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Andere Kopfschmerzen

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11. Andere Kopfschmerzen

*** van Suijlekom JA, de Vet HCW, van den Berg SGM, Weber WEJ. Interobserver reliability of diagnostic criteria for cervicogenic headache. Cephalalgia 1999;19:817-823.

Zusammenfassung: Die Autoren untersuchten in der vorgelegten Arbeit, inwieweit die durch Sjaastad formulierten Kriterien für den zervikogenen Kopfschmerz eine reliable Diagnose zulassen. Dabei wandten die Autoren in Abweichung von ähnlichen Studien nicht die Begutachtung von Video-Aufnahmen an, sondern ließen insgesamt 24 Patienten durch 6 Ärzte, einerseits in Form eines strukturierten Interviews und andererseits einer freien klinischen Untersuchung, untersuchen. Dabei wurden die Patienten von 2 Neurologen, die in der Diagnostik von Kopfschmerzerkrankungen erfahren waren, 2 Neurologen ohne spezifische Kenntnisse in Kopfschmerzerkrankungen und 2 Anästhesisten, einer davon ebenfalls Spezalist in der Diagnose und Therapie von Kopfschmerzerkrankungen, gesehen. Die 24 untersuchten Patienten waren den Diagnose-Kategorien zervikogenem Kopfschmerz, Migräne und Spannungskopfschmerz zugeordnet. Die Übereinstimmung in der diagnostischen Einteilung wurde durch die Kappa-Statistik ausgedrückt. Es fand sich eine hohe Übereinstimmung von 0,83 zwischen den erfahrenen Neurologen und von 0,74 zwischen den in Kopfschmerzdiagnosen erfahrenen Neurologen und Anästhesisten. Dagegen zeigte sich für Neurologen bzw. Anästhesisten ohne spezifische Erfahrung in Kopfschmerzerkrankungen nur eine mäßige Übereinstimmung zwischen 0,43 und 0,49. Darüber hinaus zeigte sich, daß die größten Schwierigkeiten zu einer Übereinstimmung in der Diagnose zu gelangen, für den Spannungskopfschmerz vorlag, deutlich bessere Übereinstimmung wurde für die Diagnose Migräne und zervikogenen Kopfschmerz erhalten. Fragen mit der höchsten Untersucher-Übereinstimmung waren Schmerzbeginn im Nacken und Ausstrahlung nach fronto-temporal, Schmerzausstrahlung in die ipsilaterale Schulter und Arm sowie Übelkeit, Erbrechen, Photophobie, Phonophobie und Benommenheit. Während der körperlichen Untersuchung, die von jedem der Untersucher durchgeführt wurde, zeigte sich eine mäßig bis gute Übereinstimmung für die Sym ptome Schmerzprovokation bei Kopf-Flexion, -Retroflexion und -Rotation.

Kommentar: Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß der zervikogene Kopfschmerz auf dem Boden der Sjaastad-Kriterien mit einer mit der Migräne, bzw. Spannungskopfschmerz nach den IHS-Kriterien vergleichbaren Reliabilität diagnostiziert werden kann. Ein ungelöstes Problem dieser Studie ist, inwieweit bei den in der Studie untersuchten Patienten wirklich ein zervikogener Kopfschmerz vorgelegen hat. Über die Wirksamkeit von diagnostischen und therapeutischen tiefen Blockaden, zum Beispiel des Bewegungssegmentes C2 wird keine Aussage gemacht, es wird darauf verwiesen, daß diese durch das gewählte Studien-Design nicht möglich waren. Darüber hinaus wird keine Aussage über weitere Ergebnisse aus diagnostischen Maßnahmen, wie zum Beispiel Bildgebung der Halswirbelsäule gemacht. Es ist zu betonen, daß der zervikogene Kopfschmerz ein Syndrom darstellt, dessen Ursachen vielfältig sein können. Wir selber fanden neben Hinweisen für erosive Osteochondrose in diesem Bereich auch zum Beispiel einen zervikogenen Kopfschmerz bei Patienten mit Hinweisen für Demyelinisierungsherden des Zervikalmarkes. Die Studie bringt damit für den klinisch tätigen Arzt keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Sie ist trotzdem wichtig, da sie methodisch ordentlich überprüft, inwieweit vorgeschlagene Diagnosekriterien überhaupt in der Lage sind, eine Diagnose mit ausreichender Sicherheit und Vergleichbarkeit zu stellen. (AS)

**** Baron R, Baron Y, Disbrow E, Roberts TPL. Brain processing of capsaicin-induced secondary hyperalgesia. Neurology 1999;53:548-557.

Zusammenfassung: Mittels funktioneller Kernspintomographie (f-MRI) wurden 9 gesunde Probanden während einer experimentell ausgelösten Hyperalgesie des dominanten Armes untersucht. Die subcutane Injektion von Capsaicin (die algetische Substanz des Chilipfeffers) führt zu einem Sofortschmerz, der nach Minuten abklingt und einer umschriebenen Hyperalgesie Platz macht, von der angenommen wird, daß sie u.a. durch ein zentrales “wind-up” zu Stande kommt. Die Autoren gingen der Frage nach, ob diese Hyperalgesie ein spezifisches zerebrales Aktivierungsmuster hervorruft (oder ob dieses die Hyperalgesie erklären könnte) und verglichen taktile Reize (Frey-Filament) vor und nach der Injektion mit Capsaicin. Vor der Injektion wurde dieser rein mechanisch-taktile Reiz als solcher wahrgenommen, nach der Injektion führte derselbe Reiz an derselben Stelle zur Wahrnehmung von Schmerz. Wie aber verhält sich die zentrale Verarbeitung desselben Stimulus in den beiden Bedingungen? Baron et. al. beschreiben, daß sich die Aktivierung im sensomotorischen Kortex (SI contralateral, SII bilateral) nicht ändert. In der hyperalgetischen Phase ist der kontralaterale prefrontale Kortex signifikant aktiviert. Diese Aktivierung (Broadman Areale 6,8,9 und 44,45) wird interpretiert als Aufmerksamkeit, kognitive Verarbeitung und Planung motorischer Reaktionen auf den Schmerz. Eine Aktivierung des anterioren Corpus cinguli, einer Region, die die emotionale Einfärbung und Verarbeitung von Schmerzen steuert und in fast allen funktionellen Bildgebungsstudien der viszeralen und somatischen Schmerzverarbeitung beschrieben ist, fand sich in dieser Studie nicht.

Kommentar: Die zerebrale Verarbeitung eines taktilen Reizes während der Hyperalgesie wurde bereits mit Hilfe der Positronen-Emissions Tomographie (PET) im identischen Versuchsaufbau untersucht. Die Ergebnisse konnten per f-MRI bestätigt werden. F-MRI hat den grundsätzlichen Vorteil einer besseren räumlichen und zeitlichen Auflösung, in der vorliegenden field of view konnten jedoch keine Aktivierungen unterhalb +15mm mit Bezug auf die ACPC-Linie gefunden werden. Der Grund liegt in einer Scanner-bedingten Beschränkung des untersuchten Areals auf den Armebereich des prä-und postzentralen Gyrus. Somit fehlen Aussagen zu Hirnstamm und Zerebellum. Aussagen zu einem Teil der Basalganglien, Thalamus und Inselrinden wären vermutlich möglich gewesen, das benutzte Softwarepaket zur statistischen Aussage über mögliche Veränderungen zwischen den Bedingungen verlangt jedoch eine a-priori Definition der zu untersuchenden Areale, die per Hand eingezeichnet werden (regions of interest). Interessant wäre eine Analyse des gesamten zerebralen Netzwerkes, daß an der Verarbeitung von experimenteller Hyperalgesie beteiligt ist. Das eigentlich interessante dieser Arbeit ist das Fehlen einer Aktivierung im anterioren Cingulum. Die Autoren diskutieren sehr eingehend dieses Phänomen, daß in der Literatur vorbeschrieben und nicht geklärt ist. Am reizvollsten ist die Erklärung, daß nach der Injektion die ängstliche Erwartung vor der Injektion (an der das Cingulum maßgeblich beteiligt wäre) nachläßt, und die eigentliche Hyperalgesie im Vergleich keine wesentliche Aktivierung mehr hervorruft. Dies aber ist nicht bewiesen: Ein Versuchsaufbau hierzu müßte innerhalb einer Session vor, während und nach der Injektion messen und zeigen, daß die Aktivierung über die Zeit (und die Bedingungen) abnimmt. (MAY)

*** Joelson E , Ruthrauff B , Ali F , Lindeman N, Sharp FR. Multifocal dural enhancement associated with temporal arteritis. Arch Neurol 2000;57:119-122.

Zusammenfassung: Nicht seltene Komplikationen der Arteriitis temporalis sind eine Beteiligung des Ophthalmica-Strom-gebietes mit möglicher retinaler Ischämie oder der Äste des A. carotis externa Kreislaufes. Der Fallbericht beschreibt eine MR-tomographisch nachgewiesene und bioptisch gesicherte durale Beteiligung. Der 69 jährige Patient mit schweren Dauerkopfschmerzen seit Wochen und Doppelbildern bei M. rectus externus Schwäche rechts hatte neun Kilogramm Gewicht verloren. Zudem bestand eine bilaterale Taubheit der Zunge. Die BSG lag bei 65 mm/1 Stunde, der Liquor ergab sechs Zellen/µl und ein Eiweiß von 780 mg/l. Im kranialen, KM-angehobenen MRT fand sich eine verdickte Dura mit multifokalem Enhancement, welches sich auch im M. temporalis beidseits sowie im M. rectus externus rechts zeigte. Die Erregerdiagnostik und Autoimmun-Antikörper waren negativ. Die Biopsie der A. temporalis ergab entzündliche perivaskuläre Infiltrate mit fibrinoider Nekrose der Gefäßwand ohne Nachweis von Riesenzellen. In der Dura fanden sich herdförmig ähnliche perivaskuläre entzündliche Infiltrate. Unter 70 mg Prednison/die kam es zu einem prompten Rückgang der Kopfschmerzen nach einem Tag. Drei Monate später hatten sich die Rectus-Schwäche zurückgebildet und die BSG normalisiert. In der MRT-Kontrolle fand sich kein durales KM-Enhancement mehr.

Kommentar: Bei der Arteriitis temporalis kann es durch eine durale Beteiligung zu schwersten Kopfschmerzen, verbunden mit allgemeinem Krankheitsgefühl und Gewichtsverlust kommen. Diese neben der retinalen Ischämie seltenere Komplikation ist durch eine Beteiligung von Externaästen wie der A. meningea media bedingt. Auch wurden Skalpnekrosen, ein Befall äußerer Augenmuskeln und Zungenischämien beobachtet. Pathophysiologisch sind Infiltrate in der Elastica der Externagefäße und eine resultierende Permeabilitätsstörung entscheidend. In etwa 50 % können sog. Riesenzellen fehlen. Der erstmalig publizierte Bericht einer Durabeteiligung erwähnt das prompte Anprechen auf eine Kortikosteroidtherapie wie auch die wesentlichen Differentialdiagnosen des duralen KM-Enhancement: Entzündliche Erkrankungen (Aspergillose, Tb, Lues), die neoplastische Genese, die Sarkoidose, M. Wegener und das chronische Liquorunterdrucksydrom. Ein von uns selbst beobachteter Fall einer Arteriitis temporalis mit duraler Beteiligung und Kopfschmerzrezidiven bei jeweiliger Reduktion der Kortikosteroiddosis wurde erfolgreich mit niedrig dosiertem Cyclophosphamid (2x 50 mg EndoxanÆ/die) behandelt. (MAG )

**** Obelieniene D, Schrader H, Bovim G, Miseviciene I, Sand T. Pain after whiplash: a prospective controlled inception cohort study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1999;66:270-283.

Zusammenfassung: In der Studie wird das Auftreten posttraumatischer Nacken- und Kopfschmerzen nach einer Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule untersucht. Anhand eines Polizeiregisters wurden 210 Verunfallte nach Heckauffahrunfällen selektioniert und bezüglich posttraumatischer Schmerzen mit einer nach Geschlecht, Alter, Ausbildung und demographischen Faktoren parallelisierten Kontrollgruppe verglichen. Angaben über Häufigkeit, Intensität, Frequenz und Dauer von posttraumatischem Nackenschmerz und Kopfschmerz wurden mittels versandter Fragebögen in der Akutphase nach dem Auffahrunfall, nach 2 Monaten sowie nach einem Jahr erhoben. Nahezu die Hälfte der Verunfallten (47%) gaben posttraumatische Nacken- und/oder Kopfschmerzen an (10% Nackenschmerz, 18% Nackenschmerz und Kopfschmerz, 19% Kopfschmerz). Die Nackenschmerzdauer variierte von <3 Stunden bis 17 Tage (im Mittel 3 Tage). Die posttraumatische Kopfschmerzdauer variierte von Stunden bis 20 Tage (im Mittel 4,5 Stunden). Die Häufigkeit posttraumatischer Nackenschmerzen war bei Verunfallten, die schon vor dem Unfallereignis Nackenschmerz angaben, doppelt so hoch (48%) im Vergleich zu Verunfallten, die vor dem Unfall keinen Nackenschmerz oder nur sehr seltenes Auftreten von Nackenschmerzen angaben (25%). Faktoren für eine höhere Inzidenz posttraumatischer Kopfschmerzen waren Vorerfahrung von Kopfschmerzen (Auftreten (1 Tag pro Monat; 64%) und weibliches Geschlecht (58%). Die Nackenschmerzhäufigkeit hing von der geschätzten Auffahrgeschwindigkeit ab und von dem Ausmaß der PKW-Beschädigung. Nach einem Jahr hat sich die posttraumatische Nacken- und Kopfschmerzhäufigkeit sowie HWS-Beweglichkeit der spontanen Inzidenz einer unfallfreien "Normalbevölkerung" angeglichen (Nackenschmerz 4% versus 6,2%, HWS-Beweglichkeit 12% versus 18%, Kopfschmerzhäufigkeit 5,1% versus 6,2%). Die Autoren folgern hieraus eine fehlende Chronifizierung posttraumatischer Nacken- oder Kopfschmerzen. Ein Vergleich der Nacken- oder Kopfschmerzhäufigkeiten vor und nach dem Unfall innerhalb der "chronischen" Gruppe zur Validierung dieser Schlußfolgerung wird jedoch vermißt. Die Arbeit zeigt auf, daß Geschlecht, Sitzposition, Kopfhaltung zum Aufprallzeitpunkt, der Gebrauch von Sitzgurten und das Vorhandensein oder die Adjustierung von Kopfstützen keinen Einfluß auf die Inzidenz posttraumatischer Nackenschmerzen hatten. Die Untersuchung bestätigt das Auftreten postraumatischer Nacken- und Kopfschmerzen auch in einer Bevölkerung (Litauen), in der bei fehlendem Versicherungsschutz bezüglich postraumatischer Beschwerden keine Entschädigungsansprüche gestellt werden können. Die Inzidenzen liegen zumindest für Patienten mit Schmerzvorerfahrung bei 46% (posttraumatischer Nackenschmerz) und 64% (post-traumatischer akuter Kopfschmerz) in dem Bereich bekannter Literaturberichte. Etwas niedrigere Inzidenzen ergeben sich im Literaturvergleich aufgrund möglicher psychosozialer und soziokultureller Unterschiede der untersuchten Populationen sowie großteils aufgrund unterschiedlicher Register (Polizeiregister versus Versicherungsregister oder Krankenregister), aus denen die Patienten rekrutiert werden. Dies gilt insbesondere, da ein Polizei- bzw. Verkehrsregister auch Verunfallte ohne Beschleunigungsverletzung einbezieht oder aber schwerere Unfälle mit höherer Kopfschmerz- oder Nackenschmerzinzidenz nicht polizeilich gemeldet werden, da diese sich evtl. unter Alkoholeinfluß ereigneten. Ein Selektions-“Bias” des untersuchten Kollektivs wird durch Literaturberichte wahrscheinlich, nach denen nur circa 50% der PKW-Unfälle polizeilich gemeldet werden und nur bei 80% der gemeldeten Verunfallten eine unfallbedingte HWS-Verletzung (inkl. sog. Schleudertrauma) auftritt. Die norwegische Arbeitsgruppe relativiert mit dieser Arbeit früher von ihr publizierte Studienergebnisse, anhand derer das Auftreten posttraumatischer Nacken/ Kopfschmerzen nach HWS-Beschleunigungsverletzung in Frage gestellt wurde. Kommentar: Zusammenfassend gilt es festzustellen, daß die Inzidenzangaben dieser Studie auf der Untersuchung gemeldeter Verunfallter und nicht auf der Untersuchung erkrankter Beschleunigungsverletzter beruhen und somit von den Literaturangaben, die sich auf Krankenregister beziehen, abweichen. (MK)
*** Evers S, Wibbeke B, Reichelt D, Suhr B, Brilla R, Husstedt I-W. The impact of HIV infection on primary headache. Unexpected findings from retrospective, cross-sectional, and prospective analyses. Pain 2000; 85:191-200

Zusammenfassung: Kopfschmerz ist eines der häufigsten Symptome bei Patienten mit HIV-Infektion. Die Ursachen sind dabei sehr variabel und reichen von primären Kopfschmerzformen wie Migräne oder Spannungskopfschmerz über Medikamenten-induzierte Kopfschmerzen im Rahmen der antiretroviralen Kombinationstherapie bis hin zu symptomatischen Kopfschmerzen bei opportunistischen Infektionen oder tumorösen Raumforderungen des ZNS. In der vorliegenden Studie wurde der Einfluß der HIV-Infektion auf die Frequenz und Semiologie primärer Kopfschmerzformen untersucht. Dafür wurden konsekutiv insgesamt 131 Patienten mit HIV-Infektion eingeschlossen und die Kopfschmerzform zum Einschlußzeitpunkt, die Kennzeichen des Kopfschmerzes vor der Erstdiagnose der HIV-Infektion und in einem longitudinalen prospektiven Ansatz die Veränderungen der Kopfschmerzen in einem Follow-up Zeitraum von 2 Jahren untersucht. Patienten mit Hinweis auf eine HIV-assoziierte Erkrankung des ZNS wurden ausgeschlossen, wobei eine milde HIV-Enzephalopathie nicht als Ausschlußkriterium galt. Die Prävalenzraten betrugen für Patienten mit vorbestehender Migräne betrug 16% (n=21), mit einem Spannungskopfschmerz 45,8% (n=34) und mit anderen primären Kopfschmerzformen 6,1% (n=8). Interessanterweise kam es nach der HIV-Infektion bei den Patienten mit einer Migräne zu einer Verringerung der Frequenz der Migräneattacken (vorher: 1,7/Monat, nachher: 1,0/Monat, p<0,001), während bei den Patienten mit einem Spannungskopfschmerz eine Zunahme der Tage mit Kopfschmerz pro Monat beobachtet wurde (vorher: 3,9/Monat, nachher: 6,1/Monat, p<0,004). Zudem konnten die Autoren einen Trend zu einer ausgeprägteren Verringerung der Migräneattacken bei Patienten, die eine antiretrovirale Therapie (v.a. unter Einschluß von Zidovudin) erhielten, beobachten. Die Dauer der HIV-Infektion korrelierte mit einer Abnahme der Attackenfrequenz. Die Autoren erklären die Verringerung der Migräneattacken mit zunehmender Krankheitsdauer durch eine Affektion von zentralen oder zerebrovaskulären Strukturen durch den Virus. Dabei könnte nach Ansicht der Autoren die bereits früh in der HIV-Infektion auftretende Entzündung zerebraler Gefäße zu einer Reduktion der Aktivität des trigemino-vaskulären Systems führen. Kommentar: Insgesamt liefert die Studie durch das teilweise prospektive Design wertvolle Hinweise auf den Einfluß der HIV-Infektion auf primäre Kopfschmerzformen. Die Abnahme der Migräneattacken nach Erstdiagnose einer HIV-Infektion wurde bereits durch die gleiche Arbeitsgruppe in einer früheren Studie berichtet, steht aber konträr zu einer anderen, kürzlich publizierten Studie (Mirsattari et al., 1999), so daß dieses Ergebnis bei immer noch relativ geringen Fallzahlen noch nicht als gesichert gelten kann. Die Verschlechterung eines vorbestehenden Spannungskopfschmerzes bestätigt frühere Studien, wobei die Studie nicht klären kann, welchen Einfluß die Entwicklung depressiver Störungen oder die Einnahme bestimmter antiretroviraler Medikamente auf den Spannungskopfschmerz hat. Nicht geklärt bleibt die Frage, ob es ein eigenständigen HIV-assoziierten Kopfschmerz, wie in früheren Studien vermutet, existiert. (MM)
*** Wang SJ, Fuh JL, Lu SR, Liu CY, Hsu LC, Wang PN, Liu HC. Chronic daily headache in Chinese elderly. Prevalence, risk factors, and biannual follow-up. Neurology 2000; 54: 314-319

Zusammenfassung: Das tägliche oder fast tägliche Auftreten von Kopfschmerzen (im englischsprachigen Bereich chronic daily headache (=CDH)) ist in den letzten Jahren zunehmend differenzierter betrachtet worden. Gerade epidemiologische Studien in verschiedenen Regionen haben gezeigt, daß man nicht von einer Entität dieses Phänomens ausgehen kann. In dieser Populationsstudie ist die Häufigkeit des CDH bei Chinesen (Nationalchina) im Alter von über 65 Jahren ermittelt worden. Als CDH wurde definiert ein Auftreten von Kopfschmerzen an mehr als 15 Tagen in mehr als 6 Monaten im vergangenen Jahr. CDH wurde weiter eingeteilt in drei Untergruppen: chronischer Spannungskopfschmerz, transformierte Migräne (d.h. gleichzeitiges Auftreten von wenigstens einer Migräneattacke pro Monat, die die Kriterien der IHS für Migräne erfüllen mußte bis auf die Dauer) und andere CDH-Formen. Die Studienpopulation wurde aus einer großen chinesischen Feldstudie für neurologische Erkrankungen rekrutiert (der sog. Kinmen-Studie). Insgesamt wurden Daten von 1.533 Personen ermittelt (insgesamt 77% Beteiligung der Grundpopulation).Von diesen litten 60 (3,9%) an CDH mit einem signifikanten Geschlechtsunterschied von 5,6% bei Frauen und 1,8% bei Männern. Interessanterweise ergaben sich keine Altersunterschiede in den verschiedenen Dekaden ab 65. Häufigste Untergruppe des CDH war der chronische Spannungskopfschmerz mit einer Prävalenz von 2,7%, transformierte Migräne hatte ein Prävalenz von 1,0%, andere Formen 0,2%. 25% aller Patienten mit CDH zeigten einen Medikamentenmißbrauch, alle mit nicht verschreibungspflichtigen Präparaten, die in Nationalchina weit verbreitet sind. In der Risikoanalyse fanden sich der Medikamentenmißbrauch, eine Migräne-anamnese und ein signifikanter Altersdepressionsscore als signifikante Risikofaktoren für das Auftreten eines CDH. Die 60 Patienten mit CDH wurden 2 und 4 Jahre nach dem Beginn der Studie nachuntersucht. Hier zeigte sich, daß ca. ein Drittel der Patienten den CDH verloren hatten. Die Verteilung auf die einzelnen Untergruppen hatte sich nicht verändert. Als einziger signifikanter Risikofaktor für das Persistieren des CDH zeigte sich der Medikamentenmißbrauch.

Kommentar: Diese Studie bestätigt wie bereits amerikanische, spanische und britische Studien die Heterogenität des CDH. Bemerkenswerterweise liegt die Prävalenz (als 1-Jahres-Prävalenz angegeben) in ungefähr der Größenordnung wie sie aus anderen Studien beschrieben worden ist (4% bis 5%), obwohl es sich hier um eine altersselektierte Population handelt. Da hier eine andere ethnische Gruppe untersucht worden ist, wird die Bedeutung genetischer Faktoren, die zu einer Veranlagung für CDH prädisponieren, noch einmal unterstrichen. Im Unterschied zu anderen Studien finden die Autoren hier nur in einer Minderheit der Betroffenen eine transformierte Migräne und nur bei einem Viertel einen Medikamentenmißbrauch. Daß die Migräneprävalenz niedriger ist, kann durch das höhere Lebensalter begründet werden. Die niedrige Rate des Medikamentenmißbrauchs kann allerdings nicht ohne weiteres erklärt werden, zumal die Autoren selber anmerken, daß der Zugang zu Analgetika und Mischpräparaten in Nationalchina ohne ärztliche Verschreibung einfach möglich und verbreitet ist. Leider wird keine Definition des Medikamentenmißbrauchs gegeben, so daß hier eine weitere Beurteilung nicht möglich ist. Problematisch ist auch, daß die Stichprobe zu klein ist, um eine Subgruppenanalyse durchführen zu können. So sind die Aussagen über die Risikofaktoren im Follow-up mit einer sehr großen statistischen Unsicherheit behaftet. Wertvoll an dieser Studie ist nicht zuletzt auch, daß sie die Bedeutung des CDH auch in einer Altersgruppe unterstreicht, die in der Kopfschmerzforschung bisher stark vernachlässigt worden ist. (SE)

* Broggi G, Ferroli P, Franzini P, Servello D, Dones I. Microvascular decompression for trigeminal neuralgia: comments on a series of 250 cases, including 10 patients with multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2000;68:59-64

Zusammenfassung: Die vorliegende Arbeit stellt die Ergebnisse von 250 Patienten mit Trigeminusneuralgie zusammen, die zwischen 1990 und 1998 in Mailand operiert wurden. Fokussiert wurden die Ergebnisse auf den Zeitraum zwischen 1991 bis 1996 bei 148 konsekutiven Patienten. Vaskuläre Kompressionen wurden überall gefunden, selbst bei 10 Patienten mit multipler Sklerose. Bei diesen 10 Patienten fanden sich arterielle Gefäßkontakte bei 5, venöse bei 3 und arteriovenöse bei 2 Patienten. Die Rezidivrate wurde mit 15,3% während einer Nachuntersuchungszeit von 1-7 Jahren, im Mittel 38 Monaten angegeben. Bei 5 von 10 Patienten mit Multipler Sklerose wurde ein exzellentes Ergebnis über 24 Monate durchschnittlicher Nachbeobachtungszeit beschrieben. Patienten, die eine langjährige Anamnese mit mehr als 84 Monaten aufwiesen, hatten einen ungünstigeren weiteren Verlauf als Patienten mit kürzerer Krankheitsdauer. Todesfälle kamen nicht vor.

Kommentar: Bei dieser retrospektiven Arbeit handelt es sich um eine übliche Zusammenstellung aus neurochirurgischer Sicht, die keine neuen Daten gegenüber der Literatur aufweist. Besonders kritisch muß gesehen werden, daß in allen Fällen mikrovaskuläre Kompressionen gefunden wurden. Gefäße und Nerven laufen in sehr enger Beziehung zueinander im Hirnstammbereich. Für einen Neurochirurgen ist es schwierig, pathologisch relevante Kontakte zu differenzieren. Diese hundertprozentige Konkordanz zeugt nicht von einem kritischen Zugang zu diesem Problem. Von gewissem Interesse könnten die Ergebnisse bei den Patienten mit multipler Sklerose sein, wobei hier allerdings das pathophysiologische Verständnis fehlt. Unklar bleibt z. B. das Alter der MS-Patienten. Hier wäre es von besonderer Bedeutung zu wissen, ob es sich um Koinzidenz als typische Alterserkrankung handeln könnte. In der Praxis mag ein Effekt bei MS-Patienten vorkommen, dem Autor dieses Kommentars ist auch eine Patientin mit SUNCT-Syndrom, die vor Erstbeschreibung drei Mal mikrovaskulär dekomprimiert wurde, bekannt, die über mehrere Monate, nach der dritten Operation dann noch über 10 Tage beschwerdefrei war. Trotzdem ist bei MS-Patienten zunächst keine Indikation für eine mikrovaskuäre Dekompression gegeben. Im Einzelfall könnte sie dann besonders streng gestellt werden, falls nach Ausschöpfen aller sonstigen Möglichkeiten in der Bildgebung eindeutige Hinweise auf mikrovaskuläre Kompression zu finden sind. (WP)


DMKG