Categories
Articles

Klinik und Pathophysiologie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und
Kopfschmerzgesellschaft

W. Pöllmann

Der Kopfschmerz vom Spannungstyp (KST) ist nach den Kriterien der
International Headache Society (IHS) von 1988 charakterisiert durch einen
meist bilateralen, dumpf drückenden bis ziehenden, nicht pulsierenden
Schmerz leichter bis mittlerer Intensität, der durch körperliche
Aktivitäten nicht verstärkt wird. Vegetative Symptome fehlen bzw.
spielen im Gegensatz zur Migräne nur eine untergeordnete Rolle.

Tab. 1: KOPFSCHMERZ VOM SPANNUNGSTYP (IHS-Kriterien)


Schmerzcharakteristika (mindestens zwei müssen
erfüllt sein):
1. Drückender bis ziehender, nicht pulsierender Schmerz
2. Leichte bis mäßige Schmerzintensität
(körperliche Aktivitäten allenfalls behindert, aber
nicht unmöglich)
3. Beidseitige Lokalisation
4. Keine Verstärkung durch körperliche
Aktivitäten (z. B. Treppensteigen)
Für das Auftreten von vegetativen Symptomen gilt:
1. Keine Übelkeit, kein Erbrechen (Appetitlosigkeit kann
vorkommen)
2. Phono- und Photophobie fehlen bzw. treten nicht kombiniert
auf
 

Nach den IHS-Kriterien wird darüberhinaus der episodische und
chronische KST hinsichtlich des Vorliegens oder Fehlens einer “Störung
der pericranialen Muskeln” weiter differenziert: Durch manuelle Palpation
oder mit einem Druckalgometer kann eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit
(“tenderness”) der perikranialen Muskulatur verifiziert werden oder ein
“erhöhter EMG-level”. Daraus ergibt sich folgendes
Klassifikationsschema nach dsen IHS-Kriterien und nach ICD 10:

ICD-10             IHS
G44.29 Kopfschmerz vom Spannungstyp
2.1 Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp
– mindestens 10 wiederkehrende Episoden mit Dauer von 30 Minuten bis
zu 7 Tagen
– weniger als 15 Kopfschmerztage/Monat bzw. 180/ Jahr
G44.20 2.1.1 …..mit erhöhter Schmerzempfindlichkeit perikranialer
Muskeln
G44.21 2.1.2 ….ohne erhöhte Schmerzempfindlichkeit perikranialer
Muskeln
2.2 Chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp
– Kopfschmerz an wenigstens 15 Tagen pro Monat über einen
Zeitraums von mindestens 6 Monaten
G44.22 2.2.1 …..mit erhöhter Schmerzempfindlichkeit perikranialer
Muskeln
G44.23 2.2.2 ….ohne erhöhte Schmerzempfindlichkeit perikranialer
Muskeln
G44.28 2.3 Kopfschmerz vom Spannungstyp, der nicht die obigen Kriterien
erfüllt
– alle genannten Kriterien mit 1 Ausnahme erfüllt
– Kriterien einer Migräne ohne Aura nicht erfüllt

Epidemiologische Untersuchungen:

Prävalenz Stichprobe KST episodischer KST chronischer KST  
Lebenszeit 735 78 % 66 %         w>m 3 %         w>m Rasmussen 1991
1 Jahr 735 74 % (30% an > 14 Tagen/Jahr)  
Lebenszeit 4061   13 % (23 %)     m=f 1 % (2%)     m=f Göbel et al. 1994
1 Jahr 13345   38 %         w>m 2 %         w>m Schwartz et al. 1998

w=weiblich, m=männlich

Obwohl der KST üblicherweise nicht die Dramatik der Migräne oder
des Clusterkopfschmerzes zeigt, ist die Arbeitsleistung vieler Betroffener
eingeschränkt: Von Patienten mit episodischem KST verlieren 8 % im
Mittel knapp 9 Arbeitstage, 44 % berichten eine reduzierte Arbeitsleistung
an im Mittel 5 Tagen. Beim chronischen KST verlieren 12 % durchschnittlich
27 Arbeitstage, 46 % haben eine eingeschränkte Arbeitseffektivität
an ca. 20 Tagen (Schwartz et al. 1998). Diese Daten belegen, daß eine
Optimierung von Diagnostik und Therapiemöglichkeiten auch unter
sozioökonomischen Gesichtspunkten dringend erforderlich ist, zumal nur
16 % der Patienten mit KST zumindest ihren Hausarzt konsultieren, nur 4 %
einen Spezialisten (Rasmussen et al. 1992).

Differentialdiagnose:

Bereits die Kriterien nach IHS enthalten Hinweise zur Differenzierung eines
KST von einer Migräne.

Kopfschmerz vom Spannungstyp Migräne ohne Aura
bilateral unilateral > bilateral
fronto-occipital fronto-temporal, temporal
dumpf-drückend (“Helm”, “Eisenband”, “Last”) pochend-hämmernd-pulsierend
Schmerzintensität (+) bis ++ Schmerzintensität ++ bis +++
Vegetative Symptome 0 bis (+) Vegetative Symptome +++
Körperliche Aktivität neutral Körperliche Aktivität steigert KS

Wichtig ist das häufige gemeinsame Auftreten von Migräne und KST
bei vielen Patienten. Dabei sind die früher verwendeten Begriffe
“Kombinationskopfschmerz” oder “gemischter Kopfschmerz” heute obsolet. Zu
beachten ist dabei:

  • Analyse der Einzelfaktoren (Migräne, KST)
  • Spontane Symptombeschreibung des Patienten (“welche und wieviele
    Kopfschmerzen”)
  • Aufklärung des Patienten über Charakteristika der Zuordnung
  • regelmäßiger differenzierter Kopfschmerkalender inklusive
    Analgetikaverbrauch
  • Liegt ein Schmerzmittelmißbrauch vor? Dann erst Entzugstherapie!

Übergänge zwischen Kopfschmerz vom Spannungstyp und Migräne
ohne Aura werden insbesondere vor dem Hintergrund des CHRONIC DAILY HEADACHE
(CDH) diskutiert (Sheftell 1992, Goadsby 1999). Schwierigkeiten können
sich ergeben bei geringer Ausprägung von Schmerz und vegetativer
Symptomatik sowie bilateralem Auftreten der Migräne. Auch ein
ähnlicher Beginn beider Kopfschmerzen ist möglich , sodaß
sich für einen Betroffenen die schwierige Frage erheben kann, ob sich
aus einem morgendliches diffusen dumpf-drückenden Kopfschmerz evtl. die
gefürchtete Migräneattacke entwickeln könnte. Dies führt
oft zur Gefahr eines “vorbeugenden” Schmerzmittelgebrauchs mit dem Risiko
eines analgetikainduzierten Dauerkopfschmerzes. Es werden auch gemeinsame
pathophysiologische und biochemische Faktoren bei KST und Migräne
diskutiert (Goadsby 1999).

Der KST wird insbesondere bei occipitalem Beginn als vermeintlich
“HWS-bedingt” angesehen, was oft zu langwierigen und nutzlosen
diagnostischen Maßnahmen und therapeutischen Irrwegen führt.
Hierzu gilt:

  • Degenerative HWS-Prozesse sind weitverbreitet und nicht korreliert zum
    Auftreten eines Kopfschmerzes vom Spannungstyp (Wöber-Bingöl
    et al. 1992)
  • Weder Röntgenaufnahmen noch CT oder MRT des Schädels oder der
    HWS sind bei klarer Konstellation mit normalem Neurostatus nötig.
    Etwaige Auffälligkeiten z.B. der Nachweis unspezifischer
    degenerativer HWS-Veränderungen führen oft eher auf falsche
    Wege und können Patient – und gelegentlich auch den Arzt –
    verunsichern.

Pathophysiologische Konzepte

Bis heute fehlt beim wissenschaftlich lange eher vernachlässigten KST
ein umfassendes pathophysiologisches Konzept. Im einzelnen sollen
verschiedene Aspekte im Überblick dargestellt werden.

1. Genetische Faktoren

Verwandte 1. Grades von Patienten mit chronischem KST haben ein 3-fach
erhöhtes Risiko, ebenfalls einen KST zu entwickeln (Oestergaard et al.
1997).

2. Biochemische Befunde

Lange Zeit wurde in Analogie zum Modell der Migräne eine Störung
im serotonergen System vermutet. Eindeutige Störungen im
Serotoninstoffwechsel ließe sich aber beim chronischen KST nicht
verifizieren (Bendtsen et al. 1997). Die klinischen Effekte einer Therapie
mit Serotonin-Reuptakehemmern (SSRI) sind überwiegend
enttäuschend. An eine Beteiligung des noradrenergen Systems
läßt die Wirksamkeit des zentralen alpha-2-adrenergen Agonisten
Tizanidin in einer Studie denken, zumal erhöhte Plasmaspiegel von
3-Methoxy-4-Hydroxyphenyglykol (MHPG) als Ausdruck einer erhöhten
zentralen noradrenergen Aktivität bei KST-Patienten gefunden wurden
(Shimomura et al. 1991). Andereseits wurden auch erniedrigte
Plasmakatecholaminspiegel beschrieben (Castillo et al. 1994). Eine
reduzierte Urinausscheidung und eine gestörte zirkadiane Rhythmik der
Ausscheidung von Dopamin wurde beim KST vereinzelt berichtet, bei Frauen zum
Teil verminderte nächtliche Plasmaspiegel von Melatonin. Auch bei
endogenen Opioiden wurden Auffälligkeiten beschrieben, wobei eine
vermehrte Inaktivierung von Endorphinen diskutiert wurde (Mazzotta et al.
1997)

3. Psychische und psychosoziale Faktoren

Die IHS-Kriterien selbst enthalten folgende 4 psychiatrischen Ursachen
klassifiziert nach DSM III-R:
– psychosozialer Streß
– Angst
– Depression
– Kopfschmerz als körperbezogener Wahn oder somatoforme Störung
Neben diesen definierten Störungen stellt sich ansonsten bei
psychischen Auffälligkeiten oft die Grundsatzfrage, ob die psychischen
Auffälligkeiten Ursache oder Folge der Kopfschmerzen sind. Kontrovers
sind die Ergebnisse bei Anwendung des MMPI (besonders hinsichtlich der
Skalen Hypochondrie, Depression und Hysterie). Im Jahr vor Beginn eines
chronischen Kopfschmerzes wurde eine deutlich höhere Frequenz negativer
Erlebnisse beobachtet (De Benedettis et al. 1990). Andererseits scheinen
psychopathologische Auffälligkeiten im ersten Jahr am deutlichsten zu
sein, danach greifen Coping-Mechanismen (Blanchard et al. 1989). Symptome
wie Depression und Ängstlichkeit scheinen abhängig von
Intensität und Frequenz eines Kopfschmerzes zu sein (Scharff et al.
1995). In einer kontrollierten Studie bei 341 Kindern und Jugendlichen
zwischen 4 und 19 Jahren fanden sich bei Patienten mit KST im Gegegnsatz zu
Migränikern eine höhere Rate geschiedener Eltern und weniger
Freundschaften (peer relations) ( Karwautz et al. 1999).

4. Vaskuläre Faktoren

  • Mittels transcranieller Dopplersonographie der A. cerebri media zeigte
    sich bei 15 Patienten mit chronischem KST im Vergleich zu 15
    Kontrollpersonen unter Ruhebedingungen eine signifikante Reduktion von
    mittlerer Strömungsgeschwindigkeit und Resistance-Index (peripherer
    Gefäßwiderstand). Hypothetisch läßt sich der
    verminderte basale Vasotonus mit Vasodilatation des cerebralen
    Gefäßsystems auf einen basal verminderten Sympathikotonus
    zurückführen. Nachdem sich unter Ergometerbelastung die Werte
    der Kontrollgruppe angleichen, könnte dies auf einen potentiellen
    Nutzen sympathikusaktivierender Behandlungsverfahren hinweisen (Heckmann
    et al. 1998).
  • Bei 27 Patienten mit chronischem KST führte sublinguale
    Nitroglyceringabe wie auch Kopftieflagerung um 15 Grad im Gegensatz zu
    Kontrollpersonen zu einer signifikanten Zunahme der
    Kopfschmerzintensität bei gleichzeitigem dopplersonografisch
    meßbarem Anstieg des Blutflusses. Der lumbale Liquordruck war bei
    45 % von 22 punktierten KST-Patienten auf Werte von über 20 (aber
    unter 26) cm H*O leicht erhöht. Aus diesen Befunden schließen
    Hannerz et al. (1998) auf eine mögliche autonome Dysfunktion mit
    vermehrter Dilatation intracranieller Kapazitätsgefäße
    bei Patienten mit chronischem KST.

5. Muskuläre Faktoren

  • Eine erhöhte EMG-Aktivität der perikranialen Muskulatur stellt
    keinen Prädiktor bzw. ätiologischen Faktor für das
    Entstehen eines Kopfschmerz vom Spannungstyp dar (Göbel 1997). Die
    EMG-Aktivität korreliert nicht mit Schmerz, Stress oder
    körperlicher Aktivität, jedoch korrelieren Kopfschmerz und
    Streß (Clark et al. 1995).
  • Der Schmerz beim KST ähnelt einem myofaszialen Schmerz (Jensen
    1999).
  • In neueren Untersuchungen wird die “Hardness” als objektives Maß
    der Muskelkonsistenz meist des M. trapezius ermittelt durch Messung der
    Relation zwischen appliziertem Druck und der Verschiebung der Haut
    über dem Muskel (Angabe in kPa pro cm; Ashina et al., Pain 1999).
    Sie zeigt sich beim chronischen KST unabhängig vom Vorhandensein
    eines Kopfschmerzes erhöht und korreliert mit der Tenderness.
  • Tenderness ist definiert als subjektiv empfundene perikraniale
    muskuläre Empfindlichkeit bei manueller Palpation. Dabei werden
    9-14 perikranielle Muskelpaare im Hinblick auf die
    Schmerzempfindlichkeit untersucht mittels einer Skalierung zwischen 0-3,
    woraus der “Total Tendernness Score” (TTS) ermittelt wird Eine
    erhöhte Tenderness findet sich in 87% beim chronischen, in 66% beim
    episodischen KST mit einer Zunahme während der Kopfschmerzphase
    (Jensen & Rasmussen 1996). Bei Messungen des muskulärer
    Blutflusses in der Temporalmuskulatur mittels der
    Xenon-Clearance-Technik fand sich kein Unterschied zu Kontrollpersonen
    in Ruhe und unter Belastung sowie auch keine Korrelation zwischen
    Schmerzschwelle und Blutfluß, sodaß eine muskuläre
    Ischämie nicht die Ursache der temporalen Tenderness beim
    chronischen KST darstellt (Langemark et al. 1990).
  • Widersprüchliche Ergebnisse bestehen hinsichtlich des Nutzens von
    Botulinmtoxin-Injektionen in die pericraniale Muskulatur: Während
    Göbel et al. 1999 keinen Effekt feststellen konnten, berichten
    andere positive Effekte (Smuts et al. 1999)

6. Muskuläre und zentrale Komponenten

  • Nach 30-minütigem Zusammenpressen der Kiefer entwickelten 69% von
    58 Patienten mit häufigem KST, jedoch nur 17 % der 30
    Kontrollpersonen innerhalb von 24 Stunden einen KST. Die Schmerzschwelle
    blieb stabil bei Personen, die Kopfschmerzen bekamen, zeigte sich jedoch
    bei kopfschmerzfreien signifikant erhöht. Daraus läßt
    sich folgern, daß periphere muskuläre Komponenten bei der
    Initiierung einer Kopfschmerzepisode eine Rolle spielen können.
    Andererseits sprechen die Ergebnisse bei KST-Patienten auch für
    eine gestörte Aktivierung des antinozizeptiven Systems, das
    normalerweise den erhöhten peripheren nociceptiven Input
    gegenreguliert (Jensen & Olesen 1996).
  • Eine signifikant erniedrigte Schmerzschwelle und Schmerztoleranz auf
    mechanische Druckreize besteht beim chronischem KST mit perikraniell
    erhöhter tenderness im Vergleich zum chronischen KST ohne
    erhöhte tenderness. So ergibt sich eine inverse Korrelation
    zwischen Tenderness und Schmerzschwelle sowie Schmerztoleranz bei 28
    Patienten mit chronischen KST. Es wird vermutet, daß ein
    fortgesetzter schmerzhafter Input von myofaszialen Geweben die zentralen
    schmerzverarbeitenden Systeme sensibilisieren (“zentrale
    Fehlinterpretation”) und damit die Balance zwischen peripherem Input und
    zentraler Modulation stören kann. Da bei den 28 Patienten mit
    episodischem KST ein derartiger Subgruppenunterschied nicht nachweisbar
    ist, wird hier auch bei erhöhter muskulärer Tenderness
    lediglich ein erhöhter Input von myofaszialen Nozizeptoren
    angenommen bei weitgehend normaler zentraler Schmerzverarbeitung.
    Insgesamt wird von den Autoren geschlossen, daß muskuläre
    Faktoren eine wichtige Rolle beim Übergang vom episodischen zum
    chronischen KST spielen können (Jensen et al. 1998)
  • Wie bei der Migräne und anderen Schmerzerkrankungen wird auch beim
    KST eine mögliche Rolle von Stickstoffmonoxid bei der
    Schmerzentstehung diskutiert. Durch intravenöse Gabe eines
    Hemmstoffs der Stickoxid-Synthase L-NMMA (
    N-Monomethyl-L-Arginin-Hydrochlorid 6 mg/kg i.v.) bei 16 Patienten mit
    chronischem KST ließ sich eine deutlichere Schmerzreduktion als
    unter Placebo erzielen bei gleichzeitiger Reduktion der muskulären
    Hardness. Die Wirkung wird über eine Modulation nozizeptiver
    Informationen von myofaszialen Geweben via Verminderung der zentralen
    Sensibilsierung auf der Ebene des spinalen Dorsalhorns bzw. des
    Trigeminuskerns erklärt (Ashina et al. Brain 1999).
    Episodischer KST Chronischer KST
Muskel-Hardness Grad der Deformierung von Muskelgewebe
gegen Druck (kPa/cm)
N –
(unabhängig von KS)
Tenderness “Empfindlichkeit” der Muskulatur,
provoziert durch manuelle Palpation (Skala 0-3)
Mechanische
Schmerzschwelle
Durch Druckalgometer gemessener Wert,
ab wann Druck schmerzhaft wird
N
Mechanische
Schmerztoleranz
Obergrenze der Schmerzerträglichkeit N
(Finger)

N = normal, =
erhöht, =
erniedrigt

7. Zentrale Faktoren

  • Die Untersuchung des nociceptiven Flexorreflexes, eines polysynaptischen
    spinalen Reflexes unter supraspinalem Einfluß, ergab bei Patienten
    mit chronischem KST im Vergleich zu Kontrollpersonen einen erniedrigten
    Schwellenwert zur Auslösung und eine erniedrigte
    Schmerztoleranzschwelle. Dies spricht für eine Störung des
    endogenen antinozizeptiven Systems beim chronischen KST (Langemark et
    al. 1993).
  • Die Messung der exterozeptiven Suppressionsperioden (ES) der
    Temporalmuskelaktivität, eines antinozizeptiven Schutzreflexes,
    erbrachte in mehreren Untersuchungen bei Patienten mit KST eine
    unauffällige frühe oligosynaptisch verschaltete
    Suppressionsphase ES1, jedoch eine verkürzte oder fehlende
    späte (polysynaptisch verschaltete) Suppressionphase ES2. Dies
    wurde als Ausdruck einer Störung im körpereigenen
    antinozizeptiven System gedeutet im Sinne einer gestörten zentralen
    Inhibition via limbische Verbindungen zum Hirnstamm. (Göbel 1997,
    Schoenen et al. 1987). Inzwischen ist die Bedeutung dieses Reflexes beim
    KST umstritten (Zwart et al. 1995, Bendtsen et al. 1996).

Zusammengefaßt ergibt sich damit heute folgendes
pathophysiologisches Bild:

Periphere Mechanismen prägen das Bild des episodischen KST. Über
eine sekundäre zentrale Sensibilisierung und / oder eine gestörte
supraspinale Modulation ankommender nozizeptiver Stimuli von myofaszialen
Geweben wird die Konversion zum chronischen KST begünstigt. Der
chronische KST wird eindeutig von zentralen Veränderungen von
Schmerzschwelle und Schmerztoleranz geprägt. Hieraus ergeben sich
wichtige Ansätze für künftige Forschungen, insbesondere auch
zur Prävention des Entstehens des bis heute schwer behandelbaren
chronischen KST.
Die Abbildung gibt die Grundzüge des Modells nach Jensen (1999)
wider:

Mentaler Stress – unphysiologischer motorischer Stress –
lokale Irritationen

Aktivierung der Nozizeptoren myofaszialer Gewebe
vermehrter afferenter Input

Dorsalhorn / spinaler Nucleus trigeminus
Zentrale Sensibilisierung

Aktivierung supraspinaler
schmerzverarbeitender Strukturen
(sekundär Hyperalgesie)

LITERATURHINWEISE

  • Headache Classification Committee of the International Headache Society:
    Classification and diagnostic criteria for headache disorders, cranial
    neuralgias and facial pain. Cephalalgia 1988; 8 (supp 7): 1-96.
  • Goadsby PJ. Chronic tension-type headache: where are we? Brain 1999;
    122: 1611-2.
  • Jensen R. Pathophysiological mechanisms of tension-type headache: a
    review of epidemiological and experimental studies. Cephalalgia 1999;
    19:602-21
  • Pfaffenrath V, Brune K, Diener HC, Gerber WD, Göbel H. Die
    Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Therapieempfehlungen der
    Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Nervenheilkunde
    1998;17:91-100
  • Schwartz BS, Stewart WF, Simon D, Lipton RB, Epidemiology of
    tension-type headache. JAMA 1998; 279: 381-3.

Sonstige im Text erwähnte Literatur:

  • Ashina M, Bendtsen L, Jensen R, Lassen LH, Sakai F, Olesen J. Possible
    mechanisms of action of nitric oxide synthase inhibitors in chronic
    tension-type headache. Brain 1999; 122: 1629-35.
  • Ashina M, Bendtsen L, Jensen R, Sakai F, Olesen J. Muscle hardness in
    patients with chronic tension-type headache: relation to actual headache
    state. Pain 1999; 79:201-5.
  • Bendtsen L, Jensen R, Brennum J, Arendt-Nielsen L, Olesen J.
    Exteroceptive suppression of temporal muscle activity is normal in
    chronic tension-type headache and not related to actual headache state.
    Cephalagia 1996; 16: 251-6.
  • Bendtsen L, Jensen R, Hindberg I, Gammeltoft S, Olesen J. Serotonin
    metabolism in chronic tension-type headache. Cephalalgia 1997, 17:
    843-8.
  • Blanchard EB, Kirsch CA, Appelbaum KA, Jaccard J. The role of
    psychopathology in chronic headache: cause or effect? Headache 1989; 29:
    295-301
  • Castillo J, Martinez F, Leira R, Lema M, Noya M. Plasma monoamines in
    tension-type headache. Headache 1994;34: 531-5.
  • Clark GT, Sakai S, Merrill R, Flack VF, McCreary C. Cross-correlation
    between stress, pain, physical activity, and temporalis muscle EMG in
    tension-type headache. Cephalalgia 1995; 15: 511-8.
  • DeBenedettis G, Lorenzetti A, Pieri A. The role of stressful life events
    in the onset of chronic primary headache. Pain 1990; 40: 65-75.
  • Göbel H. Die Kopfschmerzen. Springer Berlin 1997.
  • Göbel H. Petersen-Braun, Soyka D. The epidemiology of headache in
    Germany: a nationwide survey of a representative sample on the basis of
    the headache classification of the International Headache Society.
    Cephalalgia 1994; 14: 97-106.
  • Göbel H, Lindner V, Krack P, Heinze A, Gaartz N, Deuschl G.
    Treatment of chronic tension-type headache with botulinum toxin.
    Cephalalgia 1999;19:455.
  • Hannerz J, Jogestrand T. Is chronic tension-type headache a vascular
    headache? The relation between chronic tension-type headache and cranial
    hemodynamics. Headache 1998; 38: 668-75
  • Heckmann JG, Mück-Weymann M, Katalinic A, Hilz MJ, Claus D,
    Neundörfer B. TCD-Ergometer-Test bei Patienten mit chronischem
    Kopfschmerz vom Spannungstyp. Nervenarzt 1998; 69:131-6.
  • Jensen R, Bendtsen L, Olesen J. Muscular factors are of importance in
    tension-type headache. Headache 1998;38:10-17.
  • Jensen R, Olesen J. Initiating mechanisms of experimentally induced
    tension-type headache. Cephalalgia 1996; 16: 175-82.
  • Jensen R, Rasmussen BK. Muscular disorders in tension-type headache.
    Cephalalgia 1996; 16: 97-103
  • Karwautz A, Wöber C, Lang T, Böck A, Wagner-Ennsgraber C,
    Vesely C, Kienbacher C, Wöber-Bingöl C. Psychosocial factors
    in children and adolescents with migraine and tension-type headache: a
    controlled study and review of the literature. Cephalagia 1999; 19:
    32-43.
  • Langemark M, Bach FW, Jensen TS, Olesen J. Decreased nociceptive flexion
    reflex threshold in chronic tension-type headache. Arch Neurol 1993; 50:
    1061-4.
  • Langemark M, Jensen K, Olesen J. Te,poral muscle blood flow in chronic
    tension-type headache. Arch Neurol 1990; 47: 654-8.
  • Mazzotta G, Sarchielli P, Gaggioli A, Gallai V. Study of pressure pain
    and cellular concentrations of neurotransmitters related to nociception
    in episodic tension-type headache patients. Headache 1997; 37: 565-71.
  • Oestergaard S, Russell MB, Bendtsen L, Olesen J. Increased familial risk
    of chronic tension-type headache. Br Med J 1997; 314: 1092-3.
  • Rasmussen BK, Jensen R, Schroll M, Olesen J. Epidemiology of headache in
    a general population – a prevalence study. J Clin Epidemiol 1991;
    44;1147-57.
  • Rasmussen BK, Jensen R, Olesen J. Impact of headache on sickness absence
    and utilisation of medical services: a Danish population study. J
    Epidemiol Community Health 1992; 46: 443-6.
  • Scharff L, Turk DC, Marcus DA. Psychosocial and behavioral
    characteristics in chronic headache patients: support for acontinuum and
    dual-diagnostic approach. Cephalalgia 1995; 15:216-23.
  • Schoenen J, Jamart B, Gerard P, Lenarduzzi P, Delwaide PJ. Exteroceptive
    suppression of temporalis muscle activity in chronic headache. Neurology
    1987; 37: 1834-6
  • Sheftell FD. Chronic daily headache. Neurology 1992; 42 (suppl. 2):32-36
  • Shimomura T, Awaki E, Kowa H, Takahashi K.Treatment of tension-type
    headache with tizanidine hydrochloride: ist efficacy and relationship to
    the plasma MHPG concentration. Headache 1991; 31: 601-604.
  • Smuts JA, Baker MK, Smuts HM, Stassen JMM, Rossouw E, Barnard PWA.
    Botulinum toxin type A as prophylactic treatment in chronic tension-type
    headache. Cephalalgia 1999; 454.
  • Wöber-Bingöl C, Wöber C, Zeiler K, Heimberger K,
    Baumgartner C, Samec P, Wessely P. Tension headache and the cervical
    spine – plain X-ray findings. Cephalalgia 1992; 12:152-4.
  • Zwart JA, Bovim G, Sand T, Sjaastad O. Tension headache: botulinum toxin
    paralysis of temporal muscles. Headache 1994; 34: 458-62.