3. Migräne Klinik
*** Loder E. Prophylaxis of menstrual migraine with triptans. Problems and possibilities. Neurology 2002;59:1677-1681
Zusammenfassung:Zahlreiche Frauen benennen Menstruation als einen Trigger ihrer Migräne. Wenn die Attackentherapie zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend wirksam ist, besteht die Möglichkeit der Kurzzeitprophylaxe. In diesem Reviewartikel werden vorliegende Studien zur Kurzeitprophylaxe mit Triptanen evaluiert. Studien liegen zu Naratriptan, Rizatriptan, Zolmitriptan, Sumatriptan, Eletriptan und Frovatriptan vor. Zum Teil speziell zu dieser Fragestellung designt, zum Teil als Postanalyse großer Wirksamkeitsstudien. Die Autorin beleuchtet zum einen Effektivität (positiv), Sicherheit (entsprechend Attackentherapie) und Kosten (teuer) des Einsatzes von Triptanen als Kurzzeitprophylaxe und erachtet diese nur für eine Subgruppe von Patientinnen sinnvoll, die mit konventioneller Therapie nicht zu behandeln sind.
Beurteilung:Der fünfseitige Artikel beleuchtet ausführlich die Problematik menstrueller Migräne, insbesondere dabei die fehlende einheitliche Definition (bisher keine IHS Diagnose), die Expertenmeinung, dass Migräneattacken zu diesem Zeitpunkt schwerer verliefen, die durch populationsbasierte Studien nicht gestützt wird, sowie die Perception der betroffenen Patientinnen, die häufig initial zu Fehleinschätzungen bei Arzt und Patient führt. Das Literaturverzeichnis ist ausführlich. Leider ist dieser Artikel recht langatmig auf dem Weg zu einer recht banalen Schlussfolgerung: Triptane sind als Kurzzeitprophylaxe nicht gut untersucht und zu teuer. Der Leser vermisst eine tabellarische Übersicht zu den zitierten Studien. Verwirrenderweise werden zudem Studien zum Einsatz von Triptanen zur Kurzzeitprophylaxe des Clusterkopfschmerzes zitiert. Nur der an der Materie zutiefst interessierte Leser wird diesen Text ausführlicher lesen als lediglich die Zusammenfassung. (AE)
** Lemstra M, Stewart B, Olszynski P. Effectiveness of multidisciplinary intervention in the treatment of migraine: A randomized clinical trial. Headache 2002;42:845-854.
Zusammenfassung:Die kanadischen Autoren berichten über die Evaluation eines multidisziplinären Gruppenbehandlungsprogramms für Migränepatienten. In einer prospektiven und randomisierten Studie wurden 84 Migränepatienten in Allgemeinärztlichen Praxen rekrutiert und einer Behandlungsgruppe (n= 44) oder einer WartelistenBedingung (n=36) zugeordnet. Das ambulant durchgeführte Behandlungsprogramm bestand aus einer neurologischen und einer allgemeinmedizinischen Anamnese, 18 Stunden Übungen zur körperlichen Fitness (Schwerpunkt Aerobic), eine Stunde Entspannungstraining, eine Stunde Stressmanagement, eine Stunde Ernährungsberatung und zwei Stunden Massage. Die Wartekontrollgruppe erhielt eine medizinische Standardbehandlung durch den Hausarzt. Die Randomisierung und Verblindung wurde den Umständen entsprechend methodisch sauber durchgeführt. Vor und nach der 6-wöchigen Interventionsphase sowie zum 3-Monate-Follow-Up wurden folgende Zielvariablen mit psychometrischen Instrumenten oder visuellen Analogskalen erhoben:
Schmerzfrequenz, -intensität, -dauer, -beeinträchtigung, Depression, Gesundheitsstatus, Lebensqualität, Medikamentengebrauch und beruflicher Status. Die Statistik zielte auf Gruppenvergleiche und benutzte 95%-Konfidenzintervalle. Sowohl zum Post-, als auch zum Follow-Up-Zeitpunkt wies die Behandlungsgruppe bis auf den Medikamentengebrauch und den beruflichen Status in allen abhängigen Variablen signifikante größere Verbesserungen auf als die Kontrollgruppe. Die Signifikanzen lagen mit wenigen Ausnahmen alle auf einem mindestens p=.000-Niveau. Am beliebtesten waren bei den Teilnehmern die Sportübungen und die physikalischen Maßnahmen.
Kommentar:Aufgrund der wachsenden gesundheitspolitischen Bedeutung der Migräne und der Limitierungen einer unimodal pharmakologischen Therapie (z.B. Kosten, Missbrauchspotential) ist es dringend nötig, ökonomische und nichtmedikamentöse Behandlungsprogramme zu etablieren. Für unimodale Entspannungs-, Biofeedback- und Fitness-Programme sowie multimodale kognitiv ausgerichtete Verhaltenstherapieansätze existiert bereits eine ausreichende Studienlage und Evidenz der Wirksamkeit bei Migräne, auch für Kurzzeitinterventionen mit Kosteneffektivität. Insofern hat die vorliegende Studie kaum innovativen Wert. Darüberhinaus werden hier unterschiedlichste Behandlungsbausteine ohne Richtung und Hypothesensteuerung polypragmatisch gemischt, sodass man keine Idee bekommen kann, was bei wem wie und warum wirkt. Die Teilnehmer waren bezüglich der Behandlungsbedingung nicht verblindet, wodurch eine Ergebnissverfälschung durch die Erwartungshaltung wahrscheinlich ist. Nicht zuletzt lassen die überragenden Signifikanzen jeden erfahrenen Klinker mehr als skeptisch werden bezüglich der Validität und Reliabilität der Erhebungen. Die Daten des 3-Monate-Follow-Up sind fast wertlos, da dieses deutlich innerhalb des Placebo-Wirkzeitraums liegt. (GF)
** Comoglu S, Yarangümeli A, Köz ÖG, Elhan AH, Kural G. Glaucomatous field defects in patients with migraine. J Neurol 2003;250:201-206
Zusammenfassung:Die Arbeitsgruppe aus Ankara erfasste in einer Querschnittsuntersuchung 77 Patienten (61 Frauen, 16 Männer) mit Migräne, die sich aufgrund ihrer Kopfschmerzen in einer neurologischen Poliklinik vorgestellt hatten. Diese Patienten wurden ophthalmologisch untersucht, darüber hinaus wurde eine computergestützte Bestimmung des Gesichtsfeldes durchgeführt. Bei 62,3% der Patienten konnten glaukomähnliche Gesichtsfelddefekte nachgewiesen werden. Bei allen Patienten lag der intraokulare Druck im Normbereich. Im Gruppenvergleich der Gruppe mit Gesichtsfelddefekt gegenüber der Gruppe ohne Gesichtsfeldefekt zeigten sich signifikante Unterschiede hinsichtlich eines höheren Lebensaltersalters, eines höheren Alters bei Erstauftreten sowie einer Attackenfrequenz <= 1 pro Monat. Keine Unterschiede bestanden in den Parametern Geschlecht, Dauer der Migräne, Lokalisation und Intensität der Kopfschmerzen, Vorhandensein und Typ der Aura, positiver Familienanamnese von Glaukomen, intraokularem Druck und Cup/DiskRatio. Nach einer ausführlichen Darstellung von pathophysiologischen Aspekten der neuro-vaskulären Hypothese, der „spreading depression“, des Migränegenerators sowie molekulargenetischer Aspekte, folgt eine Aufzählung verschiedener Studien zur Koinzidenz von Migräne und Normaldruck- bzw Weitwinkelglaukom sowie eines oculovasospastischen Syndroms bei Patienten mit einem Raynaud-Phänomen und glaukomatösen Veränderungen. In ihrer Schlussfolgerung fordern die Autoren, dass für Migräne verantwortliche Mechanismen ebenso Einfluss auf den Sehnerv haben, sich diese Mechanismen aber von denen der Aura unterscheiden. Kommentar:In der Literatur wird kontrovers diskutiert, dass Migränepatienten zu einem großen Prozentsatz visuelle Dysfunktionen im Sinne von Gesichtsfelddefekten aufweisen, die denen von Patienten mit Glaukomen in frühen Stadien ähnlich sind. Ebenso weisen überzufällig häufig glaukomatöse Patienten Migräne auf. Widersprüche bestehen auch in der Richtung des Zusammenhangs zwischen Ausmaß der Gesichtsfeldefekte und Attackenfrequenz. Viele dieser Unterschiede beruhen zum Teil auf unterschiedlicher methodischer ophthalmologischer Bestimmung. Leider wird die Studie von Comoglu et al. nicht viel klärend in der Diskussion visueller Dysfunktionen bei Migränepatienten beitragen. Dieses hat mehrere Gründe. Die relativ kleine Fallzahl erlaubt nur begrenzt Subgruppenanalysen zu den Parametern Ausmaß der visuellen Defekte, Dauer der Erkrankung oder der Attackenfrequenz, wobei letztere sogar nur als dichotomes Merkmal (<= 1 vs. > 1 Attacke/Monat) erfasst wurde. Außer einem Hinweis, dass kein Patient eine prophylaktische Medikation einnahm, wird weiterhin nicht weiter auf evtl. schon durchgeführte medikamentöse Therapien eingegangen, bei denen zumindest Membranstabilisatoren (z. B. Topiramat) im Verdacht stehen, ähnliche visuelle Störungen hervorrufen zu können. Insgesamt bleibt die Einordnung der Ergebnisse in der Diskussion rudimentär. Die Forderung von gemeinsam vorhandenen Mechanismen von Migräne und retinalen Zellen und Sehbahnbestandteilen bei glaukomatösen Gesichtfelddefekten erscheint vor in der Literatur differenzierten kortikalen und präkortikalen Störungen magno- und parvozellulärer Systeme, die in der Untersuchung von Kontrastsensitivität, Hintergrundsmodulationsschwelle, Bewegungserkennung sowie von Orientierungs- und Bewegungsdiskrimination subtil bestimmt werden können, als nicht ausreichend. Weiterhin wünschenswert wäre eine prospektiv angelegte Verlaufsuntersuchung, um den tatsächlichen Verlauf der Gesichtsfelddefekte mit zeitlich determinierten Parametern der Migräne korrelieren zu können. (PS)