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Klinik und Pathophysiologie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

W. Pöllmann

Der Kopfschmerz vom Spannungstyp (KST) ist nach den Kriterien der International Headache Society (IHS) von 1988 charakterisiert durch einen meist bilateralen, dumpf drückenden bis ziehenden, nicht pulsierenden Schmerz leichter bis mittlerer Intensität, der durch körperliche Aktivitäten nicht verstärkt wird. Vegetative Symptome fehlen bzw. spielen im Gegensatz zur Migräne nur eine untergeordnete Rolle.

Tab. 1: KOPFSCHMERZ VOM SPANNUNGSTYP (IHS-Kriterien)

Schmerzcharakteristika (mindestens zwei müssen erfüllt sein):
1. Drückender bis ziehender, nicht pulsierender Schmerz
2. Leichte bis mäßige Schmerzintensität (körperliche Aktivitäten allenfalls behindert, aber nicht unmöglich)
3. Beidseitige Lokalisation
4. Keine Verstärkung durch körperliche Aktivitäten (z. B. Treppensteigen)
Für das Auftreten von vegetativen Symptomen gilt:
1. Keine Übelkeit, kein Erbrechen (Appetitlosigkeit kann vorkommen)
2. Phono- und Photophobie fehlen bzw. treten nicht kombiniert auf
 

Nach den IHS-Kriterien wird darüberhinaus der episodische und chronische KST hinsichtlich des Vorliegens oder Fehlens einer “Störung der pericranialen Muskeln” weiter differenziert: Durch manuelle Palpation oder mit einem Druckalgometer kann eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit (“tenderness”) der perikranialen Muskulatur verifiziert werden oder ein “erhöhter EMG-level”. Daraus ergibt sich folgendes Klassifikationsschema nach dsen IHS-Kriterien und nach ICD 10:

ICD-10             IHS
G44.29 Kopfschmerz vom Spannungstyp
2.1 Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp
– mindestens 10 wiederkehrende Episoden mit Dauer von 30 Minuten bis zu 7 Tagen
– weniger als 15 Kopfschmerztage/Monat bzw. 180/ Jahr
G44.20 2.1.1 …..mit erhöhter Schmerzempfindlichkeit perikranialer Muskeln
G44.21 2.1.2 ….ohne erhöhte Schmerzempfindlichkeit perikranialer Muskeln
2.2 Chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp
– Kopfschmerz an wenigstens 15 Tagen pro Monat über einen Zeitraums von mindestens 6 Monaten
G44.22 2.2.1 …..mit erhöhter Schmerzempfindlichkeit perikranialer Muskeln
G44.23 2.2.2 ….ohne erhöhte Schmerzempfindlichkeit perikranialer Muskeln
G44.28 2.3 Kopfschmerz vom Spannungstyp, der nicht die obigen Kriterien erfüllt
– alle genannten Kriterien mit 1 Ausnahme erfüllt
– Kriterien einer Migräne ohne Aura nicht erfüllt

Epidemiologische Untersuchungen:

Prävalenz Stichprobe KST episodischer KST chronischer KST  
Lebenszeit 735 78 % 66 %         w>m 3 %         w>m Rasmussen 1991
1 Jahr 735 74 % (30% an > 14 Tagen/Jahr)  
Lebenszeit 4061   13 % (23 %)     m=f 1 % (2%)     m=f Göbel et al. 1994
1 Jahr 13345   38 %         w>m 2 %         w>m Schwartz et al. 1998

w=weiblich, m=männlich

Obwohl der KST üblicherweise nicht die Dramatik der Migräne oder des Clusterkopfschmerzes zeigt, ist die Arbeitsleistung vieler Betroffener eingeschränkt: Von Patienten mit episodischem KST verlieren 8 % im Mittel knapp 9 Arbeitstage, 44 % berichten eine reduzierte Arbeitsleistung an im Mittel 5 Tagen. Beim chronischen KST verlieren 12 % durchschnittlich 27 Arbeitstage, 46 % haben eine eingeschränkte Arbeitseffektivität an ca. 20 Tagen (Schwartz et al. 1998). Diese Daten belegen, daß eine Optimierung von Diagnostik und Therapiemöglichkeiten auch unter sozioökonomischen Gesichtspunkten dringend erforderlich ist, zumal nur 16 % der Patienten mit KST zumindest ihren Hausarzt konsultieren, nur 4 % einen Spezialisten (Rasmussen et al. 1992).

Differentialdiagnose:
Bereits die Kriterien nach IHS enthalten Hinweise zur Differenzierung eines KST von einer Migräne.

Kopfschmerz vom Spannungstyp Migräne ohne Aura
bilateral unilateral > bilateral
fronto-occipital fronto-temporal, temporal
dumpf-drückend (“Helm”, “Eisenband”, “Last”) pochend-hämmernd-pulsierend
Schmerzintensität (+) bis ++ Schmerzintensität ++ bis +++
Vegetative Symptome 0 bis (+) Vegetative Symptome +++
Körperliche Aktivität neutral Körperliche Aktivität steigert KS

Wichtig ist das häufige gemeinsame Auftreten von Migräne und KST bei vielen Patienten. Dabei sind die früher verwendeten Begriffe “Kombinationskopfschmerz” oder “gemischter Kopfschmerz” heute obsolet. Zu beachten ist dabei:

  • Analyse der Einzelfaktoren (Migräne, KST)
  • Spontane Symptombeschreibung des Patienten (“welche und wieviele Kopfschmerzen”)
  • Aufklärung des Patienten über Charakteristika der Zuordnung
  • regelmäßiger differenzierter Kopfschmerkalender inklusive Analgetikaverbrauch
  • Liegt ein Schmerzmittelmißbrauch vor? Dann erst Entzugstherapie!

Übergänge zwischen Kopfschmerz vom Spannungstyp und Migräne ohne Aura werden insbesondere vor dem Hintergrund des CHRONIC DAILY HEADACHE (CDH) diskutiert (Sheftell 1992, Goadsby 1999). Schwierigkeiten können sich ergeben bei geringer Ausprägung von Schmerz und vegetativer Symptomatik sowie bilateralem Auftreten der Migräne. Auch ein ähnlicher Beginn beider Kopfschmerzen ist möglich , sodaß sich für einen Betroffenen die schwierige Frage erheben kann, ob sich aus einem morgendliches diffusen dumpf-drückenden Kopfschmerz evtl. die gefürchtete Migräneattacke entwickeln könnte. Dies führt oft zur Gefahr eines “vorbeugenden” Schmerzmittelgebrauchs mit dem Risiko eines analgetikainduzierten Dauerkopfschmerzes. Es werden auch gemeinsame pathophysiologische und biochemische Faktoren bei KST und Migräne diskutiert (Goadsby 1999).

Der KST wird insbesondere bei occipitalem Beginn als vermeintlich “HWS-bedingt” angesehen, was oft zu langwierigen und nutzlosen diagnostischen Maßnahmen und therapeutischen Irrwegen führt. Hierzu gilt:

  • Degenerative HWS-Prozesse sind weitverbreitet und nicht korreliert zum Auftreten eines Kopfschmerzes vom Spannungstyp (Wöber-Bingöl et al. 1992)
  • Weder Röntgenaufnahmen noch CT oder MRT des Schädels oder der HWS sind bei klarer Konstellation mit normalem Neurostatus nötig. Etwaige Auffälligkeiten z.B. der Nachweis unspezifischer degenerativer HWS-Veränderungen führen oft eher auf falsche Wege und können Patient – und gelegentlich auch den Arzt – verunsichern.

Pathophysiologische Konzepte

Bis heute fehlt beim wissenschaftlich lange eher vernachlässigten KST ein umfassendes pathophysiologisches Konzept. Im einzelnen sollen verschiedene Aspekte im Überblick dargestellt werden.

1. Genetische Faktoren
Verwandte 1. Grades von Patienten mit chronischem KST haben ein 3-fach erhöhtes Risiko, ebenfalls einen KST zu entwickeln (Oestergaard et al. 1997).

2. Biochemische Befunde
Lange Zeit wurde in Analogie zum Modell der Migräne eine Störung im serotonergen System vermutet. Eindeutige Störungen im Serotoninstoffwechsel ließe sich aber beim chronischen KST nicht verifizieren (Bendtsen et al. 1997). Die klinischen Effekte einer Therapie mit Serotonin-Reuptakehemmern (SSRI) sind überwiegend enttäuschend. An eine Beteiligung des noradrenergen Systems läßt die Wirksamkeit des zentralen alpha-2-adrenergen Agonisten Tizanidin in einer Studie denken, zumal erhöhte Plasmaspiegel von 3-Methoxy-4-Hydroxyphenyglykol (MHPG) als Ausdruck einer erhöhten zentralen noradrenergen Aktivität bei KST-Patienten gefunden wurden (Shimomura et al. 1991). Andereseits wurden auch erniedrigte Plasmakatecholaminspiegel beschrieben (Castillo et al. 1994). Eine reduzierte Urinausscheidung und eine gestörte zirkadiane Rhythmik der Ausscheidung von Dopamin wurde beim KST vereinzelt berichtet, bei Frauen zum Teil verminderte nächtliche Plasmaspiegel von Melatonin. Auch bei endogenen Opioiden wurden Auffälligkeiten beschrieben, wobei eine vermehrte Inaktivierung von Endorphinen diskutiert wurde (Mazzotta et al. 1997)

3. Psychische und psychosoziale Faktoren
Die IHS-Kriterien selbst enthalten folgende 4 psychiatrischen Ursachen klassifiziert nach DSM III-R:
– psychosozialer Streß
– Angst
– Depression
– Kopfschmerz als körperbezogener Wahn oder somatoforme Störung
Neben diesen definierten Störungen stellt sich ansonsten bei psychischen Auffälligkeiten oft die Grundsatzfrage, ob die psychischen Auffälligkeiten Ursache oder Folge der Kopfschmerzen sind. Kontrovers sind die Ergebnisse bei Anwendung des MMPI (besonders hinsichtlich der Skalen Hypochondrie, Depression und Hysterie). Im Jahr vor Beginn eines chronischen Kopfschmerzes wurde eine deutlich höhere Frequenz negativer Erlebnisse beobachtet (De Benedettis et al. 1990). Andererseits scheinen psychopathologische Auffälligkeiten im ersten Jahr am deutlichsten zu sein, danach greifen Coping-Mechanismen (Blanchard et al. 1989). Symptome wie Depression und Ängstlichkeit scheinen abhängig von Intensität und Frequenz eines Kopfschmerzes zu sein (Scharff et al. 1995). In einer kontrollierten Studie bei 341 Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 19 Jahren fanden sich bei Patienten mit KST im Gegegnsatz zu Migränikern eine höhere Rate geschiedener Eltern und weniger Freundschaften (peer relations) ( Karwautz et al. 1999).

4. Vaskuläre Faktoren

  • Mittels transcranieller Dopplersonographie der A. cerebri media zeigte sich bei 15 Patienten mit chronischem KST im Vergleich zu 15 Kontrollpersonen unter Ruhebedingungen eine signifikante Reduktion von mittlerer Strömungsgeschwindigkeit und Resistance-Index (peripherer Gefäßwiderstand). Hypothetisch läßt sich der verminderte basale Vasotonus mit Vasodilatation des cerebralen Gefäßsystems auf einen basal verminderten Sympathikotonus zurückführen. Nachdem sich unter Ergometerbelastung die Werte der Kontrollgruppe angleichen, könnte dies auf einen potentiellen Nutzen sympathikusaktivierender Behandlungsverfahren hinweisen (Heckmann et al. 1998).
  • Bei 27 Patienten mit chronischem KST führte sublinguale Nitroglyceringabe wie auch Kopftieflagerung um 15 Grad im Gegensatz zu Kontrollpersonen zu einer signifikanten Zunahme der Kopfschmerzintensität bei gleichzeitigem dopplersonografisch meßbarem Anstieg des Blutflusses. Der lumbale Liquordruck war bei 45 % von 22 punktierten KST-Patienten auf Werte von über 20 (aber unter 26) cm H*O leicht erhöht. Aus diesen Befunden schließen Hannerz et al. (1998) auf eine mögliche autonome Dysfunktion mit vermehrter Dilatation intracranieller Kapazitätsgefäße bei Patienten mit chronischem KST.

5. Muskuläre Faktoren

  • Eine erhöhte EMG-Aktivität der perikranialen Muskulatur stellt keinen Prädiktor bzw. ätiologischen Faktor für das Entstehen eines Kopfschmerz vom Spannungstyp dar (Göbel 1997). Die EMG-Aktivität korreliert nicht mit Schmerz, Stress oder körperlicher Aktivität, jedoch korrelieren Kopfschmerz und Streß (Clark et al. 1995).
  • Der Schmerz beim KST ähnelt einem myofaszialen Schmerz (Jensen 1999).
  • In neueren Untersuchungen wird die “Hardness” als objektives Maß der Muskelkonsistenz meist des M. trapezius ermittelt durch Messung der Relation zwischen appliziertem Druck und der Verschiebung der Haut über dem Muskel (Angabe in kPa pro cm; Ashina et al., Pain 1999). Sie zeigt sich beim chronischen KST unabhängig vom Vorhandensein eines Kopfschmerzes erhöht und korreliert mit der Tenderness.
  • Tenderness ist definiert als subjektiv empfundene perikraniale muskuläre Empfindlichkeit bei manueller Palpation. Dabei werden 9-14 perikranielle Muskelpaare im Hinblick auf die Schmerzempfindlichkeit untersucht mittels einer Skalierung zwischen 0-3, woraus der “Total Tendernness Score” (TTS) ermittelt wird Eine erhöhte Tenderness findet sich in 87% beim chronischen, in 66% beim episodischen KST mit einer Zunahme während der Kopfschmerzphase (Jensen & Rasmussen 1996). Bei Messungen des muskulärer Blutflusses in der Temporalmuskulatur mittels der Xenon-Clearance-Technik fand sich kein Unterschied zu Kontrollpersonen in Ruhe und unter Belastung sowie auch keine Korrelation zwischen Schmerzschwelle und Blutfluß, sodaß eine muskuläre Ischämie nicht die Ursache der temporalen Tenderness beim chronischen KST darstellt (Langemark et al. 1990).
  • Widersprüchliche Ergebnisse bestehen hinsichtlich des Nutzens von Botulinmtoxin-Injektionen in die pericraniale Muskulatur: Während Göbel et al. 1999 keinen Effekt feststellen konnten, berichten andere positive Effekte (Smuts et al. 1999)

6. Muskuläre und zentrale Komponenten

  • Nach 30-minütigem Zusammenpressen der Kiefer entwickelten 69% von 58 Patienten mit häufigem KST, jedoch nur 17 % der 30 Kontrollpersonen innerhalb von 24 Stunden einen KST. Die Schmerzschwelle blieb stabil bei Personen, die Kopfschmerzen bekamen, zeigte sich jedoch bei kopfschmerzfreien signifikant erhöht. Daraus läßt sich folgern, daß periphere muskuläre Komponenten bei der Initiierung einer Kopfschmerzepisode eine Rolle spielen können. Andererseits sprechen die Ergebnisse bei KST-Patienten auch für eine gestörte Aktivierung des antinozizeptiven Systems, das normalerweise den erhöhten peripheren nociceptiven Input gegenreguliert (Jensen & Olesen 1996).
  • Eine signifikant erniedrigte Schmerzschwelle und Schmerztoleranz auf mechanische Druckreize besteht beim chronischem KST mit perikraniell erhöhter tenderness im Vergleich zum chronischen KST ohne erhöhte tenderness. So ergibt sich eine inverse Korrelation zwischen Tenderness und Schmerzschwelle sowie Schmerztoleranz bei 28 Patienten mit chronischen KST. Es wird vermutet, daß ein fortgesetzter schmerzhafter Input von myofaszialen Geweben die zentralen schmerzverarbeitenden Systeme sensibilisieren (“zentrale Fehlinterpretation”) und damit die Balance zwischen peripherem Input und zentraler Modulation stören kann. Da bei den 28 Patienten mit episodischem KST ein derartiger Subgruppenunterschied nicht nachweisbar ist, wird hier auch bei erhöhter muskulärer Tenderness lediglich ein erhöhter Input von myofaszialen Nozizeptoren angenommen bei weitgehend normaler zentraler Schmerzverarbeitung. Insgesamt wird von den Autoren geschlossen, daß muskuläre Faktoren eine wichtige Rolle beim Übergang vom episodischen zum chronischen KST spielen können (Jensen et al. 1998)
  • Wie bei der Migräne und anderen Schmerzerkrankungen wird auch beim KST eine mögliche Rolle von Stickstoffmonoxid bei der Schmerzentstehung diskutiert. Durch intravenöse Gabe eines Hemmstoffs der Stickoxid-Synthase L-NMMA ( N-Monomethyl-L-Arginin-Hydrochlorid 6 mg/kg i.v.) bei 16 Patienten mit chronischem KST ließ sich eine deutlichere Schmerzreduktion als unter Placebo erzielen bei gleichzeitiger Reduktion der muskulären Hardness. Die Wirkung wird über eine Modulation nozizeptiver Informationen von myofaszialen Geweben via Verminderung der zentralen Sensibilsierung auf der Ebene des spinalen Dorsalhorns bzw. des Trigeminuskerns erklärt (Ashina et al. Brain 1999).
    Episodischer KST Chronischer KST
Muskel-Hardness Grad der Deformierung von Muskelgewebe
gegen Druck (kPa/cm)
N –
(unabhängig von KS)
Tenderness “Empfindlichkeit” der Muskulatur,
provoziert durch manuelle Palpation (Skala 0-3)
Mechanische
Schmerzschwelle
Durch Druckalgometer gemessener Wert,
ab wann Druck schmerzhaft wird
N
Mechanische
Schmerztoleranz
Obergrenze der Schmerzerträglichkeit N
(Finger)

N = normal, = erhöht, = erniedrigt

7. Zentrale Faktoren

  • Die Untersuchung des nociceptiven Flexorreflexes, eines polysynaptischen spinalen Reflexes unter supraspinalem Einfluß, ergab bei Patienten mit chronischem KST im Vergleich zu Kontrollpersonen einen erniedrigten Schwellenwert zur Auslösung und eine erniedrigte Schmerztoleranzschwelle. Dies spricht für eine Störung des endogenen antinozizeptiven Systems beim chronischen KST (Langemark et al. 1993).
  • Die Messung der exterozeptiven Suppressionsperioden (ES) der Temporalmuskelaktivität, eines antinozizeptiven Schutzreflexes, erbrachte in mehreren Untersuchungen bei Patienten mit KST eine unauffällige frühe oligosynaptisch verschaltete Suppressionsphase ES1, jedoch eine verkürzte oder fehlende späte (polysynaptisch verschaltete) Suppressionphase ES2. Dies wurde als Ausdruck einer Störung im körpereigenen antinozizeptiven System gedeutet im Sinne einer gestörten zentralen Inhibition via limbische Verbindungen zum Hirnstamm. (Göbel 1997, Schoenen et al. 1987). Inzwischen ist die Bedeutung dieses Reflexes beim KST umstritten (Zwart et al. 1995, Bendtsen et al. 1996).

Zusammengefaßt ergibt sich damit heute folgendes pathophysiologisches Bild:
Periphere Mechanismen prägen das Bild des episodischen KST. Über eine sekundäre zentrale Sensibilisierung und / oder eine gestörte supraspinale Modulation ankommender nozizeptiver Stimuli von myofaszialen Geweben wird die Konversion zum chronischen KST begünstigt. Der chronische KST wird eindeutig von zentralen Veränderungen von Schmerzschwelle und Schmerztoleranz geprägt. Hieraus ergeben sich wichtige Ansätze für künftige Forschungen, insbesondere auch zur Prävention des Entstehens des bis heute schwer behandelbaren chronischen KST.
Die Abbildung gibt die Grundzüge des Modells nach Jensen (1999) wider:

Mentaler Stress – unphysiologischer motorischer Stress – lokale Irritationen
Aktivierung der Nozizeptoren myofaszialer Gewebe
vermehrter afferenter Input
Dorsalhorn / spinaler Nucleus trigeminus
Zentrale Sensibilisierung
Aktivierung supraspinaler
schmerzverarbeitender Strukturen
(sekundär Hyperalgesie)

LITERATURHINWEISE

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