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Kopfschmerz-News

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6. Medikamenteninduzierter Kopfschmerz

**** Pini LA, Cicero AFG, Sandrini M. Long-term follow-up of patients treated for chronic headache with analgesic overuse. Cephalalgia 2001; 21: 878-883

Zusammenfassung: In den letzten fünf Jahren mehren sich Studien, die den Langzeit-outcome von Kopfschmerzpatienten untersuchen, die nach einem Abusus von Schmerz- und Migränemitteln eine zunächst erfolgreiche Entzugsbehandlung absolviert haben. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass zumindest in Europa die enorme epidemiologische und gesundheitspolitische Bedeutung des Störungsbildes des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes (MKS) zunehmend erkannt wird (= dritthäufigster Kopfschmerz). Die Essener Arbeitsgruppe ermittelte kürzlich sowohl retrospektiv (4 Jahre) als auch prospektiv (1 Jahr) Rückfallquoten von über 40%, die die zuvor berichteten Quoten von 20-30% ernüchternd ersetzten. Pini et al. verglichen in einer telefonischen 4-Jahres-Katamnese Kopfschmerz- und Lebensqualitätsparameter sowie Medikamentenkonsum von erfolgreich entzogenen und Rückfallpatienten und gematchten Kontroll-Patienten, die trotz chronischer Kopfschmerzen nie einen Abusus betrieben. In die Auswertung gingen 90 ehemalige Abusus-Patienten (60% Migräne / 40% Spannungskopfschmerzen) und 27 Kontroll-Patienten (63% Migräne / 37% SKS) ein. Zielvariablen waren die Anzahl der täglich eingenommenen Schmerzmittel, ein validierter Kopfschmerzindex und das Scoring im Lebensqualitätsfragebogen SF36.

Nur 36 von 90 Patienten (33%) gelang in den 4 Jahren eine Beibehaltung des Entzugserfolges. Rückfallpatienten zeichneten sich dadurch aus, dass sie sowohl zum Prä- als auch zum follow-up Zeitpunkt einen höheren Medikamentenkonsum betrieben und eine längere Kopfschmerz- und Abususgeschichte aufwiesen. Patienten, die einen Absus mit Kombinationspräparaten betrieben, wechselten nach dem Entzug das Präparat nicht; 80% von ihnen wurden wieder rückfällig. Eine Kopfschmerzprophylaxe hatte keinen Einfluss auf das Entzugsergebniss. Erfolgreich entzogene Patienten wiesen eine signifikant schlechtere Lebensqualität auf als die Abusus- und Kontrollpatienten. Den besten Index zeigten die Abususpatienten. Bei einer syndromspezifischen Analyse ging dieser Effekt auf die SKS-Patienten zurück. Der Kopfschmerzschweregrad unterschied sich in allen Gruppen nur unbedeutsam.

Kommentar: Die referierte Studie bestätigt die Tendenz einer hohen Rückfallquote, obwohl eine Quote von 2/3 wiederum fraglich erscheint und im Ausmass allen bisherigen Studien völlig widerspricht. Ebenfalls konsistent mit der Studienlage ist der Misserfolgsprädiktor der Einnahme von zentral agierenden Kombinationspräparaten und der fehlende Benefit von Prophylaxe-Medikamenten für eine langfristige Entgiftung. Leider ermittelten die Autoren keine Syndrom- und differenzierte Analgetika-spezifische Prädiktion. In den Essener Untersuchungen hatte sich darin die deutlichste prädiktive Power für den Entzugsausgang gezeigt. Das überraschendste Ergebniss dieser Studie ist sicherlich die vergleichsweise gute Lebensqualität der Patienten mit fortbestendem Abusus. Die ist zunächst schwer zu interpretieren. Die Autoren selber führen eine tatsächliche Verbesserung der Lebensqualität durch Schmerzmittel an. Da die Lebensqualität jedoch auch von der Kopfschmerzfrequenz abhängt und eine Dauereinnahme von Schmerzmitteln zu Dauerkopfschmerzen führt, ist diese Interpretation höchst fragwürdig.

Alternative Erklärungen wären: Die unterschiedliche Lebensqualität bestand schon zur Zeit vor dem Entzug und ist durch andere Lebensumstände als die Kopfschmerzen bedingt. Dieser Bias liegt nahe, denn die Autoren geben keine Prä-Werte an. Weiter ist denkbar, dass die Abusus-Patienten eine hohe Lebensqualität nur angeben, um damit ihren Missbrauch zu rechtfertigen. Eine hochfrequente Einnahme von Schmerzmitteln wird in der klinischen Praxis meist mit steigender Lebensqualität begründet.

Ein dritter Erklärungsansatz bezieht sich auf die post-hoc-Analyse, dass die hohe Lebensqualität unter Schmerzmittelmissbrauch überwiegend von den SKS-Patienten angegeben wird. In dieser Patientengruppe ist die immense Komorbidität der Depression und der bevorzugte Konsum von Antriebssteigernden Medikamenten (Koffein!) und speziell in Italien Barbituraten bekannt. Da liegt die Vermutung nahe, dass diese depressiven Patienten die psychotropen Anteile der Schmerzmedikation suchen, ihre Lebensqualität somit verbessern, aber auch in eine psychische Abhängigkeit geraten. Trotz der Einwände ist es ein Verdienst dieser Studie, darauf aufmerksam zu machen, dass ein erfolgreicher Entzug nicht unbedingt weniger Kopfschmerzen bedeutet und Abusus und Kopfschmerzschwere nicht äquivalent Lebensqualität abbilden. (GF)

*** Fritsche G, Eberl A, Katsarava Z, Limmroth V, Diener HC. Drug-induced headache: long-term follow-up of withdrawal therapy and persistence of drug misuse. Eur Neurol 2001;45:229-235.

Zusammenfassung: In den letzten Jahren wurde zunehmend der Schmerzmittel-induzierte Kopfschmerz als eine eigenständige Diagnose etabliert und als wichtige Differentialdiagnose erkannt. Vorraussetzung ist eine regelmässige bis mehrfach tägliche Einnahme eines Schmerzmittels und von Mischpräparaten auf dem Boden eines initialen primären Kopfschmerzes (meist Migräne oder chron. Spannungskopfschmerz). Die Häufigkeit wird in der Gesamtbevölkerung mit 0.5-2% geschätzt; in Spezialambulanzen haben bis zu 10% der Patienten diese Diagnose. Widersprüchliche Zahlen finden sich bezüglich der Rückfallraten nach Entzugstherapie im Langzeitverlauf, Art, Häufigkeit und Dauer der Medikation vor und nach Entzugstherapie und klinischen wie demographischen Prädiktoren für eine erfolgreiche Therapie. Die von den Kollegen aus Essen vorgelegte Arbeit soll entsprechende Daten liefern. Es handelt sich um eine retrospektive Studie in die 103 Patienten, die zwischen 1994 und 1998 eine Entzugsbehandliung durchführten, eingeschlossen wurden. Vorraussetzung war das Fehlen anderer neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen; primäre Diagnosen waren Migräne, Spannungskopfschmerz oder Kombinationskopfschmerz. Der Langzeitverlauf wurde mittels Telephoninterview durch 3 erfahrene Untersucher erhoben, wobei die Parameter jetzige Kopfschmerzdiagnose, Häufigkeit der Kopfschmerzen, Begleitsymptome, globale Beurteilung des Verlaufes, medikamentöse Kopfschmerzprophylaxe, Häufigkeit und Art der jetzt benutzten Kopfschmerztherapie sowie weiterer Gebrauch von Psychopharmaka erhoben wurden.

Insgesamt konnten 83 Patienten ausgewertet werden. Frauen waren absolut und relativ häufiger betroffen als es auf dem Boden der primären Häufigkeiten zu erwarten ist. Das mittlere Erkrankungsalter war 50 Jahre und Patienten mit primärer Migräne waren am häufigsten vertreten. Der Schmerzmittel-induzierte Kopfschmerz bestand zum Zeitpunkt der Therapie im Mittel schon 6.6 Jahre. Am häufigsten (24.1% und 19%) fanden sich als Schmerzmittel Mischpräparate mit Koffein (Analgetika oder Ergotamine), 16.5% der Patienten nahmen Monoanalgetika. Zum Zeitpunkt des Interviews hatten insgesamt 64% der Patienten keine aktuelle Therapieempfehlung für ihre Kopfschmerzen. 40 der 83 Patienten hatten zum Zeitpunkt einen Rückfall mit wieder täglicher,. bzw. mindestens Schmerzmitteleinnahme an 14 Tagen im Monat. Diese Patienten zeigten auch eine signifikant höhere Kopfschmerzfrequenz als die Patienten ohne Rückfall (27.5 Tage zu 3.7 Tage). Tendenziell war die Diagnose eines erneuten Schmerzmittel-induzierten Kopfkopfschmerzes leicht häufiger zu erwarten, wenn als Schmerzmittel eine Kombination aus Koffein und Analgetikum oder Ergotamin genommen wurde, als wenn eine Monosubstanz bevorzugt wurde. Ein weiterer negativer prognostischer Faktor war die gleichzeitige Einnahme von Barbituraten oder Benzodiazepinen. Keinen Einfluss hatte die primäre Diagnose, das Alter oder die primäre Medikation.

Kommentar: Diese retrospektive Studie behandelt ein zunehmend wichtigeres klinisches Problem des Schmerzmittel-induzierten Kopfschmerzes. Sie krankt aber wie die meisten Studien, die auf Daten eines einzelnen Zentrums zurückgreifen an einer zu kleinen Fallzahl, um einige wichtige Frage abschliessend zu klären. In Übereinstimmung mit den meisten anderen Studien findet sie, das bis zu 50% der Patienten im Langzeitverlauf rückfällig werden und dass Frauen relativ und absolut häufiger betroffen sind. Statistisch konnte sie nicht klären, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Substanzgruppen bzw. Mischpräparaten versus Monosubstanzen in dem Risiko gibt, einen Schmerzmittel-induzierten Kopfschmerz auszulösen. Die von den Autoren aufgezeigte Tendenz, dass Präparate, die Koffein beinhalten, ein höheres Risiko darstellen, wurde in einer kürzlich publizierten Übersicht nicht gefunden. Interessant ist, dass kürzlich die ersten Berichte über Schmerzmittel-induzierte Kopfschmerzen bei Jugendlichen publiziert wurden.(AS)

***** Fored CM, Ejerblad E, Lindblad P et al. Acetaminophen, Aspirin, and chronic renal failure. N Engl J Med 2001;345:1801-1808

Zusammenfassung: Die regelmässige Einnahme von Analgetika kann auch bei Monosubstanzen in seltenen Fällen zu einem medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz führen. In dieser Patientengruppe waren in der Vergangenheit vermehrt Störungen der Nierenfunktion beobachtet worden. Die schwedischen Autoren untersuchten hier Patienten mit einer beginnenden Niereninsuffizienz und erhoben eine sorgfältige Medikamentenanamnese, die die Einnahme von Acetylsalicylsäure und Paracetamol umfasste. Den 926 Patienten mit Niereninsuffizienz wurden 998 gematchte Kontrollpersonen gegenübergestellt. 37% der Patienten mit Niereninsuffizien nahmen regelmässig Acetylsalicylsäure ein und 25% Paracetamol. Die entsprechenden Vergleichszahlen in der Kontrollgruppe lagen bei 19 und 12%. Die relative Risikoerhöhung für die Entwicklung einer beginnenden Niereninsuffizienz bei Einnahme der Analgetika betrug 2,5. Das Risiko stieg mit der kumulativen Dosis an, die im Laufe des Lebens eingenommen worden war. Die Autoren erfassten allerdings nicht, ob sich in ihrer Population Patienten mit chronischen Kopfschmerzen befanden.

Kommentar: Die hier publizierte Studie zeigt, dass auch bei der regelmässigen Einnahme von Monosubstanzen, wie Acetylsalicylsäure in analgetischer Dosis oder Paracetamol, ein leicht erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz besteht. In den meisten Fällen hat aber wahrscheinlich die Einnahme der Analgetika eine vorbestehende oder drohende Nierenerkrankung verstärkt. (HCD)


DMKG