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Migräne, Epidemiologie

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01. Migräne, Epidemiologie

*** Launer LJ, Terwindt GM, Ferrari MD. The prevalence and characteristics of migraine in a population-based cohort. The GEM-Study. Neurology 1999;53:537-542.

Zusammenfassung: Es gibt eine Vielzahl epidemiologischer Studien zur Migräne, wobei viele der Studien allerdings methodische Probleme aufweisen. Für die weitere Abklärung der Genetik der Migräne ist es allerdings unabdingbar, genaue epidemiologische Daten zu kennen. Für die Studie wurden aus Bevölkerungsregistern Personen im Osten und Süden der Niederlande zufallsverteilt angeschrieben und gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Insgesamt 6.491 Individuen nahmen an der Studie teil. Das Alter lag zwischen 20 und 65 Jahren. Alle Teilnehmer wurden gebeten, einen Kurzfragebogen zu Kopfschmerzen auszufüllen. Diejenigen, die die Frage nach Kopfschmerzen bejahten, erhielten eine detaillierten Fragebogen, den sie ausfüllen mußten. 83% der Personen, die Kopfschmerzen angaben und 197 von denen, die keine Kopfschmerzen angaben, wurden dann mit Hilfe eines strukturierten Telefoninterviews weiter befragt. Die diagnostischen Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft wurden angewandt. Die Lebenszeitprävalenz der Migräne für Frauen betrug 33% und für Männer 13,3%. Die höchste Prävalenz lag für Frauen in der Altersgruppe zwischen 35 und 39 Jahren und in der Altersgruppe zwischen 50 und 54 Jahren. Bei Männern lag die höchste Prävalenz in der Altersgruppe zwischen 50 und 54 Jahren. Die Einjahresprävalenz betrug 7,5% für Männer und 25% für Frauen. Von den 620 Personen, die eine Migräne hatten, hatten 63,9% eine Migräne ohne Aura, 17,9% eine Migräne mit Aura und 13% eine Migräne mit und ohne Aura. Die verbleibenden 5% konnten nicht klassifiziert werden. Im Mittel hatten die Patienten, die an einer Migräne litten, 12 Attacken/Jahr; 25% hatten fünf und mehr Attacken/Jahr und 25% hatten zwei und mehr Attacken/Monat. Die Häufigkeit der Migräne hatte keinen Bezug zum sozioökonomischen Status.

Kommentar: Die hier vorgelegte Studie ist methodisch einwandfrei durchgeführt. Überraschend war das Ergebnis, daß von den 197 im Detail befragten Personen, die laut Fragebogen keine Kopfschmerzen hatten, insgesamt 17 tatsächlich eine Migräne hatten. Dies belegt erneut, daß für Studien dieser Art Fragebögen allein nicht ausreichend sind. Nur die Kombination von strukturierten Fragebögen und strukturierten Interviews ist in der Lage, die tatsächliche Prävalenz anzugeben. Bemerkenswert hier ist auch, daß im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten kein Einfluß des sozioökonomischen Status auf die Migränehäufigkeit beobachtet wird. Dies mag wohl daran liegen, daß in Holland die Schwankungsbreiten im sozioökonomischen Status deutlich geringer sind als in den Vereinigten Staaten. Da viele Patienten sowohl eine Migräne mit als auch eine Migräne ohne Aura haben, stellt dies große Probleme für weitere genetische Studien dar, insbesondere wenn man impliziert, daß die Migräne mit Aura eine andere genetische Grundlage hat als die Migräne ohne Aura. (HCD)

**** Schumacher J, Brähler E. Prävalenz von Schmerzen in der deutschen Bevölkerung. Ergebnisse repräsentativer Erhebungen mit dem Gießener Beschwerdefragebogen. Schmerz 1999;13:375-384

Zusammenfassung: Schmerzen sind mit die häufigsten Beschwerden, die Menschen im Alltag plagen. Hier sind repräsentative Umfragen außerordentlich wichtig, da nicht alle Patienten, die unter Schmerzen oder anderen Beschwerden leiden, einen Arzt aufsuchen. Die Psychologen und Soziologen aus Leipzig führten 1994 an 2.840 repräsentativen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland eine Befragung durch und benutzten dazu den Gießener Beschwerdebogen. Die Daten wurden mit Ergebnissen von 1.597 Personen aus dem Jahr 1975 verglichen. Das Alter der Probanden war auf 18 bis 60 Jahre beschränkt. Nur die Erhebung von 1994 enthielt auch Probanden aus Ostdeutschland. Die höchste prozentuale Häufigkeit von Schmerzen, jeweils bezogen auf das zurückliegende Jahr, war Kopfschmerzen (67,3%) gefolgt von Rückenschmerzen (61,9%), Nackenschmerzen (57,2%), Müdigkeit (54%), Mattigkeit (51%) und Schlafbedürfnis. Magenschmerzen rangierten mit 6,3% erst an 12. Stelle. Diese Häufigkeiten waren anders als 1975, wo Müdigkeit, Rückenschmerzen und Kopfschmerzen im Vordergrund standen. Bezogen auf Kopfschmerzen war die Häufigkeit mit 60,3% in den alten Bundesländern höher als 45,2% in den neuen Bundesländern. Die Häufigkeit von Kopfschmerzen war in der Altersgruppe von 18-30 Jahren am niedrigsten und war jenseits des 31. Jahres konstant. Es ergaben statistisch gesehen kein Einfluß von Alter, Familienstand, Bildungsgrad oder Berufstätigkeit auf das Auftreten von Kopfschmerzen. Lediglich das weibliche Geschlecht war ein eindeutiger Prädiktor für vermehrte Kopfschmerzen.

Kommentar: Diese eindrucksvolle Befragung zeigt, wie häufig Kopfschmerzen sind und wie wichtig es ist, daß angehende und berufstätige Ärzte genügend Wissen über Diagnose, Management und Therapie von Kopfschmerzen haben. (HCD)

** Rozen TD, Swanson JW, Stang PE, McDonnell SK, Rocca WA. Increasing incidence of medically recognized migraine headache in a United States Population. Neurology 1999;53:1468-1473

Zusammenfassung: Die Arbeitsgruppe hat sich in den vergangenen Jahren bemüht, anhand der IHS-Kriterien retrospektiv die Datenbank der Mayo-Klinik in Rochester für Olmsted County hinsichtlich Migräne-Inzidenz auszuwerten. Verglichen wurden dabei Daten über Kopfschmerzpatienten, die wegen ihrer Kopfschmerzen ärztlichen Rat suchten, und zwar aus den Jahren 1979-1981 und als zweite Periode, die Jahre 1989-1990. Bewußt wurde dabei die Zeit vor der Einführung von Sumatriptan gewählt. Sowohl relativ wie absolut findet sich in den verglichenen Zeiträumen ein Anstieg der Migräne, und zwar am deutlichsten für Frauen im Alter von 10-30 Jahren. Bei Männern höheren Lebensalters findet sich kein Anstieg. Eine ausführliche Diskussion, die versucht, zwischen einem echten und einem vorgespiegelten Trend zu unterscheiden, kommt zu keinem konklusiven Ergebnis.

Kommentar: Die Arbeit kann den Eindruck nicht verhindern, daß hier Datenmaterial ausgewertet wurde, ohne daß das Ergebnis am Ende plausibel und verständlich wäre. Es ist extrem schwer, die statistische Grundlage der Daten zu bewerten, da – obwohl die Daten aus Olmsted County jährlich mehrfach publiziert und verwertet werden – die Einwohnerzahl des Kreises aber nicht angegeben wird. Die erste Frage, ob das Ergebnis echt ist, wird ausführlich diskutiert. Die Autoren führen selbst Argumente dafür auf, daß das Ergebnis keinen echten Trend widerspiegelt. Erstes Argument wäre, daß die Häufigkeit, mit der Patienten wegen Kopfschmerzen Ärzte aufsuchen, nicht stabil ist und mit Geschlecht und Alter der Patienten variiert. Ein zweiter Grund ist, daß die Daten retrospektiv anhand der IHS-Kriterien und anhand der dokumentierten Anamnese der Ärzte gestellt wurde. Eine bessere Dokumentation und Diagnose einer Migräne auch bei milderen Kopfschmerzformen kann dabei eine Rolle spielen. Die Einführung der IHS-Kriterien vor der zweiten Stichprobenanalyse 1989-90, der in interessierten Kreisen sicherlich zur besseren Diagnostik führte, wird gar nicht erwähnt. Die Erklärung für einen echten Trend, die in der Diskussion geliefert wird, ist eigentlich absurd. Da die Autoren hormonelle Faktoren ausschließen, werden in erster Linie psychosoziale Faktoren wie erhöhte Scheidungsrate, vermehrt alleinerziehende Mütter etc. für den Trend verantwortlich gemacht. Mit dieser Argumentation, die nicht abschließend bewertet wird, konterkariert die Autorengruppe den Titel, da die Tatsache, daß Patientinnen mit psychosozialen Stressoren möglicherweise eher zum Arzt gehen als solche, die weniger Streß ausgesetzt sind, nicht eine Zunahme der Inzidenz reflektiert. Letztlich sind die Daten inkonklusiv und haben keine Bedeutung für die tägliche Praxis. (GA)


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