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4. Migräne, Prophylaxe


**Allais G, De Lorenzo C, Quirico PE, Airola G, Tolardo G, Mana O, Benedetto C. Acupuncture in the prophylactic treatment of migraine without aura: a comparison with flunarizine. Headache 2002;42:855-61

Zusammenfassung: Ziel der vorliegenden Studie war es, über einen Behandlungszeitraum von 6 Monaten die Wirksamkeit einer standardisierten Akupunkturbehandlung im Vergleich zu Flunarizin in der Prophylaxe der Migräne zu untersuchen. In die monozentrisch im Kopfschmerzzentrum der Frauenklinik der Universität Turin durchgeführten Studie wurden ausschließlich Patientinnen aufgenommen, die im vorangegangenen Jahr mindestens 3 Migräneattacken ohne Aura pro Monat entsprechend den diagnostischen Kriterien der IHS aufwiesen und bisher noch keine eigene Erfahrung mit Akupunktur hatten. Nach einer 2-monatigen Run-in-Phase ohne Behandlung wurden je 80 Patientinnen zufällig entweder der Akupunktur- oder der Flunarizin-Behandlungsgruppe zugewiesen. Patienten der Flunarizingruppe erhielten in den ersten 2 Behandlungsmonaten eine Tagesdosis von 10 mg Flunarizin und in den folgenden 4 Monaten 10 mg Flunarizin an 20 Tagen pro Monat entsprechend einem anscheinend in Italien verbreiteten Medikationsschema. Die Häufigkeit der Migräneattacken (Hauptzielparameter), die Schmerzintensität und die Einnahme von Akutmedikation wurden mittels Kopfschmerztagebuch durch die Patientinnen erfaßt und in monatlichen Abständen im Rahmen von Kontrollbesuchen von bezüglich der Behandlungsgruppe verblindetem Studienpersonal überprüft. Patientinnen in der Akupunkturgruppe wurden nach einem standardisierten Schema an insgesamt 18 Punkten akupunktiert, wobei die Nadeln für jeweils 20 Minuten belassen wurden. Die Akupunkturbehandlung erfolgte in den ersten 2 Monaten in wöchentlichen Abständen, in den folgenden 4 Monaten einmal monatlich. Die Dokumentation und Kontrollbesuche erfolgten entsprechend der Flunarizingruppe. Sieben Patienten der Flunarizingruppe (Grund: 3x Gewichtszunahme, 3x Benommenheit und 1x Depression) und drei Patientinnen der Akupunkturgruppe (Grund: 2x lokaler Schmerz, 1x verzogen) beendeten die Studie vorzeitig. Bezüglich des Hauptzielparameters, der Migräneattackenfrequenz, kam es in beiden Behandlungsgruppen bereits ab dem 2. Monat zu einer im Vergleich zur Run-in-Phase signifikanten Abnahme. Im 2. und 4. Behandlungsmonat war dabei die Attackenhäufigkeit, die in der Run-in-Phase in beiden Behandlungsarmen vergleichbar war, in der Akupunkturgruppe signifikant niedriger als in der Flunarizingruppe, während nach 6 Monaten kein statistischer Unterschied mehr bestand. Die Einnahme von Kopfschmerzakutmedikation verringerte sich in beiden Behandlungsarmen unter Therapie signifikant, während es beim Nebenzielparameter der Schmerzintensität lediglich in der Akupunkturgruppe zu einer signifikanten Abnahme kam. Als wichtigste Nebenwirkungen wurden in der Akupunkturgruppe Sedierung (10%) und lokaler Schmerz (8%) und in der Flunarizingruppe Benommenheit (35%), Gewichtszunahme (22%) und Depression (7%) genannt.

Kommentar: Die Akupunktur gehört zu den am häufigsten eingesetzten prophylaktischen Maßnahmen bei Migräne, obwohl der eindeutige wissenschaftliche Wirkungsnachweis aufgrund methodischer Probleme und hier letztlich wegen der Frage der Verblindung nach wie vor fehlt. Die vorliegende Arbeit ist vom Aufbau und der Durchführung vorbildlich. So sind im Gegensatz zu vielen früheren Akupunkturstudien die Patientenauswahl, die Methodik und im Ergebnisteil auch die Drop outs und Nebenwirkungen detailliert beschrieben und mit 6 Monaten eine ausreichend lange Behandlungszeit gewählt. Gewünscht hätte man sich noch den Zielparameter Migränetage im Monat, der aufschlußreicher als die alleinige Migräneattackenzahl pro Monat ist und die Aufteilung der Akutmedikation in Analgetika und Triptane, um den Schweregrad der Migräne bei den Patientinnen besser einschätzen zu können.

Aber letztlich handelt es sich bei der Untersuchung doch nur um eine offene prospektive Studie zum Einsatz der Akupunktur bei Migräne, der das entscheidende Gütesiegel der Verblindung fehlt. Ob die einfach verblindete Akupunktur des Patienten mit stumpfen Nadeln am traditionellen Ort bei geschlossenen Augen oder mit spitzen Nadeln am falschen Ort erfolgt, ist dabei unerheblich, aber nur so wäre nachvollziehbar, ob tatsächlich eine eigenständige Wirkung der Akupunktur vorliegt, die dann noch der des Standardprophylaktikums Flunarizin ebenbürtig oder gar überlegen wäre. Denn nur so könnte den naheliegenden Bedenken begegnet werden, daß es den Patienten in der Akupunkturgruppe gerade in den ersten Monaten der Studie so gut ging, weil sie in dieser Phase viel mehr professionelle Zuwendung erfuhren. Mit den wöchentlichen Terminen bestand bei ihnen eine um ein Vielfaches höhere Behandlungsintensität als in der Flunarizingruppe, bei der ja nur protokollarische Kontrolltermine in weiten Abständen stattfanden. Der Untersuchung mangelt es also am 3 Behandlungsarm, der Scheinakupunktur mit Flunarizinplacebo. Solange diese Information fehlt, kann die Studie dahingehend interpretiert werden, daß der zeitliche und finanzielle Aufwand einer Akupunkturbehandlung in Zeiten chronischer Finanznöte im Gesundheitssystem in keiner Relation zur Effektivität und Kostengünstigkeit der Ausstellung eines Flunarizinrezeptes ist. (AH)


*** Tronvik E, Stovner LJ, Helde G, Sand T, Bovim G. Prophylactic treatment of migraine with an angiotensin II receptor blocker. A randomized controlled trial. JAMA 2003;289:65-69

Zusammenfassung: Bei fast allen Medikamenten, die zur Prophylaxe der Migräne zum Einsatz kommen, wurde die Wirkung zufällig entdeckt, da Patienten, die diese Medikamente als andere Indikation bekamen, berichteten, daß es unter Einnahme der Substanz zu einer Besserung der Migräne kam. Nachdem einige Patienten über eine Besserung der Migräne berichteten, wenn sie zur Behandlung ihrer Hypertonie einen Angiotensin II-Blocker einnahmen, untersuchten die norwegischen Autoren, ob sie eine migräneprophylaktische Wirkung von Candesartan nachweisen konnten. Es handelte sich um eine randomisierte doppelblinde plazebo-kontrollierte crossover Studie, die in Norwegen durchgeführt wurde. Es wurden 60 Patienten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren mit 2-6 Migräneattacken/Monat rekrutiert. Zunächst wurden alle Patienten über 4 Wochen mit Plazebo behandelt und dann jeweils über 12 Wochen mit Verum oder Plazebo mit einer 4wöchigen Plazebo wash out Phase. Die Candesartandosis betrug 16 mg am Tag. Der primäre Endpunkt war Tage mit Kopfschmerzen, sekundäre Endpunkte waren Stunden mit Kopfschmerzen, Migränetage, Stunden mit Migräne und ein Kopfschmerzintensitätsindex. Zusätzlich wurde die Einnahme von Medikamenten erfaßt, die zur Behandlung akuter Migräneattacken dienten. Von den 60 randomisierten Patienten schlossen 57 die erste Behandlungsphase ab und 52 die zweite Behandlungsphase. In der 12wöchigen Behandlungsphase mit Verum wurden 13,6 Kopfschmerztage gemessen, mit Plazebo 18,5 Tage. Dies entspricht einer Reduktion um 26%, der Unterschied war signifikant. Signifikante Vorteile von Verum fanden sich auch für die Stunden mit Kopfschmerzen, Migränetage (9 vs. 12,6) sowie Stunden mit Migräne. Die Zahl der eingenommenen Triptane oder Analgetika war allerdings in der Verumgruppe nicht signifikant niedriger als in der Plazebogruppe. Die Autoren führten auch eine Responderanalyse durch, d.h. sie untersuchten, bei wieviel Prozent der Patienten es zu einer mindestens 50%igen Reduktion der einzelnen gemessenen Kopfschmerzparameter kam. Für die Migränetage betrug die Responderrate unter Candesartan 40%, in der Plazebogruppe 3,5%. Candesartan wurde gut vertragen. Bzgl. der Nebenwirkungen gab es keinen Unterschied zwischen Verum und Plazebo.

Kommentar: Die vorliegende Studie kann durchaus belegen, daß ein Angiotensin II-Rezeptorblocker in der Migräneprophylaxe wirksam sein könnte. Leider wurde die Studie mit einer relativ geringen Patientenzahl durchgeführt und die Autoren haben darauf verzichtet, die einzelnen gemessenen Parameter graphisch darzustellen. Auffällig ist allerdings, daß die Responderrate in der Plazebogruppe zwischen 0 und 3% schwankte, während für fast alle anderen Studien, die in diesem Design durchgeführt wurden, Responderraten zwischen 15 und 30% bei Plazebo beobachtet wurden. Ob dies nun an der untersuchten Population, nämlich Norwegern, liegt, die auch üblicherweise eine geringere Responderrate haben als Südländer, oder ob es sich um einen Zufallsbefund handelt, kann erst ermessen werden, wenn der Versuch unternommen wird, dieses Ergebnis zu reproduzieren. (HCD)




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