnesiummangel hinweisen, ist ein migräneprophylaktischer Effekt einer Magnesiumbehandlung mit Ausnahme zweier kürzlicher doppelblinden und placebo-kontrollierten Studien nie untersucht worden [1-3].
In der ersten Studie wurden 2x10mmol Magnesium p.d. nach einer Baseline-Phase von vier Wochen über zwölf Wochen verabreicht. Eine Zwischenanalyse wurde bei 69 von 150 Patienten durchgeführt. Weder hinsichtlich der Tage mit Migräne, der Zahl der Migräneattacken, der Verträglichkeit und der Nebenwirkungen war ein Vorteil von Magnesium gegenüber von Placebo zu verzeichnen.
In einer zweiten placebokontrollierten Studie mit 81 Patienten wurde der prophylaktische Effekt von 24mmol Magnesium p.d. über zwölf Wochen geprüft, ebenfalls nach einer Baseline-Phase von vier Wochen. In den Wochen 9-12 war eine Reduktion der Attackenfrequenz bei 41,6% in der Magnesiumgruppe und von 15,8% in der Placebogruppe feststellbar, jeweils im Vergleich zur Baseline-Phase. Der therapeutische Effekt war statistisch signifikant bereit in den Wochen 5-8. Die Anzahl der Migräneattacke war in der Verumgruppe signifikant geringer, allerdings ohne statistische Signifikanz bei Korrektur entsprechend der “per protocol” Gruppe. Magnesiumkonzentrationen wurden in keiner der beiden Studien gemessen.
Der positive Effekt von 360mg Magnesium p.d. in einer kleinen placebokontrollierten Studie von 24 Frauen mit einer menstruellen Migräne [4] ist unter Berücksichtigung der angewandten Effektivitäts-Kriterien und der geringen Teilnehmerzahl fraglich. Gleiches gilt für Studien mit parenteralem Magnesium zur Behandlung der akuten Migräneattacke bzw. der Cluster-Kopfschmerzattacke [2]. Die Nebenwirkungen von 20-24mmol oralem Magnesium bestehen im wesentlichen aus Durchfällen oder Magen-Darmbeschwerden, die üblicherweise mild und erträglich sind.
Zusammenfassend sind diese Studien nicht aussagekräftig genug, um einen migräneprophylaktischen Effektes von oralem Magnesium zu sichern. Unabhängig davon hat Magnesium ein günstiges Nebenwirkungsprofil.
RIBOFLAVIN (VITAMIN B2)
Ein reduzierter mitochondrialer Energiestoffwechsel im Gehirn ist bei Patienten bei einer Migräne mit und ohne Aura im anfallsfreien Intervall nachgewiesen worden [5]. In einer kürzlichen Studie zeigten sich erniedrigte Vitamin B2-Spiegel bei Kindern mit einer “chronifizierten” Migräne [6]. Riboflavin verfügt offensichtlich über die Fähigkeit, den mitochondrialen Energiestoffwechsel zu steigern und wird deshalb in der Behandlung von Mitochondropathien eingesetzt.
In einer offenen Pilotstudie [7] mit 49 Migränepatienten wurde Riboflavin in einer Einzeldosis von 400mg p.d. über mindestens drei Monate verabreicht. Dreiundzwanzig Patienten erhielten zusätzlich 75mg Aspirin. Die Effektivität wurde nach mindesens drei bis fünf Monaten mit einer sog. “migraine severety index” untersucht. Die durchschnittliche globale Besserung unter Therapie lag bei 68,2% ohne Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Nebenwirkungen wurden nicht berichtet.
Auf dem Boden dieser offenen Studie wurden in einer Folgestudie 400mg Riboflavin bei 55 Patienten placebokontrolliert über drei Monate verabreicht. In der “intent to treat” Analyse war Riboflavin Placebo überlegen im Hinblick auf eine Reduktion der Attackenfrequenz (59% gegenüber 15%) und auch hinsichtlich einer Minderung der Kopfschmerztage. Der “therapeutic gain” (“therapeutic gain” entspricht der Differenz zwischen Verum und Placebo) von Riboflavin hinsichtlich der Reduktion der Attacken um mindestens 50% lag bei 37% und damit im Bereich anderere etablierter Migräneprophylaktika (z.B. 42% für Beta-Blocker und Flunarizin und 27% für Valproat [8]. Der Effekt von Riboflavin beginnt nach einem Monat und ist am ausgeprägteste drei Monate nach Beginn der Therapie. Nebenwirkungen traten nicht auf mit Ausnahme eines Patienten, der Durchfälle beklagte. Dies ist die bisher einzige kontrollierte Studie mit Riboflavin. Die Dosierung von 400mg wurde gewählt aus vergleichbarer Erfahrungen in der Behandlung von Mitochondropathien.
Empfehlungen für den Einsatz von Riboflavin können erst beim Vorliegen weiterer Dosisfindungsstudien abgegeben werden. Im Vergleich zu anderen alternativen bzw. komplementären prophylaktischen Therapie verfügt Riboflavin über ein gutes Profil hinsichtlich Effekt und Nebenwirkungen.
MUTTERKRAUT (FEVERFEW)
Mutterkraut (Tanacetum parthenium) hat eine lange Tradition als pflanzliches Mittel zur Behandlung von Fieber, sog. “Frauenbeschwerden” und Entzündungen. In den letzten Jahrzehnten ist diese Pflanze zunehmend als Migräneprophylaxe eingesetzt worden. Die Rolle von Mutterkraut in der Migränetherapie basiert auf seinen inhibitorischen Effekten auf die Thombozytenaggregation, die Freisetzung von Serotonin aus Thrombozyten und Leukozyten und einer Einschränkung der Prostaglandin-Biosynthese. In einer Übersichtsarbeit von Vogler et al. [9] wird sich auf die Ergebnisse von fünf kontrollierten und randomisierten Studien bezogen. Zwei davon zeigten negative Ergebnisse, die anderen drei in einemDosierungsbereich von 50-100mg zeigten Vorteile von Mutterkraut. Die Studien umfaßten jeweils zwischen 17-72 Patienten, die Effektivitätsparameter differierten erheblich. Nebenwirkungen waren mild und bildeten sich immer zurück. Am häufigsten wurden gastrointestinale Symptome angegeben. Die oral verabreichte Medikation wird als relativ sicher angesehen, Langzeitdaten liegen nicht vor.
Der migräneprophylaktische Effekt von Mutterkraut ist nicht ausreichend gesichert; die aktiven Ingredientien sind noch nicht bestimmt [9]. Weitere klinische Studien sind notwendig [10].
CLONIDIN
Das Antihypertensivum Clonidin ist ein zentral wirksamer selektiver alpha-2-adrenerger Agonist. Es hat vasokonstriktorische Eigenschaften im Bereich der glatten Gefäßmuskulatur. Es reduziert die Ansprechbarkeit der Femoralarterie der Katze auf vasokonstriktorische und vasodilatatorische Substanzen wie Noradrenalin, Adrenalin und Angiotensin [11]. Diese Veränderungen des Gefäßdurchmessers wurden früher als Ursache der Migräneaura und der Kopfschmerzphase bei einer Migräne mit Aura angesehen. Es erschien sinnvoll, Clonidin unter der Annahme einzusetzen, daß die Veränderungen des Gefäßdurchmessers dadurch blockiert werden würden. In einer dänischen Doppelblind-Cross over-Studie mit 21 Patienten war Clonidin allerdings nicht besser als Placebo, was sich bei einer zweiten dänischen Studie mit 49 Patienten bestätigte. Einige spätere Cross over-Untersuchungen haben Clonidin mit Pizotifen, Propranolol und Metoprolol verglichen und zeigten keinen Effekt, der über den von Metoprolol hinausging oder aber Clonidin war nicht wirksam [11]. Die Methodik und das bei diesen Studien angewandte Design erscheint aus heutiger Sicht mehr als fragwürdig.
Clonidin ist ohne Wirkung in der Migräneprophylaxe.
AMANTADIN
Während einer Studie mit Levodopa mit Parkinson-Patienten gaben vier Patienten eine Besserung unter Amantadin an. In einer sich daran anschliessenden doppelblinden placebokontrollierten Cross-over-Studie an 14 Patienten mit 2x100mg Amantadin p.d. ließ sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen nachweisen. [12]Amantadin ist zur Migräneprophylaxe nicht geeignet.
ANTIDEPRESSIVA
Antidepressiva [tri- und tetrazyklische Antidepressiva, Serotonin-Reuptake-Inhibitoren und Monoaminoxidasehemmer (MAO)] entfalten ihre überwiegenden Effekte in der Behandlung des chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Bisher hat allerdings nur Amitriptylin Wirkung in der Migräneprophylaxe gezeigt. Eine Reihe klinischer Studien konnten demonstrieren, daß der migräneprophylaktische Effekt unabhängig von seiner antidepressiven Wirkung ist. In vier placebokontrollierten, randomisierten Studien hat Amitriptylin in Dosierungen zwischen 10-150mg im Vergleich zu Placebo eine deutliche Wirkung unter Beweis gestellt [10]. Bisher ist allerdings für Trizyklika in der Migräneprophylaxe keine einzige Studie entsprechend den IHS-Richtlinien zur Durchführung klinischer Studien und mit einer Diagnose entsprechend der IHS-Kritieren durchgeführt worden.
Die notwendigen Dosierungen schwanken erheblich. Amitriptylin sollte mit 10mg abends begonnen werden und kann wöchentlich auf eine durchschnittliche Dosis von 50mg gesteigert werden. Bei einer begleitenden Schlafstörung oder Depression können höhere Dosen (100-150mg) eingesetzt werden. Übliche Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Benommenheit, Mundtrockenheit, Visusminderung und Blasenstörungen [13]. Die Kombination mit Amitriptylin und Propranolol führt nicht zu einer Verbesserung des klinischen Effektes in der Behandlung der Migräne, allerdings sind beide Substanzen zusammen wirksamer als die Einzelsubstanz in der Behandlung von Patienten, die neben einer Migräne gleichzeitig unter einem Spannungskopfschmerz leiden [14].
Die Trizyklika Imipramin und Clomipramin sind in der Migränetherapie unwirksam. Mianserin scheint ebenfalls keine Effekte in der Migräneprophylaxe zu haben [15], obwohl in einer placebokontrollierten Studie Mianserin in einer Dosierung von 30mg hinsichtlich Frequenz und Intensität der Attacken bessere Effekte zeigte. Diese Resultate müssen allerdings zurückhaltend interpretiert werden, da nur 34 Patienten die Studie abschlossen [16].
MAO-Hemmer wurden in die Migräneprophylaxe eingeführt unter der Annahme, daß sie zentral den Serotoninspiegel erhöhen würden [15]. Die Modulation zentraler monoaminerger Neurotransmitter scheint eher verantwortlich für den Effekt von Phenelzin bei der Migräne zu sein [15]. Allerdings existieren bis jetzt keine kontrollierten Studien für MAO-Hemmer wie Phenelzin (3x15mg p.d.). Diese Behandlung sollte therapieresistenten Migränikern vorbehalten sein und die dazu notwendige diätetischen Maßnahmen dem Patienten ausführlich auseinandergesetzt werden. Naratriptan (2,5mg) und Zolmitriptan (2,5mg-5mg) können im Gegensatz zu Sumatriptan und Rizatriptan mit MAO-Hemmern kombiniert werden. Der MAO-B-Hemmer Selegelin ist in der Migräneprophylaxe nicht wirksam [17].
Die spezifischen Serotonin-Re-Uptake-Inhibitoren (SSRI) scheinen weniger effektiv zu sein als das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin, besonders bei Migränikern ohne begleitende Depression oder ohne einen Kopfschmerz vom Spannungstyp. Die Kombination von MAO-Hemmern und SSRI sollte wegen eines Serotonin-Syndroms [18] vermieden werden. Wegen ihrer geringeren anticholinergen und cardiovaskulären Nebenwirkungen verfügen die SSRI insgesamt über einen sehr vorteilhaftes Nebenwirkungsprofil. Fluoxetin ist ein sehr spezifischer Serotonin-Re-Uptake-Hemmer. In einer kleinen placebokontrollierten Studie (n=36) in einer Dosierung zwischen 20-40mg war ein signifikanter Effekt in der Verumgruppe nachweisbar [19]. In einer größeren Untersuchung mit 58 Migränepatienten und einer Dosierung von 20mg p.d. war im Vergleich zu Placebo allerdings kein Effekt nachweisbar. In einer Untersuchung mit S-Fluoxetin in einer abendlichen Dosierung von 40mg vollendeten 33 von 65 Patienten die Studie. Nachweisbar war ein signifikanter Abfall der Attackenfrequenz im zweiten und vierten Monat. Da es sich um eine Phase-II-Studie handelte mit einer nur geringen Teilnehmerzahl sollten die Ergebnisse sehr vorsichtig interpretiert werden [21]. Gleiches gilt für eine Studie mit Fluvoxamin (50mg) im Rahmen einer placebokontrollierten Vergleichsstudie gegen Amitriptylin (25mg) [22].
Zusammenfassung
Ziel einer Migräneprophylaxe ist die Reduktion der Attackenfrequenz, der Intensität und der Dauer der Attacken und darüber hinaus eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Das eingesetzte Medikament sollte auf der Basis seines Effektes, seines Nebenwirkungsprofils und begleitender Erkrankungen (z.B. Epilepsie, Depression, arterielle Hypertention, Schlafstörung), Kontraindikationen und potentiellen Interaktionen mit anderen Medikamenten ausgewählt werden. Von den vorab dargestellten Substanzen sind:
ohne Effekt:
- Clonidin
- Amantadin
- Clomipramin
- Trimipramin
- Mianserin
- SSRI’s
evtl. wirksam:
- Riboflavin
- Magnesium
- Mutterkraut
wirksam bei Migränikern mit einem begleitenden Kopfschmerz vom Spannungstyp, einer Depression oder bei therapieresistenten Fällen:
- Amitriptylin (und evtl. andere Trizyklika)
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