09. Cluster-Kopfschmerz
*** Silberstein SD, Niknam R, Rozen TD, Young WB. Cluster headache with aura. Neurology 2000;54:219-221
Zusammenfassung: Bei der Migräne sind nach IHS-Kriterien neurologische Ausfälle bekannt und als Migräne mit Aura definiert. Zum Cluster Kopfschmerz gehören zwingend autonome Störungen. Eigentliche neurologische Herdbefunde gehen jedoch in die Diagnose nicht ein und werden sogar als strenges Indiz gesehen, eine symptomatische Kopfschmerzform anzunehmen. Die Autoren untersuchten retrospektiv, wieviele ihrer 101 Patienten mit der Diagnose Cluster Kopfschmerz zusätzlich an einer Aura leiden und beschreiben 6 Patienten (2 direkt miteinander verwandt), die vor oder während der Kopfschmerzen neurologische Ausfälle oder Halluzinationen erleiden. Zu diesen gehören olfaktorische Halluzinationen bei einem Patienten, visuelle Halluzinationen und ein Skotom bei einem zweiten. Die Tochter des zweiten Patienten erlebte Achromatopsie (Verlust des Farbensehens) 5 Minuten vor dem Kopfschmerz bis zum Ende der Attacke. Die übrigen 3 Patienten beschrieben stroboskopartige Blitzlichter vor oder während der Attacke. Bei allen Patienten war die Diagnose eines Cluster Kopfschmerzes nach IHS-Kriterien gesichert. Alle Patienten hatten ein normales zerebrales Kernspintomogramm und nur bei einer Patientin war zusätzlich eine Migräne (ohne Aura) bekannt. Die Autoren schließen daraus, daß eine Aura im Cluster Kopfschmerz vorkommen kann und dieses Kriterium bisher nicht genügend Beachtung findet.
Kommentar: In der Literatur finden sich nur sporadische Beschreibungen von Cluster Kopfschmerz und Aura. In der vorliegenden retrospektiven Arbeit wird der Begriff der Aura weit gefaßt: Niemand wird die Diagnose einer Migräneaura bezweifeln, wenn ein Skotom parazentral im Gesichtsfeld beginnt und in einem bestimmten zeitlichen Rahmen nach temporal über das Gesichtsfeld wandert. Das Gleiche gilt für Fortifikationen und sogar eine sensible oder motorische Hemisymtomatik. Bei einer so bunten neurologischen Symptomatik stellt sich die Frage, welches Kriterium entscheidend ist. Es ist nicht zwingend die zeitliche Nähe zum Kopfschmerz (siehe Migräneaura ohne Kopfschmerz). Diskutiert wird das räumliche und zeitliche Wandern der neurologischen Symptome, um eine Aura im strengen Sinne definieren zu können. Geleitet wird diese Argumentation sicher von der Modellvorstellung der spreading depression. In der vorliegenden Kasuistik werden auch Halluzinationen in den Aura-Begriff integriert. Somit würden die Kriterien der zeitlichen Begrenztheit, zeitlicher Bindung zum Kopfschmerz und restitutio ad integrum entscheidende Bedeutung gewinnen. Diese Form der Begriffsbestimmung kommt der Schwindelsymptomatik bei der Basilarismigräne entgegen. Trotzdem sollte der Begriff der Aura im engeren Sinne keine Inflation erfahren. Wichtigste Aussage der Arbeit ist somit, daß eine neurologische Symptomatik auch beim Cluster Kopfschmerz vorkommen kann. Der Ausschluß einer symptomatischen Ursache ist dann aber im besonderen Maße zwingend, bevor der Begriff Aura verwendet werden darf. Vielleicht würde der Begriff des atypischen Cluster-Kopfschmerzes genauer sein, vor allem da einige der beschriebenen Patienten die neurologischen Ausfälle für die gesamte Dauer der Kopfschmerzattacke erleben. Über die pathophysiologischen Zusammenhänge wird in der Arbeit mit gutem Grund nicht spekuliert. (MAY)