VIII. Andere Kopfschmerzen
1.* Graf WD, Riback PS (1997) Pharmacological treatment of recurrent pediatric headache Pediatric Annals 9: 477-484.
Die vorliegende Übersichtsarbeit gibt einen Überblick über therapeutisches Vorgehen bei kindlichen Kopf-schmerzerkrankungen in den USA. Es werden jeweils Akuttherapie und prophylaktische Medikation zur Therapie von Migräne und Spannungskopfschmerz im Kindes-alter besprochen. Negativ anzumerken ist, daß die verschiedenen Medikamente nicht auf verschiedene Altersgruppen bezogen besprochen werden und die Diskussion häufig sowohl die Migräne des Kindesalters wie auch des Erwachsenenalters umfaßt. Anders als in Europa werden frei verkäufliche Medikamnete wie Acetylsalicylsäure oder Paracetamol als eher weniger wirksam in der Therapie kindlicher Kopfschmerz-erkrankungen eingestuft und als mögliche Therapieoption auch für den Spannungskopfschmerz genannt, wobei kritisch anzumerken ist, daß der Hinweis auf eine in erster Linie nicht medikamentöse Therapie des kindlichen Spannungkopfschmerzes fehlt. Im Unterschied zu den von der DMKG empfohlenen Therapie-prinzipen bei der kindlichen Migräne werden zur Attackenkupierung Ergotamin, Sumatriptan und Steroide diskutiert. Eine Kopfschmerztherapie mit Opioiden, die von den Autoren als therapeutische Möglichkeit genannt wird, ist nach Empfehlungen der DMKG nicht nur im Erwachsenenalter obsolet. Hinsicht-lich der prophylaktischen Therapie der Migräne werden vor allem Serotoninantagonisten, die ent-sprechend den neuen Richtlinien der Deutschen Migräne und Kopf-schmerzgesellschaft Mittel der 3. oder 4. Wahl sind, und Amitriptylin empfohlen. Der Einsatz von Amitriptylin im Kindesalter sollte zur Therapie von Kopfschmerzen ausgesprochen restriktiv gehandhabt werden. Zusammenfassende Kritikpunkte an dieser Arbeit sind der fehlende Bezug auf verschiedene Altersklassen bei den Therapieempfehlungen sowie die fehlenden Hinweise auf das Führen eines Kopfschmerzkalenders zur Therapieevaluierung. Die nicht pharamkologischen Möglichkeiten der Akuttherapie und Prophylaxe des kindlichen Kopfschmerzes, die zumindest parallel zur medikamentösen Therapie genutzt werden sollten, finden keine Erwähnung. (AG)
2. **** de Bruijn SFTM, Stam J, Kapelle LJ for the CVST Study Group (1996). Thunderclap headache as first symptom of cerebral venous sinus thrombosis. The Lancet 348: 1623-1625.
Bei dieser sehr guten retrospektiven Studie wird anhand von fundiertem Zahlenmaterial festgelegt, in welchen Fällen eine Verwechslungs-möglichkeit zwischen Subarach-noidalblutung und zerebraler Sinus-Venen-Thrombose anhand klinischer Symptome besteht. Aus einer großen Gruppe von 71 Patienten mit zerebraler Sinus-Venen-Thrombose fanden sich 10 Patienten, deren erstes klinisches Symptom ein perakuter Vernichtungskopfschmerz war. Die Hälfte der Patienten hatten unauffällige, notfallmäßig durchge-führte kranielle Computertomo-gramme. Bei der anderen Hälfte wurde eine Subarachnoidalblutung oder eine intraparenchymatöse Blutung diagnostiziert. In der Lumbalpunktion, die bei allen Patienten mit normalem CT durchgeführt wurde, fand sich in keinem Fall eine vermehrte Erythrozytenzahl. Der Liquordruck wurde nur bei einem Patienten gemessen und war erhöht. Die Diagnose wurde entsprechend dem diagnostischen Standard mittels digitaler Subtraktionsangiographie oder MR-Angiographie gesichert. In der Diskussion weisen die Autoren zurecht darauf hin, daß einige der Patienten die Kriterien der Internationalen Kopfschmerz-Gesellschaft für zerebrale Sinus-Venen-Thrombose nicht erfüllen. Die Autoren rufen verdienstvollerweise die bekannte Tatsache in Erinnerung, daß eine Sinus-Venen-Thrombose mit einem perakuten Vernichtungs-kopfschmerz einsetzen kann. Erstmals wird dieses Wissen mit Zahlen untermauert und belegt, daß bei derartig charakterisiertem Kopf-schmerz, zumal wenn Übelkeit und Erbrechen hinzutreten, eine extensive Diagnostik notwendig ist. Die Diagnose “exercise headache” greift nicht. Diese Arbeit hat ein großes Verdienst hinsichtlich einer vermutlich immer noch unterdiagnostizierten Kopfschmerzart, die potentiell lebensbedrohlich ist. Obwohl sie eine retrospektive Arbeit ist, muß sie als exzellent gelten. (GA)
3. *** Ulfberg J, Carter N, Talbäck M, Edling C (1996). Headache, snoring and sleep apnoea. J Neurol: 621-625.
Da beim Schlaf-Apnoe-Syndrom, dem sog. Schnarchen und anderen ventilations-bedingten Schlaf-störungen gehäuft Kopfschmerzen beobachtet werden, war es ein Ziel der Autoren, die Kopfschmerz-prävalenz innerhalb dieser Gruppe im Vergleich zu einer repräsentativen (gesunden) Stichprobe der Allgemein-bevölkerung in einer Querschnitts-studie zu erheben. 448 Schnarcher und 324 Patienten mit obstruktiver Schlaf-Apnoe, die konsekutiv in ein Schlaflabor überwiesen wurden, wurden rekrutiert, ebenso eine Stichprobe der Normalbevölkerung (N = 583), die auf eine Frage-bogenaktion geantwortet hatte. Die Bevölkerungsstichprobe wurde in Schnarcher und Nicht-Schnarcher unterteilt. In der Patientengruppe mit obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom und schwerem Schnarchsyndrom klagten 18% über häufigen oder sehr häufigen, meist morgens auftretenden Kopfschmerz; im Vergleich hierzu jedoch nur 5% der Allgemeinbevölkerung. Ein Kopf-schmerz, der zumindest 1x pro Woche auftritt, wurde von 28% der Patientengruppe angegeben und nur von 17% der Allgemeinbevölkerung. In der Patientengruppe klagten doppelt soviel Frauen über morgentlichen Kopfschmerz; ebenso klagten mehr Frauen als Männer über zumindest einmal pro Woche auftretenden Kopfschmerz (1,6:1). Die Untersuchung belegt einen Zusammenhang zwischen Schlaf-störungen einerseits (mit einem verändertem Atmungsmuster durch Schnarchen oder obstruktive Schlaf-Apnoe) und Kopfschmerzen andererseits. Ob Schwankungen der Sauerstoffsättigung oder das gestörte Schlafmuster für die erhöhte Kopfschmerz-Prävalenz verantwort-lich sind, wird offengelassen. Wenngleich in der Studie eine Typisierung der Kopfschmerzformen nach IHS-Kriterien nicht erfolgte, ist es von klinischem Belang, bei Patienten mit Spannungskopfschmerz ein gestörtes Schlafverhalten z.B. im Rahmen schweren Schnarchens oder einer obstruktiven Schlaf-Apnoe als mögliche Ursache des Kopfschmerzes zu hinterfragen. Die Durchführung prospektiver Therapiestudien, die belegen, daß eine Behandlung des Schlaf-Apnoe-Syndroms (Beatmung) auch zu einer Remission des assoziierten Kopfschmerzes führt, erscheint als sinnvoll (MK).
4. *** Fukui S, Ohseto K, Shiotani M, Ohno K, Karasawa H, Naganuma Y, Yuda Y (1996). Referred pain distribution of the cervical, zygapophyseal joints and cervical dorsal rami. Pain 68: 79-83
Als eine mögliche Ursache des cervikogenen Kopfschmerzes werden Veränderungen der kleinen Wirbel-gelenke der HWS im Sinne von cervikalen Facettensyndromen ange-sehen, neben Schädigungen von Bandscheibe, Wurzel, Knochen, Bandapparat oder Muskel. Die Autoren haben deshalb bei 61 Patienten mit Hinterkopfschmerzen sowie Nacken- und Schulter-schmerzen als angenommene Folge von segmentalen HWS-Wirbel-gelenksveränderungen die topistische Verteilung der lokalen und projizierten Schmerzen untersucht. Die segmentalen Schmerzen wurden durch Überdehnung der Wirbelgelenkskapseln mit Injektion von Kontrastmittel provoziert und durch die intraartikuläre Gabe eines Lokalanästhetikums und Steroid-präparates wieder blockiert. Darüberhinaus wurde die Schmerz-verteilung nach elektrischer Reizung der segmentzugehörigen Hinter-wurzeln erfaßt. Aus therapeutischen Gründen wurde, falls erforderlich, eine dorsale “funktionelle Rhizotomie” mit Koagulation durchgeführt. Insgesamt wurden 181 Wirbelgelenke und 62 Segmente untersucht. Jedes segmentale Wirbelgelenk oder Hinterwurzel zeigte eine charakteristische lokale und projizierte Schmerzverteilung. Für die einzelnen Segmente ergab sich folgende präferierte Schmerzverteilung: Hinterkopf-schmerz konnte auf die Segmente C2-C3 zurückgeführt werden. Reizung der atlanto-occipitalen und atlanto-axialen Gelenke führte zu einem Schmerz im oberen seitlichen Halsbereich und retroaurikulär. Wirbelgelenksveränderungen und Wurzelreizungen auf C2-C4 Segmenthöhe führten vorwiegend zu einem Schmerz im hinteren oberen Nackenbereich. Reizungen auf Segmenthöhe C3/C4 führten zu Schmerzen im oberen und mittleren Nackenbereich. Hinterkopfschmerz wurde nur bei Segmentauffälligkeiten von C0 bis C4 gefunden. Die Häufigkeit des Hinterkopfschmerzes nahm segmentbezogen in folgender Reihung ab: C2/C3 (50%), C3/4 (38%), C0/C1 (30%), C1/2 (20%). C4/C5 Segmentschmerz wurde in der mittleren und unteren Nackenregion sowie suprascapulär wahrgenommen. Der C5/6 Schmerz projizierte ebenfalls in die mittlere und untere Nackenregion, zog jedoch Scapula und Schultergelenke mit ein. C6/7 Schmerz wurde vorwiegend in den oberen medialen Scapulawinkel und mittlere Scapularegion projiziert und nur zu einem geringeren Teil in die untere Nacken- und Schulterregion. Die Untersuchungen belegen, daß ein Hinterkopfschmerz im Rahmen eines cervikogenen Kopfschmerzes u. a. auf Veränderungen der kleinen Wirbel-gelenke in den Segmenten C0 bis C4 zurückgeführt werden kann. Artikuläre Auffälligkeiten der Segmente C5 – Th1 führen dagegen nicht zu einem Hinterkopfschmerz. Bei vertebragenen Auffälligkeiten in den unteren Segmenten wird der Schmerz stattdessen in die Schulterblattregion und das Schulter-gelenk projiziert. Es sollte deshalb im klinischen Alltag bei Patienten mit unklarem Schulterschmerz auch an eine vertebragene Genese gedacht werden (MK).
5. *** Wallis BJ, Bogduk N (1996). Faking a profile: can naive subjects simulate whiplash responses? Pain 66: 223-227.
Patienten mit chronischen Beschwerden nach einem HWS-Schleudertrauma zeigen testpsycho-logisch eine depressive Verstimmung und vermehrt somatisch-vegetative Beschwerden. Diese Faktoren korrelieren mit der subjektiv eingeschätzten Schmerzstärke. Es war bislang nicht untersucht, inwieweit Simulations- und Aggravations-tendenzen mit entsprechenden Entschädigungsansprüchen bei den Patienten das Testprofil in der neuropsychologischen Untersuchung beeinflußen. Die Autoren forderten deshalb 40 schmerzfreie Studenten ohne anamnestisch bekanntes HWS-Schleudertrauma auf, in einer testpsychologischen Untersuchung mit Selbsteinschätzungsfragebogen (SCL-90-R), visueller analoger Schmerzskala und mit dem “McGill Pain Questionnary” chronischen Schmerz und Befindlichkeit für einen fiktiven Zeitraum von 6 Monaten nach einem Verkehrsunfall mit angenommenem Schleudertrauma zu simulieren, um eine entsprechende (finanzielle) Entschädigung zu erreichen. Die Testergebnisse der “Simulantengruppe” wurden mit einer “Schleudertraumagruppe” (N = 120) verglichen. Die Simulanten zeigten signifikant höhere Werte auf sämtlichen Skalen der Befind-lichkeits- und Depressions- bzw. Persönlichkeitsfragebögen. Sie skalierten die simulierte Schmerzstärke auf einer visuellen Analogskala ebenfalls signifikant höher als die Patienten. Im Gegensatz zu den Patienten korrelierten in der Simulanten-Gruppe die testpsycho-logischen Skalenwerte nicht mit der subjektiv eingeschätzten Schmerz-stärke. Die Schmerzbeschreibung mit dem “McGill Pain Questionnary” unterschied sich für beide Gruppen nicht signifikant. Aus den Ergebnissen kann gefolgert werden, daß Schleudertrauma-Patienten mit chronischen Schmerzen und entsprechender Beeinträchtigung bei typischem testpsychologischem Profil nicht simulieren oder aggravieren. Andererseits besteht testpsycho-logisch der Verdacht auf Simulation oder Aggravation, wenn in sämtlichen Skalen der Befindlichkeits- und Beeinträchtigungsfragebögen erhöhte Werte gefunden werden und wenn keine Korrelation der testpsycho-logischen Skalen mit der selbst eingeschätzten Schmerzstärke besteht (MK).